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Veröffentlicht am 18.11.2023

Kontrolle

Virtua
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Daniel tritt einen neuen Job als Psychologe in der Personalabteilung des Konzerns Mental Systems an, wo an „Virtua“, einer Künstlichen Intelligenz, gearbeitet wird. Bald merkt der Neue, dass nicht alle ...

Daniel tritt einen neuen Job als Psychologe in der Personalabteilung des Konzerns Mental Systems an, wo an „Virtua“, einer Künstlichen Intelligenz, gearbeitet wird. Bald merkt der Neue, dass nicht alle Mitarbeiter uneingeschränkt der Firmenphilosophie folgen und ausschließlich Vorteile mit der rasch fortschreitenden Entwicklung verbinden, sondern eine bedrohliche Kontrolle der Menschheit befürchten. Als der KI-Entwickler Chen nach einem Sabotageakt spurlos verschwindet, ist Daniel alarmiert.

Durchaus glaubwürdig setzt Karl Olsberg diesen dystopischen Roman in Szene, wenn er mit Problemlösungen bei Krieg und Klimawandel die positiven Seiten der Künstlichen Intelligenz anspricht, andererseits aber auch darauf hinweist, dass sich diese Technologie möglicherweise irgendwann nicht mehr kontrollieren lässt und selbständig agiert, dann vielleicht nicht mehr zum Vorteil der Menschheit. Daniel als Psychologe und Jerry als leidenschaftlicher Spieler in virtuellen Welten repräsentieren die wesentlichen Blickwinkel auf die Vorteile modernster Technologien, aber auch auf die Gefahren von Abhängigkeit und Manipulation. Was heute noch undenkbar ist, kann morgen schon Realität sein (siehe dazu auch das interessante und ausführliche Nachwort), was der eine bejubelt, jagt dem anderen Angst ein. Auch wenn die Handlung utopisch und phantasievoll klingt, so scheint sie doch nicht ganz abwegig zu sein.

Ein bisschen mehr Spannung hätte dem Ganzen zwar gut getan, aber nachdenklich stimmt dieser Roman auf alle Fälle. Das Ziel, eine breite Öffentlichkeit anzusprechen und zur Diskussion zu bringen, wird hoffentlich erreicht, denn es ist höchst notwendig, sich die Gefahren der KI vor Augen zu halten und rechtzeitig zu agieren.

Veröffentlicht am 18.11.2023

Unappetitlich

Gstaad
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Der Vater stirbt schon kurz vor seiner Geburt, die Mutter mit nicht einmal zwanzig Jahren scheint überfordert. Francois Lepeltier verbringt seine Kindheit in verschiedenen Hotelzimmern, in denen Mathilde ...

Der Vater stirbt schon kurz vor seiner Geburt, die Mutter mit nicht einmal zwanzig Jahren scheint überfordert. Francois Lepeltier verbringt seine Kindheit in verschiedenen Hotelzimmern, in denen Mathilde – so nennt er seine Mutter – putzt und stiehlt. Er wächst nach eigener Aussage mit einer Vielzahl an Sünden auf, wird bereits in jüngsten Jahren Zeuge von ungewöhnlichen sexuellen Handlungen. Wohin das alles führt, wird am Ende schonungslos enthüllt.

Ein ansprechendes Titelbild und ein Klappentext mit den Worten „frühes Meisterwerk“, „Schelmenroman“ und „rabenschwarz, sarkastisch“ lassen eine unterhaltsame Handlung erwarten, welche mitunter nachdenklich stimmt. In Händen hält man aber sodann ein Buch, das nur so strotz vor abscheulichen, abstoßenden sexuellen Darstellungen, die einmal mehr, einmal weniger ausführlich beschrieben werden. Francois erzählt all das in Ich-Form und aus seiner Sicht eines „zurückgebliebenen Kindes“. Nur aus Gründen der gierigen Lust seiner Mutter ist er nicht abgetrieben worden, also ist er erwünscht, so seine Schlussfolgerung. Ohne Erziehung genossen zu haben, ist er ein Naturkind, ein freundlicher Wilder (kindle, Pos. 935). So wächst dieses Kind auf in einem Umfeld von sonderbaren Leuten, die noch sonderbarere erotische Praktiken ausleben. Voyeurismus, Inzest, Missbrauch sind nur einige wenige Ausdrücke für all das, was tatsächlich diesen Burschen prägt und welche Handlungen er in späteren Lebensabschnitten unter den Namen Rodolphe oder Bruno setzt. Als unappetitlich beschreibt er selbst seine Wegbegleiter, ebenso unappetitlich sind viele Szenen im Buch, die man nicht anders als abstoßend und pervers bezeichnen kann.

Aufgrund der Kurzinformationen zu diesem Buch waren meine Erwartungen gänzlich andere. Mit Hinweisen auf die tatsächlichen Inhalte hätte ich niemals zu diesem Roman gegriffen. Auch wenn das Ende, in welchem Francois‘ Lebensweg gipfelt, verständlich und nachvollziehbar ist, so kann ich „Gstaad“ nicht mit gutem Gewissen weiterempfehlen.

Veröffentlicht am 16.11.2023

Aussichtslos

Monster (Ein Bodenstein-Kirchhoff-Krimi 11)
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Die 16jährige Larissa, von allen Lissy genannt, kommt nach dem Eislaufen am Freitagnachmittag nicht mehr nach Hause, auch hat sie nicht, wie geplant, bei ihrer Freundin Sara übernachtet. Als ihre Leiche ...

Die 16jährige Larissa, von allen Lissy genannt, kommt nach dem Eislaufen am Freitagnachmittag nicht mehr nach Hause, auch hat sie nicht, wie geplant, bei ihrer Freundin Sara übernachtet. Als ihre Leiche am Wochenende hinter einem Marienaltar unter der frischen Schneedecke gefunden wird, deuten DNA-Spuren auf einen afghanischen Asylwerber hin, der bereits im Gefängnis gesessen ist. Die Wut der ansässigen Bevölkerung ist groß, allerdings ist Farwad Mahmoudi wie vom Erdboden verschluckt. Bald darauf wird ein Barfüßiger von einem Auto erfasst, der Tote muss aber bereits vor dem Unfall schwer misshandelt worden sein. Zwei Fälle, die aussichtslos erscheinen, denn niemand kann sachdienliche Hinweise liefern, keine einzige Spur führt zu irgendeinem Ziel.

Ein packender Krimi sorgt auf 560 Seiten für großartige Lesestunden und kurzweilige Unterhaltung. Nele Neuhaus schreibt überaus lebendig und vermag die Spannung von Anfang bis zum Ende hoch zu halten und den Leser völlig an die Handlung zu fesseln. Keine einzige Szene ist langweilig, keine Zeile zu viel. Die Kapitel sind übersichtlich auf die Ermittlungstage aufgeteilt, Schauplätze und Blickwinkel wechseln immer wieder ab und enden mit offenen Fragen, sodass der Sog sehr groß ist, stets weiter zu lesen.

Egal, ob man bereits vertraut ist mit dem Team vom K11 oder nicht, die Figuren sind bestens charakterisiert und werden mit wenigen Informationen über deren Privatleben zu ganz realen Menschen mit Stärken und Schwächen. Ihr Handeln wird aus dem Zusammenhang heraus glaubwürdig und authentisch, besonders dann, wenn sie in Gewissenskonflikten gefangen sind. Der Taunus mit seinen kleinen Dörfern, wo jeder jeden kennt und keine sprichwörtliche Leiche im Keller versteckt werden kann, bietet die perfekte Kulisse zu diesem Krimi, denn einerseits herrschen hier Zusammenhalt und Nachbarschaftshilfe, andererseits finden Gerüchte aber auch extrem schnell Verbreitung und säen Misstrauen unter den Bewohnern. Dieses knifflige Mit- und Gegeneinander herauszuarbeiten, gelingt Neuhaus spielend und überzeugend. Werden Missgunst und Argwohn siegen, kann es Gerechtigkeit geben – und wenn ja, dann wie? – das spielt für Pia Sander und Oliver von Bodenstein eine große Rolle und zieht sich wie ein roter Faden durchs spannende Geschehen.

Mich hat dieser Kriminalroman sofort gefesselt mit den phantastischen Ermittlern, die auf der Stelle treten und den gut ineinander verflochtenen Handlungssträngen, die immer dann wechseln, wenn es besonders aufregend ist. Ich spreche sehr gerne eine Leseempfehlung aus und rate dazu, genug freie Zeit einzuplanen, um „Monster“ ohne viele Unterbrechungen genießen zu können.

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Veröffentlicht am 14.11.2023

Vom Freund zum Feind

Die Weite des Horizonts
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Cara Biber verbringt die Sommer ihrer Kindheit in der Normandie, wo sie mit den Nachbarn unbeschwert spielt und sich schließlich in Nic Poulin verliebt. Im Jahre 1942 ist die junge Schwarzwälderin Wehrmachtshelferin ...

Cara Biber verbringt die Sommer ihrer Kindheit in der Normandie, wo sie mit den Nachbarn unbeschwert spielt und sich schließlich in Nic Poulin verliebt. Im Jahre 1942 ist die junge Schwarzwälderin Wehrmachtshelferin und wird just genau in dieses kleine Dorf, Pourville-sur-Mer, versetzt. Während Nic inzwischen nach Kanada ausgewandert ist und als Radar-Experte für die Engländer kämpft, wendet sich die frühere Freundin Isabelle konsequent von Cara ab. Aus Freunden sind Feinde geworden.

Mit ihrer unvergleichlichen Art zu schreiben, fesselt Noa C. Walker auch diesmal den Leser von der ersten bis zur letzten Seite an dieses aufregende Buch. In hervorragender Weise recherchierte historische Details und gut durchdachte romanhafte Handlungselemente verknüpft die Autorin fabelhaft zu einem großen Ganzen, das durch Glaubwürdigkeit und bewegende Emotionen besticht. Das Geschehen driftet dabei niemals in Belanglosigkeiten oder Oberflächliches ab, ganz im Gegenteil, haucht Walker ihren Figuren so viel Lebendigkeit ein, dass man reale Persönlichkeiten vor sich zu sehen meint. Die widerstreitenden Gefühle aller Protagonisten sind spürbar, niemand weiß, wem er noch vertrauen darf und wer welches Spiel spielt, um selbst zu überleben.

Rasch wechselnde Schauplätze und unterschiedliche Blickwinkel halten das Tempo hoch, genaue Angaben hierzu lassen stets den Überblick wahren, wo wir uns gerade befinden und wer im Mittelpunkt steht. So wird aus einem traurigen Kapitel unserer Geschichte ein spannender Roman mit tiefen Einblicken in so manche Entscheidung, welche aus heutiger Sicht fragwürdig erscheint, im Zusammenhang mit der damaligen Zeit jedoch durchaus verständlich beim Leser ankommt. Dazu trägt nicht zuletzt das ausführliche und informative Nachwort bei, welches dieses Buch bestens begleitet.

Ein wunderbarer Roman über Freund und Feind, Vertrauen und Verrat und die bedingungslose Liebe. Ein Buch, das man nur ungern aus der Hand legt, weil es die Vergangenheit nicht vergessen lässt und Mut und Zuversicht immer im Blick behält, seien die Zeiten auch noch so grausam. Wobei wirklich grausame Szenen ausgespart worden sind, sodass ich „Die Weite des Horizonts“ uneingeschränkt empfehlen kann! Fünf Sterne!

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Veröffentlicht am 13.11.2023

Ein Familiendrama

Hope's End
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Die Kranken- und Altenpflegerin Kit wird von ihrer Agentur an eine berüchtigte Adresse geschickt: im herrschaftlichen Anwesen der Familie Hope an der Felsküste muss sie sich um Lenora kümmern, die vor ...

Die Kranken- und Altenpflegerin Kit wird von ihrer Agentur an eine berüchtigte Adresse geschickt: im herrschaftlichen Anwesen der Familie Hope an der Felsküste muss sie sich um Lenora kümmern, die vor fast fünfzig Jahren ihre Eltern und ihre Schwester umgebracht haben soll. Aus Mangel an stichhaltigen Beweisen ist sie zwar nie vom Gericht verurteilt worden, sehr wohl aber von den Menschen, die hier in der Gegend leben. Mittlerweile sitzt sie im Rollstuhl und kann aufgrund mehrerer Schlaganfälle nur noch über die Tasten einer Schreibmaschine kommunizieren. Kit ist zwiegespalten: kann sie Lenora glauben, wenn diese ihre Unschuld beteuert oder betreut sie gerade eine eiskalte Mörderin? Und wie sieht es mit dem Personal aus im alten Familiensitz? Kann man diesem vertrauen? Schreckliche Geheimnisse drängen an die Oberfläche.

Flott der Schreibstil, spannend die Handlung – so wird der Leser sprichwörtlich an dieses Buch gefesselt, das durch die Beziehungen der Figuren untereinander punkten kann. Interessant sind dabei die Betrachtung von Kit, die aus der Ich-Perspektive erzählt und die immer wieder eingeflochtenen Schreibmaschinenseiten, welche Lenora unter größten Anstrengungen nach und nach füllt und damit in kleinen Puzzlestücken das Geschehen im Jahre 1929 preisgibt. Auch wenn Riley Sager sehr ausführlich auf alles eingeht, so fühlt sich dieser Psychothriller an keinem Punkt langatmig an. Im Gegenteil, ebenso wie Kit im Buch, weiß der Leser bald nicht mehr, was er glauben soll, wem er vertrauen darf. Der Familiensitz über den Felsen als Kulisse passt da hervorragend dazu, wenn der Sturm ums Haus heult und an den Fenstern rüttelt, wenn die alte Stiege nächtens knarrt und ein neuer Riss an der Wand entsteht aufgrund des instabilen felsigen Untergrunds.

Über viele Kapitel wird alles Wissenswerte dargelegt, werden die handelnden Figuren genau beleuchtet, aber dann geht es Schlag auf Schlag, ungeahnte Details aus der Vergangenheit werden aufgedeckt, unerwartete Wendungen sorgen für angehaltenen Atem. Selbst wenn die Verstrickungen am Ende schon fast zu viel scheinen, so ist die Auflösung doch gut gelungen und stimmig zu einem passenden Abschluss zusammengeführt. Der Nachsatz ist verblüffend und lässt den Leser staunend zurück – keinesfalls zu früh hier hinblättern!

Mir hat dieses Buch viele packende Stunden und beste Unterhaltung beschert. Sehr gerne empfehle ich Hope’s End weiter!