Profilbild von clematis

clematis

Lesejury Star
offline

clematis ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit clematis über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 12.07.2023

Lieben heißt Loslassen

Mika im echten Leben
1

Die 16jährige Mika Suzuki entschließt sich schweren Herzens, ihre Tochter Penny zur Adoption freizugeben. Nichts wird ihr von ihrem Baby bleiben, lediglich einen hübschen Namen hat sie ausgesucht und einmal ...

Die 16jährige Mika Suzuki entschließt sich schweren Herzens, ihre Tochter Penny zur Adoption freizugeben. Nichts wird ihr von ihrem Baby bleiben, lediglich einen hübschen Namen hat sie ausgesucht und einmal pro Jahr bekommt sie von der Adoptivmutter einen Brief über Pennys Heranwachsen. Als Mika, inzwischen fünfunddreißig, einen Anruf mitten im Supermarkt entgegennimmt, meldet sich eine fremde Stimme: „Spricht dort Mika Suzuki? Hier spricht Penny. Penelope Calvin. Ich glaube, ich bin Ihre Tochter.“ Tatsächlich möchte das junge Mädchen seine leibliche Mutter kennenlernen und da Mika sich von einem Job zum nächsten hantelt, bei ihrer chaotischen Freundin zur
Untermiete wohnt und nur einen mit Drogen handelnden Ex hat, erfindet sie kurzerhand einen charmanten Partner, ein schickes Haus und eine moderne Kunstgalerie, die sie demnächst als Selbständige führen wird. Eine Katastrophe bahnt sich an, als Penny ihren Besuch ankündigt.

Witzig und ernsthaft zugleich geht es zu in diesem unterhaltsamen Roman. Mika steht im Mittelpunkt, in ihrer Rolle als Mutter, die ihr Baby weggegeben hat und als Tochter, welche von der eigenen Mutter kaum Anerkennung erfahren hat, ist sie einer Zerreißprobe ausgesetzt. Hat sie damals richtig gehandelt? Hätte sie ihrem Kind je ein guter Elternteil sein können oder sind die Adoptiveltern nicht viel besser geeignet, obwohl sie Weiße sind und Penny eine halbe Japanerin? „Wer bin ich?“ ist eine Frage, welche sich Mika und Penny gleichermaßen stellen, im Laufe der Ereignisse kommen sie einer Antwort in gewisser Weise näher.

Der Klappentext verrät ja schon einiges, trotzdem verläuft die Geschichte überraschend und entwickelt sich ganz anders, als ich es erwartet habe. Etliche Figuren erleben einen Wandel, der durchaus nachvollziehbar und realistisch dargestellt wird. Zudem versteht Emiko Jean es fabelhaft, auf die ernsthaften Themen Adoption, Beziehungen innerhalb der Familie oder (Un)Abhängigkeit einzugehen. Das Maß zwischen Unterhaltung und tiefergehendem Roman ist wunderbar getroffen, niemals spürt man einen erhobenen Zeigefinger, vielmehr erlebt man Mikas Gefühlswelt und wie sie mit ihren ureigenen Problemen umgeht. Sind es Alkohol, Drogen, schneller Sex, die negative Empfindungen betäuben sollen oder kann man anders seine Zukunft gestalten? Lieben heißt Loslassen. Weil Mika ihre Tochter stets geliebt hat, hat sie sich für eine bessere Zukunft für ihr Kind entschieden – und sie zu fremden Eltern gehen lassen. Was viele Jahre später passiert, erzählt diese spannende Geschichte.

Unverwechselbar und anders – so präsentiert Emiko Jean diesen lesenswerten Roman, der mir inspirierende Stunden beschert hat.


Titel Mika im echten Leben
Autor Emiko Jean
ASIN B0BK9WQ4RG
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (448 Seiten) und Hörbuch
Erscheinungsdatum 1. Juni 2023
Verlag dtv
Originaltitel Mika in Real Life
Übersetzer Charlotte Lungstrass-Kapfer

Veröffentlicht am 08.07.2023

Zeit der Prinzregenten

Fräulein Anna, Gerichtsmedizin (Die Gerichtsärztin 1)
1

Aus kinderreichem Hause, möchte Anna ihre Familie unterstützen und nimmt als gelernte Krankenschwester eine Stelle in der Münchener Gerichtsmedizin an, wo das eifrige und wissbegierige junge Fräulein trotz ...

Aus kinderreichem Hause, möchte Anna ihre Familie unterstützen und nimmt als gelernte Krankenschwester eine Stelle in der Münchener Gerichtsmedizin an, wo das eifrige und wissbegierige junge Fräulein trotz anfänglicher Skepsis bald gerne gesehen ist. Gleich die erste Leiche, vermeintlich eine Selbstmörderin, lässt Anna misstrauisch werden. Sie glaubt nicht, dass die Schauspielerin skandalöser Rollen selbst ins Wasser gegangen ist. Ähnlich denkt Reporter Fritz von Weynand, der seine Geschichten oft phantasievoll ausschmückt, um die Leserzahlen zu steigern. Gewitzt und hinterlistig beginnt er eine Freundschaft mit Anna, um an Hintergrundinformationen zu kommen.

Sofort fühlt man sich im München des Jahres 1912 angekommen, das Bild der Gesellschaft und der Politik ist klar gezeichnet, auch die wesentlichen Charaktere sind fein ausgearbeitet und spiegeln die Standesunterschiede zwischen den einfachen Arbeitern und den Adeligen wider. Hier die scheue graue Maus Anna, dort der Pfiffikus Fritz mit seinen erlauchten Freunden. Interessant ist die Handlung: Annas Leben und ihre Beweggründe, nach München zu gehen, um die Familie zu unterstützen. Schnell lebt sie sich in ihrem beruflichen Umfeld ein und gibt arglos Informationen an den Reporter weiter. Während durch die Selbstmordtheorie die polizeilichen Ermittlungen nicht fortgeführt werden, interessieren sich die beiden ungleichen Freunde Anna und Fritz auch Monate später noch für die tote Schauspielerin. Teils geht es um Nachforschungen, teils einfach um das gesellschaftliche Leben und die Politik vor dem ersten Weltkrieg, sodass Petra Aicher einen gelungenen Mix aus verschiedenen Bereichen liefert und für Abwechslung sorgt.

Vielleicht sind zuweilen die historischen Hintergründe ein bisschen zu ausschweifend erzählt, dennoch ist dieser erste Band rund um Anna und Fritz erfrischend, amüsant und unterhaltsam, das so unterschiedliche Duo sorgt für vergnügliche Lesestunden. Schön, dass alsbald eine Fortsetzung erscheint, die ich jedenfalls gerne lesen möchte.


Titel Fräulein Anna, Gerichtsmedizin, Die Prinzregentenmorde
Autor Petra Aicher
ASIN B09XFGKS4R
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (432 Seiten) und Hörbuch
Erscheinungsdatum 19. Dezember 2022
Verlag Ullstein
Reihe Die Gerichtsärztin, Band 1

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.07.2023

Sommer auf Lindö

Vielleicht der schönste Sommer
1

Adam, 20, hat keine Freunde mehr, dafür umso mehr Schulden. Verzweifelt, ohne Dach über dem Kopf, überlegt er, in ein Haus auf Lindö einzubrechen, als ihm ein offen stehendes Fenster ins Auge sticht. Nach ...

Adam, 20, hat keine Freunde mehr, dafür umso mehr Schulden. Verzweifelt, ohne Dach über dem Kopf, überlegt er, in ein Haus auf Lindö einzubrechen, als ihm ein offen stehendes Fenster ins Auge sticht. Nach einer Nacht im fremden Bett steht er plötzlich der 86jährigen Besitzerin Britta gegenüber. Diese will entgegen den Vorstellungen ihrer beiden Kinder auf jeden Fall den Sommer auf Lindo verbringen und die gemeinsame Zeit mit ihrer Freundin Iris genießen. Nach kurzem Überlegen bietet die entschlossene Pensionistin einen Handel an: Adam darf bei ihr wohnen bleiben, wenn er verschiedene Arbeiten in Haus und Garten übernimmt. Wenig begeistert von dieser Zwickmühle, nimmt der junge Mann jedoch an.
Eleonore Holmgren erzählt diesen Sommer auf Lindö abwechselnd aus Brittas und Adams Sicht, sodass jeweils die Perspektive von Alt und Jung beleuchtet wird. Der Leser lernt die beiden Hauptfiguren rasch gut kennen, die Autorin beschreibt sie sehr eingängig und detailliert. Dann jedoch plätschert die Handlung geraume Zeit so dahin, etliche ernste Themen werden angerissen, aber nicht vertieft, ein paar witzigere Episoden lockern die Sache ein wenig auf. Erst als sich Britta und Adam in einer gewissen Art und Weise annähern, werden auch für den Leser Gefühle und Emotionen deutlich spürbar. So gesehen spiegeln die Empfindungen die Handlung, das Verständnis von Britta und Adam füreinander, in passender Weise wider. Ausgesprochen gut ist somit die Entwicklung der Figuren im Laufe der Monate gelungen. Was ruhig beginnt, weckt immer mehr die Aufmerksamkeit und Neugierde beim Leser, sodass auch dieser einige schöne Stunden auf Lindö verbringen kann.
Fazit: eine Geschichte, die sich wie guter Wein im Laufe der Zeit immer besser entwickelt und mit einem stimmigen Ende abschließt.

Titel Vielleicht der schönste Sommer
Autor Eleonore Holmgren
ASIN B0BK9Y9MS5
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Gebundenes Buch (336 Seiten) und Hörbuch
Erscheinungsdatum 15. Juni 2023
Verlag dtv

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.07.2023

Raffiniert manipuliert

Josses Tal
1

Helen reist in ein abgelegenes norwegisches Tal, um hier Josef (Josse) zu treffen. Er ist es, der zum Kriegsende 1945 eine Postkarte versendet hat, die auch irgendwie mit ihrer Urgroßmutter Else zu tun ...

Helen reist in ein abgelegenes norwegisches Tal, um hier Josef (Josse) zu treffen. Er ist es, der zum Kriegsende 1945 eine Postkarte versendet hat, die auch irgendwie mit ihrer Urgroßmutter Else zu tun hat. Nun will Helen ein Stück Familiengeschichte erfahren.

Nach diesem kurzen Einstieg erzählt Josef von sich, dem aufkommendem Nationalsozialismus und der Judenverfolgung, die eigentliche Geschichte beginnt. Josef erlebt eine schwierige Kindheit, da er in den 1920er-Jahren unehelich geboren ist und offiziell kein Vater bekannt ist. Statt Liebe und Nähe von Mutter und Großeltern gibt es ständig Tadel und insbesondere vom Großvater häufig Schläge. Als die Familie in eine andere Gegend zieht, ist es Nachbar Wilhelm Reckzügel, der den Fünfjährigen unter seine Fittiche nimmt und ihm Aufmerksamkeit und Anerkennung schenkt. Allerdings kann das Kind nicht ahnen, dass der Mann in SA-Uniform recht eigennützige Beweggründe dafür hat: er nutzt schließlich Josef aus, um an Informationen über die Einwohner des Dorfes zu kommen. Voller Stolz erfüllt der mittlerweile fleißige Schüler alle Aufgaben, die Wilhelm stellt.

Angenehm klassisch aus Sicht des Erzählers im Präteritum, schreibt Angelika Rehse Josefs Erinnerungen nieder. Mit einfühlsamen Worten fließt die Schande des unehelichen Knaben aufs Papier und lässt den Leser mitbangen mit dem armen Kind. Das Schicksal scheint es gut zu meinen mit der Freundschaft zu Wilhelm, aber es braucht keine besonderen Fähigkeiten, um zu erkennen, dass der junge Mann in tadelloser Uniform bald geschickt führt und manipuliert. Eine aufwühlende Kindheit zwischen Angst vor dem Großvater, Distanz zu Mutter und Großmutter und dem freundlichen Interesse der Nachbarfamilie Reckzügel, wo er fast schon wie ein weiteres Kind aufgenommen wird, lässt Josef einige Jahre später in einen Zwiespalt geraten, denn er merkt selbst, dass da auch etwas anderes an Wilhelm ist, nicht nur ehrliche Freundschaft. Durch Josefs ganz persönliches Schicksal ist es auch für den Leser einfach, dessen Beweggründe nachzuvollziehen, die perfiden Strategien der überzeugten Nationalsozialisten und deren Macht über den Einzelnen zu verstehen.

Fesselnd und spannend wird eine Kindheit lebendig, wird Josefs Heranwachsen sehr glaubwürdig erzählt. Lediglich die Rahmenhandlung, in der Helen und ihre Urgroßmutter Else vorkommen, ist ein wenig dürftig ausgefallen. Auch in Josefs Erinnerungen an die damalige schreckliche Zeit spielt Else nur eine kleine Rolle, obwohl die Sicht des Widerstandes durchaus interessant wäre, schließlich ist es ja Helen, die das Unrecht an ihrer Urgroßmutter ans Licht bringen möchte.
Fazit: Angelika Rehse präsentiert einen atmosphärischen Roman über die Zeit des aufstrebenden Nationalsozialismus und erzählt sehr authentisch die Geschichte eines jungen Menschen, der auf seiner Suche nach Aufmerksamkeit in die Fänge gerissener und raffinierter Manipulation gerät. Ich gebe gerne eine Leseempfehlung für Josses Tal ab!



Titel Josses Tal
Autor Angelika Rehse
ASIN B0BTDB7WZT
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Gebundenes Buch (408 Seiten) und Hörbuch
Erscheinungsdatum 8. März 2023
Verlag Pendragon

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 29.06.2023

Verbrechen in der Vorstadt

Das Ende von Eden
1

Die junge Eden feiert mit Freunden, am nächsten Tag ist sie tot. Was fast unvorstellbar ist in der idyllischen Vorstadt Emerson, wird wahr, ein Verbrechen ist geschehen. Die Eltern der drei Freunde, welche ...

Die junge Eden feiert mit Freunden, am nächsten Tag ist sie tot. Was fast unvorstellbar ist in der idyllischen Vorstadt Emerson, wird wahr, ein Verbrechen ist geschehen. Die Eltern der drei Freunde, welche Eden zuletzt gesehen haben, unternehmen alles, um ihre Kinder von jeglichem Verdacht zu befreien. Dennoch deuten die Fakten bald auf einen Täter hin.

Interessant ist die Methode, Eltern und Bekannte erzählen zu lassen. So entsteht niemals eine direkte Sicht auf die Nacht, in der Eden sterben musste. Jedes Kapitel wird aus einem anderen Blickwinkel beleuchtet, sodass man als Leser erst einmal die Familien kennenlernt und dann deren Urteil zum Tod des Mädchens, das kurz vor dem Schulabschluss stand. Selbstverständlich können die etwas naive Hannah, ihr hitzköpfiger Freund Jack und der Außenseiter Christopher nichts mit der schrecklichen Tat zu tun haben, schließlich finden die Erwachsenen passende Alibis und sehen in den Charakterzügen der Jugendlichen keinen Hang zur Gewalt.

Stephen Amidon legt mit seinem klaren Schreibstil einen angenehm zu lesenden Kriminalroman vor, der sich mit Tatsachen auseinandersetzt, die nach und nach präsentiert werden. Gleichzeitig versuchen etliche Figuren, lang gehütete Geheimnisse zu wahren, um nicht in den Fokus der Polizei zu geraten. Bis zum Ende bleibt es spannend, wie die Wahrheit aussieht und ob diese überhaupt ans Licht kommt, denn wenn der Fall klar scheint, hören die Beamten auf, zu ermitteln und der Verhaftete wird vom Gericht verurteilt.

Hier stehen nicht die Kriminalisten im Vordergrund, sondern die Familien der vier jungen Freunde, deren Umgang mit dem Verbrechen und deren unbezwingbares Bestreben, jegliche Beteiligung nicht nur von sich zu weisen, sondern sogar eher noch den Verdacht auf die anderen zu lenken. Die Villen der Vorstadt gaukeln eine Idylle vor, die es so nicht gibt, ehrliches Interesse an der Wahrheit scheint ebenfalls nicht vorhanden zu sein. Ein interessanter Fall, der den Leser vom ersten bis zum letzten Kapitel sehr gut unterhält.

Titel Das Ende von Eden
Autor Stephen Amidon
ASIN B0BL6GKHPY
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, ebenfalls erhältlich als Taschenbuch (384 Seiten) und Hörbuch
Erscheinungsdatum 2. Mai 2023
Verlag Droemer