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Veröffentlicht am 29.10.2023

Ein ganzes Leben

Florence Butterfield und die Nachtschwalbe
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In Babbington Hall, einem ehrwürdigen Seniorenheim nahe Oxford, verbringt Florence Butterfield ihre Tage, seit sie ihr linkes Bein verloren hat und im Rollstuhl sitzt. Aber Trübsal Blasen kennt die unternehmungslustige ...

In Babbington Hall, einem ehrwürdigen Seniorenheim nahe Oxford, verbringt Florence Butterfield ihre Tage, seit sie ihr linkes Bein verloren hat und im Rollstuhl sitzt. Aber Trübsal Blasen kennt die unternehmungslustige 87jährige nicht. Nachdem die Heimleiterin nachts aus ihrem Fenster im dritten Stock gestürzt ist, überlegt Florrie, dass es sich nicht um einen Selbstmord handeln kann, hat doch Renata ihr erst am Vortag eine neue Liebe angedeutet. Gemeinsam mit dem Mitbewohner Stanhope sucht Florence nach Spuren – im Todesfall Renatas und in ihrem eigenen Leben.

Sehr sachlich und distanziert beschreibt Susan Fletcher, wie im Garten der Seniorenresidenz ein Mann verstorben ist, und gleichzeitig sind die Informationen überaus detailliert, fast poetisch mit dem Efeu und den Zaunwinden. Die genauen Beobachtungen begleiten den Leser durch das gesamte Buch, sodass man sich das Leben in Babbington Hall sehr bildhaft vorstellen kann auch deren Bewohner und Mitarbeiter. Mit viel Liebe für Einzelheiten geht es aber dann nicht nur um den rätselhaften Sturz von Renata in der Mittsommernacht, sondern auch um Florris Leben, das immer wieder in die aktuelle Handlung eingeflochten und in nicht chronologischer Abfolge Puzzlestück für Puzzlestück preisgegeben wird. Leider kommt es da des Öfteren zu Langatmigkeit und ausschweifenden Abweichungen vom Thema, sodass man zuweilen befürchten muss, Andeutungen nicht zu verstehen, weil man vielleicht etwas überlesen hat. Dabei verdichten sich die eingestreuten Hinweise tatsächlich erst zum Ende hin zu einem logischen und überschaubaren Gesamtbild.

Der Leseprobe nach habe ich einen unterhaltsamen Roman mit dunklem Humor erwartet, tatsächlich liefert dieses Buch die teils langatmige Lebensgeschichte einer 87jährigen und kriminalistische Ansätze. Trotz allem sollte man aber bis zum Ende durchhalten, denn wenn einmal alle Fäden zusammenlaufen, ergibt sich auch der Reiz dieser zuweilen nicht enden wollenden Handlung. Ein guter Start und ein versöhnliches Ende, ein strafferer Mittelteil hätte nicht geschadet.

Veröffentlicht am 27.10.2023

Ein Bankert

In Liebe, deine Lina (Mühlbach-Saga 1)
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Aus der gemeinsamen Kindheit zwischen der in ärmlichen Verhältnissen lebenden Halbwaise Lina und dem wohlhabenden Kaufmannsohn Albert entsteht eine zarte Liebe. Aber als Lina schwanger wird, verbieten ...

Aus der gemeinsamen Kindheit zwischen der in ärmlichen Verhältnissen lebenden Halbwaise Lina und dem wohlhabenden Kaufmannsohn Albert entsteht eine zarte Liebe. Aber als Lina schwanger wird, verbieten die Eltern Albert eine Heirat und der 22jährige fügt sich deren gestrenger Anordnung. Was das für Lina bedeutet im kleinen Mühlbach in der Pfalz im ausklingenden 19. Jahrhundert, kann man sich leicht ausmalen: die Mutter und ihr „Bankert“ werden geschnitten, Arbeit gibt es keine mehr, die Rente vom kranken Vater reicht kaum zum Leben. In dieser Not klopft Karl an die Tür, selbst unehelich geboren, und bietet Lina an, sie zu heiraten und ihre Tochter als sein eigenes Kind anzunehmen, allerdings in Bremen, wodurch Lina ihre Heimat, ihren Vater und ihre Brüder verlassen muss.

Die Kinder tollen am Mühlbach umher, allen voran und am ausgelassensten die kleine Lina, Bruder Walter kann sie kaum im Zaum halten. Gut vorstellbar und überaus lebendig beschreibt die Autorin das Landleben. Die Figuren sind klar charakterisiert und so ist man ganz schnell selber mitten im Geschehen. Wie auch in früheren Büchern schreibt Barbara Leciejewski ruhig, warmherzig und gefühlvoll, was diesmal wegen der Gemeinsamkeit mit der Geschichte ihrer Großeltern besonders schwierig gewesen sein dürfte. Wieviel Wahrheit, wieviel Dichtung passen zusammen? Wie bringt man am besten alles in einen lesenswerten Roman? Die Sorgen sind unbegründet, die Autorin bringt Zeitgeist und persönliches Dilemma bestens in Einklang. Nach den kurzen Kinderszenen geht es ohne Umschweife zehn Jahre später weiter und auch sonst gibt es immer wieder (gut gekennzeichnete) Zeitsprünge, sodass die Handlung niemals langweilig wird.

Abwechselnd erlebt der Leser Land- und Stadtszenen, spürt die innere Zerrissenheit des „Bankerts“ und die gesellschaftspolitischen Schwierigkeiten rund um die Jahrhundertwende bis hin zum Ersten Weltkrieg. Hier endet vorerst das Buch, die Geschichte selber aber noch lange nicht – da muss man unbedingt im März 2024 lesen, wie es mit den Familien Borger und Schäfer weitergeht. Ich bin schon sehr gespannt! Vorerst eine Leseempfehlung für den ersten Teil der Mühlbach-Saga, hoffentlich bald auch eine weitere.

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Veröffentlicht am 26.10.2023

Im dunklen Forst

Im Herzen so kalt (Ein Fall für Maya Topelius 1)
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Als die neunjährige Frida den Umweltaktivisten Mats Anderberg erschossen mitten im verschneiten Wald entdeckt, muss die Polizei von Östersund ermitteln. Den örtlichen Kriminalisten werden Maya Topelius ...

Als die neunjährige Frida den Umweltaktivisten Mats Anderberg erschossen mitten im verschneiten Wald entdeckt, muss die Polizei von Östersund ermitteln. Den örtlichen Kriminalisten werden Maya Topelius und Pär Stenquist aus Stockholm zur Seite gestellt, welche im Norden erst misstrauisch und kühl begrüßt werden. Ein interessanter Krimi rund um Waldschutz und Holzlobby nimmt seinen Lauf.

Åslunds einnehmender Schreibstil, ihre bildhaften Szenen und ihre lebendige Erzählweise fallen einem ab der ersten Seite recht positiv auf. Die Figuren sind klar vorstellbar charakterisiert, der winterliche Hintergrund mit glitzerndem Schnee und unheimlichen Wäldern bietet eine wunderschöne Kulisse zu den Mordermittlungen. Zusätzlich sind die Hintergründe rund um das Thema Wald- und Forstwirtschaft genau recherchiert, weiterführend finden sich sogar Quellenangaben am Ende des Buches. Nicht ganz optimal ist die recht häufig eingeflochtene Gesellschaftskritik gelungen mit Hinweisen auf versteckten Zucker in Lebensmitteln, aufgeklärte Feministinnen, Gleichberechtigung und Klimawandel. Die Freundinnen von Maya und ihr Zusammenhalt seit der Kindheit hingegen haben mir sehr gut gefallen, vielleicht etwas zu ausführlich geraten, da auch hier die Handlung immer wieder vom eigentlichen Krimi abschweift. In den Ermittlungsszenen selbst ist zu erkennen, dass Maya und Pär ein gewitztes und gut eingespieltes Team bilden und einander bei den Vernehmungen bestens ergänzen. Das Flair Schwedens wird ebenfalls sehr authentisch transportiert mit dem Duzen aller Beteiligten, den Landschaftsbeschreibungen und der Kulinarik, insbesondere das Rezept für die Smörgåstårta muss ich unbedingt einmal ausprobieren.

Trotz meiner Kritikpunkte ist diese Krimi fesselnd und unterhaltsam, sodass ich auch den nächsten Band der Reihe auf jeden Fall lesen werde, denn Maya und Pär sind mir schon ans Herz gewachsen, da möchte ich schon wissen, ob der sympathische Rechtsmediziner im März nach Stockholm kommt.


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Veröffentlicht am 23.10.2023

Wertvolles Wasser

Walzer in Zeiten der Cholera. Eine Seuche verändert die Welt
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Weltausstellungen, Cholera, Tanzvergnügen im Dreivierteltakt und wertvolles Wasser – all das und noch viel mehr kennzeichnet das 19. Jahrhundert. Bestens recherchiert und spannend wie ein Roman vermittelt ...

Weltausstellungen, Cholera, Tanzvergnügen im Dreivierteltakt und wertvolles Wasser – all das und noch viel mehr kennzeichnet das 19. Jahrhundert. Bestens recherchiert und spannend wie ein Roman vermittelt Alexander Bartl Wissenswertes mit diesem interessanten Buch.

Der Titel stiftet anfangs wohl ein wenig Verwirrung, da die Cholera als solche gar nicht das Hauptthema dieses Buches darstellt, sondern alles in allem ein gelungener Mix aus gesellschafts-, gesundheits- und umweltpolitischen Inhalten ist. Um den Wienern qualitativ hochwertiges Wasser zur Verfügung stellen zu können (was wiederum die Cholera und andere Infektionskrankheiten eindämmt, aber zum damaligen Zeitpunkt nicht bekannt ist), gibt es verschiedene Ideen: eine Leitung mit Donauwasser, das Nutzen der Fischa-Dagnitz-Quellen oder eben das kostspielige und sehr umstrittene Projekt der Hochquellenwasserleitung aus den Gebieten Schneeberg und Rax, welches Eduard Suess und Cajetan Felder vorantreiben. Neben den schwierigen Verhandlungen und Budgetdebatten über die beste Lösung müssen die Wiener – und selbstverständlich auch andere Menschen auf der ganzen Welt – Wellen von Choleraepidemien über sich ergehen lassen und beklagen eine große Zahl an Toten. Gleichzeitig herrscht das Motto: „Tanzen und Lachen haben etwas Belebendes, beides sei daher heilsam.“ Und so mischt Bartl Heiteres und Trauriges gekonnt in ein unterhaltsames Sachbuch über das 19. Jahrhundert, vornehmlich in Wien, aber nicht ausschließlich.

Wer einen bunten Querschnitt aus der Kaiserzeit sucht und hohe Recherchequalität schätzt, ist hier goldrichtig, es geht keineswegs nur um Krankheit und Leid.

Veröffentlicht am 22.10.2023

Illusionen

ZAP. Für die einen ist es Vergnügen. Für ihn ein Albtraum.
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Der 14jährige Finn Ahlmann ist erst vor zwei Wochen mit seinen Eltern, der älteren Schwester und dem jüngeren Bruder in die neue Wohnung gezogen. In der Schule hat er sich noch nicht eingelebt mit seiner ...

Der 14jährige Finn Ahlmann ist erst vor zwei Wochen mit seinen Eltern, der älteren Schwester und dem jüngeren Bruder in die neue Wohnung gezogen. In der Schule hat er sich noch nicht eingelebt mit seiner eher introvertierten Art und seiner Vorliebe, Bücher zu lesen anstatt sich für Filme zu interessieren oder sich an den Raufhändeln der anderen Burschen zu beteiligen. Als er am Freitag zu Mittag von der Schule heimkehrt, sieht die Wohnung im ersten Stock links jedoch ganz anders aus als noch in der Früh und an Stelle seiner Mutter trifft er ein fremdes Ehepaar dort an. Kurz darauf muss Finn feststellen, dass auch der Straßenname anders ist und die Schule, aus der er gekommen ist, ein Pharmaunternehmen beherbergt. Was wird da mit ihm gespielt? Oder ist er gar durch ein Wurmloch in ein anderes Universum gelangt, wie es die Physiklehrerin am Vormittag unterrichtet hat?

In flottem Stil und passend für die Zielgruppe ab 14 Jahren schreibt Andreas Eschbach diesen Jugendroman rund um Finn nieder. Schnell kann man sich als Leser in die Situation hineinversetzen, wie es ihm daheim und in der Schule so geht. Recht ruhig und immer wieder einmal einem Streich ausgesetzt, hat er es wahrlich nicht leicht, sich zu behaupten, aber was diesmal passiert, hat doch eine ganz andere Dimension.

Illusion und Wahrheit ist das Grundthema in diesem mit 300 Seiten eher knapp gehaltenen Buch, die Kürze ist aber keineswegs ein Makel – so können Jugendliche gut erreicht werden und die Sache wird nicht langweilig. Interessante Charaktere und zum Nachdenken anregende Themen werden in die Handlung verpackt, sodass der guten Unterhaltung nichts mehr im Wege steht.