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Veröffentlicht am 12.11.2024

Februarferienwoche

Tief im Schatten
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In der Februarferienwoche trifft sich jeder, der kann, im beliebten Schiort Åre. Als eine arg zugerichtete männliche Leiche im Straßengraben gefunden wird und wenig später eine junge Frau vermisst wird, ...

In der Februarferienwoche trifft sich jeder, der kann, im beliebten Schiort Åre. Als eine arg zugerichtete männliche Leiche im Straßengraben gefunden wird und wenig später eine junge Frau vermisst wird, haben Hanna Ahlander und Daniel Lindskog rund um die Uhr zu tun. Bei atemberaubender Kälte und höchst brisanten Ermittlungen dürfen wir dem sympathischen Duo diesmal über die Schulter sehen und bei mehr als einer bewegenden Szene erstarren vor Anspannung.

Es beginnt schon schaurig, als der siebenjährige Hugo unbedingt mal muss und seine Mutter das Auto am Straßenrand anhält, denn dort liegt - zum Glück größtenteils vom Schnee bedeckt - eine Leiche. Schnell stellt sich heraus, dass es sich um den allseits beliebten ehemaligen Schirennläufer Johan Andersson handelt, der heute mit einem Partner einen Installateurbetrieb führt. Keinerlei Mordmotiv ist ersichtlich und auch der Fall der abgängigen Rebecka entpuppt sich als schwierig, führt doch der Weg zu einer sehr verschlossenen Kirchengemeinschaft.

Diese beiden Fälle sorgen für fesselnde kriminalistische Arbeit, bestens verknüpft wird dies mit den ganz persönlichen Problemen der Ermittler. So kämpft Hanna immer noch mit ihrer Familiengeschichte, reibt sich Daniel auf in einer Zwickmühle zwischen Beruf, Beziehung und Vaterschaft und zögert Anton mit seinem Bekenntnis zur Homosexualität. Die Stimmung wirkt dadurch extrem realistisch und lässt die Schwierigkeiten der Polizeiarbeit in einem entsprechend schwierigen Licht erscheinen. Nicht umsonst ist die Rate an gescheiterten Beziehungen im Polizeikorps besonders hoch. Viveca Sten versteht es brillant, Szenen spannend aufzubauen und an besonders intensiven Stellen den Blickwinkel zu wechseln, sodass man ganz oft einfach weiterlesen muss, um zu erfahren, welche Wendungen noch kommen werden, welche Neuigkeiten Hanna und Daniel herausfinden. Trotz des Präsens als gewählter Erzählzeit fließt die Geschichte flott dahin, birgt zusätzlich noch sehr bewegende und berührende Momente, was bestimmte Handlungsstränge betrifft.

Ein großartiger zweiter Teil der Polarkreis-Krimireihe, welcher sowohl sprachlich als auch inhaltlich überzeugt mit dem gelungenen Mix aus Polizeilichem und Privatem und mittels Rückblenden verstörende Lebenswege offenbart. Überaus lesenswert!

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Veröffentlicht am 11.11.2024

Alptraum

Das Kind mit den stummen Augen
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Theresa führt mit ihrer Mutter Inga und ihrer Tante Martha das renommierte Teehandelshaus Drees, einen traditionellen Familienbetrieb in Emden. Allerdings bräuchte es dringend einiger Modernisierungen, ...

Theresa führt mit ihrer Mutter Inga und ihrer Tante Martha das renommierte Teehandelshaus Drees, einen traditionellen Familienbetrieb in Emden. Allerdings bräuchte es dringend einiger Modernisierungen, möchte man nicht ewig nur auf den bestehenden Kundenstock bauen. Als Jonas von Bergen einen Zeitungsartikel über die Geschichte des Hauses verfassen soll, um neue Kunden anzulocken, stoßen Theresa und der eifrige Journalist auf Hinweise in Richtung eines Kinderkurheimes im nahen Teutoburger Wald. Dort soll Schreckliches passiert sein, ein Alptraum, der Inga und Martha bis heute verfolgt?

Ein unheimliches Gedicht von Rainer Maria Rilke stimmt uns ein auf eine unfassbare Geschichte, und doch steckt so viel Wahrheit in diesem Roman, der uns schon beim Lesen Gänsehaut beschert. Aber von Anfang an: Wir lernen Theresa, Inga und Martha kennen und ihre Sorgen um das Teehaus, welches sich schon seit mehreren Generationen im Familienbesitz befindet. Beim Versuch, diesen an die heutige Zeit anzupassen, stößt Theresa vor allem bei ihrer Tante auf Ablehnung, aber auch ihre Mutter will lieber nach vorne blicken anstatt in der Vergangenheit zu wühlen. Warum, das erfahren wir mittels Rückblenden in den Winter 1964, in dem drei kleine Mädchen im Alter von vier, sechs und knapp neun Jahren aufbrechen in ein Kinderkurheim mit dem schönen Namen Waldesglück. Was sich dort zuträgt, ist heute zwar nichts Neues, erschüttert den Leser aber dennoch mit jeder einzelnen Zeile über menschenunwürdige Zustände und schlimmste Bestrafungen im Rahmen schwarzer Nachkriegspädagogik.

Überaus lebendig schildert Lena Rohn die Geschehnisse auf beiden Zeitebenen, wobei natürlich die Vergangenheit noch viel eindrücklicher im Gedächtnis des Lesers hängen bleibt ob der Dramatik, die hier vorherrscht. Aber auch die Jetzt-Zeit mit Theresa hat ihre Berechtigung und bietet einen sehr schönen Rahmen, der schlussendlich Hoffnung gibt auf Versöhnung und Aufarbeitung, denn – wie schon im Buch erwähnt – hat es noch sehr lange gedauert, bis Gewalt an Kindern auch per Gesetz verboten worden ist.

Ein berührendes und aufwühlendes Buch zum Thema Kinderheime in den 1960er-Jahren, das mit der Kulisse des Teehauses zu einem lesenswerten Ganzen verschmilzt und aufregende Lesemomente bereithält. Ich spreche eine Empfehlung aus für alle Interessierten, die sich auch mit schwierigen Szenen auseinandersetzen können und so den Kindern von damals eine Stimme verleihen.

Veröffentlicht am 07.11.2024

Das Leben geht weiter

Für immer, Darling
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Die drei Freundinnen Gerda, Jule und Ingrid hat das Leben auseinandergerissen, in Kontakt stehen sie, mittlerweile verstreut über Eschenbrunn in Bayern, Frankfurt und fernab in Texas aber immer noch. Die ...

Die drei Freundinnen Gerda, Jule und Ingrid hat das Leben auseinandergerissen, in Kontakt stehen sie, mittlerweile verstreut über Eschenbrunn in Bayern, Frankfurt und fernab in Texas aber immer noch. Die Bande einer innigen Freundschaft lässt man nicht so leicht abreißen, auch wenn die Wege der drei jungen Frauen unterschiedlicher nicht sein könnten. Wie es in den 1960ern, nach der turbulenten Zeit am Badesee und in der Micky Bar, wo sich die amerikanischen Besatzer treffen, weitergeht, erfährt man hier im zweiten Band der „Frauen vom Badesee“.

Wie schon im ersten Teil, erzählt Christina Beer abwechselnde Episoden aus dem Alltag von Gerda, Jule und Ingrid und zeigt dabei höchst unterschiedliche Weltanschauungen und Erwartungen an die eigene Zukunft. Während Gerda nach wie vor die Bodenständige ist, hat sich Ingrid als namhafte Filmschauspielerin etabliert und ist Jule tatsächlich als Ehefrau eines Texaners glücklich in ihrer neuen Heimat. Wie auch das echte Leben so spielt, gibt es Momente des Glücks und Stunden der Trauer, müssen alle Schicksale hinnehmen und kämpfen, um spätere Zeiten von Freude und Glück voll auskosten zu können. Manchmal nur als Streiflicht, manchmal detailliert und tiefergehend spielen natürlich auch die gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen ins Geschehen mit hinein, sodass der historische Zusammenhang entsprechend zu den persönlichen Geschichten passt. Auch wenn es eine extrem berührende Szene gibt im Buch, so hätte ich mir allgemein etwas mehr an Gefühlen gewünscht. Nichtsdestotrotz ist die Entwicklung der drei Freundinnen, mittlerweile tatsächlich „in alle Welt“ verstreut, schön mitanzusehen und mitzuerleben.

Ein angenehmer Schreibstil begleitet drei junge Frauen in ihren Zwanzigern, zeigt gleichzeitig ein wenig vom Weltgeschehen, eingebettet in ganz persönliche Schicksalstage dreier starker Frauen. Vier Sterne.

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Veröffentlicht am 06.11.2024

Scarlett

Raureifträume auf Rügen
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Scarlett nimmt Dennis‘ Heiratsantrag an und muss am Standesamt erfahren, dass sie bereits verheiratet ist. Nur kann sie sich ganz und gar nicht daran erinnern, dass sie drei Jahre zuvor in Las Vegas einem ...

Scarlett nimmt Dennis‘ Heiratsantrag an und muss am Standesamt erfahren, dass sie bereits verheiratet ist. Nur kann sie sich ganz und gar nicht daran erinnern, dass sie drei Jahre zuvor in Las Vegas einem gewissen Elliot angetraut worden wäre. Wild entschlossen, eine rasche Scheidung zu erwirken, reist sie auf die schöne Insel Rügen, wo Elliot zurzeit mit seinem Foodtruck auf verschiedensten Weihnachtsmärkten unterwegs ist.

Unterhaltsame Diskussionen unter vier Freundinnen eröffnen die Handlung, welche unglaublich scheint, dafür aber umso unverwechselbarer daherkommt. Gemeinsam mit Scarlett, welche entgegen jeglicher Erwartung eine hübsche blonde Haarpracht ziert, erreichen wir Rügen in der Vorweihnachtszeit und besuchen unter anderem Karls Erdbeerhof, das Ostseebad Binz, die Leuchttürme am Kap Arkona und den Königsstuhl, wo es die berühmten Kreidefelsen gibt. Wer Rügen kennt, wird die lebhaften Beschreibungen noch leuchtender vor Augen haben. Turbulente Szenen erwarten den Leser, festgefahrene Vorstellungen vom Leben und eine Menge Missverständnisse und Zufälle. Was wird Scarlett über die Junggesellinnenparty in Las Vegas herausfinden, wie der Frauenschwarm Elliot auf ihr Auftauchen reagieren? Flüssig geht es durch die einzelnen Kapitel, betrachtet werden so manche Szenen einerseits aus Scarletts Sicht, andererseits aus Elliots Blickwinkel, um über die fehlende Information des jeweils anderen schmunzeln zu können. Wer hat ehrliche Absichten und wer passt schlussendlich besser zu Scarlett – Dennis oder Elliot? Findet es einfach heraus und greift zu Buch 1 der Reihe „Zeit für Meer“!

Ein außergewöhnlicher Roman mit romantischen und falsch verstandenen Momenten auf Rügen. Mir hat Scarletts Geschichte sehr gut gefallen, nun bin ich neugierig auf jene von Tammy, Liv und Izzy.

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Veröffentlicht am 06.11.2024

Lügen

Last Seen
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Sarah und Isla sind beste Freundinnen. An der Sandbank von Longstone (Südengland) besitzen sie zwei nebeneinander liegende Strandhütten, ihre Söhne sind – bis auf drei Wochen – gleich alt. Sie teilen fast ...

Sarah und Isla sind beste Freundinnen. An der Sandbank von Longstone (Südengland) besitzen sie zwei nebeneinander liegende Strandhütten, ihre Söhne sind – bis auf drei Wochen – gleich alt. Sie teilen fast alles in ihrem Leben, bis zu dem Zeitpunkt, als die beiden Burschen im Alter von zehn Jahren zu einer Boje hinausschwimmen und nur noch einer von ihnen zurückkommt. Sarahs Sohn überlebt das Unglück, während Marley nie mehr wieder auftaucht. Warum verschwindet Jacob exakt sieben Jahre später aus derselben Bucht?

Ein aufregender Roman nimmt seinen Lauf, fesselt den Leser ab der ersten Seite und entwickelt einen Sog, dem man sich kaum noch entziehen kann. Lucy Clarke zeigt einmal mehr, wie brillant sie Szenarien entwerfen kann, bei denen sich kaum etwas so verhält, wie es scheint. Immer wieder ändert sich der Blickwinkel, löscht eine neue Information die bisherigen Annahmen weitgehend aus. Abwechselnd erfahren wir die Sichtweisen von Isla und Sarah, lesen deren Gedanken und spüren ihre Gefühle. Die Beziehungen unter den einzelnen Figuren sind realistisch und glaubwürdig gesponnen, wem man aber wirklich vertrauen darf, das bleibt ein gut gehütetes Geheimnis. Ausgehend vom aktuellen Sommer und dem Verschwinden Jacobs geht die Suche tagelang dahin, unterbrochen von interessanten Rückblenden in die vergangenen Jahre. Dadurch erhält die Geschichte ihre Lebendigkeit und verharrt nicht in der zähen Gegenwart, welche durch die Angst, die Hoffnung, die Trauer, die Wut Sarahs illustriert wird. Dies allein würde möglicherweise zu einer eintönigen, langatmigen Handlung führen, so aber springen abwechslungsreiche Bilder hin und her und nehmen den Leser mit auf eine Achterbahn der Lügen und Rätsel, welche die beiden Freundinnen mit sich tragen und einander vorspielen. Eine leichte, aber stete Spannung begleitet diesen beklemmenden Roman und ufert schließlich in einem mehr als passenden Ende, welches einen vorerst sprachlos zurücklässt.

Spannend, verlogen, bewegend. Fünf Sterne.

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