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Veröffentlicht am 03.11.2024

Tod einmal ganz anders

Nach uns der Himmel
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Eine Passagiermaschine gerät in derart starke Turbulenzen, dass der Landeanflug auf eine Mittelmeerinsel abgebrochen werden muss und erst beim zweiten Versuch gelingt. Acht der Passagiere finden als Gruppe ...

Eine Passagiermaschine gerät in derart starke Turbulenzen, dass der Landeanflug auf eine Mittelmeerinsel abgebrochen werden muss und erst beim zweiten Versuch gelingt. Acht der Passagiere finden als Gruppe zusammen, wir lernen sie kennen und begleiten sie bei ihren vergeblichen Versuchen, in einer merkwürdigen Idylle einen ganz normalen Urlaub zu verbringen.
Und da gibt es noch einen Ich-Erzähler von schnoddriger, schlagfertiger Art, der ab und an zu Wort kommt und anscheinend einen gravierenden Fehler wieder gerade zu biegen hat.
Neben dem geheimnisvollen Setting sind es die Menschen und ihre Interaktionen, die neugierig machen. Mit ihrem ungewöhnlichen, lakonischen Schreibstil, gewürzt mit hintergründigem Humor, betrachtet Simone Buchholz sie in ihren Romanen mehr, als dass sie sie beschreibt, scheinbar nüchtern, beinahe teilnahmslos, in junger, frecher und doch auch poetischer, auf jeden Fall müheloser Sprache. Und doch ist in jeder Zeile die Sympathie zu spüren, die sie ihnen entgegen bringt.
In zunächst alltäglichen Situationen zeigen sich Überforderung, Langeweile, Konflikte, Erwartungen. Wir stoßen auf erkaltete Gefühle, die Sorge einer Mutter um ihren sterbenskranken Sohn und die daraus resultierende Überforderung, eine heimliche Affäre, eine Frau mit großer Narbe, einen reichen Mann, dem es wirklich wichtig ist, reich zu sein. Dann entwickelt sich eine unerklärliche Dynamik, Befreiung, Unbefangenheit gehen um. Und wie immer in Büchern der Autorin spielt die Liebe eine bedeutende Rolle. Und der Tod.
Die Art und Weise, wie beides zusammen gebracht wird, mag bizarr und abwegig erscheinen. Oder warmherzig und tröstlich. Ganz sicher wird von den LeserInnen gefordert, ausgetretene Pfade zu verlassen und sich auf eine ungewöhnliche Geschichte einzulassen. Wem das gelingt, wird hier ein nachwirkendes Lesevergnügen erfahren.

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Veröffentlicht am 01.03.2024

Was geschah auf der Wanderung im Sarek?

Der Ausflug - Nur einer kehrt zurück
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Eine Frau wird schwer verletzt in einem Wandergebiet Nordschwedens aufgefunden. Sie erklärt, dass sie zu viert aufgebrochen waren, sie aber als Einzige überlebt hat.
Autor Ulf Kvensler ist hier ein atemberaubend ...

Eine Frau wird schwer verletzt in einem Wandergebiet Nordschwedens aufgefunden. Sie erklärt, dass sie zu viert aufgebrochen waren, sie aber als Einzige überlebt hat.
Autor Ulf Kvensler ist hier ein atemberaubend packender Thriller geraten, der einen nur so durch die Seiten fliegen lässt.
Den Start ins Buch bildet ein Protokoll der ersten Befragung. Die Erschöpfung und der Schock der geretteten Frau sind beinahe mit Händen greifbar. Die Anwältin beginnt ihre Geschichte zu erzählen.
Diese Passagen in Ich-Form bilden den Hauptteil des Buches, immer wieder unterbrochen von weiteren Protokollen. Durch diesen Aufbau gelingt es, eine starke Neugier zu entzünden und die Spannung durchgehend hoch zu halten.
Die vier Personen, die aufbrechen, unterscheiden sich stark in Charakter, Kondition und Interessen. Konflikte innerhalb der Gruppe sind vorprogrammiert, aufgrund der gnadenlosen Wildnis, in die sie sich begeben, aber äußerst gefährlich. Denn der riesige Naturpark ist nicht nur überwältigend schön, sondern auch extrem einsam und lebensfeindlich.
Dieses Setting ist perfekt austariert. Ein Nährboden für die Katastrophe, von der man ja bereits zu Beginn weiß, deren Entwicklung man aber noch nicht kennt.
Die Schilderung der Natur gelingt grandios. Mühelos tritt man an die Seite der Wandernden. Die Wege, die sie im Nationalpark Sarek zurücklegen, schreien geradezu danach, mit dem Finger auf einer Karte verfolgt zu werden. Die reißenden, eiskalten Flüsse, die durchquert, Berge, die erklommen, die messerscharfen Grate, die überwunden und die endlosen Ebenen, die gegangen werden müssen, möchte man nachvollziehen. Warum das schwierig ist, wird im Nachwort erklärt: Die Geographie ist teilweise der Geschichte angepasst und entspricht nicht ganz der Wirklichkeit.
Wenn es jemals einem Buch gelingen sollte, Lesende durch die Schilderung einer Wanderung so zu fesseln, dass sie es kaum beiseite legen können, dann dürfte es wohl dieses sein.

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Veröffentlicht am 14.01.2023

Feinfühlig und präzise

Das glückliche Geheimnis
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Arno Geiger schreibt über Arno Geiger. Dabei kommt ein Buch heraus, das viel über ihn preisgibt, auf eine schonungslose, entblößende Art, eigentlich unspektakulär (auch „das Geheimnis“ ist eigentlich unspektakulär), ...

Arno Geiger schreibt über Arno Geiger. Dabei kommt ein Buch heraus, das viel über ihn preisgibt, auf eine schonungslose, entblößende Art, eigentlich unspektakulär (auch „das Geheimnis“ ist eigentlich unspektakulär), und doch ist es mehr als interessant. Es ist spannend.
Der Autor gesteht, dass er lange Jahre seines Lebens in Papiercontainern nach Brauchbarem suchte. Dass er Bücher, Zeitschriften, Briefe, Tagebücher barg und verwertete. Während Bücher auf dem Flohmarkt ganz profan zum Lebensunterhalt beitrugen, ermöglichten ihm Briefkonvolute und Tagebücher Einblicke in die menschliche Existenz, wie sie im normalen Umgang völlig unmöglich zu gewinnen sind. Ein unermesslicher Schatz für einen Schriftsteller, der sich für nichts so interessiert wie für Menschen.
Das zumindest behauptet Geiger. Doch es gibt noch etwas, das ihm kompromisslos wichtig ist. Das ist die Verknüpfung von Denken und Sprache. Da ist in unentwegt Ringen um Exaktheit zu spüren, als würde jeder einzelne Gedanke eingehend beäugt, geradezu betastet, ehe ihm Worte zugewiesen werden. Gleichwohl wirkt das Geschriebene keinesfalls kompliziert, schwer verständlich oder angestrengt, sondern „nur“ wahr und tief. Und zwar so wahr und tief, dass es glücklich macht, es lesen zu dürfen.
Er schreibt über sein Versagen und seinen Erfolg, seine Liebe, seine Eltern, sein Innerstes, häufig greift er Dinge auf, die zuvor schon Erwähnung fanden. Das könnte sich als Wiederholung empfinden lassen. Tut es aber nicht. Denn immer wird etwas Neues hinzugefügt. Immer überrascht eine andere Sichtweise, eine Erweiterung, eine Verknüpfung. Weit erhebt sich das Werk über das Ansinnen, bloße Autobiografie zu sein.
Schwierig, nach diesem Buch ein anderes zu lesen. Die Messlatte, was sprachliche Präzision in Einheit mit sensibler Weltwahrnehmung angeht, dürfte kaum erreichbar sein.
Wer also Freude an ebenso kritischer wie poetischer sprachlicher Auseinandersetzung mit dem Leben hat, der darf sich dieses Kleinod nicht entgehen lassen.

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Veröffentlicht am 07.10.2022

Lebensfroh und sehr französisch

Monsieur le Comte und die Kunst des Tötens
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Der lebensfrohe Lucien hat ein großes Problem: Auf dem Sterbebett nimmt ihm sein Vater das Versprechen ab, die Tradition des alten Adelsgeschlechts der von Chacarasse fortzusetzen. Dabei liegt dem jungen ...

Der lebensfrohe Lucien hat ein großes Problem: Auf dem Sterbebett nimmt ihm sein Vater das Versprechen ab, die Tradition des alten Adelsgeschlechts der von Chacarasse fortzusetzen. Dabei liegt dem jungen Comte nichts ferner, als gut bezahlte Auftragsmorde zu begehen, wie seine Vorfahren es seit Jahrhunderten taten. Viel wohler fühlt er sich in seinem Feinschmeckerlokal Le Bouchon oder in charmanter Damengesellschaft.
Pierre Martin liefert hier den Auftakt zu einer neuen Krimireihe, die sich von anderen durchaus unterscheidet. Es gelingt ihm mühelos, ein federleichtes Wohlfühlklima zu erschaffen, in dem blutige Aktionen und spannende Momente nur insoweit zugelassen werden, wie das Genre es erfordert.
Viel mehr Aufmerksamkeit widmet er anderen Aspekten. Die Region um Nizza kennt er offensichtlich wie seine Westentasche und beschreibt Landschaft, Orte und kulturelle und historische Besonderheiten mit Hingabe. Wichtig ist ihm auch die Kulinarik. Oft werden besondere Gerichte erwähnt, zunächst in französischer Sprache, dann auch ins Deutsche übersetzt. So verfährt er übrigens auch mit den Dialogen: Immer wieder werden kurze französische Bemerkungen eingeflochten. Auf diese Weise lassen sich bei der Lektüre ganz nebenher Sprachkenntnisse auffrischen.
Die Hauptfiguren sind unglaublich sympathisch. Allen voran natürlich Lucien, der mit vielen Raffinessen versucht, seinen Auftrag zu töten mit seinem Vorsatz, eben dies nicht zu tun, in Einklang zu bringen. Warmherzig, loyal und ausgestattet mit gesundem Menschenverstand ist die schwerhörige Rosalie. Dann gibt es noch die überaus tüchtige und höchst attraktive Assistentin Francine. Die drei bilden beinahe eine funktionale Familie, in der sich alle respektieren, auch wenn fleißig geneckt wird. Und wenn es doch mal ernst wird, gibt es ja noch den Tresterschnaps.
Am Ende wird deutlich auf das Thema des Folgebands hingewiesen, allerdings völlig ohne Cliffhanger, so dass sich dieser Band wirklich abgeschlossen anfühlt.
Liebhaber französischer Lebensweise und leichter Lektüre werden hier vielleicht einen Suchteinstieg finden.

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Veröffentlicht am 17.05.2022

Raffinierter und unterhaltsamer Lese- und Rätselspaß

Der Tote aus Zimmer 12
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Lektorin Susan Ryeland hat ihrem Beruf den Rücken gekehrt und betreibt mit ihrem Lebenspartner auf Kreta ein Hotel. Dort taucht ein englisches Ehepaar auf und bittet sie, ihre Tochter zu finden, die seit ...

Lektorin Susan Ryeland hat ihrem Beruf den Rücken gekehrt und betreibt mit ihrem Lebenspartner auf Kreta ein Hotel. Dort taucht ein englisches Ehepaar auf und bittet sie, ihre Tochter zu finden, die seit einer Woche vermisst wird. Kurz vor ihrem Verschwinden hatte die behauptet, den wahren Täter eines acht Jahre zurückliegenden Mordes zu kennen.
Es ist immer wieder beeindruckend, wie leichtfüßig Anthony Horowitz seine ausgefeilten und komplexen Kriminalfälle präsentiert. So viel Spielerei, so viel Freude am Fährtenlegen und In-die Irre-Führen, so viel … vielleicht beinahe etwas zu viel von allem. Aber nein, diese Begeisterung ist ansteckend und motivierend.
Zunächst einmal: Es ist durchaus möglich, diesen zweiten Band um die sympathische Heldin ohne Kenntnis des ersten zu lesen, aber es gibt viele Bezüge und Hinweise, die dann etwas ins Leere laufen. Und die zudem wichtiger Teil der Gesamtkonstruktion sind. Von daher ist die Einhaltung der Reihenfolge zwar nicht notwendig, aber empfehlenswert.
Obgleich die Geschichte an sich jede Menge Möglichkeiten zum Miträtseln bietet, gibt sich der Autor damit keineswegs zufrieden. Er spickt sie mit besonderen Gestaltungselementen wie Briefen, Zeitungsartikeln oder Interviewaufzeichnungen, sogar ein gesamtes Buch des verstorbenen Alan Conway ist enthalten, denn hier soll die verschwundene Cecily den entscheidenden Hinweis auf den Mörder entdeckt haben. Das bewirkt eine weitere Dimension des Lesens und macht richtig Spaß, auch wenn man irgendwann unweigerlich der Verwirrung unterliegt.
Es überzeugen jedoch nicht allein der sprudelnden Ideenreichtum und die genial ausgeklügelte Handlung, sondern auch die treffsicheren Charaktere, die allesamt sehr lebendig und real gezeichnet sind, sowie der lockere, exquisite Schreibstil, der so mühelos zwischen mehreren Ebenen hin und her switcht.
Wer also Krimis in englischer Tradition mag, sollte sich diese zeitgemäß umgesetzte Variante mit extrem hohem Unterhaltungswert auf keinen Fall entgehen lassen.

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