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Veröffentlicht am 23.05.2024

Alle Sinne

Verwildern
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Die Erzählerin, später auch von einem Freund Olo genannt, wächst mit ihrer Mutter einsam an einem See auf. Als sie an ihren älteren Bruder erinnert wird, begeben sich Mutter und Tochter auf die Suche, ...

Die Erzählerin, später auch von einem Freund Olo genannt, wächst mit ihrer Mutter einsam an einem See auf. Als sie an ihren älteren Bruder erinnert wird, begeben sich Mutter und Tochter auf die Suche, streifen durch Wälder, über Felder, dringen ein in das Ungetüm einer Stadt und lernen dabei viel über sich selbst, über das nackte Sein und die Natur als Ursprung und Ende jeglicher Existenz.

Voller Poesie, einem Gedicht gleich, mutet Douna Loups Sprache an, geschickt spielt sie mit ihren Worten, die zu einer Melodie zusammenfließen. Virtuos erklingen die Gedanken der Ich-Erzählerin, welche dem Leser ganz nah ist und doch auch so fern in ihrer Lebensweise. Nur sie und ihre Mutter leben am See, erst später, auf der langen Reise, treffen sie auf andere Lebewesen und tauschen sich mit diesen aus. Raum und Zeit verschwimmen zu einem wesentlichen Element, nämlich zur Natur, welche gibt und nimmt, welche alles bereithält, was man zum Leben braucht. Der Einklang mit dem Kosmos ist es, wonach es zu streben gilt. Trotz der wunderbaren Sprache und der brillanten Idee, die Welt mit allen Sinnen zu erleben, spricht mich die Handlung mit allerlei Ungewöhnlichem nicht recht an. Immer wieder geht es auch um körperliche Erfüllung und Ekstase, was mich in dieser Form eher befremdet als vergnügt. Die Botschaft drückt Douna Loup klar aus, die Handlung drum herum kann mich jedoch wenig fesseln.

Beeindruckend an diesem Buch ist vor allem die poesiehafte Sprache, auch das Titelbild ist überaus ansprechend. Zurück zur Natur als Thema lässt Neugierde erwachen, die konkrete Geschichte über die Suche der Erzählerin bleibt mir allerdings bis zum Ende hin fremd.

Veröffentlicht am 21.05.2024

Kindheit

Amrum
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Nanning ist in Hamburg geboren, lebt aber, seit er sich erinnern kann, auf der Nordseeinsel Amrum. Während des Kriegs herrschen schwierige Zeiten, dennoch scheinen Nanning und sein bester Freund Hermann ...

Nanning ist in Hamburg geboren, lebt aber, seit er sich erinnern kann, auf der Nordseeinsel Amrum. Während des Kriegs herrschen schwierige Zeiten, dennoch scheinen Nanning und sein bester Freund Hermann nicht unglücklich zu sein. Sie helfen am Bauernhof aus für eine Kanne Milch und ein Stückchen Butter, jagen Kaninchen und tauschen Schollen, um ihre Familien zu unterstützen. Die Unterschiede - Nannings Familie ist Hitler treu, Hermann wächst abseits der Pimpfe auf - stören die Kinder im Alter von zehn Jahren nicht, aber ihre Welt verändert sich mit Hitlers Tod schlagartig.

Das Portrait einer Insel, das karge, herausfordernde, aber nicht unbedingt völlig triste Leben zweier Burschen, hält der Leser mit diesem Buch in Händen. Voller Leidenschaft beschreibt das Autorenduo die Landschaft Amrums, erzählt detailliert von der Vogelwelt und der Weite des Meeres. Allerdings muss in Zeiten der Not vor allem an sich selbst und die Familie gedacht werden, so wird nicht ausgespart, wie Nanning ein Kaninchen tötet, häutet und zerlegt, um die schwangere Mutter mit etwas Fleisch zu versorgen. Bei allen Gegensätzen geht es in dieser Geschichte um Freundschaft, Familie und Zusammenhalt, wenn es nötig ist.

Was man in jeder Zeile spürt, ist Hark Bohms Verbundenheit mit Amrum, der Insel, auf der er aufgewachsen ist, die er seine Heimat nennt. Dadurch ist auch der Leser ganz nah dran am Geschehen, erlebt Kaninchenjagd und Ausflug mit dem Segelboot, um Schollen zu fangen, hautnah mit, als ob er selbst dabei wäre. Bohm sieht genau hin, schreibt detailgetreu, aber doch ohne Schnörkel, passend zur damaligen Zeit. Viel Wissenswertes zum Überleben in Krisenzeiten, zur politischen Situation, die Nanning hin- und herreißt zwischen Liebe zur regimetreuen Mutter und den Skeptikern des Führerkults, fließt ein in diesen Roman, möglicherweise auch die ein oder andere autobiografische Szene.

Ein interessantes Buch, welches sachlich, aber doch in romanhaftem Stil, Zeitzeugnis ablegt und die Dinge vor allem aus Sicht der Kinder darstellt. Lesenswert.

Veröffentlicht am 20.05.2024

Schatten der Vergangenheit

Dort, wo die Feuer brennen
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Soledad (Sol) stammt aus Spanien, lebt und arbeitet mittlerweile jedoch in Berlin. Obwohl sie nicht mehr in ihre Heimat zurückmöchte, verbringt sie die Rekonvaleszenz nach einem Unfall genau dort und wird ...

Soledad (Sol) stammt aus Spanien, lebt und arbeitet mittlerweile jedoch in Berlin. Obwohl sie nicht mehr in ihre Heimat zurückmöchte, verbringt sie die Rekonvaleszenz nach einem Unfall genau dort und wird von den Schatten der Vergangenheit eingeholt. Was seit neun Jahren erfolgreich verschwiegen wird, drängt an die Oberfläche, sowohl Familie als auch Freunde hüten ihre Geheimnisse.

Auf verschiedenen Zeitebenen (1970, 1992, 2005) erzählt Astrid Töpfner diese sehr spezielle Familiengeschichte und lässt somit den Leser selbst Verknüpfungen erahnen und enträtseln. Trotz des spürbaren lockeren Ambientes in Spanien liegt ein Hauch von Melancholie und Tristesse über der gesamten Handlung. Den Momenten von Glück und Liebe stehen stets auch solche von Misstrauen und Eifersucht entgegen. So ist es insbesondere Soledad, die sich vom Pech verfolgt fühlt, sich in Arbeit, Aufputschmittel, Drogen und nicht zuletzt in flüchtige Liebesabenteuer stürzt. Was zunächst nicht recht verständlich, ja fast abstoßend für den Leser ist, löst sich aber nach und nach auf, Verletzungen und Schuldgefühle bedingen Sols Haltlosigkeit, gegen die sie ständig ankämpft. Neben Soledad sind auch alle anderen Figuren sehr realistisch und glaubwürdig charakterisiert, sowohl die Freundesgruppe unter den Jugendlichen im Jahre 1992 als auch die Erntehelfer im Jahre 1970 hat man nach wenigen Sätzen bildhaft vor Augen. Die Handlung ist anfangs schwer zu greifen, weiß man doch als Leser nicht, wohin Sols Spanienreise führen wird, aber umso lebendiger und überraschender, je mehr Puzzlestücke man zusammensetzen kann. Der Bogen über die unterschiedlichen Zeitebenen ist sorgfältig gespannt, das Ende in dieser Art und Weise kaum vorhersehbar.

Astrid Töpfners Mut machender Schreibstil, die nicht immer sympathischen Figuren und ihre Handlungsweisen, sowie eine ungewöhnliche, aber dennoch glaubwürdige Familiengeschichte sind gelungene Zutaten für diesen Roman, der dazu anregt, auch immer hinter die Kulissen zu sehen, nicht einfach das vermeintlich Offensichtliche als Wahrheit anzunehmen.

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Veröffentlicht am 19.05.2024

Carolina

Der zauberhafte Papierladen in Amalfi
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Carolina, die Besitzerin eines feinen Papierwarengeschäfts in Amalfi, ist seit Jahren mit ihrer großen Liebe Bernardo zusammen. Als er unbedingt aus Amalfi wegmöchte, zerbricht die Beziehung und Carolina ...

Carolina, die Besitzerin eines feinen Papierwarengeschäfts in Amalfi, ist seit Jahren mit ihrer großen Liebe Bernardo zusammen. Als er unbedingt aus Amalfi wegmöchte, zerbricht die Beziehung und Carolina wendet sich dem Konditor Aldo zu. Ein Jahr später kehrt Bernardo zurück und beginnt auch wieder in Caros nächster Nähe zu arbeiten, nämlich im Eissalon ihrer Freundin Livia. Obwohl beide noch Gefühle füreinander verspüren, weist Caroline Bernardo konsequent ab, will sie doch nicht noch einmal so schwer enttäuscht werden.

Neben den Lokalen ihrer Freundinnen Livia und Diletta führt Carolina ihre Cartiera, welche ihr Ein und Alles ist. Mit großer Leidenschaft ordnet sie ihre Waren an und gestaltet eigene Karten mit pfiffigen Sprüchen, um auch jüngere Kundschaft anzusprechen. Die bildhaften Beschreibungen Roberta Gregorios versetzen den Leser sofort in die malerische Landschaft Amalfis, die lockere Atmosphäre Süditaliens ist gekonnt eingefangen. Am liebsten würde man ohnehin gleich bei allen drei Freundinnen gustieren und anschließend bei Sal auf einen Espresso einkehren. Das sympathische Damentrio zeigt, was wahre Freundschaft ist, auch wenn sich so manche Unstimmigkeit einschleicht, am Ende ist man doch füreinander da. Und auch die wahre Liebe wartet irgendwo, ob alt, ob jung, selbst wenn man sich dagegen sperrt. Sogar Gregorios Schreibstil verbreitet Harmonie und beschwingtes Urlaubsflair, sodass man sich ganz und gar fallen lassen kann in die liebevoll erdachte Handlung.

Auch wenn die Schönheit der berauschenden Küste in Band 3 noch deutlicher zum Tragen kommt, so hat mir auch dieser Teil großen Spaß beim Lesen bereitet. Da die Geschichten zum Glück unabhängig voneinander zu lesen sind, werde ich demnächst diese wundervolle Reihe mit Nummer Eins (Livia) abschließen.

Veröffentlicht am 19.05.2024

Niemand

Krähentage
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Eine neue Ermittlergruppe für Serienverbrechen, die Gruppe 4, nimmt ihre Arbeit auf. Dem hervorragenden Team aus gewitzten und klugen Köpfen stehen Jakob Krogh und Mila Weiss vor. Gleich der erste Fall ...

Eine neue Ermittlergruppe für Serienverbrechen, die Gruppe 4, nimmt ihre Arbeit auf. Dem hervorragenden Team aus gewitzten und klugen Köpfen stehen Jakob Krogh und Mila Weiss vor. Gleich der erste Fall hat es in sich: es gibt Tote, die noch nach dem Todeszeitpunkt von ihren Nachbarn und Kollegen gesehen werden. Und ausgehungerte Krähen spielen an den Tatorten eine wesentliche Rolle. Wem sind Krogh und Weiss auf der Spur? Findet sich überhaupt ein Anhaltspunkt? Oder wird sich niemand finden, der für die grauenhaften Verbrechen verantwortlich zeichnet?

Der fesselnde Schreibstil, die bildhaften Darstellungen nehmen den Leser sofort für sich ein. Ebenso passt die Tristesse der Gegend perfekt zu den ungewöhnlichen Mordfällen: ein schmutziger Stadtrand, „wo die Häuser höher waren als die Träume der Menschen“ (Seite 9), „zwölf Stockwerke gestapelte Trostlosigkeit“. (Seite 39) . Die Ermittler stehen vor einem Rätsel, wie etwas möglich ist, das eigentlich nicht möglich ist. Aber die sechs Mitglieder der neuen Gruppe leisten mehr als andere, arbeiten dann, wann das Verbrechen stattfindet, kennen keinen Abend und kein Wochenende. Das durchwegs sympathische, wenn auch teils bizarre Team, braucht dennoch länger als dem Staatsanwalt lieb ist, um einer Person auf die Fährte zu kommen, welche laut Täterprofil ein „Niemand“ ist, jemand, der nirgendwo hervorsticht, jemand, der nirgendwo auffällt. Spannend gestaltet sich also die Suche, vor allem deshalb, weil der Leser von Anfang an als Komplize des Täters auftritt, diesen immer wieder begleitet und dadurch sehr viel mehr weiß als Krogh und Weiss. Dabei kommen auch wilde Szenen vor, das Abscheulichste wird jedoch oft nur angedeutet, bleibt der grausamen Phantasie des Lesers überlassen.

Ein Thriller, wie man es sich nur wünschen kann: interessante Details kommen erst nach und nach zum Vorschein, das Warum heißt es hier aufzuspüren. Perfekt charakterisierte Figuren und ein überaus angenehmer Schreibstil lassen das Lesen zum wahren Vergnügen werden.

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