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Veröffentlicht am 06.05.2019

ungewöhnlicher Plot

1793
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An „1793“ ist so einiges ungewöhnlich. Es ist kein normaler historischer Krimi sondern in weiten Teilen ein Sittengemälde der damaligen Zeit und das sicherlich nicht nur im schwedischen Stockholm.

Überraschend ...

An „1793“ ist so einiges ungewöhnlich. Es ist kein normaler historischer Krimi sondern in weiten Teilen ein Sittengemälde der damaligen Zeit und das sicherlich nicht nur im schwedischen Stockholm.

Überraschend sind erst mal die zwei Hauptdarsteller, die beide auf den ersten Blick eher gebrochene Existenzen zu sein scheinen. Cecil Winge, der Staatsanwalt, der mit einem Bein bereits im Grab steht, da er unheilbar an Tuberkulose trifft auf Jean Michael Cardell, einen versoffenen Häscher, der im Krieg einen Arm verloren hat. Aber beide besitzen eine ganz eigene Art von Gerechtigkeitsempfinden und der verstümmelte Mann, der sie beide zusammenbringt, ist einer grauenvollen Folter zum Opfer gefallen.

Ungewöhnlich ist auch, dass die Geschichte teilweise rückwärts und mit verschiedenen Protagonisten erzählt wird und dennoch ein homogener und logisch erzählter Plot bleibt. Eine Leistung, die man dem Autor hoch anrechnen muss. Ebenso wie die gründliche Recherche und die genauen, wenn auch oft drastisch ehrlichen Beschreibungen.

Natt och Dag ist definitiv ein neuer Autor, den man sich merken muss. Nacht und Tag lässt er in seinem historischen Roman lebhaft aufleben und man riecht den Gestank und fühlt den Schmutz unter den Fingern. Eine unangenehme Zeit. Man ist froh, nicht dort gelebt zu haben. Aber man liest atemlos und begeistert.

Veröffentlicht am 06.05.2019

Ein Buch für alle Sinne

Alte Sorten
7

Sally ist abgehauen. Fort aus der Klinik für Essstörungen, in die ihre Eltern sie gesteckt haben. Fort von all den nervenden Fragen, den anstrengenden Erwartungen, der Kälte des Elternhauses und dem Unverständnis ...

Sally ist abgehauen. Fort aus der Klinik für Essstörungen, in die ihre Eltern sie gesteckt haben. Fort von all den nervenden Fragen, den anstrengenden Erwartungen, der Kälte des Elternhauses und dem Unverständnis der Lehrer. Irgendwo am Straßenrand zwischen Feldern und Weinhängen trifft sie Lizz auf ihrem Traktor. Und die guckt der 17jährigen einfach so ins Innere ihres zornigen Wesens und gibt ihr ohne viel Aufhebens ein Zimmer auf ihrem Hof. Und auch Sally spürt eine seltsame Verbindung und lässt sich ein auf diese Begegnung, findet sich Stück für Stück auf ganz natürliche Weise in den Arbeitsalltag auf dem Bauernhof ein, hilft bei der Weinlese, entdeckt den Geruch eines Gartens voller alter Birnensorten und den Geschmack von frischer Maische und selbstgebackenem Brot. Und während sich die zwei so unterschiedlichen Frauen über wenige Tage immer näherkommen, Gemeinsamkeiten entdecken und anfangen zu reden und die Vergangenheit der anderen kennen zu lernen, verlassen beide ihr selbstgewähltes Schneckenhaus, öffnen und verändern sich. Und als Sallys Eltern schließlich die Tochter doch aufspüren ist nichts mehr, wie es einmal war.

„Alte Sorten“ ist ein Buch der Sinne. Ein Buch voller Gerüche und Geschmäcker, voller Geräusche und Gefühle. Ein Buch über zwei Frauen, die beide einen unbändigen Wunsch nach Leben und nach Freiheit haben. Die eine steht am Anfang und tut sich schwer den richtigen Weg für sich zu finden. Der anderen hat das Leben mehrmals die Flügel gebrochen und dennoch sehnt sie sich danach zu fliegen.

Ich kenne und schätze Ewald Arenz als Autor sehr. Ein bisschen findet er vielleicht in dieser Geschichte wieder zu seinen Anfängen zurück, denn das Buch erinnert mich mit seiner einfühlsamen Sprache und den sinnlichen Beschreibungen an „Der Duft von Schokolade“. Aber wie in allen seinen Romanen gibt es so viel Neues zu entdecken, so viel kluge wärmende Sätze zu genießen, so viel berührende Augenblicke zu erfahren, dass man sich schon nach wenigen Seiten beschenkt fühlt.

„Der Mensch ist genau so viel Natur wie eine Kartoffel,“ lässt er Lizz sagen. Und man spürt, was sie damit sagen will, was das Buch dem Leser mit so unglaublicher Wucht und Magie erzählt. Und man kommt diesen zwei Frauen so nahe, wie es vielleicht nur in einem Roman geht. Näher, als man oft im wirklichen Leben an seine Mitmenschen herankommt. Und es öffnet einem die Augen für die Wunder der Natur, die scheinbar so alltäglich doch unglaublich spektakulär sind und für die Träume und Wünsche von Lizz und Sally, die ebenso funkensprühend und natürlich zugleich sind.

Ein Herzensbuch. Vielen Dank dafür, lieber Ewald Arenz.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Geschichte
  • Erzählstil
  • Charaktere
  • Atmosphäre
Veröffentlicht am 21.03.2019

unterhaltsam

Der Hexer und die Henkerstochter
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Wie im dritten Teil, so wird gibt es auch am Anfang dieses vierten Romans über den Henker Jakob Kuisl eine Reise. Diesmal von seinem Schwiegersohn Simon Fronwieser und Magdalena auf Wallfahrt nach Andechs.Dort ...

Wie im dritten Teil, so wird gibt es auch am Anfang dieses vierten Romans über den Henker Jakob Kuisl eine Reise. Diesmal von seinem Schwiegersohn Simon Fronwieser und Magdalena auf Wallfahrt nach Andechs.Dort kommt es schon bald zu ungeklärten Morden und schnell, ja vorschnell wird Frater Johannes in den Kerker geworfen und der Hexerei und des Mordes beschuldigt. Magdalena schickt also nach ihrem Vater und der eilt ihr sofort aus Schongau zu Hilfe. Verkleidet als einfacher Mönch versucht der Henker dem wahren Hexer auf die Spur zu kommen, tatkräftig unterstützt von Tochter und Schwiegersohn.
Der Kriminalfall ist eingebettet in gut recherchierte historische Hintergründe des 17. Jahrhunderts. Oliver Pötzsch zeichnet seine Hauptdarsteller gewohnt eindringlich und mit Ecken und Kanten und viel Sympathie. Hervorheben möchte ich hier vor allem die kraftvolle bayrisch angehauchte wörtliche Rede. Die Kraftausdrücke und Sprüche sind einfach nur göttlich und muss man sich mehrmals auf der Zunge zergehen lassen. Dass und die ruppig-herzliche Art von Jakob und Magdalena sind geliebte Markenzeichen dieser Reihe. Dazu ein interessanter Schuss an medizinischem Wissen von Simon Fronwieser und einigen anderen historischen Feinheiten, wie z.B. einem Automaten und Blitzableiterversuchen und ähnlichem. Solche Feinheiten machen die Würze in diesem historischen Krimi. Und natürlich, dass das Henkerdasein auch hier nicht zu kurz kommt und in Form des armen Nepomuk und des Henkers Hans schillernd ausgekostet wird.
Ein bisschen genervt haben mich Magdalenas kleine Jungs und die Art wie sie alle Erwachsenen nerven. Aber am Ende waren sie doch so schlau und hilfreich, dass ich mich mit ihnen versöhnt habe. Jakobs ältester Sohn war mir in seiner Art lieber und ich rechne ihm Chancen für eine größer Rolle in einem nächsten Roman aus.
Ebenfalls bemerkenswert die edle Aufmachung dieses Buches. Ich war begeistert vom tollen Cover, dem edlen Äußeren und dem nneren, den Bildern und den wunderschön hervorgehobenen Kapitelanfängen.
Ich hatte schöne Lesestunden und möchte mich nochmals für das Buch beim Verlag bedanken.

Veröffentlicht am 21.03.2019

Highlight

Das Maikäfermädchen
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Nicht mein erstes Buch von Gina Mayer aber eines der beeindruckendsten. Die Geschichte beginnt gleich nach dem Krieg in einer ziemlich düsteren zerbombten Stadt, in der Käthe versucht, irgendwie über die ...

Nicht mein erstes Buch von Gina Mayer aber eines der beeindruckendsten. Die Geschichte beginnt gleich nach dem Krieg in einer ziemlich düsteren zerbombten Stadt, in der Käthe versucht, irgendwie über die Runden zu kommen ohne zu verhungern oder zu erfrieren. Sie arbeitet selbständig als Hebamme und lebt davon mehr schlecht als recht. Bis Ingrid sie anspricht und für einen Pelzmantel um eine Abtreibung bittet. Käthe weiß, dass sie mit ihrem Einverständnis einen Strudel der Ereignisse auslöst und kann dennoch nicht ablehnen. Bald trifft sie auf Lilo, die sie noch von besseren Zeiten her kennt und diese begreift schnell, dass sich mit Abtreibungen das Überleben einer ganzen Familie sichern lässt. Ihrer Familie, die ihr nervenkranker Mann nicht mehr ernähren kann. Also überredet sie Käthe zu einer Art Abtreibungsklinik im großen Stil. Dies wird schnell zu ihrer aller Lebengrundlage, aber das bittere Ende kommt noch.
Dies ist keine leichtfüßige Geschichte sondern ein trauriges scharf gezeichnetes Bild einer Generation, die versucht den Krieg und seine Gräuel zu verarbeiten. Die einzelnen Lebensgeschichten der Protagonisten sind stellvertretend für die meisten Deutschen der damaligen Zeit. Vom Mitläufer bis zum Täter, vom Wegschauen und Totschweigen, vom Rache wünschen und ins Schicksal fügen, von Deutschen und Juden und Besatzern. Keine bedrückende Wahrheit wird verschwiegen, kein Thema beschönt oder verteufelt. In einer klaren und eindringlichen Sprache beschreibt Gina Mayer das Elend und die Verzweiflung der Überlebenden, die alles erlebt haben. Vergasung, Kampf in Russland, Zwangssterilisation, Verrat, Hunger, Krankheit. Vor allem das Hadern mit Gott ist ein großer Punkt im Roman. Warum er dies alles zulassen konnte. Ob er als Seelentröster überhaupt noch taugt oder ob man einfach nicht mehr an einen Übervater glauben kann, der ein wohlwollendes Auge auf eine Menschheit hat, die sich aufs grausamste gegenseitig umbringt.
Fast auf jeder Seite entblättert sie neue Wahrheiten, stellt Fragen nach dem Sinn, rüttelt an den Grundfesten der gesellschaftlichen Normen, die ein Krieg immer außer Kraft setzt.
Das Buch bedrückt und lässt einen nicht los. Seine Fragen setzten sich im Kopf des Lesers fest und man muss die Geschichte für sich sicher erst mal verarbeiten. Aber es ist eine Geschichte, die man unbedingt immer wieder erzählen sollte und die in dieser Form wirklich hervorragend umbesetzt wurde.
Am Ende bleibt durchaus ein kleiner Hoffnungsschimmer, dass bis zu einem gewissen Grad solche traumatischen Erlebnisse verarbeitet werden können. Aber auch, dass man gewahr sein muss, dass die "braune Scheisse" noch unter uns schwelt und sie nicht wieder hervorbrechen darf.
Ein tolles Buch, welches ich sehr empfehlen kann.

Veröffentlicht am 21.03.2019

großartig

Kains Erben
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Die Geschichte von Kains Erben spielt auf der Isle of White im 13. Jahrhundert. Schon im Prolog beginnt das Trauma der Hauptdarsteller als Blut, Gewalt und Tod kindlich-naives Spiel zerstören und Menschen ...

Die Geschichte von Kains Erben spielt auf der Isle of White im 13. Jahrhundert. Schon im Prolog beginnt das Trauma der Hauptdarsteller als Blut, Gewalt und Tod kindlich-naives Spiel zerstören und Menschen für lange Zeit auseinanderreißen.
Eine davon ist Amicia, von allen nur liebevoll die Amsel genannt, die wir 10 Jahre später im Schatten einer Zisterzienser-Abtei wiedertreffen, wo der Abt Randulf ihr die letzten Jahre über gestattet hat, in einer kleinen Hütte zu hausen und zumindest teilweise am klösterlichen Leben teilzunehmen. Sie hat durch einen Schock ihre Vergangenheit vergessen und weiß nicht, wer ihre Eltern sind und wo sie herkommt. Eines Tages muss sie einen schwerverletzten Ritter und dessen Begleiterin Magdalene bei sich aufnehmen. Und sie ahnt nicht, wie sehr ihr Leben mit dem des Ritters Matthew de Camorys verknüpft ist. Randulf, der es wüsste, schweigt und nach der Genesung des Mannes bitten er diesen um Schutz und Begleitung von Amicia in ein Nonnenkloster. Er weiß, dass einige Leute hinter der kleinen Amsel und ihrem Leben her sind und will sie in Sicherheit bringen lassen. Neben dieser dramatischen Reise ist es aber auch eine Geschichte über das Judentum zur damaligen Zeit und die königlichen Erlasse, die später dazu führten, dass so gut wie alle Juden England verlassen haben.
Die Geschichte entspinnt sich auf mehreren Ebenen und ist kniffelig genug, dass man als Leser mit raten kann aber auch aufmerksam lesen und am Ball bleiben muss, um keine Feinheiten zu überlesen. Nicht nur Matthew und Amicia sondern auch Magdalene und Randulf, ein großer Hund und ein stummer alter Säufer wachsen einem schnell ans Herz. Ihre Beziehungen zueinander, die einzelnen Charakter, sind hervorragend gezeichnet, lassen einen schmunzeln und laut lachen, schimpfen und mitfiebern. Mehr als eine Liebesgeschichte steckt hier drinnen, ergreifend, traurig, fröhlich und naiv – alles und noch viel mehr.
Wer bereits ein Buch von Charlotte Lyne gelesen hat weiß, dass den Akteuren ihrer Romane meist in der Vergangenheit entsetzliche Dinge widerfahren sind, die ihre Seelen gepeinigt und ihren Glauben an Gott und die Menschen gebeutelt haben. Schon der Titel dieses Buches „Kains Erben“ deutet darauf hin, dass auch hier die Protagonisten ein nicht unbeträchtliches Päckchen zu tragen haben. Dennoch ist es kein depressives Buch und an vielen Stellen blitz der Schalk und die Lebensfreude auf, die die Autorin ihren Protagonisten einhaucht. Die Entwicklung der Gefühle und der Verlauf der Geschichte werden plausibel und sehr spannend vor dem Leser aufgeblättert. Die Sprache ist wie immer fein geschliffen und von nuancierter Tiefe. Ich hatte ein großartiges Leseerlebnis mit diesem Buch.