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Veröffentlicht am 11.02.2023

Eine Leich' im Belvedere

Der Kuss des Kaisers
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Wien, Belvedere, im Jahre 1908: Erst wird eine abgehackte Hand im Brunnen gefunden, dann der Rest der Leiche, der Kopf jedoch bleibt unentdeckt und somit auch die Identität des Toten. Pospischil steht ...

Wien, Belvedere, im Jahre 1908: Erst wird eine abgehackte Hand im Brunnen gefunden, dann der Rest der Leiche, der Kopf jedoch bleibt unentdeckt und somit auch die Identität des Toten. Pospischil steht vor einem Rätsel, dessen Aufklärung hat allerdings höchste Wichtigkeit, residiert doch Thronfolger Franz Ferdinand mit seiner Familie im Oberen Belvedere, die keinesfalls mit solch scheußlichen Dingen konfrontiert werden soll. Außerdem steht in der Kunstsammlung des Unteren Belvedere die Ausstellung von Klimts neuestem Werk „Der Kuss“ unmittelbar bevor. Einen Skandal um eine zerstückelte Leich‘ kann also zurzeit niemand gebrauchen. Pospischil muss sehr diskret vorgehen und sich außerdem als ziviler Polizist gegen die Beamten des Hofstaates durchsetzen.

Mit interessanten Einblicken in die damalige Kunstszene beginnt dieser wunderbare historische Krimi rund um Pospischil. Klimt steht im Mittelpunkt des Interesses, soll doch viel Geld für den Ankauf seines jüngsten Gemäldes in die Hand genommen werden. Danach begegnet der Leser der Familie Kührer, der Vater ist arbeitslos, die Mutter verdient das Geld als Putzfrau im Belvedere und muss noch dankbar sein, dass ihr diese Stelle überhaupt vermittelt worden ist. Sehr anschaulich werden die handelnden Figuren in Szene gesetzt, schnell hat man die wichtigsten Personen vor Augen. Der Dialekt, welcher den Menschen immer wieder in den Mund gelegt wird, ist gut zu verstehen und rundet das Bild passend ab.

Christine Neumeyer versteht es, ein authentisches Wien lebendig werden zu lassen mit Pferdekutschen neben der neuen Elektrischen, die dem Polizeiagenten nicht recht geheuer ist, mit detaillierten Beschreibungen vom Schloss Belvedere, den blühenden Gartenanlagen und den kunstvollen Brunnen. Wer mit Pospischil, dem sympathischen Sechzigjährigen, schon vom Krimi „Der Offizier der Kaiserin“ vertraut ist, wird sich gut an ihn erinnern, alle anderen lernen ihn nun kennen mit seinem kriminalistischen Spürsinn, seiner Liebe zu Mensch und Tier und seiner Freude an kulinarischen Genüssen. Der junge Frisch an seiner Seite hat diesmal nur eine kleine Rolle inne, steht aber wieder für moderne Verfahren und zukunftsweisende Ermittlungsmethoden ein. Schließlich will er sein umfassendes Wissen noch um die Pathologie erweitern.
Detaillierte Recherche liegt diesem historischen Krimi zugrunde, viele interessante Einzelheiten flicht die Autorin gekonnt und ohne lange Abschweifungen in die Handlung ein, sodass man beim Lesen das Gefühl hat, in die Welt vor über hundert Jahren einzutauchen. Das Schicksal der Familie Kührer berührt ebenso wie jenes von Fürstin Sophie, Gattin von Franz Ferdinand. Nicht zuletzt steht Pospischils Schwester Gerti stellvertretend für starke Frauen im damaligen Wien. Vielfältig gestalten sich die Ermittlungsarbeiten quer durch alle Gesellschaftsschichten, falsche Fährten halten die Spannung hoch um dann am Ende eine völlig unerwartete Überraschung zu präsentieren. Verständlich und nachvollziehbar ist der Verlauf allemal.

Ein Buch mit Atmosphäre, Kunst und Mord – flüssig verfasst und fesselnd beim Lesen. Kurzum, alles, was ein guter Krimi braucht. Ich freue mich, falls Pospischil auf seine alten Tage noch einmal ermitteln sollte und schaue ihm und Assistenten Frisch gerne wieder über die Schulter.

Titel Der Kuss des Kaisers
Autor Christine Neumeyer
ISBN 978-3-7117-2136-5
Sprache Deutsch
Ausgabe Gebundenes Buch, 274 Seiten
ebenfalls erhältlich als ebook
Erscheinungsdatum 22. Februar 2023
Verlag Picus

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 10.02.2023

Kunst und Venedig

Rondo Veneziano
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Adele könnte ihre Wiener Zahnarztpraxis verkaufen und die Pension genießen. Aber was stellt man nur an mit so vielen freien Tagen? Mitten in ihre von Arbeit erfüllten Tage platzt der Wunsch der alten Familienfreundin ...

Adele könnte ihre Wiener Zahnarztpraxis verkaufen und die Pension genießen. Aber was stellt man nur an mit so vielen freien Tagen? Mitten in ihre von Arbeit erfüllten Tage platzt der Wunsch der alten Familienfreundin Pauline, dass die 60jährige, am liebsten mit ihrer Mutter gemeinsam, sie so rasch wie möglich in Venedig besucht. Die Wahltante braucht Hilfe mit ihren Gemälden. In der Lagunenstadt angekommen, trifft Adele zufällig auf zwei Schulkolleginnen und erfährt von einem Unglück, welches Pauline in der Zwischenzeit ereilt haben soll. Das Begräbnis findet schon morgen statt.

Ein Prolog, der Neugierde entfacht, Licht, Wasser, Tiefe, eine Stimme. Nach den Angaben des Klappentextes sind wir in Venedig und rasch will man als Leser mehr erfahren. Die Handlung selbst, die Susanne Ayoub auf knapp 300 Seiten darstellt, basiert auch auf einer interessanten Idee, die Umsetzung will aber nicht so recht überzeugen. Da treffen drei Frauen aus Wien auf einem Vaporetto aufeinander, haben sie sich früher schon nicht recht leiden können, so entschließen sie sich dennoch spontan, von einem Mord an Pauline auszugehen und gemeinsam deren Haus zu durchsuchen. Die Zahnärztin, welche sonst routiniert ihren Arbeitstag meistert, verwechselt plötzlich Patienten und ruft verzweifelt ihren Ex als Trostspender an, obwohl immer noch frühere Konflikte in der Luft hängen. Dass zwischendurch scheußliche Zahnbehandlungen erörtert werden, verdrängt man am besten schnell wieder. Auch wenn die drei 60jährigen lebensnah dargestellt werden, so passt die spontane Detektivgeschichte nicht so recht zu ihnen und auch an den Zeitabläufen hapert es, sodass man immer wieder einige Seiten zurückblättert, weil man meint, etwas überlesen zu haben.

Hervorzuheben sind der flüssige Schreibstil und die wunderschöne Beschreibung der Städte Wien und Venedig, in denen man sich sofort wiederfinden kann, egal, ob man schon einmal da war oder nicht. Auch die Themen Kunst und Genozid – nicht nur bei den Juden, sondern auch in der armenischen Gemeinde – sind interessant und verständlich in das Krimigeschehen eingeflochten. Wer gerne das Flair Venedigs genießt und die schöne Rahmenhandlung, der wird vielleicht hinwegsehen über die Ungereimtheiten, die sich da und dort eingeschlichen haben.

Diese Rezension basiert auf einem ebook-Exemplar, welches mir bereits vor dem Erscheinungstermin zur Verfügung gestellt worden ist. Möglicherweise ergeben sich daher noch Änderungen durch den Verlag.


Titel Rondo Veneziano
Autor Susanne Ayoub
ASIN B0BN68Y3VL
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook
ebenfalls erhältlich als Taschenbuch, 280 Seiten
Erscheinungsdatum 8. Februar 2023
Verlag Gmeiner

Veröffentlicht am 10.02.2023

Eltern

Enna Andersen und die verlorene Zeit
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Anna Johannsens Eltern sind vor vierundzwanzig Jahren ermordet worden. Als der Verurteilte Ronald Grothe aus der Haft entlassen wird und auf Wiederaufnahme des Verfahrens plädiert, nimmt Enna Urlaub und ...

Anna Johannsens Eltern sind vor vierundzwanzig Jahren ermordet worden. Als der Verurteilte Ronald Grothe aus der Haft entlassen wird und auf Wiederaufnahme des Verfahrens plädiert, nimmt Enna Urlaub und sucht privat nach dem wahren Mörder. Hat die Anwaltskanzlei etwas damit zu tun, in der Ennas Vater als Seniorpartner tätig war oder steckt einer seiner Mandanten hinter der lange zurückliegenden Tat? Gemeinsam mit ihrem eingespielten Team geht Ermittlerin Enna Andersen auf eine schwierige Spurensuche.

Einundvierzig übersichtliche Kapitel und ein Epilog schildern Ennas Suche nach der Wahrheit – ist Grothe tatsächlich unschuldig, wie er immer wieder beteuert oder führt er alle, samt Enna, hinters Licht? Ist es überhaupt möglich, nach so langer Zeit Informationen einzuholen? Ohne viele Umschweife steigt die Autorin ins Geschehen ein, bringt eine Menge Namen ins Spiel. Wer Andersen und ihr Team schon kennt, ist möglicherweise im Vorteil, aber auch ohne Vorkenntnisse bekommt der Leser bald ein Bild der empathischen Menschen, welche ihr neben den laufenden Ermittlungen stets Hilfe und Unterstützung für ihre persönlichen Nachforschungen zusichern. Dennoch bleibt mir gerade Enna selbst das ganze Buch hindurch seltsam fremd.

Der Fall ist verzwickt, weil so lange zurückliegend, sehr persönlich und geheim gegenüber Vorgesetzten. Die Spuren führen in unterschiedlichste Richtungen, sprunghaft geht es von Denunzierungen in der Nazizeit zu unzufriedenen Mandanten, von Gerüchten über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zu geheimen Waffenlieferungen. Nicht nur einmal scheint Enna Andersen kopflos und risikoreich, die fehlende Distanz lässt sie unvorsichtig werden, will sie doch nur eines – Gewissheit. Zwar kommt in diesen Szenen Spannung auf, sonst aber fehlt diese weitgehend und so plätschert das Ganze eher so vor sich hin, als dass es zu packenden Lesestunden kommt. Die Idee dahinter und die Vergangenheit der Anwaltskanzlei hingegen sind ausgesprochen interessant und stimmig. Insgesamt vergebe ich drei Sterne für Enna Andersen.

Titel Enna Andersen und die verlorene Zeit
Autor Anna Johannsen
ASIN B0B4JYGR1H
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (331 Seiten)
Erscheinungsdatum 21. Februar 2023
Verlag Edition M
Reihe Enna Andersen

Veröffentlicht am 09.02.2023

Für die Familie

Gut Erlensee - Margaretas Traum
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Nach dem Ersten Weltkrieg gerät die Druckerei der Lamprechts in Zahlungsschwierigkeiten, gleichzeitig schließen sich die Arbeiter zu einem Bund zusammen und fordern bessere Arbeitsbedingungen. Um eine ...

Nach dem Ersten Weltkrieg gerät die Druckerei der Lamprechts in Zahlungsschwierigkeiten, gleichzeitig schließen sich die Arbeiter zu einem Bund zusammen und fordern bessere Arbeitsbedingungen. Um eine Insolvenz zu vermeiden, soll die älteste Tochter Margareta einen reichen Mann heiraten – für die ganze Familie würde sich alles zum Guten wenden, nicht allerdings für Margareta selber, denn die liebt längst einen anderen. Wird sie sich für die Druckerei und die Ländereien des Gut Erlensee entscheiden oder für einen nicht standesgemäßen Verehrer?

Mit wunderbaren Bildern zeichnet Juliana Weinberg das Gut Erlensee und seine Bewohner, die Familie Lamprecht. Schnell hat man alles vor Augen und nimmt teil am Geschehen in den schicksalreichen Nachkriegsjahren. Mutter und Vater Lamprecht, deren vier Kinder im Alter von zwölf bis vierundzwanzig und die pfiffige Großmutter stellen einen abwechslungsreichen Mittelpunkt dar für diese unterhaltsame und sehr angenehm zu lesende Geschichte. Traditionen und gesellschaftliche Konventionen sind schön dargelegt, sodass man leicht mitfühlen kann mit Margaretas Dilemma, zwischen Liebe und Vernunft entscheiden zu müssen. Das Jahr 1919 als Hintergrund für Margaretas Traum ist gezeichnet durch Umbruch und Veränderung, Frauen dürfen erstmals wählen, aber gar nicht alle machen von ihrem Recht Gebrauch und Margareta scheint noch ein wenig gefangen zwischen Altem und Neuem. Juliana Weinberg schreibt erfrischend und unaufgeregt über eine spannende Zeit und wie unterschiedlich die Figuren hier mit dem Wandel umgehen, berührend sind die Szenen allemal.

Auch wenn es sich bei Gut Erlensee um eine dreiteilige Familiensaga handelt, kann jeder Band für sich alleine gelesen werden. Ich habe Teil Zwei rund um Cäcilia bereits gekannt und erst ein wenig später von Margaretas Träumen erfahren. Nichtsdestotrotz eine gute Entscheidung, auch dieses Buch gelesen zu haben – ich kann beide sehr empfehlen und freue mich bereits auf Nummer Drei: Marillas Schicksal.

Titel Gut Erlensee – Margaretas Traum
Autor Juliana Weinberg
ASIN B09GGCG35B
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (400 Seiten) und Hörbuch
Erscheinungsdatum 27. September 2022
Verlag HarperCollins
Reihe Das Gut am Erlensee, Band 1

Veröffentlicht am 06.02.2023

Ungerecht

Verschwiegen
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Nach einem Beziehungsende kehrt Elma zurück in ihr kleines isländisches Heimatdorf Akranes. Jeder kennt jeden, viel Außergewöhnliches wird sie hier als Polizistin im Gegensatz zu Reykjavik nicht zu tun ...

Nach einem Beziehungsende kehrt Elma zurück in ihr kleines isländisches Heimatdorf Akranes. Jeder kennt jeden, viel Außergewöhnliches wird sie hier als Polizistin im Gegensatz zu Reykjavik nicht zu tun haben. Denkt sie. Schon kurz nach ihrem Eintreffen wird eine tote Frau am Strand gefunden und es sieht nicht nach einem Unfall aus.

Ruhig und unaufgeregt erzählt Eva Björg Ægisdóttir diese unglaubliche Geschichte. Viele Personen und immer wieder neue Episoden lassen die Handlung anfangs kompliziert und undurchschaubar wirken, die isländischen Namen tun ihr Übriges dazu, zum Glück sind die Isländer herzlich und ungezwungen und sprechen einander mit „Du“ und Vornamen an. Die Autorin – selbst aus Akrane stammend – versteht es, Leute und Landschaft eindrücklich zu beschreiben, sodass man sich alsbald heimisch fühlt an Ort und Stelle. Dennoch hüten fast alle ein Geheimnis und es bereitet zunehmend Spaß, hinter die Kulissen zu sehen und nach und nach einzelne Puzzlestücke zusammenzutragen, obwohl es lange so aussieht, als würde sich jeder hinter tiefem Schweigen verbergen. Elmas Hartnäckigkeit und Gespür lassen sie in die richtige Richtung ermitteln und auch Fragen stellen, die sich hier in der Gegend „nicht gehören“, aber die mehrjährige Arbeit in Reykjavik mag ihr da so manche Scheu nehmen, während der alteingesessene Hördur wohl ein wenig voreingenommen sein könnte. Trotz allem sind die Kollegen auf der Polizeistation ein sympathisches Team, das recht unterschiedlich und doch recht effektiv an die Probleme herangeht.

Flüssig im Schreibstil und abwechslungsreich in der Abfolge der Kapitel mit Rückblenden in die 1990er-Jahre präsentiert sich dieser eher ruhige, aber dennoch fesselnde Krimi, der den Auftakt bildet zu einer neuen Serie. Lange gibt es grundlegende Informationen, bevor sich die Lage zuspitzt und sich etliche neue Erkenntnisse zu den Ermittlungen und auch Elmas Privatleben betreffend, herauskristallisieren. Nicht alles ist gerecht, so wie meist im Leben, aber durchaus realistisch und nachvollziehbar. Die Überraschungen im Buch sind der Autorin bestens gelungen.

Ich kann „Verschwiegen“ nur weiterempfehlen und freue mich sehr auf den nächsten Band.


Titel Verschwiegen
Autor Eva Björg Ægisdóttir
ASIN B0BJMYFGPD
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (368 Seiten) und Hörbuch
Erscheinungsdatum 12. Jänner 2023
Verlag Kiepenheuer&Witsch
Originaltitel Marrið í stiganum
Reihe Mörderisches Island
Übersetzer Freyja Melsted

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  • Handlung
  • Charaktere