„Chain Gang“ bezeichnete eine ausbeuterische Methode im US-Amerikanischen Gefängnissystem, bei dem Häftlinge aneinandergekettet werden, um unter Schwerstarbeit die Straßen im Süden der USA instand zu setzen. ...
„Chain Gang“ bezeichnete eine ausbeuterische Methode im US-Amerikanischen Gefängnissystem, bei dem Häftlinge aneinandergekettet werden, um unter Schwerstarbeit die Straßen im Süden der USA instand zu setzen. Wie viele ursprüngliche „Reformen“ wurde auch diese Methode irgendwann durch andere Reformen abgelöst, doch „Chain-Gang All-Stars“ von Nana Kwame Adjei-Brenyah zeigt auf, welche auf Rassismus und der Sklaverei aufgebauten Kontinuitäten sich im Gefängnissystem der USA feststellen lassen. Übersetzt von Rainer Schmidt war diese thematisch tiefgehende Dystopie ein großes Highlight für mich!
In naher Zukunft hat die Gefängnisindustrie in den USA die Todesstrafe zu einem riesigen, medialen Sportevent gemacht. In sensationalisierten Battle-Royal-Gladiatorenkämpfen mit Mad-Max-Ästhetik töten sich ausgewählte Häftlinge gegenseitig; je mehr Gegnerinnen sie ausschalten, desto höher ist ihre Chance, ihre Freiheit zu wiederzuerlangen. In diesem Setting folgen wir in verschiedenen PoVs Menschen, die eine Rolle für dieses System spielen. Im Zentrum stehen dabei Loretta Thurwar und Hamara „Hurricane Staxx“ Stacker, ein Paar, das zusammen in einer Chain Gang kämpft und die großen Stars dieser „Sportart“ sind.
Während die Kämpfe und die Reality-TV-Abschnitte zwischen ihnen plastisch und visuell beschrieben wurden, fühlte ich mich beinahe selbst so, als wäre ich Zuschauerin dieses grausamen Spiels; ich konnte gar nicht anders, als mit meinen liebgewonnenen Protagonistinnen mitzufiebern. Doch dabei hält uns Adjei-Brenyah immer wieder den Spiegel vor: Durch Fußnoten, in denen die zugrundeliegenden Gesetzesentwürfe und Opfer des Systems genannt werden, werden die realen Bezügen hervorgehoben. So wird verhindert, dass der Text (von z.B. weißen, oder internationalen Leser*innen) als bloße Actiondystopie missverstanden wird.
Mich hat die Kombination aus Dystopie und dem aktivistischen Ansatz, der klare, abolitionistische Handlungsaufforderungen und Forderungen zur menschlichen Positionierung enthält, total begeistert.
5 ⭐ und ein Must-Read dieses Jahr!
Vielen Dank an den Verlag für dieses Netgalley-Rezensionsexemplar.
Die Science-Romantasy “To Gaze Upon the Wicked Gods - Falsche Götter” von Molly X. Chang wurde von Isabelle Gore übersetzt und freundlicherweise in der “Collector’s Edition” vom Verlag zur Verfügung gestellt ...
Die Science-Romantasy “To Gaze Upon the Wicked Gods - Falsche Götter” von Molly X. Chang wurde von Isabelle Gore übersetzt und freundlicherweise in der “Collector’s Edition” vom Verlag zur Verfügung gestellt - vielen Dank! Das ist meine erste “Collector’s Edition” von Cross Cult und ich muss zugeben, sie hat mich aufs Lesen eingestimmt. Mit wunderschönem Cover von Sija Hong, für mich eine der aktuell besten Illustratorinnen für Fantasy, und wunderschön gestalteten Vorsatzpapieren, plus goldenem Farbschnitt habe ich mich, trotz anfänglicher Bedenken, dass das Buch nicht ganz meinen Geschmack treffen könnte, sehr auf die Geschichte gefreut. Umso trauriger bin ich, dass ich es doch nicht so gut fand...
Molly X. Chang ist in der Mandschurei im nördlichen China geboren und erzählt in ihrem Vorwort, dass sie in diesem Buch die Geschichte ihrer Heimat bearbeiten will, die von verschiedenen Seiten - China, Japan, R*ssland - okkupiert und kolonisiert wurde. Auch schreckliche, reale Kriegsverbrechen finden, natürlich abgewandelt, einen Platz in dem Buch (wer die Poppy-War-Trilogie gelesen hat, hat schon einmal ein literarisches Werk mit diesem Thema gelesen - es geht hier speziell um die japanische Einheit 731 und ihre Experimente an Menschen während des 2. Weltkriegs).
Worum geht es im Buch? Das Reich Er-Lang ist von ominösen Römern besetzt, die irgendwie durch ein Portal aus einer anderen Welt kamen und jetzt die Welt der Protagonistin Ruying kolonisieren. Die Römer haben Technik und Waffen, die Menschen in Er-Lang Magie - so auch Ruying, die die Fähigkeit hat, Menschen mit Todesmagie zu töten. Als diese Fähigkeiten von den Prinzen der Römer, Antonius, entdeckt werden, muss sie sich entscheiden: Will sie ihre Familie schützen oder ihr Land retten?
Ihr merkt schon an meiner halbgaren Beschreibung, dass mich das World Building genervt hat 🙈 Auf der einen Seite fand ich gut, dass deutlich wurde, auf welcher Machtaxe Technik/Wissenschaft - also gemeinhin “Fortschritt” - zu Magie/Schamanismus - in kolonialen Kontexten würde das aus der Sicht der Kolonisierenden eine Art ländliche Bevölkerung darstellen - stehen. Es wurde speziell anfangs klar dargelegt, welche vielfältigen Bereiche Kolonialisierung verändert, was ich in Adult Fantasy vielleicht etwas tiefer auf mehr Seiten ergründet mag, aber für YA als angemessen empfand. Auch was das mit Ruying als junge Frau selbst macht, wird gut beschrieben; in wissenschaftlichen Kontexten spricht man da z.B. von “coloniality of the mind”, also internalisierter Kolonialität. Stück für Stück bricht sie daraus aus und fängt immer mehr an, zu hinterfragen.
Aber alles andere war für mich, obwohl ich im Kopf hatte, dass es sich hier um ein Jugendbuch handelt, zu wenig. Ich habe z.B. nicht verstanden, warum Chang sich nicht dazu entschieden hat, eine historische Fantasy zu schreiben. Das wäre wahrscheinlich sehr viel härter und düsterer gewesen, wie Poppy War z.B. auch, aber hätte mit vielen Ungereimtheiten im World Building aufgeräumt. Es ist ja irgendwie auch eine alternate history mit drin, aber auch nicht so richtig? Das verwirrt total. Die Welt hat sich leer angefühlt und vor allem die Römer blieben total blass. Es wurde viel zu viel telling statt showing betrieben - beispielsweise hat Ruying eine Schwester und eine Familie, um die sie sich sorgt, aber man sieht sie nie interagieren. So fiel es mir schwer, mich mit den Figuren zu connecten und zu verstehen, warum für Ruying so viel auf dem Spiel steht. Auch Ruying selbst hatte nicht wirklich “Eigenschaften” und hat sich wie ein Spielball des Plots angefühlt.
Nun zum schwächsten Part: Die Romance. Ich habe sie gar nicht gespürt. Ich bin kein Fan von Enemies-to-lovers, vielleicht lag es auch daran, aber ich fand den Ton in den Szenen mit Ruying und Antonius, dem Prinzen, seltsam hin und her schwankend und unangenehm, was einige own voice reviewer auf englischsprachigen Rezensionsplattformen ebenfalls erwähnt haben; nicht zuletzt beruht Einiges in diesem Buch halt auf wahren (sehr, sehr schrecklichen) Ereignissen, wie die Autorin im Vorwort klar macht. Es gab eine Stelle, in der Ruying ultra viele Leute getötet hat, nur um im nächsten Absatz den Prinzen anzuschmachten als wäre nix - das ist für mich keine gute Arbeit mit Figuren. Ich finde das Wort “lovers” auch wirklich zu weit hergeholt, weil eigentlich nie klar wird, warum das Pärchen sich lieben soll. Ich denke, es sollte hier eine Art toxische, manipulative Beziehung dargestellt werden, was aber nicht so richtig gelingen mag.
Um auf einer positiven Note zu enden, möchte ich erwähnen, dass mir das schnelle Tempo und der einfache, gut zu lesende Schreibstil, Spaß gemacht haben. Ich war irgendwie in einer kleinen Leseflaute und da tut eine Jugend-Romantasy manchmal ganz gut, um wieder in den Groove zu kommen. Und generell freue ich mich natürlich, dass Fantasybücher von WoC und Own-Voice-Autorinnen übersetzt werden - nur das hier… das war nichts für mich.
Was für ein Dilogie-Abschluss. Für Die Parabel der Talente, übersetzt von Dietlind Falk, kann ich eigentlich alles wiederholen, was ich schon zum ersten Band habe.
Octavia E. Butler schafft es, mit einer ...
Was für ein Dilogie-Abschluss. Für Die Parabel der Talente, übersetzt von Dietlind Falk, kann ich eigentlich alles wiederholen, was ich schon zum ersten Band habe.
Octavia E. Butler schafft es, mit einer einfachen, präzisen und klaren Sprache, mit einer durchdringenden Stimme und einer fast schon prophetischen Akkuratheit, dystopisch, aber dennoch stets mit Hoffnung zukunftsgerichtet zu schreiben. Ein Beispiel: In Butlers dystopischem Amerika kommt ein populistischer Präsident an die Macht, der christlichem Fundamentalismus und white supremacy direkt in die Hände spielt und dessen Wahlspruch “make America great again” lautet - der Slogan, der auch schon von Ronald Reagan genutzt wurde, erinnert daran, dass es oben genannte Themen nicht erst seit Trump gibt.
Ich liebe es, wie akkurat Butler Beobachtungen und Erfahrungen literarisch umsetzt, denn das zeigt einem auf, dass es Mut braucht, der sich aus Hoffnung speist, um etwas zu verändern. Die Lektüre war keinesfalls leicht, Die Parabel der Talente hat mir nochmal mehr abverlangt, als Die Parabel vom Sämann. Aber sie hat mir vielleicht auch mehr Hoffnung gegeben.
Mehr noch als im ersten Band legt sie den Fokus auf das Bilden von Community und das “Säen” von Ideen, die Hoffnung in sich tragen. Diesen Ansatz wünsche ich mir in noch viel mehr SFF-Werken, denn wie oft habe ich jetzt schon gelesen, dass Helden und Heldinnen super schnell bereit sind, ihre Familie und Gemeinschaft zu verlassen, um die Welt ganz alleine auf heroische Art zu retten? Nie verliert Butler die transformative Kraft aus den Augen, die aus Solidarität heraus entstehen kann. Trotzdem ist auch dieses Thema bei Butler nicht schwarz/weiß. So entwickelt sich eine Figur, die der Protagonistin nahe steht, in eine ganz andere Richtung - leider ein Punkt, der nah an der Realität ist.
Ich empfehle diese Dilogie unbedingt und freue mich, dass ich voraussichtlich bald wirklich zu den Sternen fliegen werde ✨ Butlers SF-Trilogie Xenogenesis bekommt nämlich eine Neuauflage! 🌌
Vielen Dank an den Verlag und das Bloggerportal für dieses Rezensionsexemplar.
Silvia Moreno-Garcia schafft es einfach immer, innerhalb kürzester Zeit richtig coole Figuren einzuführen, die ich sofort fühlen kann. Gepaart mit einer originellen Idee und interessantem Setting funktionieren ...
Silvia Moreno-Garcia schafft es einfach immer, innerhalb kürzester Zeit richtig coole Figuren einzuführen, die ich sofort fühlen kann. Gepaart mit einer originellen Idee und interessantem Setting funktionieren ihre Bücher meist für mich. Doch hat dieser Mix bei “Silberne Geister”, übersetzt von Frauke Meier, bei mir gezündet? 🔥
Ich würde sagen: Ja, aber mit ein paar Abstrichen.
Wie auch schon in den bisherigen Büchern, die ich von SMG gelesen habe, war ich wirklich sofort im Setting drin. Wir befinden uns nämlich in den 90er-Jahren in Mexiko und begleiten Montserrat, eine Toningeneurin im Filmbusiness, und ihren Jugendfreund Tristán, einen in Vergessenheit geratenen Schauspieler, der inzwischen nur noch Animationsserien synchronisiert. Eines Tages bekommen die beiden das Angebot, einen kultigen Horrorfilm zu vollenden, der angeblich mit einem Fluch belegt sein soll - und von da aus entspinnt sich ein Geflecht aus Intrigen über Okkultisten und den Geistern von Nzis…
Neben dem wirklich cool gemachten Setting waren die beiden Protagonistinnen wieder ein Highlight für mich. Sie haben beide Ecken und Kanten, verworrene Lebensumstände, Vorlieben und Abneigungen, sind echt gar nicht mal so sympathisch, aber es hat mir riesigen Spaß gemacht, ihnen durch die Geschichte zu folgen. Außerdem strotzt das Buch nur so vor Referenzen und Verneigungen zu Kultfilmen des Genres, was dem Ganzen eine interessante Metaebene gibt.
Der Horroranteil hat für mich aber nicht wirklich funktioniert. Schade, denn Okkultismus und Spiritismus in Popkultur finde ich faszinierend. Ich mochte zwar, wie behutsam mit den problematischen Seiten des Themas umgegangen wurde (als langjährige Hoaxilla_podcast - Hörerin kamen mir einige Stellen bekannt vor, hehe). Aber puh, streckenweise war es mir einfach zu viel Infodump. Auch wenn sich SMGs Schreibstil leicht lesen lässt, war es mir ein wenig zu zäh und zu lang, um mich wirklich zu gruseln.
Ich vergebe 3,5 Sterne - bin aber umso gespannter, was uns Genre-Chamäleon Silvia Moreno-Garcia zukünftig bietet.
Vielen Dank an den Verlag / das Bloggerportal für dieses Rezensionsexemplar.
So, Freunde. Ich habe meinen Reiserucksack gepackt und bin bereit, am Wochenende ins Reich der Fabelwesen aufzubrechen. Ihr wisst nicht, was das ist und wie man dorthin gelangt? Dann empfehle ich euch ...
So, Freunde. Ich habe meinen Reiserucksack gepackt und bin bereit, am Wochenende ins Reich der Fabelwesen aufzubrechen. Ihr wisst nicht, was das ist und wie man dorthin gelangt? Dann empfehle ich euch dringend, das Expeditionstagebuch von Konstantin O. Boldt zu lesen! Dort bekommt ihr einen wunderbaren Eindruck davon, was es für einen Forscher und Fabelwesenenthusiasten heißt, in einer Welt zu leben, in der die Fabelwesen wie Einhörner, Basilisken und Co. durch Industrialisierung und Entwaldung schon fast ausgestorben sind.
Mit dem hehren Ziel, eben jene Fabelwesen einzufangen und in ein Gebiet zu bringen, in dem sie friedvoll überleben können, bricht Konstantin O. Boldt mit weiteren Forschenden, einer Freischützin und einer Nonne auf eine Expedition, genannt Letho-Expedition, auf eine Reise durch Europa auf.
In Tagebucheinträgen erfahren wir Unwissenden mehr über das große Abenteuer, das allerhand Gefahren - tierischer, paranormaler und menschlicher Natur - bietet. Aber nicht nur das, denn es lassen sich auch Feldnotizen, Skizzen, Karten, Zeitungsartikel, Fotografien… (ich könnte an der Stelle noch ewig so weitermachen) finden, die uns die Welt der Fabelwesen näher bringen. Dies und die vollständige Kollorierung der Seiten lassen einen quasi selbst zum Teil der Letho-Expedition werden. (Mit weniger Werwölfen vielleicht)
Ein Highlight für mich waren die Illustrationen und die Bestiarien-Einträge - ich habe so viel gelernt! Die Balance aus wissenschaftlicher Fundierung, was das Historische und die Fabelwesen angeht, und das Phantastische an der Geschichte hat für mich perfekt funktioniert.
Wenn ich etwas kritisieren wollen würde, wäre es, dass ich gerne mehr über die anderen Mitglieder der Expedition erfahren hätte. Das sind nämlich echt interessante Charaktere! Außerdem musste ich so manches Mal eine Lupe zur Hand nehmen, denn es gab eine gewisse Schriftart, die ziemlich klein war… wobei das der Immersion keinen Abbruch tat.
Ich bin jetzt umso gespannter, wie meine eigene Expedition abläuft (hoffentlich mit weniger Unfällen) und kann euch dieses wunderschöne Buch wärmstens empfehlen. Für 32 Euro bekommt ihr hier unglaublich viel geboten.
Vielen Dank an den Verlag, Florian Schäfer und Elif Siebenpfeiffer für das Rezensionsexemplar!
P.S.: Im Sommer geht Konstantin O. Boldt wieder auf Reisen, habe ich gehört 🌊🦑