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Veröffentlicht am 08.06.2020

Vielschichtiger, mitreißender Roman

Miracle Creek
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INHALT
In der Kleinstadt Miracle Creek in Virginia geht ein Sauerstofftank in Flammen auf. Zwei Menschen sterben – Kitt, die eine Familie mit fünf Kindern zurücklässt, und Henry, ein achtjähriger Junge. ...

INHALT
In der Kleinstadt Miracle Creek in Virginia geht ein Sauerstofftank in Flammen auf. Zwei Menschen sterben – Kitt, die eine Familie mit fünf Kindern zurücklässt, und Henry, ein achtjähriger Junge.
Im Prozess wegen Brandstiftung und Mord sitzt Henrys Mutter Elizabeth auf der Anklagebank. Und die Beweise sind erdrückend. Hat sie ihren eigenen Sohn ermordet? Während ihre Freunde, Verwandten und Bekannten gegen sie aussagen, wird klar:
In Miracle Creek hat jeder etwas zu verbergen.
(Quelle: Hanserblau – Erscheinungsdatum: 9.3.20 – ISBN: 978-3-446266308 - Übersetzung von Marieke Heimburger)

MEINE MEINUNG
Mit ihrem Debüt «Miracle Creek» ist der in Südkorea geborenen und in den USA lebenden Autorin Angie Kim ein vielschichtiger, mitreißender Roman gelungen, der mich mit seiner faszinierenden Mischung aus fesselndem Gerichtsdrama und tragischer Familiengeschichte hervorragend unterhalten konnte.
Feinfühlig und sehr eindringlich erzählt die Autorin in ihrem Roman von einem undurchdringlichen Geflecht aus kleinen Lügen und Unwahrheiten, die schließlich eine Kettenreaktion von fatalen Ereignissen nach sich ziehen und mit dem Tod zweier Menschen in einer großen Katastrophe enden. Geschickt beleuchtet sie zudem komplexe Themenfelder wie die Assimilation von Immigrantenfamilien und dem Bewahren der eigenen Identität im fremden Land aber auch der Mutterrolle, unerfülltem Kinderwunsch und der komplizierten Dynamik von Mutter-Kind-Beziehungen, dem Umgang mit behinderten Kindern sowie der Opferbereitschaft von Eltern. Es ist ein tiefgründiger Roman, der betroffen macht, uns Lesern einen Spiegel vorhält und zum Nachdenken anregt.
Zu Beginn lässt uns die Autorin im vorangestellten Kapitel „Der Vorfall“ hautnah an den letzten, verhängnisvollen Minuten vor der Katastrophe, dem Brand und der Explosion der HBO-Kammer in Miracle Creek teilhaben. Quasi als Augenzeugen folgt man gebannt dem etwas wirren Bericht von Young Yoo aus der Ich-Perspektive. Der nachfolgende, fast ein Jahr nach der furchtbaren Tragödie angesiedelte Hauptteil des Romans ist als ein Gerichtsdrama angelegt. Über vier Tage hinweg nimmt der Leser Anteil an dem Prozess gegen Henrys angeklagte Mutter Elizabeth, in dem die Brandstiftung und der mutmaßliche Mord an dem 8-jährigen, autistischen Henry und Kit, einer Mutter von 5 Kindern, verhandelt werden. Geschickt lässt die Autorin bei den Befragungen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung nach und nach verschiedene Figuren, wie Freunde, Verwandte und Bekannte der Angeklagten, aber auch die Mitglieder der koreanischen Familie Yoo, zu Wort kommen und lässt den Leser so an deren unterschiedlichen Sichtweisen teilhaben. Je weiter die Gerichtsverhandlung voranschreitet und je mehr Hintergründe und neue Erkenntnisse zu den Geschehnissen enthüllt werden, desto deutlicher wird, dass jeder der Beteiligten etwas zu verbergen hat. Jeder der Protagonisten hat Geheimnisse, die er sorgsam verbirgt und eine breite Palette abdecken wie beispielsweise Neid, Eifersucht, Begierde, Rivalität oder Verbitterung. Der permanente Wechsel zwischen den Perspektiven, eingestreute Andeutungen und implizierte Vorahnungen erzeugen beim Leser ein ungutes Gefühl und steigern die Spannung ungemein. Nach und nach enthüllt die Autorin immer neue Widersprüche, unzählige Unwahrheiten und bewusste Lügen. Von Kapitel zu Kapitel zeigen immer neue Details, wie verschiedene Ereignisse, Missverständnisse, fehlender Kommunikation und die unglückliche Verkettung fatale Fehlentscheidungen schließlich in dieser Tragödie münden konnten.
Aus den vielen Puzzlesteinchen ergibt sich schließlich ein bedrückendes und nachdenklich stimmendes Gesamtbild.Hervorragend gelungen sind der Autorin ihre unterschiedlichen Charaktere, die sie sehr vielschichtig, lebendig und mit nuancierten Persönlichkeiten ausgearbeitet hat, so dass ihre Entscheidungen und Handlungen stets nachvollziehbar und glaubwürdig sind. Mit außerordentlich gutem, psychologischem Feingespür enthüllt sie menschliche Sehnsüchte, Wunschdenken, folgenschwere Fehlurteile und allzu menschliche Irrtümer und zeigt uns letztlich die Komplexität des Lebens auf. Am Ende bleibt ein großer Scherbenhaufen zurück, aus dem aber auch wieder leise Hoffnung erwächst.

FAZIT
Ein vielschichtiger, eindringlicher Roman über verborgene Geheimnisse, kleine Lügen und menschliche Abgründe. Großartig geschrieben, spannend und lesenswert!

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Veröffentlicht am 08.06.2020

Turbulente Persiflage auf Regional-Krimis

SoKo Heidefieber
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INHALT
Kurz nach einer Lesung aus seinem neuen Kriminalroman Heidefieber wird der Schriftsteller Armin Breddeloh in einem Teich bei Bad Bevensen gefunden. Tot und mit zwei Glasaugen - genau wie ein Opfer ...

INHALT
Kurz nach einer Lesung aus seinem neuen Kriminalroman Heidefieber wird der Schriftsteller Armin Breddeloh in einem Teich bei Bad Bevensen gefunden. Tot und mit zwei Glasaugen - genau wie ein Opfer in seinem Roman!
Hauptkommissar Gerold und Oberkommissarin Schubert aus Uelzen nehmen die Ermittlungen auf und haben einen ersten Verdacht: Missgönnte ein anderer Krimiautor dem Kollegen den Erfolg? Schon wenig später trifft es die Verfasser der Romane Spiel mir das Lied vom Westerwald und Showdown auf Juist, und auch am Tegernsee, im Fläming und in der Steiermark gibt es bald Opfer. Die SoKo Heidefieber tappt jedoch im Dunkeln und der vom Verband deutschsprachiger Krimiautoren engagierte Privatdetektiv erweist sich als Niete. Erst als der Täter ein Bekennerschreiben hinterlässt, kommt plötzlich Bewegung in die Sache ...
(Quelle: Hoffmann & Campe Verlag )

MEINE MEINUNG
Mit seinem jüngsten Roman „SoKo Heidefieber“ hat der für seine Martin-Schlosser-Romanreihe bekannte Autor Gerhard Henschel ein kleines Kriminalprojekt eingeschoben, in dem er das boomende Genre der Regional-Krimis genüsslich auf die Schippe nimmt. Es gibt kaum einen Landstrich, der nicht mit einem eigenen Regional-Krimi aufwarten kann, und so lässt Henschel in seinem konsequenterweise als Überregionalkrimi bezeichneten Werk einen skrupellosen Serienmörder auf zahlreiche Autoren von Regional-Krimis in ganz Deutschland los. Da die Regional-Krimis ja grade derart in Mode sind, überbieten sich die Autoren in ihren Romanen geradezu mit ausgefallenen und extrem blutrünstig beschriebenen Morden. Und genau hierauf hat sich der mysteriöse Täter spezialisiert – er wählt für die Schriftsteller exakt die Tötungsmethode aus, die sie im eigenen Krimi beschrieben haben.
Die Idee eine bitterböse Krimi-Persiflage zu schreiben ist wirklich genial. Henschel holt in seinem Roman zu einem gigantischen Rundumschlag aus und spielt mit jedem erdenklichen Klischee, das dem Leser in diesen Krimis zugemutet wird. Ob nun egozentrischer Profiler, abgehalfteter Privatdetektiv, schleimiger Verleger oder auch die Ermittler der SoKo bestehend aus Hauptkommissar Gerold Gerold und seiner Assistentin Oberkommissarin Schubert, die natürlich in Windeseile auch privat seine Partnerin wird, alles ist hier vertreten. Zudem macht er sich über die genre-typischen Versatzstücke wie hölzerne Schreibweise, konsequent eingestreute, dialektgefäbte Passagen und platte Metaphern lustig und spart auch nicht an derber Medienschelte. Was als sehr unterhaltsames Lesevergnügen mit reichlich Schmunzelfaktor beginnt, artet dann aber leider in einer reichlich absurden und zunehmend blutrünstigen Handlung quer durch Deutschland aus, die immer überdrehtere und groteskere Ausmaße annimmt und schließlich in einem fulminanten Finale in Berlin gipfelt.
Während mich die vielen Anspielungen auf die Regionalkrimis, die kreativen Seitenhieb auf die Literaturszene und überspitzt gezeichneten Figuren noch bestens unterhalten und begeistern konnten, wurde mir die absurde Handlung irgendwann zu viel und entsprach immer weniger meinem persönlichen Lesegeschmack.
FAZIT
Eine äußerst ideenreiche, bitterböse Persiflage auf die bunte Welt der Regional-Krimis.
Unterhaltsames Lesevergnügen oder abwegiger Klamauk –hier scheiden sich je nach persönlichem Geschmack des Lesers wohl die Geister!

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Veröffentlicht am 07.06.2020

Ein erschütternder, historischer Roman

Die Unwerten
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INHALT
Frankfurt am Main, 1939.
Die vierzehnjährige Hannah bricht vor ihren Mitschülern in einem Krampfanfall zusammen. Bisher war es ihr gelungen, ihre Epilepsie zu verheimlichen, doch jetzt meldet ihr ...

INHALT
Frankfurt am Main, 1939.
Die vierzehnjährige Hannah bricht vor ihren Mitschülern in einem Krampfanfall zusammen. Bisher war es ihr gelungen, ihre Epilepsie zu verheimlichen, doch jetzt meldet ihr linientreuer Lehrer sie bei der Obrigkeit. Hannah gerät ins Visier des NS-Terrorapparates, denn die Nazis haben sich zum Ziel gesetzt, alles „lebensunwerte Leben“ zu vernichten.
Hannahs Schicksal liegt nun in den Händen des Gutachterarztes Joachim Lubeck, einem gewissenlosen Opportunisten, der für seine Karriere über Leichen geht.
(Quelle: Gmeiner - Erscheinungsdatum: 12.02.2020 - ISBN: 978-3-8392-2646-9)

MEINE MEINUNG
„Die Unwerten“ von Volker Dützer ist der aufwühlende Auftaktband einer historischen Romanreihe um die junge Halbjüdin Hannah Bloch. Hierin hat sich der Autor eines beklemmenden Themas und finsteren Kapitels der deutschen Geschichte angenommen – den Euthanasieverbrechen durch die Nationalsozialisten im Dritten Reich und ihrem menschenverachtenden Projekt Aktion T4, das zum Ziel hatte „lebensunwertes Leben“ zu vernichten. Diese gehörten zu den nationalsozialistischen Untaten, die eher selten in den Medien thematisiert werden und deren Ausmaße nur wenigen bekannt sein dürften.
In seinem äußerst umfangreichen und vielschichtigen Roman ist es Dützer hervorragend gelungen, die vielen sorgsam recherchierten Details zu den Euthanasieverbrechen der Nazis in einer bewegenden und zugleich fesselnden, fiktiven Handlung anschaulich und nachvollziehbar darzustellen. Sehr gut ist es ihm auch gelungen, die damalige Zeit facettenreich und glaubhaft heraufzubeschwören.
Im Mittelpunkt der äußerst ergreifenden, fiktiven Geschichte steht die junge Protagonistin Hannah, die wegen ihrer Epilepsieerkrankung und ihres aufmüpfigen Verhaltens als „nicht abrichtbar“ abgestempelt wird, auf die Liste der Aktion T4 und in die Fänge des skrupellosen Gutachterarztes Joachim Lubeck gerät. Hannahs bewegenden Lebensweg begleiten wir in diesem Band über eine Zeitspanne von 1939 bis in die frühe Nachkriegszeit von 1946. Aus Hannahs Perspektive erlebt der Leser hautnah ihren schwierigen Alltag als Halbjüdin mit, ihre Ängste und zunehmenden Restriktionen, die das Nazi-Regime ihr aufbürdete. Wir begleiten sie auf ihrem leid- und gefahrvollen Weg durch die Nazizeit, durchleben an ihrer Seite Demütigungen, Verfolgung, bittere Verluste und das erschütternde Schicksal vieler ihrer Verbündeten und Wegbegleiter. Dank vieler Helfer, ihrer Cleverness und oftmals auch nur puren Glücks gelingt es ihr mehr als einmal ihren Häschern zu entkommen und zu überleben. Als einen gewissen Bruch in der Geschichte nimmt man dann Hannahs Erlebnisse im letzten Teil des Romans wahr. Dieser Handlungsstrang erzählt eine eigene, äußerst spannungsgeladene Episode rund um Hannahs weiteren Lebensweg, führt aber auch die nervenaufreibenden Geschehnisse der letzten Kriegstage und der Nachkriegszeit zu einem plausiblen und zufriedenstellenden Ende. Ich bin schon sehr gespannt auf eine Fortsetzung dieser Reihe und Hannahs weiteren Lebensweg.
Hannahs fiktives Schicksal zeigt stellvertretend auf, was es Menschen im 3. Reich erging, die nicht dem verklärten, rassischen Idealbild eines „Herrenmenschen“ entsprachen – also nicht die richtige Ethnie, Hautfarbe oder Kultur besaßen oder aufgrund von unerwünschten Krankheiten als erblich „minderwertig“ galten. Bei vielen wurde eine Zwangssterilisierung vorgenommen, doch schon bald wurde ein weitaus grausameres Ziel verfolgt und die gezielte Vernichtung „lebensunwerten“ Lebens in den Heil- und Pflegeanstalten vorangetrieben. Die geschilderte unbarmherzige Systematik und die brutale, skrupellose Vorgehensweise der vielen Handlanger des NS-Apparates gehen unter die Haut. Am Beispiel der fiktiven Figur des Psychiaters und Gutachterarztes Joachim Lubeck macht der Autor sehr anschaulich deutlich, wie aus einem zunächst eher willensschwachen, jungen Menschen ein skrupelloser, karrierebesessener und abscheulicher Mitläufer wird, der sich schließlich freiwillig und ohne Bedenken an den Euthanasieverbrechen beteiligt und zu einem willfährigen Massenmörder wird, der nur seinen eigenen Vorteil im Auge hat.
Die zahlreichen, gut ausgearbeiteten Charaktere und Dützers angenehmer, eindringlicher Schreibstil lassen diesen Roman trotz seiner bedrückenden Thematik zu einem wahren Page Turner werden.
Mehr über die umfangreichen Recherchen des Autors und Hintergründe zu seinem Roman erfährt man in dem äußerst lesenswerten Nachwort.

FAZIT
Ein erschütternder und zugleich fesselnder historischer Roman, der einen wichtigen Beitrag dazu leistet, die Erinnerungen an die Untaten der Nazidiktatur wach zu halten, auf dass das unendliche Leid der Opfer niemals in Vergessenheit gerät!

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Veröffentlicht am 04.06.2020

Berührender Jugendroman über die Nachkriegszeit

Der Junge aus dem Trümmerland
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INHALT
Berlin 1947:
Wenn Paul nicht gerade mit seinen Freunden in den Trümmern Abenteuer erlebt, versucht er, auf dem Schwarzmarkt Lebensmittel zu organisieren. Sein Vater ist im Krieg verschollen, also ...

INHALT
Berlin 1947:
Wenn Paul nicht gerade mit seinen Freunden in den Trümmern Abenteuer erlebt, versucht er, auf dem Schwarzmarkt Lebensmittel zu organisieren. Sein Vater ist im Krieg verschollen, also fühlt Paul sich für seine Mutter verantwortlich. Doch dann erfährt er, dass sie den afroamerikanischen Soldaten Bill heiraten will. Für Paul bricht eine Welt zusammen. Denn er ist fest davon überzeugt, dass sein von ihm als Held verehrter Vater zurückkehren wird. Paul sieht nur eine Lösung: Er muss dafür sorgen, dass Bill aus seiner Familie verschwindet. Koste es, was es wolle.

(Quelle: Magellan Verlag – Erscheinungstermin: 21.01.2020 – ISBN: 978-3-7348-4723-3)

MEINE MEINUNG
„Der Junge aus dem Trümmerland“ von der deutschen Autorin Sarah Bergmann ist ein historischer Jugendroman mit einer beeindruckend erzählten und gekonnt für die jugendliche Leserschaft ab 12 Jahren aufbereiteten Geschichte, die zum Nachdenken anregt und auch für Erwachsene interessant zu lesen ist.Sarah Bergemann ist eine spannende und zugleich bewegende Geschichte gelungen, die uns an der Seite des 13-jährigen Protagonisten Paul mit ins Berlin der frühen Nachkriegsjahre nimmt und uns sehr authentische Einblicke in seine Lebenswelt gibt. Auch 2 Jahre nach Kriegsende ist die stark zerstörte Stadt ein „Trümmerland“ voller Häuserruinen, Bombentrichter und Trümmerberge. Für Paul und seine „Bande“ ist es ein willkommener Abenteuerspielplatz und idealer Ort zum Suchen nach „Schätzen“, die man auf dem florierenden Schwarzmarkt gegen etwas Nützliches oder Lebensmittel tauschen kann. Gekonnt versetzt die Autorin den Leser ins Berlin der Nachkriegszeit und vermittelt ein stimmiges, authentisches Bild der damals herrschenden Zustände. Sehr anschaulich zeigt die Autorin auf, wie sehr noch Hunger, Armut, knapper Wohnraum und Kriminalität den Alltag der notleidenden Bevölkerung bestimmen. Durch die sehr bildhaft geschilderten Schauplätze kann man sich Pauls tägliches Lebensumfeld gut vorstellen. Dank des angenehm flüssigen, lebendigen Schreibstils gelingt es schnell in die damalige Zeit abzutauchen.Wie die Autorin in ihrem kurzen Vorwort, erläutert, hat sie ihre Geschichte auch sprachlich der damaligen Zeit angepasst und verwendet einige rassistische Begriffe, die man heutzutage nicht mehr verwenden sollte. Zudem verweist sie auf das Glossar im Anhang, in dem einige nicht so geläufige oder geschichtlich relevante Begriffe verständlich erläutert werden. Man merkt an vielen kleinen Details deutlich, dass die Autorin viel zum Leben in der Nachkriegszeit recherchiert und ausgiebig Zeitzeugenberichte gelesen hat. Einfühlsam und lehrreich reißt Bergmann in ihrem Roman mit dem Schicksal der Kriegskinder und den vielfältigen Folgen des Kriegs auf ihre Psyche auch eine Thematik an, die erst in letzter Zeit zunehmend Beachtung findet. Mit Paul und seiner Bande lernen wir Kinder kennen, der mit der Nazi-Ideologie und Kriegspropaganda groß geworden sind, hautnah die Gräuel des Kriegs, den Bombenterror, Verlust geliebter Familienmitglieder und den harten Überlebenskampf miterlebt haben, davon nachhaltig geprägt und teilweise schwer traumatisiert wurden. Sehr differenziert und nachdrücklich führt die Autorin den Lesern all dies in unterschiedlichen Episoden vor Augen. Geprägt vom nationalsozialistischen Gedankengut und deren Weltanschauung sind nicht nur bei den Erwachsenen sondern auch bei ihnen noch die alten Feindbilder und Wertvorstellungen in ihren Köpfen fest verankert und sorgen für Verunsicherung. So geben sie immer noch die alten Naziparolen wieder, sehen in Pauls Mutter, die mit dem farbigen Besatzungssoldaten Bill befreundet ist, beispielsweise eine „Volksverräterin“ und nennen sie „Amiflittchen“. Die Autorin versteht es, ihre Figuren entsprechend ihrer Rollen in der Geschichte sehr vielschichtig und lebensnah zu zeichnen. Hervorragend hat mir vor allem Pauls Charakter gefallen. Er ist ein liebenswerter, pflichtbewusster Junge, der sich rührend um seine Mutter sorgt und sehnlichst auf die baldige Rückkehr seines verschollenen, als Held verehrten Vaters und auf bessere Zeiten hofft. Die Autorin schildert sehr glaubwürdig seine in ihm tobenden inneren Konflikte, sein grenzenloser Hass auf den „Feind“ Bill, der seinen geliebten Vater verdrängen will und sein daraus resultierendes, sehr fragwürdiges Verhalten. Fesselnd ist neben seinen Gewissenskonflikten aber auch seine persönliche Weiterentwicklung im Laufe der Handlung mitzuerleben - wie es ihm nach und nach gelingt, sein Schwarz-Weiß-Denken und die alten Feindbilder und Wertvorstellungen zu überwinden.Auch wenn einige Verwicklungen natürlich etwas vereinfacht für die jüngere Leserschaft dargestellt werden, nimmt die spannende Handlung immer mehr an Tempo auf und hält so einige überraschende Wendungen für uns bereit. Die nachdenklich stimmende Geschichte endet schließlich mit einem hoffnungsvollen und versöhnlichen Ausklang und ist für dieses beeindruckende Jugendbuch überaus passend gewählt.

FAZIT
Ein berührender, spannend erzählter Jugendroman über die Nachkriegszeit in Berlin. Ein beeindruckender und sehr lesenswerter Roman, der ein wichtiges Thema gut verständlich aufarbeitet und hoffentlich eine breite Leserschaft findet!

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Veröffentlicht am 02.06.2020

Aufwühlendes Porträt von Virginia Woolfes letzten Tagen

Ach, Virginia
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MEINE MEINUNG
In seinem jüngsten Roman "Ach, Virginia" nimmt sich der deutsche Autor Michael Kumpfmüller mit Virginia Woolf (1882-1941) einer der bedeutendsten britischen Schriftstellerin des 20. Jahrhunderts ...

MEINE MEINUNG
In seinem jüngsten Roman "Ach, Virginia" nimmt sich der deutsche Autor Michael Kumpfmüller mit Virginia Woolf (1882-1941) einer der bedeutendsten britischen Schriftstellerin des 20. Jahrhunderts und Ikone der feministischen Literatur an, deren Werke zur Weltliteratur zählen. Äußerst einfühlsam und kenntnisreich erzählt Kumpfmüller in einer interessanten Mischung aus Außen- und Innenansicht über die letzten zehn, recht ereignisarmen Tage im Leben von Virginia Woolf, an deren Ende der Freitod dieser so großartigen, talentierten und erfolgreichen Frau steht. Gekonnt lässt er ihr Leben nochmals vorbei ziehen, beleuchtet dabei ihr Wirken, die für sie wichtigen Beziehungen und Freundschaften und ihre große Liebe, lässt sie Resümee ziehen. Es ist ein faszinierender, tiefgründiger und wundervoll poetisch geschriebener Roman, der in seiner Tragik und Düsternis aber keine leichte Kost darstellt.
Mit viel Feingefühl versucht sich der Autor in die wirre, oftmals erschreckend düstere Gedankenwelt der außergewöhnlich sensiblen Schriftstellerin hineinzuversetzen und uns ihr angeschlagenes Innenleben und innersten Beweggründe anschaulich zu vermitteln. In sorgfältig ausgewählten Episoden, einem Tagebuch gleich, erleben wir sehr unmittelbar mit, wie Woolf immer tiefer in ihre schon länger bestehende, schwere Depression abgleitet, wie sie mit ihrem Leben ringt, leidet und von inneren Zweifeln zerrissen ist. Ihr liebevoller Ehemann Leonard bemüht sich vergeblich, seiner Frau Lebensmut und -freude zu vermitteln. Sehr aufwühlend dokumentiert der Autor Woolfs Kampf gegen sich selbst und ihre inneren Dämonen und beleuchtet zugleich die bitteren Erfahrungen der Vergangenheit und qualvollen Erinnerungen an die Schatten ihrer Familiengeschichte, die sie einfach nicht losließen. So begleiten wir sie schließlich bei ihrem tragischen Entschluss, die erhoffte Erlösung für ihre ausweglos erscheinende Lage im Fluss nahe ihres Hauses zu finden.
Ein überaus schwieriges und anspruchsvolles Unterfangen diesem so vielschichtigen Menschen gerecht zu werden, basiert das Geschilderte letztlich auf reinen Spekulationen, denn in ihren hinterlassenen Tagebücher vermied Woolf es, über ihre körperlichen und psychischen Zusammenbrüche zu schreiben. Dennoch ist dem Autor meiner Ansicht nach dieser Balanceakt recht gut gelungen und doch bleibt nach der Lektüre ein gewisses Unbehagen zurück. Schade, dass er auf die Angabe seiner Quellen verzichtet hat und somit auch der Wahrheitsgehalt seiner geschilderten Ereignisse etwas spekulativ bleibt.
FAZIT
Ein faszinierender und aufwühlender Roman! Feinfühlig und facettenreich versucht sich Kumpfmüller an einem Portrait der berühmten Schriftstellerin Virginia Woolf in den letzten Tagen vor ihrem tragischen Freitod.

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