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Veröffentlicht am 27.06.2024

Die Justizministerin

Dunkler Abgrund
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Frisch zur Justizministerin gekürt, geht Clara Lofthus ganz in ihrem neuen Aufgabengebiet auf. Ihre Kinder jedoch, die achtjährigen Zwillinge Andreas und Nikolai, passen irgendwie nicht in ihren Tagesablauf ...

Frisch zur Justizministerin gekürt, geht Clara Lofthus ganz in ihrem neuen Aufgabengebiet auf. Ihre Kinder jedoch, die achtjährigen Zwillinge Andreas und Nikolai, passen irgendwie nicht in ihren Tagesablauf als Witwe und somit Alleinerziehende. Als die beiden spurlos verschwinden und nur ein Drohbrief im Haus liegt, will Clara ohne Hilfe der Polizei auf die Suche gehen, lediglich ihren Chauffeur Stian weiht sie ein.

Mit einem spannenden Prolog rund um die beiden Buben beginnt dieser Thriller, dann verliert sich die Handlung leider ein wenig im Politikeralltag von Clara und bringt im Laufe der Handlung Details über die Ministerin ans Licht, welche zwar an Teil Eins erinnern, aber hier ohne Kenntnisse der Vorgeschichte nicht ganz glaubwürdig beim Leser ankommen. Überhaupt bleibt Clara als Hauptfigur recht distanziert, was natürlich auch an ihrem Charakter liegt, aber etwas mehr an Emotionen wäre schön gewesen. Andererseits überrascht Lillegraven mit Wendungen, die nicht vorhersehbar sind und fesselt dadurch bis zur letzten Seite. Angenehm im Lesefluss sind auch die kurzen Kapitel, welche jeweils unterschiedliche Perspektiven aufzeigen und somit einen umfassenden Einblick ins Geschehen bieten. Dass mehrere Personen in der Ich-Form erzählen, ist nicht weiter störend, da dies immer gut gekennzeichnet ist.

Trotz einiger Schwächen – wie es bei Mittelteilen von Trilogien öfter vorkommt – handelt es sich um ein interessantes Buch, das ich all jenen empfehle, welche auch „Tiefer Fjord“ schon gelesen haben.

Veröffentlicht am 27.06.2024

Rasant

Hast du Zeit?
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Menschen verschwinden, Erwachsene dürfen das, sie müssen sich nicht bei Verwandten oder Freunden „abmelden“. Sofern keine Gefahr in Verzug ist, geht die Polizei den Vermisstenmeldungen auch nicht übermäßig ...

Menschen verschwinden, Erwachsene dürfen das, sie müssen sich nicht bei Verwandten oder Freunden „abmelden“. Sofern keine Gefahr in Verzug ist, geht die Polizei den Vermisstenmeldungen auch nicht übermäßig engagiert nach, es gibt wichtigere Delikte und Mangel an Personal.

Das Buch beginnt – sehr passend und atmosphärenreich – in einem Bestattungsinstitut. Ohne langes Vorgeplänkel wird der Leser einfach mitten ins Geschehen geworfen und ist ebenso ahnungslos, worum es geht, wie die Person, welche anfangs die Hauptfigur spielt. Unterschiedliche weitere Handlungsstränge werden in den folgenden Kapiteln eröffnet, der Zusammenhang ergibt sich erst im Laufe der Zeit. Das Tempo ist durchwegs hoch, die einzelnen Szenen spannend. Unterschwellig schwingt stets eine gewisse Beklemmung mit, welche Andreas Winkelmann gekonnt durch seinen flotten Schreibstil kreiert. Rasant geht es von einem Schauplatz zum nächsten, von einer wesentlichen Figur zur anderen. Was wie lauter Einzelteile wirkt, wird aber schlussendlich logisch und verständlich zusammengeführt, das ungewöhnliche Motiv bündelt alle losen Fäden zu einem passenden Ende. Unter den Figuren tut sich speziell Lars Erik Grotheer hervor mit seinem Jemand, der die Handlung perfekt abrundet.

Nicht allzu brutal, dafür mit steter Spannung, die einen nicht loslassen lässt – so empfinde ich diesen neuen Thriller von Winkelmann. Nach ausgezeichneten Lesestunden kann ich dieses Buch nur weiterempfehlen.

Veröffentlicht am 27.06.2024

Persönlich

Wisting und der ungewollte Verrat
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Eher zufällig kommt William Wisting zu einem Erdrutschunglück, wo er sich um erste Hilfestellungen kümmert. Am nächsten Tag steht fest: alle Bewohner konnten geborgen werden, Verletzte werden im Krankenhaus ...

Eher zufällig kommt William Wisting zu einem Erdrutschunglück, wo er sich um erste Hilfestellungen kümmert. Am nächsten Tag steht fest: alle Bewohner konnten geborgen werden, Verletzte werden im Krankenhaus versorgt. Aber dann kommt die große Überraschung: bei den Sicherungs- und Aufräumarbeiten wird eine Leiche gefunden, die nicht direkt mit dem Hangrutsch in Zusammenhang steht, denn Wisting entdeckt ein Schussloch am Opfer.

Zerstörte Häuser, verängstigte Menschen – ganz anders als üblich beginnt dieser Krimi mit einem Unglück, der Kriminalfall taucht erst später auf. Das Ganze ist dadurch aber um nichts weniger spannend, im Gegenteil, durch eine ganz persönliche Verstrickung Wistings in die Angelegenheit wird die Dramatik eher noch gesteigert. Der ansonsten sehr besonnene und klug agierende Kommissar steckt diesmal in einer Zwickmühle, ob seine Art der Problemlösung die richtige ist? Wer William Wisting bereits kennt, wird sich über dieses Wiedersehen freuen, das natürlich auch seine Tochter Line und seine Enkelin Amalie mit einschließt. Wisting als Ermittler und gleichzeitig als fürsorglichen Vater und Opa zu begleiten, bietet eine sehr schöne Sicht auf dessen Persönlichkeit und untermalt die Polizeiarbeit auf sehr angenehme Weise. Dazu kommt der wunderbar flüssige Schreibstil Jørn Lier Horsts, der den Leser von Anfang an mitnimmt und durchwegs fesselt bis zum gekonnt herbeigeführten Ende.

Realistische Szenen, gut vorstellbare Figuren, eine durchdachte Handlung – alles, was man von einem guten Krimi erwarten darf, bietet auch dieser spezielle Fall von „Wisting“. Ich habe mich bestens unterhalten und empfehle den „ungewollten Verrat“ daher sehr gerne weiter.

Veröffentlicht am 26.06.2024

Briten

Don't kiss Tommy. Eine Liebe in der Stunde Null
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Bad Oeynhausen, 1945: Nach kurzer amerikanischer Besatzung übernehmen die Briten die Herrschaft und errichten mitten im Kurort Bad Oeynhausen ihr Hauptquartier. Die bisherigen Bewohner werden kurzerhand ...

Bad Oeynhausen, 1945: Nach kurzer amerikanischer Besatzung übernehmen die Briten die Herrschaft und errichten mitten im Kurort Bad Oeynhausen ihr Hauptquartier. Die bisherigen Bewohner werden kurzerhand vor die Tür gesetzt und müssen bei Verwandten oder in Lagern unterkommen. Während Anne in eine primitive Baracke vor der Stadt zieht, marschiert ihre frühere Freundin Rosalie zu einem Bauernhof, wo sie gegen Mithilfe bei Stall- und Hausarbeit eine kleine Kammer und Kost bekommt. Während die eine gegen die britische Bevormundung aufbegehrt, versucht die andere, sich mit den Besatzern zu arrangieren.

In kurzen, übersichtlichen Kapiteln stellt Theresia Graw die Geschichte von Anne und Rosalie dar, verquickt historische Fakten mit romanhaften Elementen zu einem besonderen Ganzen. Von der ersten bis zur letzten Seiten herrscht spürbare Lebendigkeit, man erkennt das Herzblut der Autorin, welches in jeder einzelnen Zeile steckt. Detaillierte Recherchen lassen überaus realistische Szenen entstehen, die einem bisweilen den Atem stocken lassen über die Gräuel, welche auch nach dem Krieg noch zu erdulden waren – mit ein paar persönlichen Habseligkeiten sind die Oeynhausener aus den eigenen vier Wänden vertrieben worden, Hunger und Kälte nagen an den ohnehin geschwächten Menschen, jeder Tag gleicht einem Kampf ums Überleben. Anne und Rosalie stehen als Beispiel für Schicksale, welche sich so oder ähnlich zugetragen haben und erinnern auch heute noch an jene schreckliche Zeit. Aber auch die Briten sind hervorragend charakterisiert, insbesondere ihre Art zu sprechen ist sehr treffend wiedergegeben.

Mit viel Feingefühl und stilistischer Wertigkeit erzählt Theresia Graw vom Grauen und vom Hoffen, vom Verzagen und vom Kämpfen. Die Blickwinkel von Anne und Rosalie beleuchten unterschiedliche Herangehensweisen, wobei keine besser ist als die andere, jeder muss seinen Weg finden und für sich zurechtkommen. Sehr emotionale und berührende Augenblicke darf der Leser mit den beiden jungen Damen erleben, und auch heute noch denkt man beim Lesen immer wieder darüber nach, wie man wohl selbst in solchen Situationen gehandelt hätte.

Ich bin auch von diesem Roman aus der Feder Theresia Graws sehr ergriffen und werde den Nachhall noch länger in mir spüren. Ein hervorragendes Buch aus historischen Gegebenheiten und einer wunderschönen fiktiven Handlung, ich empfehle es sehr, sehr gerne weiter!

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Veröffentlicht am 26.06.2024

Hoffnung

Anna O.
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Hoffnung ist es, was Psychologe Dr. Benedict Prince wecken möchte, um eine Patientin aus ihren vierjährigen Schlaf zu holen. Er geht von einem Resignationssyndrom aus, das behandelbar ist. Allerdings steckt ...

Hoffnung ist es, was Psychologe Dr. Benedict Prince wecken möchte, um eine Patientin aus ihren vierjährigen Schlaf zu holen. Er geht von einem Resignationssyndrom aus, das behandelbar ist. Allerdings steckt er in einer Zwickmühle: denn wenn Anna O. zu Bewusstsein kommt, wird sie wegen Doppelmordes vor Gericht gestellt, immerhin ist sie mit einem blutigen Messer in der Hand aufgefunden worden, während ihre beiden Freunde tot im Blut gelegen sind. Aber ist sie überhaupt schuldig? War sie im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte? Oder war sie als Schlafwandlerin unterwegs?

Aus unterschiedlichen Blickwinkeln wird diese Geschichte erzählt, vorwiegend von Ben in der Ich-Form, der Rest aus Sicht eines neutralen Dritten. So wechseln die kurzen Kapitel rasch und fachen des Lesers Neugierde an. Was ist das Resignationssyndrom? Warum sind Schlafwandler nicht oder nur bedingt schuldfähig? Interessante Themen kommen zur Sprache, während das wichtigste natürlich unter den Nägeln brennt: was hat Anna in besagter Nacht getan?

Blakes Schreibstil ist flott und nimmt den Leser mit, die Figuren sind teilweise schwer durchschaubar und auch die Handlung selbst ist komplex. Leider wird es im letzten Drittel dann ein wenig langatmig, aber wo man sich im Grunde schon ein Ende erwartet, kommt nochmals Spannung auf mit überraschenden Wendungen - diese Auflösung habe ich keinesfalls vorhergesehen.

Das angesprochene Thema ist überaus interessant, wer Lesen ohne überschwängliche Dramatik und barbarisches Blutvergießen liebt, wird hier gut bedient sein.