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Veröffentlicht am 28.12.2023

Niemals aufgeben

Die Brotbäckerin
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„Niemals aufgeben“, das ist das Motto der beiden Schwestern Elisabeth und Anna, als sie nach dem Tod der Mutter auch noch den Vater infolge eines Unfalles verlieren und als Frauen im Jahre 1810 die Bäckerei ...

„Niemals aufgeben“, das ist das Motto der beiden Schwestern Elisabeth und Anna, als sie nach dem Tod der Mutter auch noch den Vater infolge eines Unfalles verlieren und als Frauen im Jahre 1810 die Bäckerei aus dem Familienbesitz nicht behalten dürfen. Ein berechnender, schleimiger Konkurrent kauft den jungen Damen das Geschäft ab, indem er mit einem hinterhältigen Angebot lockt. Anna scheint sich anfangs in ihr Schicksal zu fügen, aber Liesi setzt von Beginn an alles daran, auch weiterhin Brot backen zu dürfen, denn das Handwerk hat sie von Grund auf von ihrem Vater erlernt.

Einem Märchen gleich mutet diese bewegende Erzählung an, es gibt Fortschritte und Rückschläge, Bedingungen, die kaum erfüllbar scheinen. Warmherzig und mit Liebe zum Detail erweckt Nadja Raiser eine glaubwürdige Geschichte zum Leben, welche neben erfundenen Elementen auch historische Begebenheiten und Persönlichkeiten beinhaltet und beides geschickt verwebt. Liesi und Anna, sowie sämtliche andere Figuren hat man schnell ganz plastisch vor Augen, die Tätigkeiten in der Backstube kennt man am Ende des Buches fast so gut wie die passionierte Bäckerin selbst. Mehlstaub und der Duft knusprigen Brotes sind zwischen den Zeilen merkbar, die Angst um den Betrieb und die Zukunft für die Schwestern sowieso. Gesellschaftliche Zwänge der Zeit hemmen heimliche Träume und ersticken jede neue Idee sogleich im Keim. Gibt es gute Feen nur im Märchen oder hält das Schicksal auch für Liesi und Anna ein Quäntchen Glück bereit?

Obgleich sich manches wiederholt und einzelne Figuren sich selbst allzu lange im Wege stehen, so ist die Handlung durchaus realistisch angesiedelt und sorgt für gute Unterhaltung. Für mich ist es ein neues Märchen, das gut zur besinnlichen Weihnachtszeit passt und welches ich daher gerne weiterempfehle.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.12.2023

Erste Einblicke

Töchter des Aufbruchs
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Elsaß-Lothringen, 1910: Pauline übernimmt das Mädchenpensionat in Diedenhofen an der Mosel und damit die schwierige Aufgabe, die jungen Damen nach einem strikten Lehrplan zu unterrichten und sie dennoch ...

Elsaß-Lothringen, 1910: Pauline übernimmt das Mädchenpensionat in Diedenhofen an der Mosel und damit die schwierige Aufgabe, die jungen Damen nach einem strikten Lehrplan zu unterrichten und sie dennoch zu selbständigen Frauen mit eigenem Gedankengut zu erziehen. Keinesfalls sollen aus ihren Schützlingen unterwürfige Anhängsel ihrer späteren Ehemänner werden. Zudem zwar dezent, aber stets modisch gekleidet, ist Pauline so manchem Einwohner hier im deutsch-französischen Grenzgebiet ein Dorn im Auge, die Gerüchte werden ordentlich befeuert, als ein Fremder als Gärtner eingestellt wird und Suzette, eine neue Schülerin im Institut, plötzlich verschwindet.

Voller Charme mit einigen Einsprengseln in Französisch und fränkischem Platt (Erklärungen ergeben sich direkt aus dem Text bzw. am Ende des Buches im Glossar) erzählt Marie Pierre diese erste Geschichte rund um das Pensionat an der Mosel, intensive Recherche begründet interessante Informationen zu politischen und gesellschaftlichen Hintergründen. Und natürlich steckt viel Liebe im Detail, wie man an den Figuren, deren Kleidung oder den typischen Gerichten erkennen kann, welche nicht nur Köchin Lisbeth stets auf den Tisch zaubert. Neben gesellschaftlichen Konventionen und den damals üblichen Vorstellungen des Frauenbildes kommt auch das Militär nicht zu kurz und wird akkurat beschrieben. Der preußische Hauptmann Erich von Pliesnitz ist ein würdiger Vertreter seines Standes und sorgt für Unterstützung, wo man sie von ihm im ersten Moment gar nicht erwartet. Hinreißende Beschreibungen der Gegend mit Mirabellenbäumen und kühler, würziger Nachtluft, kulinarische Besonderheiten wie Bergamottes de Nancy, hochrädrige Kinderwagen und Pferdefuhrwerke, Kopfsteinpflaster und rauchende Lokomotiven versetzen den Leser mit all seinen Sinnen zurück in diese längst vergangene Zeit, welche so lebendig und realistisch dargestellt wird, als würde gerade alles direkt rund um uns passieren. So fällt es von den ersten Worten an leicht, mit Pauline und ihren Zöglingen, Hauptmann Pliesnitz und einem undurchschaubaren Gärtner mitzufiebern, als Suzette verschwindet. Bestens charakterisiert und vorstellbar ist jede einzelne Figur, mit Akribie und Leichtigkeit gleichermaßen entwirft Marie Pierre ihre Szenen, die den Leser berühren und anhalten mitzurätseln. Gedanken und Gefühle aller Personen kann man richtiggehend spüren, wenn man den Zeilen folgt, sodass jeder Blickwinkel authentisch und nachvollziehbar ist.

Es ist nicht einfach, Worte zu finden für ein Buch, welches von der anfänglichen Figurenübersicht über die Handlung selbst bis hin zum reichhaltigen Glossar und Nachwort vollends überzeugt und einen hervorragenden Einblick gewährt in die geschichtsbehaftete Zerrissenheit der Gegend an der Mosel. Kurzum: ich bin begeistert und empfehle diesen Reihenauftakt sehr gerne weiter!

  • Einzelne Kategorien
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Veröffentlicht am 25.12.2023

Ankommen

We Are Like the Wind
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Kitesurf-Legende Ethan braucht kurz vor der nächsten WM eine Auszeit. Obwohl ihm der Sport Spaß macht, setzen ihm gerade das harte Training, der strikte Ernährungsplan, der Erfolgsdruck und seine Instagram-Follower ...

Kitesurf-Legende Ethan braucht kurz vor der nächsten WM eine Auszeit. Obwohl ihm der Sport Spaß macht, setzen ihm gerade das harte Training, der strikte Ernährungsplan, der Erfolgsdruck und seine Instagram-Follower ordentlich zu. Auf Malcolm Island sucht er Zuflucht und Ruhe, niemand weiß, wo er steckt und warum. Aber seine Gedanken können nicht abschalten - sein Trainer ruft Ethan wiederholt zur Raison. Lediglich bei Ausflügen mit der scheuen, zurückhaltenden Bibliotheksleiterin Laiana kann er zu sich selbst finden. Wird Ethan dadurch genug Energie tanken, um seinen Weg als Leistungssportler fortzusetzen?

Nach den beiden ersten Bänden der „Like us“-Trilogie war ich schon gespannt auf diesen dritten Teil. Auch hier wieder ist Malcolm Island die schöne Kulisse, wobei ich das gewohnte freundliche Miteinander der Einwohner im Fischerdorf Sointula ein wenig vermisse und auch den Zauber der Liebesgeschichte zwischen Ethan und Laina erst spät spüre. Die wechselweise Sicht aus den Blickwinkeln der beiden Hauptfiguren hat sich auch diesmal bewährt, insbesondere, wenn ein und dieselbe Szene von Laina und Ethan erzählt wird. So wird ganz deutlich, wie unterschiedlich Situationen wahrgenommen werden, wie wichtig es ist, dem anderen zuzuhören und sich in ihn hineinzuversetzen. Sowohl Laina, die meint, ihre Mutter erwarte eine bestimme berufliche Ausrichtung von ihr, als auch Ethan, der aus ärmlichen Verhältnissen kommend, nun mit seinen Erfolgen auch die Familie unterstützen kann, sind wunderbar und sehr glaubhaft charakterisiert. Man spürt beim Lesen ihre Schwierigkeiten, auf ihr Bauchgefühl zu vertrauen und den Weg zu gehen, den ihr Innerstes vorgibt. Ob sie einander Stütze sein können und ankommen können? Lest selbst, welche Hürden sich vor den beiden aufbauen und wie sie damit umgehen.

Leider kommt Numero Drei nicht ganz an seine Vorgänger heran, dennoch ist es ein schöner Abschluss dieser Trilogie.

Veröffentlicht am 23.12.2023

Selbstgewiss

Eine Frage der Chemie (Schmuckausgabe)
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Elizabeth Zott kämpft in den 1950er-Jahren gegen festgefahrene gesellschaftliche Regeln und Konventionen, welche Frauen das Leben erschweren und Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern ein Fremdwort sein ...

Elizabeth Zott kämpft in den 1950er-Jahren gegen festgefahrene gesellschaftliche Regeln und Konventionen, welche Frauen das Leben erschweren und Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern ein Fremdwort sein lassen. Als ehrgeizige und kluge Chemikerin verdient sie nur einen Bruchteil dessen, was Männer bekommen, als alleinerziehende Mutter eines unehelichen Kindes wird sie schräg angeschaut. Diplomatie kann man Elizabeth nicht nachsagen, vielmehr ist sie eine, die geradeheraus sagt, was sie denkt, auch wenn es nicht in ihre Zeit passt. Selbstgewiss, das ist die Eigenschaft, die perfekt auf sie zutrifft.

Die Geschichte beginnt im November 1961 und beschreibt kühl und treffend, wie es damals war: Frauen in Hemdblusenkleidern, die sich brav um Haushalt und Kinder kümmern, während Elizabeth ins Labor marschiert, um ihre Forschungen voranzutreiben. Sodann schwenkt Autorin Bonnie Garmus um etwa zehn Jahre zurück, um zu zeigen, warum Elizabeth so ist, wie sie eben ist. Interessante Szenen mit chemischen Details, gut gezeichnete Figuren vom Kind über Erwachsene bis hin zum Hund, eine teils sachliche Betrachtung der Dinge, all das ist gekonnt zu einem großen Ganzen komponiert. Allerdings wiederholen sich manche Einzelheiten mehrmals, ziehen sich einige Darstellungen zu sehr in die Länge, was die Spannung bisweilen zu stark bremst. Was hingegen Elizabeths Lebensweg wundervoll ergänzt, sind die beiden Bonuskapitel am Ende des Buches: einmal steht Hund Halbsieben im Mittelpunkt, der stets geistreiche Meldungen von sich gibt, das andere Mal wird das absolut unkonventionelle Kennenlernen zwischen den beiden Chemikern Elizabeth und Calvin näher beleuchtet.

Eine Frage der Chemie ist das Bild von Elizabeth und ihrer Tochter Madeline, die beide Probleme haben mit der Diplomatie, die geradeheraus fragen, warum man nicht sagen soll, was man denkt. Verbiegen, anpassen und sich einfügen in gesellschaftliche Normen, das ist nicht ihre Vorstellung vom Leben – mit trockenem Humor stellt Garmus dar, wie sie es schaffen, gegen den Strom zu schwimmen. Vier Sterne und eine Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 19.12.2023

Drei Schicksale

Wellenkinder
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Heute: Die Ehe von Familienvater Jan ist gescheitert und zu allem Überdruss muss er in seine Heimat Rügen zurückkehren, wo ihn eine unerwartete Nachricht trifft.

1970: Oda träumt von einer Künstlerkarriere ...

Heute: Die Ehe von Familienvater Jan ist gescheitert und zu allem Überdruss muss er in seine Heimat Rügen zurückkehren, wo ihn eine unerwartete Nachricht trifft.

1970: Oda träumt von einer Künstlerkarriere im Westen. Allerdings scheitert ihr Fluchtversuch aus der DDR und sie landet in der berüchtigten Strafanstalt Hoheneck.

1945: Die Russen im Rücken, kann Margit am Ende des Zweiten Weltkriegs über die Ostsee entkommen, wo sie einer lebensmüden Mutter das Baby entreißt.

Drei Geschichten auf unterschiedlichen Zeitebenen begegnet der Leser in diesem Buch. Anfangs meint man, drei Handlungen, auseinandergeschnitten und wirr neu zusammengefügt, vor sich zu haben. Die Gemeinsamkeiten kristallisieren sich erst nach und nach heraus. Klar ist nur, alle drei Hauptfiguren sind auf der Suche nach Freiheit und sehnen sich nach dem Schoß einer Familie. Eher düster und mit überwiegend traurigem Unterton stellt Autorin Liv Marie Bahrow die einzelnen Szenen dar, tatsächlich handelt es sich um eine schwere Bürde, die unsere Protagonisten zu tragen haben. Auch wenn diese eher unnahbar wirken und die Grauen auf unterschiedlichen Fluchtwegen schrecklich sind, so kann Bahrow doch die Gefühle jedes Einzelnen gut vermitteln und ganz allgemein ein Stück deutscher Geschichte bewahren.

Die drei geschickt miteinander verwobenen Schicksale bergen viele Schwierigkeiten der jeweiligen Zeit, aber die Liebe ist ein steter Begleiter, die Hoffnung ein Licht am Horizont. Das Ende passt stimmig ins Bild, sodass trotz mancher Länge ein lesenswerter Roman bleibt.