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Veröffentlicht am 12.10.2023

Ver-Ding-Kinder

Bis wir unsere Stimme finden
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Fanny und Jakob flüchten während des Zweiten Weltkriegs mit ihren Familien Richtung neutraler Schweiz, wobei die Fünfjährige und der knapp Zehnjährige allein in dem neutralen Land ankommen und sich fortan ...

Fanny und Jakob flüchten während des Zweiten Weltkriegs mit ihren Familien Richtung neutraler Schweiz, wobei die Fünfjährige und der knapp Zehnjährige allein in dem neutralen Land ankommen und sich fortan als Geschwister ausgeben. Als sogenannte Verdingkinder werden sie auf einem Bauernhof untergebracht, wo sie für ihren Unterhalt hart arbeiten müssen und für jedes „Vergehen“ streng bestraft werden. Allein ihre Zweisamkeit als kleine Familie lässt sie durchhalten und nach vorne schauen. In einem zweiten Erzählstrang geht es um Freiheit und Frauenrechte. Fanny und Jakob haben sich bis hierher sehr unterschiedlich entwickelt und ihr Versprechen, immer füreinander da zu sein, bekommt Risse.

Höchst lebendig und glaubwürdig schildert Astrid Töpfner die Szenen in diesem erschütternden Buch. Die zugrundeliegende Recherche ist exzellent und das Schreiben – wie im Nachwort zu lesen – ist auch für die Autorin sehr emotional und belastend gewesen. Genauso geht es dem Leser, wenn er das Buch in Händen hält. Ein hervorragender Schreibstil und die sehr persönliche, wenn auch fiktive Geschichte der beiden Kinder kann einfach niemanden kalt lassen, im Gegenteil, bekommt man eher Gänsehaut als bei einem brutalen Thriller, da die Verdingkinder, die Fremdplatzierungen tatsächlich so stattgefunden haben und ein Teil der Betroffenen sehr schmerzvolle Erfahrungen durchleben mussten.
Abwechselnd erlebt man Fannys und Jakobs Sicht der Dinge, der Zeitablauf wechselt zwischen Kriegs- und Nachkriegsjahren und den Jahren ab 1968, wodurch die Spannung stets recht hoch gehalten wird. Wer glaubt, die anfänglichen Szenen sind schwer auszuhalten, wird im Laufe der Kapitel eines besseren belehrt – es geht immer noch grausamer und unmenschlicher. Wie Kinder und Jugendliche die beschriebenen Qualen ertragen haben können, ist kaum zu fassen – die Triggerwarnung bezüglich psychischen und physischen Missbrauchs und zum Drogenkonsum sollte jedenfalls ernst genommen werden.

Am Ende dieses brillanten Buches (mit absolut perfektem Abschluss!) bleibe ich sprach- und fassungslos zurück und bin Astrid Töpfner dankbar, dass sie sich den Strapazen ausgesetzt hat, den glücklosen Kindern eine Stimme zu verleihen. Auch wenn Fanny und Jakob keine realen Figuren sind, so stehen sie doch für zahlreiche ganz persönliche Schicksale, die wenigen bekannt sind und so nicht in Vergessenheit geraten.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 10.10.2023

Schaurig

Ein Fluss so rot und schwarz
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Sechs Menschen finden sich auf einem Militärschiff wieder, welches vom offenen Meer Richtung Londoner Themse steuert. Ohne Erinnerung erwachen sechs Personen, der siebente Passagier ist überhaupt schon ...

Sechs Menschen finden sich auf einem Militärschiff wieder, welches vom offenen Meer Richtung Londoner Themse steuert. Ohne Erinnerung erwachen sechs Personen, der siebente Passagier ist überhaupt schon tot. Sie wissen nichts aus ihrem früheren Leben, außer erlerntem Wissen ist nichts davon übrig geblieben, nicht einmal der eigene Name. Welche Mission ihnen auferlegt ist, sickert nur sehr langsam durch, die Reise ins Ungewisse wird von unheimlichen Schreien und grauenhaften Erscheinungen begleitet.

Ein markantes Titelbild als Blickfang und eine spannende Leseprobe wecken sofort die Neugierde auf dieses Buch. Detaillierte Beschreibungen von unheimlichen Schreien, die sich dann lediglich als Möwengekreisch herausstellen, das langsame Aufwachen aus einem traumähnlichen Zustand, das Erkennen, mit völlig Fremden allein am Meer zu treiben, all das lässt ein extrem spannendes Buch erwarten. Der Schreibstil bleibt auch durchwegs bildreich und fesselnd, die Handlung aber entwickelt sich mehr und mehr Richtung Science Fiction, Szenen tauchen auf, die immer weiter von Realität und Glaubwürdigkeit abdriften. Ebenso wie den Figuren ihre Erinnerung fehlt, so fühlt sich für den Leser die ganze Geschichte auch nebulos und undurchsichtig an. Die ausgewählten Passagiere – alle Spezialisten auf ihrem beruflichen Gebiet – lassen wenig Nähe zu, bald bemerken sie, dass ein schauriger Kampf ums Überleben bevorsteht.

Eine wichtige Mission für die Menschheit, eine teils grausige Kulisse und Science-Fiction-ähnliche Darstellungen bilden die wesentlichen Eckpunkte für diesen Roman, bei dem ich aufgrund der Leseprobe eine ganz andere Geschichte erwartet habe. Für mich leider kein rechtes Lesevergnügen, das Buch wird aber gewiss seine Anhänger finden, denn die Idee dahinter und der flotte Schreibstil sind durchaus gelungen.

Veröffentlicht am 10.10.2023

Lykke in Deutschland

Taubenschlag
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Im Rahmen eines länderübergreifenden Polizeiprojekts wird die Kopenhagenerin Lykke Teit nach Flensburg geholt, um Rudi Lehmann bei einem schwierigen Fall zu unterstützen: brutale Morde müssen aufgeklärt ...

Im Rahmen eines länderübergreifenden Polizeiprojekts wird die Kopenhagenerin Lykke Teit nach Flensburg geholt, um Rudi Lehmann bei einem schwierigen Fall zu unterstützen: brutale Morde müssen aufgeklärt werden, bei denen Menschen in ihrem Zuhause gefesselt und gequält werden, bevor der Täter sie erschießt und mit einer toten Taube im Schoß zurücklässt. Kurz vor dieser grausamen Serie hat man in einem alten Bunker die Überreste einer bereits vierzig Jahre zuvor verstorbenen Familie gefunden. Könnte es da Zusammenhänge geben oder ist es besser, die Nachforschungen getrennt voneinander zu betrachten?
Wie bereits in Band Eins der Reihe geht es gleich mitten ins Geschehen: ein Team von Berlin Bunker Protocol steigt hinab in die Tiefen der alten verzweigten Gänge, um Vermessungen vorzunehmen. Von Ratten, so groß wie Dackel, erzählt der ruppige Vorgesetzte, und von lockeren Eisenträgern, womit er seinem Neuen Respekt einflößen will. Etliche verwitterte Stufen und unebene Gänge weiter, nach klebrigen Spinnweben und verschiedenem Gewürm stehen plötzlich beide Arbeiter sprachlos vor einem bislang unbekannten Raum, in dem drei verweste Leichen liegen. Lykke und Rudi haben zu tun …

Wieder wechseln Krimielemente und private Informationen ab, wobei es nicht verkehrt ist, Teil Eins (Gezeitenmord) bereits gelesen zu haben, um die hartnäckige Kopenhagenerin und den humorvollen Deutschen schon besser zu kennen. Inhaltlich sind jedoch beide Bände unabhängig voneinander und in sich abgeschlossen. Auch wenn die Schauplätze detailreich geschildert werden und die Polizeiarbeit interessant ist, so ergeben sich bisweilen ein paar Längen, der Beginn mit den Bunkern wartet lange auf Einbindung ins Geschehen. Am Ende jedoch passt alles perfekt zusammen, wird die mühsame Arbeit erfolgreich abgeschlossen, die zuvor losen Fäden werden logisch verknüpft.

Das interessante Thema Ost und West in Deutschland spielt hier eine wesentliche Rolle und bietet Einblicke in die Tage der DDR. Ich bin gespannt, wo und in welchem Zusammenhang Lykke und Rudi das nächste Mal zusammenarbeiten.

Veröffentlicht am 09.10.2023

Im Wattenmeer

Gezeitenmord
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Im Wattenmeer finden der elfjährige Villads und sein Lehrer Lasse eine Leiche im Sand. Noch bevor die beiden reagieren können, taucht ein Fremder im Nebel auf und der grenzüberschreitende Fall für die ...

Im Wattenmeer finden der elfjährige Villads und sein Lehrer Lasse eine Leiche im Sand. Noch bevor die beiden reagieren können, taucht ein Fremder im Nebel auf und der grenzüberschreitende Fall für die Ermittler Lykke Teit aus Kopenhagen und Rudi Lehmann aus Flensburg ist eröffnet.

Bei diesem Krimi ist man sofort mitten im Geschehen. Herbstlicher Nebel legt sich über das Watt, die Flut kommt schneller als erwartet und schon gibt es eine Leiche. Danach lernt der Leser in eher ruhigen Kapiteln Lykke und Rudi kennen, beide haben ihre Geschichten im Gepäck, die man im Laufe der Zeit erfährt. Die Ermittlungen gestalten sich nicht ganz so einfach mit den lokalen Polizisten aus Esbjerg, schließlich will man sich den beiden Fremden nicht gerne unterordnen, schon gar nicht dem Deutschen mit seinem sonderbaren preußischen Humor. Als jedoch verschiedene Informationen gesammelt werden, kommt Schwung in die Sache, schließlich ist der Elfjährige aus dem Watt spurlos verschwunden, wie schon andere Kinder zuvor. Ist man einem Serientäter auf der Spur, handelt es sich um wiederholte Entführungen und was hat die Leiche am Strand mit all dem zu tun – oder besteht hier kein Zusammenhang? Vielen Fragen muss nachgegangen werden, wobei Dennis Jürgensen stets den Überblick bewahrt und die unterschiedlichen Ansätze sorgfältig auseinanderhält, sodass auch der Leser stets problemlos folgen kann. Eine ausgewogene Mischung aus privaten Elementen und mitunter makabren Krimi-Details lässt das Buch zu einem wahren Leseabenteuer werden, besonders am Ende wird es spannend, wenn Rudis Campingbus so rasch wie möglich ins Watt fahren muss. Die Auflösung der Fälle ist einerseits überraschend, andererseits vielleicht ein wenig zu oft mit Zufallsleichen gepflastert, der Auftakt zur ganzen Reihe dennoch gut gelungen.

Mit zwei sympathischen Kriminalisten geht es an die dänisch-deutsche Grenze, mit Hartnäckigkeit und ein wenig Humor lässt sich auch der schwierigste Fall aufklären. Ich hatte jedenfalls Spaß bei den Ermittlungen und schaue Lykke und Rudi gerne auch bei „Taubenschlag“ über die Schultern.

Veröffentlicht am 08.10.2023

Lori und Erin

The Castaways
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Die Schwestern Lori und Erin wollen einen gemeinsamen Urlaub auf einer der Fidschiinseln verbringen. Allerdings befindet sich nur Lori auf dem Flug FJ209, der nie am Ziel ankommen soll. Einmal vom Radar ...

Die Schwestern Lori und Erin wollen einen gemeinsamen Urlaub auf einer der Fidschiinseln verbringen. Allerdings befindet sich nur Lori auf dem Flug FJ209, der nie am Ziel ankommen soll. Einmal vom Radar verschwunden, findet man keine abgestürzte Maschine, keine Wrackteile, weder Überlebende noch Tote. Erin, die als Journalistin arbeitet, kann mit dem schrecklichen Unglück nicht abschließen und sammelt sämtliche Zeitungsmeldungen und pinnt Bilder an die Wand von Loris Zimmer in der gemeinsamen Londoner Wohnung. Zwei Jahre nach dem rätselhaften Verschwinden des kleinen Flugzeugs gibt es sensationelle Schlagzeilen und in Erin keimt erneut Hoffnung auf.

Abwechselnd erzählen Erin (Damals, vor zwei Jahren) und Lori (Jetzt) ihre jeweilige Sicht der spannenden und undurchschaubaren Geschichte. Beide Handlungsstränge fesseln den Leser vom ersten Augenblick an und lassen ihn bis zur letzten Seite nicht mehr los. Lucy Clarkes Schreibstil ist auch diesmal wieder flott und einnehmend, sodass man das Buch kaum loslassen kann. Bildhaft und lebendig präsentiert die Autorin die Szenen, man hört förmlich die Geräusche des Dschungels, die summenden Insekten, die rauschenden Bäume, man fühlt die dampfenden Büsche, das klebrige Gewirr des Spinnennetzes und die dichte Luft, welche sich wie der Geschmack von Torf und faulem Laub auf die Zunge legt. (siehe kindle, Pos.1601). Sofort ist man selbst gefangen in der phantastischen Handlung, bei der niemand weiß, wohin sie führen wird. Der Leser befindet sich mit Lori auf einer unbewohnten Insel und begibt sich gleichzeitig – bzw. zwei Jahre später – mit Erin auf die Spurensuche. Auch dem Leser erschließen sich die Zusammenhänge erst in kleinen Schritten, sodass trotz der vorherrschenden Ruhe im Erzählstil die Spannung hoch gehalten wird. Raffiniert komponiert Clarke eine unvorhersehbare Handlung und hält ihre Leser bis zum Ende in Atem.

Bereits zum zweiten Mal bin ich gefesselt von Lucy Clarkes brillant in Worte gefasste Atmosphäre und empfehle dieses Buch sehr gerne weiter.

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