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Veröffentlicht am 27.10.2022

Unterhaltsam und tiefgründiger, als erwartet

Ex
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Was sagen unsere Ex-Beziehungen über uns aus? Wie viel lernen wir über uns selbst, wenn wir mit ihnen in Kontakt treten? Und wie prägt das Patriarchat Beziehungen? Katja Lewina trifft ihren Ex Paolo und ...

Was sagen unsere Ex-Beziehungen über uns aus? Wie viel lernen wir über uns selbst, wenn wir mit ihnen in Kontakt treten? Und wie prägt das Patriarchat Beziehungen? Katja Lewina trifft ihren Ex Paolo und beginnt eine aufregende Reise in ihre Vergangenheit.

„So ist das also, wenn man endlich spricht. Die zweite Wahrheit kommt ans Licht. Die des:der andere:n.“

Ihr Plan ist es, ‚die zehn wichtigsten Männer ihres Lebens‘ ausfindig zu machen und unangenehme Gespräche zu führen. Es geht nicht um Vorwürfe, oder darum, alte Streitereien fortzuführen. Viel eher ist sie offen für ‚die zweite Wahrheit‘ und andere Perspektiven.

Ihre Erlebnisse und Erkenntnisse schildert sie ausführlich in ihrem neusten Werk ‚Ex’. Manchmal wundervoll poetisch und romantisch, an anderer Stelle ernüchternd und klar. Immer mit einer radikalen Ehrlichkeit und der Bereitschaft, eigenes Fehlverhalten aufzuarbeiten, aber auch äußere Einflüsse zu beleuchten.

„Denn die Fähigkeit, Liebesbeziehungen zu führen, fängt bei uns selbst an. Wir alle schleppen Beschädigungen aus Kindheit und Jugend mit uns rum, die uns das Beziehungsleben schwer machen. Wenn wir derer nicht gewahr sind, dann gute Nacht.“

Nachdem ich ein großer Fan ihres ersten Buchs ‚Sie hat Bock‘ war, habe ich mich umso mehr auf diese Reise gefreut und bin absolut nicht enttäuscht. Es hat auf der einen Seite total viel Spaß gemacht, das alles zu verfolgen, auf der anderen war es unheimlich informativ und hilfreich.

Ich glaube, dass wir menschlich sehr unterschiedlich sind, Beziehungen ganz anders betrachten. Und trotzdem gab es immer wieder Momente, in denen ich mich ertappt fühle. Aber auch die Situationen, die ich nicht komplett nachvollziehen konnten, waren total spannend zu lesen und haben mir ganz neue Perspektiven geliefert.

Katja Lewina spricht am Anfang von Serieller Monogamie. Unüberlegt stürzt sie sich in Beziehungen, immer auf der Suche, nach dem einen Mann, der sie rettet. Dass sowas selten gut ausgeht, ist kein Geheimnis. Heute lebt sie in einer polyamoren Ehe, auch um ihren Ehemann geht es hier natürlich.

„Und so stürzen wir uns kopflos in Beziehung um Beziehung, produzieren wir Ex um Ex um Ex. Und für Frauen gilt das sogar noch mehr als für Männer. Denn was sind wir schon im Patriarchat ohne die Liebe eines Mannes?“

Neben ihren persönlichen Gefühlen und Gedanken spricht sie auch immer wieder über unsere Gesellschaft und hinterfragt auch hier einiges. Mich hat es wirklich beeindruckt, wie reflektiert und offen Katja Lewina an die ganze Sache gegangen ist. Gleichzeitig hat es sich für mich manchmal komisch angefühlt, so private, intime Einblicke zu bekommen.

Katja Lewina nimmt kein Blatt vor den Mund und schreibt auch über Sex sehr offen. Auch hier müsst ihr für euch selbst entscheiden, ob ihr damit klar kommt, mir hats ziemlich gut gefallen. Auch ihren Humor zeigt sie hier sehr gut und lockert viele Situationen damit noch mal auf.

Ex ist eine faszinierende, emotionale Reise, die wirklich lesenswert ist. Natürlich wird es nicht jede*n interessieren und es ist kann Überwindung brauchen, so tief in die Empfindungen anderer Menschen einzutauchen. Wenn ihr da aber Bock drauf habt, kann ich euch das Buch nur empfehlen.

„Ja, wir neigen zwar dazu, immer wieder die gleichen Fehler zu machen. Aber wir sind ebenso in der Lage, unsere Muster zu verändern. Wenn wir sie uns nur bewusst genug machen und ihnen nicht das Feld überlassen. Es liegt ganz an uns. Ein wichtiger Schritt dahin ist, die eigene Vergangenheit zu verstehen.“

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Veröffentlicht am 24.10.2022

Eine berührende, ehrliche Reise

Wodka mit Grasgeschmack
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Wodka mit Grasgeschmack erzählt von einer Reise in die Vergangenheit, um die Gegenwart besser verstehen zu können. “Letztlich verreist man immer zu sich selbst.”
Zwei erwachsene Söhne und die Eltern machen ...

Wodka mit Grasgeschmack erzählt von einer Reise in die Vergangenheit, um die Gegenwart besser verstehen zu können. “Letztlich verreist man immer zu sich selbst.”
Zwei erwachsene Söhne und die Eltern machen sich in einem gelben VW-Beetle auf Richtung Osten. Im ‚Zitronenauto‘ werden Witze gemacht, die Nähe und die Gefühle der Familie sind in jeder Zeile spürbar, vor allem, als sie ihren Zielen näher kommen.

Die Ziele sind die Dörfer, in denen die Eltern aufgewachsen sind, bevor ihre Kindheit ein frühes Ende fand. Vertrieben aus Schlesien, übrig sind heute nur noch die Erinnerungen und die Mohnmühle. Sie schätzen ihren Mohn und den Frieden heute viel mehr, als die junge Generation, die all diese schrecklichen Dinge nicht mitbekommen haben.

“Noch bevor meine Eltern verstehen konnten, was Heimat ist, haben sie sie verloren.”

Dass auch die Kinder der Vertriebenen einen Schmerz in sich tragen, ist kein Geheimnis. Der Erzähler und sein Bruder lernen nicht nur die Eltern auf dieser besonderen Reise besser kennen. Gerade zum Ende hin wird das eigene Leben und Empfinden immer öfter hinterfragt.

Eine Reise, die Wunden aufzureißen scheint, die eh nur grob verheilt waren. Der Wunsch, nach Heilung und Verständnis. Fragen, die in der Luft hängen bleiben und Antworten, die ausgesprochen werden mussten.

“Schmerzen von damals, aber die Tränen frisch und von heute.”

Ich hatte mich unheimlich auf Wodka mit Grasgeschmack gefreut und hatte schon fast Angst, zu große Erwartungen gehabt zu haben. Tatsächlich hat Markus Mittmann es dann aber geschafft, meine großen Erwartungen noch zu übertreffen.

Wunderschöne, bildhafte Beschreibungen, die das Gefühl wecken, live dabei zu sein. Beeindruckende Orte und leckeres Essen werden eindrücklich beschrieben. Dazu eine Familie, voller Liebe und Unterstützung, gerade in so einer emotionalen Zeit.

Vor allem am Ende, als die Mutter erzählt und in Erinnerungen schwelgt, habe ich einige Tränen verdrückt. Mir gefällt die Entwicklung des Romans unheimlich gut und wie wir immer tiefer in die Zeit rutschen. Der Humor vom Anfang wird weniger und wir erleben intime, rührende Momente mit einer Familie, die ihre Wurzeln ergründen.

Gerade am Anfang gibt es einige Sprünge in der Erzählung, mit denen ich mich nicht immer leicht getan habe. Das lässt zum Glück nach, lasst euch also bitte nicht verunsichern, wenn ihr am Anfang Probleme haben solltet!

Danke für diese außergewöhnliche Reise Markus Mittmann! Ich habe historisch einiges dazu gelernt und auch emotional hast du mich sehr berührt. Ich kann Wodka mit Grasgeschmack weiterempfehlen, wenn euch diese Perspektive interessiert und hoffe, dass noch sehr viele Menschen zu diesem tollen Werk greifen.

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Veröffentlicht am 19.10.2022

Außergewöhnlich und Unterhaltsam

Frau mit Messer
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“Aber im Grunde ist es egal, wie man als alter Mensch ist, die Leute wollen nicht über einen Nachdenken.”
Hornclaw wird älter und ihr Leben verändert sich. 40 Jahre lang arbeitet sie jetzt schon als ‚Schädlingsbekämpferin‘. ...

“Aber im Grunde ist es egal, wie man als alter Mensch ist, die Leute wollen nicht über einen Nachdenken.”
Hornclaw wird älter und ihr Leben verändert sich. 40 Jahre lang arbeitet sie jetzt schon als ‚Schädlingsbekämpferin‘. Die Schädlinge die sind bekämpft sind Menschen und die Bezahlung ist gut. Von der Unsichtbarkeit, die das Älterwerden in einer Gesellschaft, die das Junge idealisiert, mitbringt, profitiert sie in diesem Job. Gleichzeitig spürt sie, dass Körper und Geist ihr immer mehr zu schaffen machen.

Sie selbst war nie ein Typ für Gefühlsduselei, merkt aber, dass ihr Gewissen sich immer häufiger meldet. Auch die Einsamkeit wird immer mehr zum Thema. Nur ihrem Hund Deadweight steht sie halbwegs nahe.

Nicht nur Hornclaw selbst merkt, dass es immer schwieriger für sie wird. Die Firma, für die sie tötet, beäugt sie kritisch, alle machen sich immer größere Sorgen wegen ihres Alters. Besonders ihr junger Kollege Bullfight scheint nur darauf zu warten, dass sie einen Fehler macht.

Byeong-mo Gu hat mit Frau mit Messer eine einzigartige, unterhaltsame Geschichte geschaffen. Hornclaw ist eine spezielle Protagonistin, die ich irgendwie in mein Herz geschlossen habe. Es macht einfach Spaß, sie zu begleiten und durch die vielen Erinnerungen, die sie teilt, lernt man sie wirklich gut kennen.

Die Story an sich bietet etwas weniger. Sie ist ziemlich vorhersehbar und bietet keine großen Überraschungen. Hier wäre auf jeden Fall mehr Potential da gewesen. Zum Glück wird die Geschichte aber durch andere Sachen getragen.

Zum einen ist das einfach Hornclaw, die wirklich faszinierend ist. Ihre Gedanken und Gefühle sind spannend zu verfolgen und mal etwas ganz anderes. Außerdem lernen wir Südkorea hier besser kennen. Es gibt viel Gesellschaftskritik und das Thema Altern kommt immer wieder auf.

Frau mit Messer ist kein Buch, das man unbedingt gelesen haben muss., trotzdem bin ich sehr froh, es getan zu haben. Die ungewöhnlichen Umstände und das seltene Setting konnten mich begeistern. Ich hatte beim Lesen total viel Spaß und werde noch lange an Hornclaw denken.

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Veröffentlicht am 18.10.2022

Sehr faszinierend

Der Psychopath in mir
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James Fallon ist Neurowissenschafler und Professor für Psychiatrie und menschliches Verhalten. Jahrelang ist er überzeugt davon, dass die genetische Veranlagung und nicht das Umfeld den Charakter prägen. ...

James Fallon ist Neurowissenschafler und Professor für Psychiatrie und menschliches Verhalten. Jahrelang ist er überzeugt davon, dass die genetische Veranlagung und nicht das Umfeld den Charakter prägen. Als bei ihm dann aber viel nebenbei läuft, rutschen anonymisierte Hirnscans durcheinander und er erfährt, das sein eigener Scan ‚die typischen Strukturen eines Serienkiller-Hirns aufweist‘.

Er beginnt, seine eigenen Thesen zu hinterfragen, und bietet der Wissenschaft dabei einige neue Anhaltspunkte. Außerdem hinterfragt er auch seine eigene Persönlichkeit und wie viel er wirklich mit ‚Psychopathen‘ gemeinsam hat. Diese unheimlich interessante Reise und einige Anekdoten aus seinem Leben schildert er zwischen fachlichen Erklärungen.

Das Buch beginnt mit der Frage, was Psychopathie ist. Hier greift er auf bekannte Filme zurück und nutzt viele Beispiele zur Einordnung. Auch kurze Exkurse in andere Persönlichkeitsstörungen, Schizophrenie, Alzheimer und Depression gibt es immer mal wieder.

Für mich war es unheimlich faszinierend, die Geschichten von James Fallon zu lesen. Rückblickend ordnet er viele Situationen anders ein und erkennt, dass er tatsächlich über weniger Empathie verfügt und in jeder Situation auf den eigenen Vorteil aus ist. Er erzählt aber auch von einer schönen Kindheit und einem stabilen Umfeld. Diesen Umständen schreibt er, entgegen seiner ursprünglichen These, heute mehr Bedeutung zu.

Ich muss sagen, dass James Fallon im erzählen einige narzisstische Züge zeigt. Er scheint sehr von sich überzeugt, auf diese Selbstdarstellung muss man bock haben. Ich persönlich konnte einiges nicht ganz nachvollziehen, war überrascht, wie viele Situationen er als unschuldige Jugendsünden abtut. Und trotzdem fand ich sein Buch unheimlich fesselnd.

“Solche Vorfälle hätten mir verraten müssen, dass an meiner (fehlenden) emotionalen Reaktion etwas verkehrt war. Aber woher hätte ich wissen sollen, dass ich kein normales Gehirn hatte?“

Dass James Fallons ungewöhnliche Gehirnstruktur ihn beeinflusst wird deutlich, auch wenn er mehrere Jahre für diese Erkenntnis gebraucht hat. Ein gruseliger Serienmörder und eine große Gefahr für andere ist er dadurch aber nicht.

So interessant die autobiografischen Erzählungen auch sind, mein Highlight waren immer wieder die medizinischen Ausführungen. Seine Erklärungen zum Aufbau des Gehirns sind auch für Laien gut verständlich und seine Einordnungen differenziert und interessant. Auch der Genetik widmet er sich sehr ausführlich und stellt auch hier die Frage auf, wie viel Einfluss diese auf eine Persönlichkeit hat.

Der Psychopath in mir ist definitiv ein einzigartiges Buch. Ein besonderer Erzähler, der sich persönlich und wissenschaftlich dem Thema Psychopathie widmet. Dazu die Frage, wie viel Einfluss genetische,, neurologische und soziale Faktoren haben.

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Veröffentlicht am 13.10.2022

Wichtige Inhalte knackig und schön verpackt

Ein rassismuskritisches Alphabet
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Tupoka Ogette ist schon lange kein unbekannter Name mehr, wenn es um rassismuskritisches Denken in Deutschland geht. Nach ihren großartigen Büchern exit Racism & Und jetzt du, die ich immer gern empfehle, ...

Tupoka Ogette ist schon lange kein unbekannter Name mehr, wenn es um rassismuskritisches Denken in Deutschland geht. Nach ihren großartigen Büchern exit Racism & Und jetzt du, die ich immer gern empfehle, hat sie jetzt Ein rassismuskritisches Alphabet rausgebracht.

Ein schmales, wunderschön aufgemachtes Buch, das inhaltlich absolut überzeugt. Nach einer kurzen Einführung folgen 26 Begriffe, die knackig erklärt und eingeordnet werden. Dazwischen gibt es Immer wieder Platz für Gedanken und Raum, eigene Erkenntnisse zu benennen. Außerdem gibt es ‚Aufgaben‘, sich zum Beispiel schon mal zu überlegen, was man auf bestimmte Aussagen im Umfeld antworten könnte, um vorbereitet zu sein. Auch Buchtipps und andere Empfehlungen, um Themen noch weiter zu vertiefen, kommen hier nicht zu kurz.

Thematisch wird ziemlich viel abgedeckt. Natürlich müssen wir über Kolonialismus reden, wenn es um Rassismus geht. Außerdem geht es darum, warum Blackfacing, Yellowfacing und das N-Wort rassistisch sind. Auch das Thema Diskursverschiebung kommt immer wieder auf, hier geht sie auf bekannte Strategien wie Gaslighting und Derailing ein.

Allgemeine Themen wie Vorurteile und die Frage, wo sie beginnen, werden aufgegriffen und vieles mehr. Tupoka Ogette bietet hier eine großartige Einführung in verschiedene Themen, holt dabei aber auch alle ab, für die viel der Begriffe nichts neues sind.

Wenn ihr also bereit seid Happyland (noch weiter) zu verlassen und ein (noch) besserer Ally sein wollt, kann ich nur empfehlen, mal in das rassismuskritsche Alphabet zu schauen.

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