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Veröffentlicht am 17.06.2024

Grönlandeis

Eiskeim
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Nachdem im Jahre 1967 Forschungsarbeiten im Camp Century Hals über Kopf abgebrochen worden sind, aber keine genaueren Informationen an die Öffentlichkeit gelangt sind, arbeitet Nora Grimm heute mit einem ...

Nachdem im Jahre 1967 Forschungsarbeiten im Camp Century Hals über Kopf abgebrochen worden sind, aber keine genaueren Informationen an die Öffentlichkeit gelangt sind, arbeitet Nora Grimm heute mit einem Stipendium in einer neuen Station auf Grönland. Sie möchte der Ökologie von vor 400.000 Jahren auf den Grund gehen, findet aber stattdessen eigenartige Kristalle, die Leben in sich zu tragen scheinen. Wie kann es anders sein, auch die US-Army und andere Organisationen sind interessiert an den Vorgängen im ewigen Eis.

Hinter dem wunderschönen Titelbild verbirgt sich ein spannender Wissenschaftsthriller. Mikael Lundt hat sorgfältig recherchiert und etliche naturwissenschaftliche Details in die Handlung einfließen lassen. Diese hält einiges an Überraschungen bereit und zieht den Leser schnell in den Bann. Allerdings verliert sich die Dramatik im Laufe der Zeit in immer weniger glaubwürdigen Einzelheiten, einerseits die Zuständigkeit der einzelnen Befehlshaber betreffend, andererseits die Forschungsergebnisse selbst angehend. Die Figuren werden ausreichend beleuchtet, insbesondere der alte Jansson beeindruckt mich, der Schreibstil passt ebenso sehr gut und führt flott voran. Dass die Geschichte aber schlussendlich in science-fiction-ähnliche Gefielde abdriftet, gefällt mir nicht besonders.

Spannende Themen rund um Forschungen im (gar nicht so?) ewigen Grönlandeis, politische und persönliche Intrigen und utopisch anmutende Elemente auf der Basis einer bis 1967 real existierenden Militäreinrichtung. Für mich insbesondere am Ende zu phantasiebehaftet, aber durchaus lesenswert.

Veröffentlicht am 16.06.2024

Ein Garten der Gemeinschaft

Forgotten Garden
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Nach dem schweren und viel zu frühen Verlust ihres Mannes zieht sich Luisa in sich selbst zurück. Ihren Traum als Landschaftsgärtnerin vernachlässigt sie, von ihrer Chefin wird sie ausgenutzt. Nach etlichen ...

Nach dem schweren und viel zu frühen Verlust ihres Mannes zieht sich Luisa in sich selbst zurück. Ihren Traum als Landschaftsgärtnerin vernachlässigt sie, von ihrer Chefin wird sie ausgenutzt. Nach etlichen Jahren in einem unhaltbaren Zustand hält der Patenonkel ihres verstorbenen Mannes ein phantastisches Projekt für Luisa bereit: auf einem brachliegenden Grundstück könnte unter Luisas Leitung ein Gemeinschaftsgarten entstehen. Nach anfänglichem Zögern sagt Luisa zu, wird allerdings mit zahlreichen Problemen konfrontiert: insbesondere die Nachbarn des Grundstücks verhalten sich skeptisch, ja ablehnend.

Eine angenehme Sprachmelodie begleitet diesen außergewöhnlichen Roman, der sich mit unterschiedlichen tiefgreifenden Themen beschäftigt. Eine Witwe in ihrer Lebenskrise, ein engagierter Lehrer, der neben dem besagten Gartengrundstück eine Jugendgruppe organisiert und jungen Menschen am Rande der Gesellschaft Halt gibt, Drogen, Liebe, Vertrauen, Zusammenhalt. All das verknüpft Sharon Gosling zu einem wunderbaren Ganzen, das den Leser immer wieder stark berührt. Neben Luisa brillieren auch Cas, der Lehrer und Harper, eine eifrige, aber in widrigen Umständen lebende Schülerin, als wesentliche Figuren, welche die hervorragende Handlung tragen. Liebevoll ausgearbeitet sind aber nicht nur Goslings Personen, auch die Details zur Gestaltung des brachliegenden Areals und die zwischenmenschlichen Beziehungen sind hervorragend dargestellt. Mannigfaltige Emotionen beherrschen das Geschehen und übertragen sich auf den Leser, der anfangs ja gar nicht weiß, wohin die Reise mit Luise führen wird.

Auch wenn vielleicht nicht jede Kleinigkeit ganz realistisch ist, so überwältigt dieser Roman durch seine Zuversicht und Hoffnung. Ich bin sehr positiv überrascht von Sharon Goslings Erzählkunst und empfehle Forgotten Garden gerne weiter.

Veröffentlicht am 15.06.2024

Schreiben für Kochschüler

Mademoiselle Marthe und die Küche der Freiheit
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Marthe wächst nach dem Tod ihres Vaters gemeinsam mit ihrer Mutter Julie am Gut der Großmutter Joséphine in den Vogesen auf. Schon früh interessiert sie sich für die Arbeit am Bauernhof, besonders aber ...

Marthe wächst nach dem Tod ihres Vaters gemeinsam mit ihrer Mutter Julie am Gut der Großmutter Joséphine in den Vogesen auf. Schon früh interessiert sie sich für die Arbeit am Bauernhof, besonders aber für das Kochen und Backen. Voller Eifer verfolgt sie, wie die beiden Frauen frisches Brot backen, würzige Suppen kochen und auch aus den letzten Resten noch schmackhafte, wenn auch einfache Gerichte zaubern. Um Marthe eine ordentliche Schulbildung bieten zu können, zieht Julie mit ihrer Tochter nach Paris und nimmt dort die Stellung einer Hauswirtschafterin bei einer betuchten Familie an. Der Weg in Richtung Kochschule ergibt sich aus Mut zur Veränderung, Tatkraft und nicht zuletzt durch glückliche Fügungen.

Der Roman beschreibt die Zustände im ausklingenden 19. Jahrhundert, die Standesunterschiede sind groß, die Rolle der Frau eine untergeordnete, der technische Fortschritt mit Elektrizität und Weltausstellung in Paris (Stichwort Marsfeld, Eiffelturm) wird mit Argwohn betrachtet. In dieser Welt jedoch werden sich Julie, und insbesondere Marthe, behaupten. Aufgrund weniger historisch belegter Daten zu Marthe Marie Joséphine Distel (1871 – 1934) erschafft Ulrike Renk eine wunderbare und vor allem sehr glaubwürdige Erzählung über die französische Küche und Marthes Talent, interessante Texte zu verfassen. So ist es zwar für die damalige Zeit, nicht aber für Marthe, recht ungewöhnlich, dass sie die Universität besucht und schlussendlich gemeinsam mit ihrer Mutter die Kochschule Cordon Bleu eröffnet und die gleichnamige Kochzeitschrift verlegt. Obwohl das Kochen raffinierter Gerichte und abwechslungsreicher Menüs eine Männerdomäne ist, können sich die beiden Distels erfolgreich durchsetzen und Geschichte schreiben.

Ulrike Renk bedient sich, wie gewohnt, einer sehr ruhigen Schreibweise, konzentriert sich auf ihre Charaktere, denen sie liebevoll und sorgfältig Leben einhaucht. Die authentische Atmosphäre im Buch lässt den Leser auch bei knapp 600 Seiten nicht müde, sondern immer wieder neugierig werden, wie es denn weitergeht und welche Hürden als nächstes zu meistern sind. Zwischendurch gibt es recht viel Wissenswertes zu den damaligen Bedingungen rund ums Zubereiten von Speisen, Kühlschrank und Elektroherd haben ja erst später Einzug gehalten in den Haushalten. Die bildreichen Beschreibungen schon einfachster Küchentätigkeiten wie Gemüseputzen und Zwiebelschneiden sind so klar und detailliert, dass man Appetit bekommt auf Julies Gerichte, egal, ob sie aus schlichten Erdäpfeln bestehen oder exquisiter Hummer gereicht wird. Ebenso sind der Zusammenhalt der Distel-Frauen aus drei Generationen, sowie ihr Durchsetzungsvermögen in einer für Frauen schwierigen Zeit bemerkenswert. Dies kommt durch Renks Darstellungen wunderbar zur Geltung.

Mich hat auch dieses empfehlenswerte Buch aus Ulrike Renks Schaffen sehr gut unterhalten, es wird nicht mein letztes gewesen sein!

Veröffentlicht am 13.06.2024

Austen illustriert

Stolz und Vorurteil
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Wer kennt sie nicht, die bekannte Liebesgeschichte von Jane Austen, welche gleichzeitig Gesellschaftskritik ist? Die fünf Töchter der verarmten Familie Bennet müssen unter die Haube gebracht werden. Als ...

Wer kennt sie nicht, die bekannte Liebesgeschichte von Jane Austen, welche gleichzeitig Gesellschaftskritik ist? Die fünf Töchter der verarmten Familie Bennet müssen unter die Haube gebracht werden. Als Mr. Bingley auf dem Nachbargut einzieht, wittert Mutter Bennet die große Chance und dann wäre da auch noch der arrogante Mr. Darcy, ebenfalls eine – aus finanzieller Sicht – ausgesprochen gute Partie. Allerdings wird Elizabeth von ihm beleidigt, aber so einen herablassenden Mann würde sie ohnehin nie ehelichen.

Mit sehr schönen Bildern ist dieser Klassiker hier neu zum Leben erweckt, die gedämpften Farben passen wunderbar ins Geschehen und auch die Mimik der Figuren ist gut getroffen. Besonders Mutter Bennet mit ihren „Nerven“ gefällt mir diesbezüglich recht gut, aber auch in Mr. Darcys Gesichtszügen kann man seinen Gesinnungswandel im Laufe der Ereignisse gut erkennen. Sehr hübsch gestaltet sind auch die Übergänge zwischen den Jahreszeiten und die Briefe, allerdings leidet bei letzteren die Lesbarkeit ein wenig aufgrund der zahlreichen Schnörkel. Dass der Text für eine Graphic Novel stark verkürzt wird, liegt auf der Hand, die Handlung ist aber dennoch – nicht zuletzt aufgrund der gelungenen Illustration – gut verständlich, beschränkt sich größtenteils aber auf die Liebesgeschichte und weniger auf sozialkritische Elemente.

Egal, ob für Liebhaber der Jane Austen-Klassiker oder für Neueinsteiger, welche sich vielleicht nicht ganz über das Original trauen mit seinen mehreren hundert Seiten, diese Neugestaltung als Graphic Novel ist jedenfalls empfehlenswert und bezaubert mit wunderbaren Bildern und einer liebenswerten Geschichte.

Veröffentlicht am 13.06.2024

Leere

Bleib
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Die Leere nach dem Tod ihres Geliebten will die Ich-Erzählerin, eine Frau ohne Namen, noch ein wenig hinausschieben, die Einsamkeit verdrängen. So endet der gemeinsame Urlaub im Chalet in den französischen ...

Die Leere nach dem Tod ihres Geliebten will die Ich-Erzählerin, eine Frau ohne Namen, noch ein wenig hinausschieben, die Einsamkeit verdrängen. So endet der gemeinsame Urlaub im Chalet in den französischen Alpen auf recht ungewöhnliche Weise. M. ist tot, aber für sie ist er das nicht. Die Frau spricht mit ihrem Liebhaber, als wäre er noch am Leben, badet ihn, kuschelt sich an seine Seite, ja packt ihn kurzerhand auf die Rückbank ihres Autos und fährt mit ihm durch die schöne Gegend.

Was makaber und wirr klingt, ist alles andere als das. Vielmehr lernt die Protagonistin, mit ihrem großen Verlust umzugehen. Als namenlose Person bleibt sie einerseits dem Leser zwar recht fremd, zeigt aber andererseits ihre tiefsten Gefühle. Briefe an des Geliebten Ehefrau lassen ihre Trauer und ihren Schmerz erträglicher werden, Gedanken an frühere Männer und die Tochter zeichnen ein knappes Bild der ungewöhnlichen Dame. Erst nach einigen Tagen ist sie bereit, loszulassen und allein weiterzuleben.

Eher nüchterne Betrachtungen beleuchten die kurzen Szenen, Rückblicke und Erinnerungen, nicht nur an M., lassen die Figur der zurückgebliebenen Geliebten Kontur annehmen. Ein Roman über das Leben und die Liebe, ein Roman über die Vergänglichkeit – rasch merkt auch der Leser, welch Glück in jedem schönen Moment liegt, wie sehr man dieses auskosten muss.

Ungewöhnlich, skurril, liebevoll, lesenswert.