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Veröffentlicht am 10.11.2024

Eine Geschichte, die fesselt und berührt

Im Namen der Barmherzigkeit
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1972 kommt in einem Wiener Hospital ein Mädchen zur Welt, das von seiner kaltherzigen und egoistischen Mutter als Seitensprungkind abgelehnt und der Fürsorge übergeben wird. Mit zweieinhalb kommt die kleine ...

1972 kommt in einem Wiener Hospital ein Mädchen zur Welt, das von seiner kaltherzigen und egoistischen Mutter als Seitensprungkind abgelehnt und der Fürsorge übergeben wird. Mit zweieinhalb kommt die kleine Steffi in die Steiermark, wo sie fortan bei einer Bauernfamilie als eins ihrer Pflegekinder lebt. Leider entpuppt sich das ländliche Leben als keine Idylle und das Ehepaar Kellerknecht ist keineswegs so nett und fürsorglich, wie es sich nach außen gerne gibt. Vielmehr betrachten die beiden ihre Pflegekinder als billige Arbeitskraft, lassen sie bis zur Erschöpfung schuften und kümmern sich kaum um das Wohlergehen ihrer Schützlinge. Auch Strafen und Beleidigungen sind an der Tagesordnung. Steffi erträgt wie die anderen stumm ihre Leiden und traut sich nicht, jemandem von den unmenschlichen Lebensbedingungen zu erzählen. Doch mit zwölf lernt das Mädchen eine noch schlimmere Grausamkeit kennen und irgendwann kann sie nicht länger schweigen...

Ich lese seit Jahren Bücher von Hera Lind und bin jedes Mal fasziniert, wie schnell sie es schafft, mich als Leserin in ihren Bann zu ziehen. Die Geschichten, die sie nacherzählt, sind immer außergewöhnlich, fesselnd und bewegend. Nicht anders verhält es sich mit diesem Roman. Die Autorin schildert erneut dramatische menschliche Schicksale nach wahren Begebenheiten und tut dies mit so viel Einfühlungsvermögen, dass es mir unter die Haut geht. Diesmal sogar noch mehr als sonst, da es um das Kinderwohl geht und ich bin selbst Mutter. Steffis Geschichte hat mich zu Tränen gerührt und ich hoffe sehr, dass der Roman zahlreiche Leser ebenso bewegen wird. Das Thema sexueller Missbrauch an Kindern darf kein Tabuthema sein! Solange es Täter gibt, die Kindern Ähnliches antun, dürfen wir nicht schweigen! Ich habe großen Respekt vor der Autorin, die sich bei diesem Roman das erste Mal daran herangewagt hat. Ich bin mir sicher, dass auch ihr die Geschichte sehr viel abverlangt hat. Sie hat die Herausforderung trotzdem auf sich genommen und gemeistert, indem sie genau die perfekten Worte gefunden hat! Möge das Buch möglichst viele Menschen aufrütteln und für das Thema sensibilisieren, damit ähnliche Fälle in Zukunft rechtzeitig verhindert werden können!

Fazit: Eine erschütternde Geschichte, die unter die Haut geht, zugleich aber von der menschlichen Stärke zeugt und trotz allem Mut macht. Von mir eine klare Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 22.09.2024

Unterhaltsam und zum Nachdenken anregend

Juli, August, September
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Die promovierte Kunsthistorikerin Lou und ihr Ehemann Sergej sind beide jüdisch. Sie leben mit der kleinen Tochter Rosa in Berlin. Sergei ist ein gefragter Konzertpianist und nur selten zu Hause. Die Ehe ...

Die promovierte Kunsthistorikerin Lou und ihr Ehemann Sergej sind beide jüdisch. Sie leben mit der kleinen Tochter Rosa in Berlin. Sergei ist ein gefragter Konzertpianist und nur selten zu Hause. Die Ehe steckt schon länger in einer Krise und auch beruflich läuft es für Lou nicht mehr gut: Nach dem Verlust ihres ungeborenen Babys hat sie ihren Job in einer Kunstgalerie gekündigt und versucht ein Buch zu schreiben, kommt mit dem Projekt aber nicht wirklich voran.
Als die Einladung zum 90. Geburtstag ihrer Tante kommt, ist Lou zuerst skeptisch. Doch dann lässt sie sich von ihrer Mutter überreden und fährt zusammen mit ihr und Rosa nach Gran Canaria, wo die Feier stattfindet. Dort trifft sie auf ihre Familie aus Israel, die sie inzwischen kaum noch kennt. Man versucht miteinander zu reden, doch man ist sich nicht mehr vertraut. Durch die in den Gesprächen unterschiedlich dargestellten Versionen der gemeinsamen Vergangenheit entsteht in Lou das Bedürfnis, die Familiengeheimnisse zu lüften, sich Klarheit zu verschaffen und dabei ihrer eigenen Identität näherzukommen. Kurz entschlossen bucht sie einen Flug nach Tel Aviv, wo sie Antworten zu finden hofft...

Olga Grjasnowas Roman hat mich persönlich sehr angesprochen, da auch ich einen Migrationshintergrund habe. Manche Fragen, die sich die Protagonistin stellt, beschäftigen mich ebenfalls. Lous Suche nach ihren Wurzeln und das Hinterfragen der Familiengeschichte brachten mich zum Nachdenken. Ich fand es auch sehr interessant, einen Einblick in das Leben einer modernen jüdischen Familie in Deutschland zu bekommen. Die von der Autorin behandelten Themen sind zwar schwierig, doch mit ihrem leichten, durch einen trockenen Humor bestechenden Schreibstil vermag sie es, dem Roman die Schwere zu nehmen. Hinzu kommt ihre große Beobachtungsgabe. Für mich war die Lektüre durchaus unterhaltsam, ich habe Vieles wiedererkannt und musste häufig schmunzeln. Sie hat mich aber auch stellenweise erschüttert: Die Passagen, in denen die dramatischen Schicksale von Lous Vorfahren und die Grausamkeiten des Krieges geschildert werden gehen unter die Haut. Wichtig fand ich die Anspielungen auf die gegenwärtige politische Lage mit Bezug auf den Ukraine-Krieg. Dies verleiht dem Buch eine besondere Brisanz.

Fazit: Keine fesselnde Lektüre, aber durchaus lesenswert!

Veröffentlicht am 09.09.2024

Ein bewegender Roman über den Mut zum Neubeginn, die menschliche Stärke und die Kraft der Liebe

Vaterländer
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1985: Um seiner Familie eine bessere Zukunft zu ermöglichen kehrt der rumänische Violinist Béla Tambrea nach einer Konzertreise nicht in sein Heimatland zurück und versucht sich in Deutschland eine Existenz ...

1985: Um seiner Familie eine bessere Zukunft zu ermöglichen kehrt der rumänische Violinist Béla Tambrea nach einer Konzertreise nicht in sein Heimatland zurück und versucht sich in Deutschland eine Existenz aufzubauen. Erst zwei Jahre später dürfen die Ehefrau Rodica und die Kinder Sabin und Alina nachkommen. Die Wiedersehensfreude ist riesig, doch der gemeinsame Neustart im fremden Land ist alles andere als einfach. Hinzu kommt die Sehnsucht nach den weiteren Familienmitgliedern, die in Rumänien geblieben sind, wo immer noch der gefürchtete Diktator Ceauceșcu an der Macht ist...

Bis vor kurzem wusste ich gar nicht, dass Sabin Tambrea, den ich für einen brillianten Schauspieler halte, auch Bücher schreibt. So wurde ich sehr neugierig, als ich "Vaterländer" entdeckt habe. Der Klappentext hat meine Neugier noch gesteigert. Ich habe auf eine bewegende und interessante Lektüre gehofft und wurde nicht enttäuscht. Sabin Tambreas Schreibstil weisst Eigenschaften aus, die ihn auch als Schauspieler auszeichnen: unglaubliche Sensibilität, Warmherzigkeit und Einfühlungsvermögen. Ich habe ihm sehr gerne zugehört und war tief bewegt von den Schicksalen der Protagonisten, in die ich mich oft hineinversetzen konnte. Auch ich habe einen Migrationshintergrund und so konnte ich nachvollziehen, wie schwierig es für Tambreas Familie war, alles hinter sich zu lassen und ein neues Leben in Deutschland zu beginnen. Wobei ich das große Glück hatte, in meinem Heimatland keine politischen Repressalien erfahren zu haben. Die Passagen, in denen das Leid von Horea Sava und anderen rumänischen Bürger geschildert wird, stehen in einem harten Kontrast zu der ersten Hälfte des Buches. Statt mit dem hoffnungsvollen Neubeginn sehen wir uns mit einem sehr düsteren Kapitel der rumänischen Geschichte konfrontiert. Ich gestehe, ich wusste wenig davon und so ich war ich beim Lesen erschüttert, schockiert und voller Mitgefühl für dieses Volk, das so viel erdulden musste.

Besonders eindrucksvoll fand ich den letzten Teil des Buches, in dem der Autor die Geschichte seiner Eltern erzählt. Erneut wunderbar einfühlsam und berührend, zum Mitfiebern! Die Schicksale von Béla und Rodica gehen unter die Haut, mit diesem Buch setzt Sabin Tambrea der unerschütterlichen Liebe der beiden ein Denkmal. Überhaupt ist der Roman in meinen Augen eine wunderschöne Liebeserklärung an seine Familie.

Fazit: Fesselnd, lebendig und mit viel Herzwärme – Sabin Tambrea ist ein Mann vieler Talente, das Schreiben gehört definitiv dazu!

Veröffentlicht am 06.08.2024

Ein bewegender und kraftvoller Roman, der lange nachhallt

Von hier bis zum Anfang
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Duchess Radley lebt in der kalifornischen Kleinstadt Cape Haven. Sie ist erst dreizehn Jahre alt, doch die sorglose Kindheit hat sie bereits hinter sich. Sie kümmert sich nicht nur fast alleine um ihren ...

Duchess Radley lebt in der kalifornischen Kleinstadt Cape Haven. Sie ist erst dreizehn Jahre alt, doch die sorglose Kindheit hat sie bereits hinter sich. Sie kümmert sich nicht nur fast alleine um ihren jüngeren Bruder Robin, sondern auch um ihre psychisch labile Mutter Star, die seit einer Familientragödie ihr Leben nicht in den Griff bekommt. Vor dreißig Jahren ist Stars Schwester ermordet worden. Als der Schuldige Vincent King nach der verbüßten Gefängnisstrafe in den Ort zurückkehrt, spitzt sich die Lage schnell zu. Und schon bald geschieht wieder ein schreckliches Unglück...

Chris Whitaker hat einen Roman von ungeheuer Intensität geschrieben, der man sich nicht entziehen kann. Die packende Story hat mich von den ersten Seiten an gefesselt und ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen. Zugegeben, es ist eine sehr harte Kost und definitiv nichts für Leser, die auf der Suche nach leichter Urlaubslektüre sind. Die Schicksale der Protagonisten (wunderbar lebendige und facettenreiche Charaktere, die man nicht so leicht vergisst) sind unendlich tragisch und gehen unter die Haut. Und doch war ich am Ende angekommen zwar traurig und nachdenklich, fühlte mich zugleich aber auch gestärkt. Denn trotz der ganzen Tragik spendet der Roman Hoffnung und erinnert an die große Kraft, die wir Menschen in uns haben. Die Kraft, die es ermöglicht, auch die schlimmsten Erlebnisse hinter uns zu lassen und nach vorne zu schauen.

Fazit: Packend und berührend! Wer keine Angst vor starken Gefühlen hat und nicht allzu zartbesaitet ist sollte sich unbedingt von Whitaker nach Cape Haven entführen lassen – es lohnt sich!

Veröffentlicht am 05.08.2024

Kluge und herzerwärmende Lektüre

Der Buchspazierer
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Der alte Buchhändler Carl Kollhoff lebt ein einfaches und einsames Leben. Seine Familie sind Bücher, von denen er zu Hause eine Menge hat. Zwar arbeitet Carl nicht mehr im Laden, versorgt aber immer noch ...

Der alte Buchhändler Carl Kollhoff lebt ein einfaches und einsames Leben. Seine Familie sind Bücher, von denen er zu Hause eine Menge hat. Zwar arbeitet Carl nicht mehr im Laden, versorgt aber immer noch Menschen mit Büchern, und zwar indem er sie einigen Stammkunden regelmäßig nach Hause bringt. Die persönliche Zustellung und der damit verbundene Gang durch seine Heimatstadt wird zum festen Bestandteil seines Alltags und verleiht seinem Leben mehr Sinn. Carl liebt diese Routine und freut sich immer wieder auf seine Kunden, denen er insgeheim passende literarische Namen verpasst. Doch eines Tages taucht plötzlich an seiner Seite die 9-jährige Schascha auf, die ihn unbedingt begleiten möchte. Das passt Carl zuerst gar nicht. Erstens möchte er seine Aufträge wie gewohnt alleine verrichten und zweitens sind Kinder für ihn eine fremde Spezies. Doch das kluge und neugierige Mädchen gibt nicht so leicht auf...

Was für ein kluges und berührendes Buch! Ich habe jede Seite genossen und kann die begeisterten Kritiken zu dem Roman absolut nachvollziehen. Eine schöne Geschichte und liebenswerte Charaktere, die man ins Herz schließt. Ein Hoch auf die Freundschaft, den Zauber des Lesens und auf die fast schon magischen Kräfte, die in vielen Büchern stecken, notabene auch in diesem. „Der Buchspazierer“ ist ein Roman für Herz und Seele, der beides wärmt und zu trösten vermag, man könnte es aufs Rezept verschreiben Also bitte unbedingt lesen!