Aufschlussreiches Sittenbild der heutigen USA
Die Topeka SchuleINHALT
Kansas um die Jahrtausendwende: der 17-jährige Adam geht auf die Topeka High School, er steht kurz vorm Abschluss. Er ist ein bekannter Debattierer, alle rechnen damit, dass er die Landesmeisterschaft ...
INHALT
Kansas um die Jahrtausendwende: der 17-jährige Adam geht auf die Topeka High School, er steht kurz vorm Abschluss. Er ist ein bekannter Debattierer, alle rechnen damit, dass er die Landesmeisterschaft gewinnt. Seine Eltern sind als Therapeuten in einer psychiatrischen Einrichtung tätig. Die Mutter ist eine berühmte feministische Autorin, sein Vater ist Experte darin, Jugendliche durch außergewöhnliche Therapieformen wieder zu einem normalen Leben zu verhelfen. Ihr Sohn Adam ist ein beliebter Typ, cool und ausschreitungsbereit, besonders sprachlich – er tut alles dafür, dass keiner auf die Idee kommt, er könnte schwach sein. Weil er ein Herz für Außenseiter hat, freundet er sich mit Darren an. Adam weiß nicht, dass der einer der Patienten seines Vaters ist –, und führt ihn seine Kreise ein. Mit desaströsen Folgen …
(Quelle: Suhrkamp)
MEINE MEINUNG
«Die Topeka Schule» ist bereits der dritte Roman des US-amerikanischen Schriftstellers Ben Lerner, der eigentlich Lyriker ist und mit seinen Romanen inzwischen zum international gefeierten Shooting Star der amerikanischen Literaturszene avancierte. Es ist ein mitreißender, ungeheuer vielschichtiger und anspruchsvoller Roman, der mich mit seiner Mischung aus faszinierender Coming of Age-Geschichte um den hochbegabten Protagonisten Adam, seiner komplexen Familiengeschichte und der bedrückenden Geschichte um den „verlorenen Jungen“ Darren, die schließlich in einer fatalen Tragödie mündet, sehr fesseln konnte.
Feinfühlig, sehr eindringlich und stets äußerst sprachgewaltig erzählt Ben Lerner in seinem Roman die Geschichte einer Intellektuellen-Familie aus Topeka, einer Stadt in Kansas im Mittleren Westen, um die Jahrtausendwende und ihrem recht labilen Zusammenhalt. Die Handlung wird uns nicht-chronologisch in einem abwechslungsreichen, multiperspektivischen Erzählstil präsentiert. So wird Adams Erzählstrang aus der dritten Person erzählt, während wir die Handlung aus der Sicht von Adams Therapeuten-Eltern jeweils in der Ich-Perspektive erleben, die uns Leser zudem oftmals direkt ansprechen – der erfolgreichen feministischen Autorin Jane, die den Missbrauch durch ihren Vater aufzuarbeiten versucht und Adams einfühlsamen Vater Jonathan, der seine Ehe mit einer Affäre verrät. Eingeschoben ist zudem eine weitere als kursiv gedruckte, Transkript-ähnliche Sicht, die sich in verschiedenen Episoden der traurigen Geschichte von Adams Schulkameraden Darren widmet, einem Patienten von Adams Vater und von seinen Mitschülern gemobbten Außenseiter mit kognitiven Defiziten. Der permanente Wechsel zwischen den Perspektiven, eingestreute Andeutungen und implizierte Vorahnungen erzeugen beim Leser ein ungutes Gefühl und steigern die Spannung ungemein. Aus den vielen erzählten Episoden ergibt sich schließlich ein interessantes, aufwühlender und nachdenklich stimmendes Gesamtbild.
Lerner lässt uns im Laufe der oftmals mäandrierenden Handlung an familiären Dramen, Missverständnissen, Konflikten, inneren Kämpfen, fehlender Kommunikation und Versöhnungsversuchen teilhaben. Hervorragend sind Lerner seine unterschiedlichen Charaktere gelungen, die sehr vielschichtig, lebendig und mit nuancierten Persönlichkeiten ausgearbeitet sind. Mit außerordentlich gutem, psychologischem Feingespür enthüllt er menschliche Sehnsüchte, Wunschdenken, folgenschwere Fehlurteile und allzu menschliche Irrtümer und zeigt uns letztlich die Komplexität des Lebens auf.
Doch wirft er in seinem Roman auch einen hochinteressanten, äußerst scharfsichtigen und kritischen Blick auf die US-amerikanische Gesellschaft.
Die unglaubliche Vielzahl der im Laufe der Handlung angeschnittenen Themen ist nahezu erschlagend und regt sehr zum Nachdenken an, ist aber mit oftmals sehr US-amerikanischen Bezügen und Anspielungen nicht immer verständlich. Die Bandbreite reicht von genial orchestriert bis hin zu ausufernd nebulös und so habe ich mir in einigen Fällen gewünscht, dass er seine tiefgründigen Einlassungen mehr auf den Punkt hätte bringen können.
Geschickt beleuchtet er komplexe Themenfelder vom Feminismus über fundamentalistische, homophobe religiöse Eiferer wie die Phelps bis hin zu fragwürdigen Männlichkeitsritualen, toxischer Maskulinität, weißem Elitebewusstsein oder den Wurzeln der Wut des sich abgehängt fühlenden weißen Manns. In den Mittelpunkt rückt Lerner aber immer wieder die Auseinandersetzung mit der Macht der Sprache, ihrer Umfunktionierung und der Problematik zunehmender manipulativer „Phrasendrescherei“ und Verwendung leerer Worthülsen in Politik und Gesellschaft.
FAZIT
Ein vielschichtiger und beeindruckender Roman, der allerdings nicht leicht zu lesen ist. Sprachgewaltig und anspruchsvoll geschrieben, verwirrend, nachdenklich stimmend und aufwühlend!