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Veröffentlicht am 22.08.2022

Umkehr des Schweigens?

Die Toten von Cork
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Mit Kindern und einer befreundeten Kollegin sucht Kriminalkommissar Markus Felchlin Erholung in der grünen Idylle Irlands. Ein abgeschiedenes Ferienhaus am Rande eines Sees dürfte dafür perfekt geeignet ...

Mit Kindern und einer befreundeten Kollegin sucht Kriminalkommissar Markus Felchlin Erholung in der grünen Idylle Irlands. Ein abgeschiedenes Ferienhaus am Rande eines Sees dürfte dafür perfekt geeignet sein. Allerdings scheint man Gäste hier nicht zu begrüßen: Schmierereien am Zufahrtstor und andere Unannehmlichkeiten trüben die gemütliche Ferienstimmung und Felchlin geht – einmal Polizist, immer Polizist – der Sache nach.

Mit einem etwas verstörenden Prolog und einem seltsamen Naturschauspiel beginnt dieser Kriminalroman, in dem so viel mehr steckt als ein unterhaltsamer Krimi. Unmittelbare Nähe vermittelt Gerlinde Michel, indem sie das Präsens als Zeitform wählt und ihre Botschaft in knappe, schnörkellose Sätze verpackt. So schafft die Autorin eine ganz spezielle Atmosphäre, welche immer wieder Gänsehaut und Sprachlosigkeit erzeugt. Gleichzeitig wahrt sie Distanz, indem die Hauptfigur fast durchgehend mit Nachnamen genannt wird. So wird ein tolles Spannungsfeld erzeugt, auf das sich der Leser vollkommen einlassen sollte. Denn was sich als überaus detaillierte Geschichte mit vielen Nebensächlichkeiten anlässt, entwickelt sich zu dramatischen Szenen, welche auf wahren Begebenheiten beruhen.

Rasch befindet man sich als Leser im Sog von Michels virtuoser Kunst, Reales mit Fiktivem zu verknüpfen, insbesondere die persönlichen Berichte, welche die Urlaubsidylle im County Cork immer wieder unterbrechen, verursachen zunehmend Gänsehaut. Auch wenn das Wissen um die zugrundeliegenden Verbrechen schrecklich ist, so darf dies niemals totgeschwiegen und vergessen werden.

In diesem Sinne finde ich die Metapher des Flusses mit zwei Fließrichtungen sehr gelungen: eine Umkehr des Schweigens, eine Umkehr zu Recht und Gerechtigkeit muss möglich sein. Danke an Gerlinde Michel, die mit diesem Kriminalroman ein Mahnmal verfasst und (nicht nur) die Toten von Cork in Erinnerung behalten lässt. Klare Leseempfehlung!



Titel Die Toten von Cork

Autor Gerlinde Michel

ISBN 978-3-89425-790-3

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 208 Seiten

Ebenfalls erhältlich als e-book und Hörbuch

Erscheinungsdatum 25. August 2022

Verlag Grafit

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Veröffentlicht am 21.08.2022

Morbides Wien

Fluch der Venus – Wiener Abgründe
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Nach dem Tod der Nobelprostituierten Fanni Matzner soll eine Obduktion stattfinden. Einer ihrer Freier will Gewissheit, woran sie gestorben ist. Aufgrund des Ergebnisses setzt Polizeipräsident Marx den ...

Nach dem Tod der Nobelprostituierten Fanni Matzner soll eine Obduktion stattfinden. Einer ihrer Freier will Gewissheit, woran sie gestorben ist. Aufgrund des Ergebnisses setzt Polizeipräsident Marx den Sonderermittler Leopold Kern ein, auch als Hurenpoidel bekannt. Schnell landet Leo bei alten Bekannten aus dem Milieu und gerät zwischen Freund und Feind.

Von Beginn an findet sich der Leser in einem perfekt zum Leben erweckten alten Wien im Jahre 1880 wieder. Ringstraße und Vorstadt, Prachtbauten, ärmliche Behausungen und Ecken des Elends entstehen mittels bildhafter Sprache und etlichen typischen Ausdrücken vor dem geistigen Auge des Lesers. Rasch ist man im Sog gefangen von hochrangigen Beamten, Grafen, Edelhuren und Geheimnissen. Ein jeder ist auf seinen Vorteil bedacht, niemand will irgendwo anstreifen. So ist es Marx unmöglich, offizielle Mordermittlungen einzuleiten; also muss Kern mit seinen Kontakten zum Milieu herhalten.

Düster und undurchsichtig ist die Atmosphäre im Buch, verstärkt wird das Ganze noch durch Kerns persönliches Schicksal, an dem er schwer zu tragen hat. Die Schreibweise Loraths, geprägt durch alte Wiener Ausdrücke, untermalt das besondere Flair zur damaligen Zeit, lässt gar Gerüche des Verderbens vernehmen und das schwere Parfum, welches alles überdecken soll. Ähnlich wie die Syphilis frisst sich das Unheil langsam aber stetig bis an die Oberfläche. Die Handlung ist geschickt komponiert und führt ohne Eile, dennoch stets interessant, durch verschiedenste Stationen. Es wird immer schwieriger, Freund von Feind zu unterscheiden, nicht nur für Leopold Kern, sondern auch für den Leser, der ja da und dort auch zusätzliche Einblicke bekommt.

Spannende Figuren, welche lebendig charakterisiert werden und Bilder der Zeit des Umbruchs in Wien lassen diesen Krimi zu einem besonderen Erlebnis werden, die Handlung im Rotlichtmilieu ist glaubwürdig und authentisch entwickelt. So darf der Leser auf weitere Fälle für Leopold Kern hoffen. Ich würde mich jedenfalls sehr freuen.



Titel Fluch der Venus - Wiener Abgründe, Peter Lorath

Autor Peter Lorath

ISBN 978-3-492-50626-7

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 360 Seiten

Ebenfalls erhältlich als e-book

Erscheinungsdatum 1. September 2022

Verlag Piper

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Veröffentlicht am 16.08.2022

Anonym

Der Gastgeber. Fühl dich wie zu Hause
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Programmiererin Nika hat einen falschen Pass und lebt in verschiedenen Airbnb-Wohnungen, ohne weiter aufzufallen oder gar Spuren zu hinterlassen. In einer neuen Wohnung angekommen, entdeckt sie verstörende ...

Programmiererin Nika hat einen falschen Pass und lebt in verschiedenen Airbnb-Wohnungen, ohne weiter aufzufallen oder gar Spuren zu hinterlassen. In einer neuen Wohnung angekommen, entdeckt sie verstörende Bilder mit Portraits von jungen Frauen, von denen ihr eine verblüffend ähnlich sieht.

Arne Garrit legt diesen Thriller raffiniert an. Über etliche Seiten lernt der Leser die gehetzt wirkende Nika und die strebsame, aber kaum durch Anerkennung verwöhnte Polizistin Rita Benesch kennen, weiß aber ziemlich lange nicht, worum es im Buch überhaupt geht. Die Szenen aus den Blickwinkeln der beiden Frauen sind in knappen Sätzen im Präsens abgebildet. Der Sog, der dadurch entsteht, fesselt den Leser an die Geschichte, welche erst allmählich Konturen annimmt. Insbesondere die Hauptfigur Nika bleibt bis zum Schluss ein wenig distanziert, was aber hier perfekt zur Geschichte passt, während Benesch eine bemerkenswerte Entwicklung durchlebt. Erst spät ergeben sich konkrete Zusammenhänge, wodurch die Neugierde immer wieder aufs Neue geweckt wird, noch schnell ein Kapitel, oder zumindest einen weiteren Unterabschnitt zu lesen. Etwas verwirrend, aber durchaus gewitzt, sind jene Details, welche aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt werden und wodurch klarerweise der zeitliche Ablauf da und dort ein wenig zurückgeschraubt wird. Die Aufmerksamkeit des Lesers ist jedenfalls gefordert. Welches Ende der Gastgeber bereithält, ist eine gelungene Überraschung, die überzeugend ins Puzzle passt.

Fazit: kurze Sätze, welche Tempo ins Spiel bringen und eine außergewöhnliche Geschichte mit zwei realistischen Frauen bilden ein solides Fundament für packende Lesestunden. Das Duo Peter Gallert und Jörg Reiter hinter dem Pseudonym Garrit hat hier eine ganz besondere Atmosphäre erschaffen. Gerne mehr davon!



Titel Der Gastgeber. Fühl dich wie zu Hause.

Autor Arne Garrit

ISBN 978-3-548-06593-9

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 384 Seiten

Ebenfalls erhältlich als e-book

Erscheinungsdatum 30. Juni 2022

Verlag Ullstein

  • Einzelne Kategorien
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  • Erzählstil
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  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.08.2022

Frauenschicksale

Die Köchinnen von Fenley
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„Manchmal braucht man eine Freundin, die einem vor Augen führt, wer man wirklich ist.“ (Audrey, kindle Pos. 4794)
Während des Zweiten Weltkriegs werden wichtige Lebensmittel knapp. Die BBC-Radiosendung ...

„Manchmal braucht man eine Freundin, die einem vor Augen führt, wer man wirklich ist.“ (Audrey, kindle Pos. 4794)
Während des Zweiten Weltkriegs werden wichtige Lebensmittel knapp. Die BBC-Radiosendung „The Kitchen Front“ soll den Frauen Ideen liefern, wie sie mit den kargen Angeboten durch Rationierungen dennoch schmackhaftes und nährstoffreiches Essen auf den Tisch zaubern können. Ein Wettbewerb wird ausgerufen, die Gewinnerin wird Co-Moderatorin der Sendung. Sogleich meldet sich die Kriegswitwe Audrey, die kaum weiß, wie sie mit ihren drei Burschen und der hohen Miete über die Runden kommen soll. Das Küchenmädchen Nell erhofft sich Freiheit aus der Knechtschaft am Gutshof. Ihre Herrin Gwendoline sucht nach Anerkennung, die sie in ihrer Ehe nicht bekommt und schließlich nimmt noch die bisherige Küchenchefin Zelda teil, die zeigen will, dass auch Frauen erfolgreich in der von Männern dominierten Gastronomie mithalten können.
Jennifer Ryan beleuchtet den Kochwettbewerb aus der jeweiligen Sicht der vier engagierten Frauen. Die Geschichte wird dadurch sehr lebendig und authentisch und legt unterschiedliche Lebensweisen dar. Mit ihrer ruhigen Schreibweise nimmt sie den Leser mit in eine duftende, aber auch teils abstoßende oder zumindest heute unvorstellbare Welt der Nahrungsmittel. Was man nicht kaufen kann, wird angebaut oder im Wald und auf dem Feld gesammelt. Insbesondere Audrey hat einen hervorragenden Wissensschatz angesammelt über wild wachsende Beeren, Pilze und Heilkräuter. Nell hingegen zeichnet sich aus durch ein außerordentliches Gespür für Aromen, Gewürze und ihre optimale Kombination, sodass auch weniger Schmackhaftes für Gaumenfreuden sorgt. Gwendoline versucht sich in ihrer Eigenschaft als Vortragende fürs Ministerium an Dosensardinen und Walfleisch, während Zelda sogar mit dem Schwarzmarkt liebäugelt, um köstliche Gerichte beim Wettbewerb zu präsentieren.
Viel Raum wird den Rezepten gewidmet, sodass man heute nur staunen kann, welch kreative Ideen in Zeiten der Not aufgekommen sind. Aber auch etliche andere Themengebiete wirft Ryan auf: Knechtschaft der Hausangestellten, die kaum auf Heirat und Freiheit hoffen durften, Kriegsgefangene, alleinerziehende Witwen, Flüchtlinge ohne Dach über dem Kopf, die Stellung der Frau und vieles mehr. So ist es kaum verwunderlich, dass die Autorin den Bogen schafft, aus vier Konkurrentinnen schlussendlich vier Freundinnen werden zu lassen, die gemeinsame Ziele verfolgen.
Alles in allem ist „Die Köchinnen von Fenley“ ein recht ruhiges, aber ausgesprochen interessantes Buch, das die Schicksale von so unterschiedlichen Frauen während des Zweiten Weltkriegs thematisiert und liebevoll, sowie empathisch in Worte fasst.

Titel Die Köchinnen von Fenley
Autor Jennifer Ryan
ISBN 978-3-462-00392-5
Sprache Deutsch
Ausgabe Taschenbuch, 512 Seiten
Ebenfalls erhältlich als e-book und Hörbuch
Erscheinungsdatum 6. Oktober 2022
Verlag Kiepenheuer & Witsch
Originaltitel The Kitchen Front
Übersetzer Pauline Kurbasik

Veröffentlicht am 15.08.2022

Gloria

Das 13. Kind aus St. Peter-Ording
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Schon zum dritten Mal innerhalb eines Jahres gilt es, im beschaulichen St. Peter-Ording einen Fall aufzuklären: ein pfiffiger Sechsjähriger ist spurlos verschwunden, seine Mutter verzweifelt. Die Angelegenheit ...

Schon zum dritten Mal innerhalb eines Jahres gilt es, im beschaulichen St. Peter-Ording einen Fall aufzuklären: ein pfiffiger Sechsjähriger ist spurlos verschwunden, seine Mutter verzweifelt. Die Angelegenheit ist brisant, da es fünf Jahre zuvor schon einmal eine Serie an Entführungen gegeben hat, von der jedoch, bis auf ein dreijähriges Mädchen, alle Kinder wieder aufgetaucht sind.

Eher gelangweilt begleitet die Tratsch-und-Klatsch-Journalistin Gloria ihren Mann in den Urlaub nach St. Peter-Ordnig. Immerhin leisten sie sich das exklusive Feriendomizil „Weiße Düne“, wenn es schon das öde Watt sein muss. Glorias Lebensgeister erwachen jedoch schlagartig, als sie ein Flugblatt über den vermissten Timo entdeckt. Rasch ist alle Langeweile erloschen und sie sie stürzt sich in Nachforschungen, nicht immer ganz zur Freude der ansässigen Kommissare, welche ohnehin schon den schrulligen Hausmeister Torge Trulsen inoffiziell an so manchem Fall mitarbeiten lassen.

Auch dieser Krimi aus der Feder Stefanie Schreibers besticht wieder durch ausgesprochen interessante Figuren und viel Wissenswertes rund um den beliebten Ferienort an der Nordsee. Abwechslungsreicher könnten die Ermittler und Hobbydetektive gar nicht sein, sogar ein namhafter Psychologe ist diesmal mit von der Partie und mischt das eingespielte Team gehörig auf. Wer die beiden Vorgängerbände kennt, wird hier seine helle Freude haben. Aber auch für Neueinsteiger sind die in sich abgeschlossenen Bände gut lesbar.

Der Schreibstil ist flüssig, die Kapitel werden aus unterschiedlichen Blickwinkeln erfasst, wodurch sich zeitliche Überschneidungen ergeben und so manche Szene doppelt – aber eben durch verschiedene Sichtweisen – erzählt wird. Da es diesmal um das Auffinden des sechsjährigen Timo geht, der nur schnell Eis holen wollte, ist dieses Buch natürlich besonders spannend. Jede Mutter, jeder Vater kann sich bestimmt schon an manchen Moment der Unaufmerksamkeit erinnern und Timos Mama hat den Kleinen noch selbst ermutigt, zum Kiosk über die Brücke zu laufen. Die Gefühle von Angst und Verzweiflung sind somit spürbar und lebhaft nachzuvollziehen.

Auch diesmal schafft es Stefanie Schreiber wieder, ein brisantes Thema in eine nette Geschichte zu verpacken, sympathische und nervende Figuren nebeneinander zu stellen und am Ende eine passable Lösung zu präsentieren. Gute Krimi-Unterhaltung vor idyllischer Urlaubskulisse.



Titel Das 13. Kind aus St. Peter-Ording

Autor Stefanie Schreiber

ISBN 978-3-9866005-8-7

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 308 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook und Hörbuch

Erscheinungsdatum 31. Mai 2022

Verlag Kampenwand

Reihe Torge Trulsen und Charlotte Wiesinger – Kriminalroman 3