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Veröffentlicht am 29.07.2022

Im Spiegel der Vergangenheit

Elternhaus
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Eine alte Villa in Hamburg hat es dem charismatischen Barpianisten Tobias Hansen angetan. Gerne parkt er nach seinen Vorstellungen noch vor dem knorrigen Haus und schaut auf die dunklen Erker und windschiefen ...

Eine alte Villa in Hamburg hat es dem charismatischen Barpianisten Tobias Hansen angetan. Gerne parkt er nach seinen Vorstellungen noch vor dem knorrigen Haus und schaut auf die dunklen Erker und windschiefen Fensterläden. Alsbald zieht Familie Winkler in den renovierungsbedürftigen Kasten ein und Hansen sucht als Klavierlehrer deren Nähe. Niemand ahnt, warum er gerade den vier Winkler-Kindern Musikunterricht geben will.

Sehr ruhig startet Jennifer Mentges diesen Thriller. Verschiedene Figuren werden vorgestellt, die Zusammenhänge bleiben über etliche Kapitel im Verborgenen. Während die Handlung erst allmählich in Gang kommt und die Spannung sich recht langsam aufbaut, besticht von Anfang an die klare Charakteristik der Personen. Schnell lernt der Leser die wenigen wesentlichen Menschen kennen. Was unklar bleibt: was fesselt Tobias Hansen tatsächlich so sehr an diesem alten Haus, das sowohl finanziell als auch von der Größe her „mindestens drei Nummern zu groß“ für ihn ist? Im Gegensatz zu den anderen scheint er schwer durchschaubar, wiewohl recht früh in der Geschichte so manches vorhersehbar wird aufgrund versteckter Details, die da und dort preisgegeben werden. Zwischen die abwechslungsreichen Szenen aus unterschiedlichen Blickwinkeln gibt es schicksalhafte Zeilen aus den 1970er und -80er-Jahren. Schließlich fügt sich die Vergangenheit wie ein fehlendes Puzzlestück in die Gegenwart.

Insgesamt ein Buch, das erst nach und nach an Spannung und Knistern gewinnt. Der Aufbau ist logisch und durchdacht, die Sprache überaus angenehm und stellenweise poetisch: „Sie würde nicht das Glück der anderen im Sonnenschein mit ansehen müssen, denn niemand war so allein wie der Einsame bei gutem Wetter.“ [kindle, Pos.1847] „Die Nacht hatte bereits vom Schlaf verklebte Lider.“ [kindle, Pos.2911].

Ein Buch für Thrillerfreunde, die es lieber unblutig wollen.



Leseprobe: https://www.fischerverlage.de/buch/jennifer-mentges-elternhaus-9783104905389



Titel Elternhaus

Autor Jennifer Mentges

ISBN 978-3-651-02555-4

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 416 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook (1. Juli 2022)

Erscheinungsdatum 10. August 2022

Verlag Fischer Scherz

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 28.07.2022

Helden ihres Lebens

Die Freundinnen vom Strandbad (Die Müggelsee-Saga 2)
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Berlin, 1961: Clara kann in den Westen fliehen, Martha und Betty bleiben im Osten zurück. Völlig im Ungewissen, wie es Clara geht, ob sie verhaftet oder gar erschossen worden ist, entwickelt sich auch ...

Berlin, 1961: Clara kann in den Westen fliehen, Martha und Betty bleiben im Osten zurück. Völlig im Ungewissen, wie es Clara geht, ob sie verhaftet oder gar erschossen worden ist, entwickelt sich auch deren Leben in ganz unterschiedliche Richtungen. Betty versucht sich anzupassen, während Martha immer mehr den Protest wagt. Wie wird sich das auf die Freundschaft auswirken?

Nahtlos knüpft Band 2 der Müggelsee-Saga an den Vorgänger an. Claras Flucht wird auf bewegende und beängstigende Weise beschrieben. Nicht minder aufregend geht es im Osten weiter; den Verhörmethoden und Versuchen, Menschen zum Spionieren zu bewegen, ist schwer zu widerstehen. So mancher verliert den Kampf oder gar sein Leben. Sehr gut recherchiert und absolut glaubwürdig wird das Leben diesseits und jenseits der Mauer geschildert. Einfühlsam und mit ein wenig Melancholie zeichnet Julie Heiland ein grandioses Bild der unterschiedlichen Welten in den Jahren 1961 – 1990. Trotz aller Verluste, Trauer und Zorn bleibt aber immer ein gerüttelt Maß an Zuversicht, welche die drei jungen Frauen auf ihren Wegen begleitet.

Übersichtliche Kapitel mit Namen und Jahreszahl führen spannend und fesselnd durch die Jahre, begleiten die drei Freundinnen durch schwierige Zeiten, in denen alles auseinanderzubrechen droht. Familie oder Karriere, Hausmütterchen oder Berufsleben, Anpassung oder Protest? Viele Fragen werden gestellt, Richtungen eingeschlagen und Weichen verändert. Zum Glück gibt es fast immer eine Wahl, auch wenn es nicht leicht fällt.

Die Schicksale von Clara, Betty und Martha werden anhand ihres Alltags überaus plastisch beschrieben, als Leser kann man sich die Szenen bildlich vorstellen, schmunzeln, staunen, Angst verspüren. Der Kontrast zwischen Ost und West ist gut gelungen, nicht alles ist unbedingt auf einer Seite besser Was vermittelt ein Gefühl von Heimat und Geborgenheit? Nylonstrümpfe und Dosenpfirsiche oder der kratzige Wollstoff des abgetragenen Kleides? Sehr gut zeigt die Autorin in diesem Buch, worauf es im Leben wirklich ankommt, wie wichtig Freunde und Rückhalt in der Familie sind.

Fazit: eine wunderschöne Zeitreise in die Jahre „hinter der Mauer“ …



Titel Die Freundinnen vom Strandbad, Wogen der Freiheit

Autor Julie Heiland

ISBN 978-3-548-06560-1

Sprache Deutsch

Ausgabe Flexibler Einband, 592 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook

Erscheinungsdatum 28. Juli 2022

Verlag Ullstein

Reihe Die Müggelsee-Saga, Band 2

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.07.2022

(Un)Schuld

Die karierten Mädchen
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Klara ist über neunzig und blickt auf ein ereignisreiches Leben zurück. Vieles hat sie mit ihrem Mann Gustav und ihren vier Kindern geteilt, einiges jedoch hat sie über all die Jahrzehnte tief in sich ...

Klara ist über neunzig und blickt auf ein ereignisreiches Leben zurück. Vieles hat sie mit ihrem Mann Gustav und ihren vier Kindern geteilt, einiges jedoch hat sie über all die Jahrzehnte tief in sich verborgen. Nun spricht sie, mittlerweile blind, ihre Erinnerungen auf Tonbandkassetten. Sie erzählt von ihrer Zeit als Lehrerin im Kinderheim Oranienbaum, von der immer schwieriger werdenden finanziellen Lage, einem jüdischen Säuglingsmädchen, das in ihrer Erziehungsanstalt abgegeben worden ist, von den Nazis, welche das Haus in ein ländliches Frauenbildungsheim verwandeln wollen und darüber, wie sie Gustav kennengelernt hat.

In unregelmäßigem Wechsel schildert Alexa Hennig von Lange die Situation der alten Dame, wie sie ihre Kassetten bespricht oder in Erinnerungen schwelgt und Kapitel, welche ab 1929 datieren. Als Vorlage für Klaras Lebensgeschichte dienen die Erlebnisse ihrer eigenen Großmutter, die sie als diszipliniert und streng beschreibt. Aufgrund dieser Eigenschaften bleibt leider auch Klara im Roman sehr distanziert und oberflächlich. Die Autorin beschreibt zwar ihre Zuneigung zu ihrer Familie und zu ihrer Kollegin und Freundin Susanne, aber immer wieder drängt sich hier das Gefühl auf, dass es sich (auch) um Pflichtbewusstsein oder Eigennutz handelt. Im Grunde ist Klara eine strebsame Einzelkämpferin, die entschieden für ihr Vorwärtskommen eintritt, selbst wenn es dafür mit den Nazis zusammenzuarbeiten heißt. Wenig interessiert an Politik, merkt sie erst spät, wo sie da hineingeraten ist.

Die starre Vorlage der Kassettenaufzeichnungen führt leider zu einer eher langatmigen Szenenabfolge anstelle einer aufregenden Romanhandlung. Insbesondere fehlen mir nahegehende Gefühle und Gewissenskonflikte, möglicherweise aber war die Dame tatsächlich so streng und kühl wie ihr starrer Dutt am Hinterkopf? Dann hätte ein wenig Fiktion, gemischt mit der Realität, ein bisschen Schwung ins Geschehen bringen können.

Natürlich ist es im Nachhinein einfach, zu urteilen, aber die Naivität und politische Interessenlosigkeit von Klara ist schon bemerkenswert. Und schließlich stellt sich die Frage, was Hennig von Lange mit diesem Buch bezwecken will. Soll das reale Leben der 1930er-Jahre abgebildet werden oder ist es ein Versuch, die Großmutter zu entlasten? Ich habe mir vom Beginn dieser Trilogie mehr erwartet …



Titel Die karierten Mädchen

Autor Alexa Hennig von Lange

ISBN 978-3-8321-8168-0

Sprache Deutsch

Ausgabe Gebundenes Buch, 368 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook

Erscheinungsdatum 2. August 2022

Verlag Dumont

Band 1 einer Trilogie

Veröffentlicht am 24.07.2022

Tee aus Japan

Der Duft der Kirschblüten
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„Der Tee in ihrer Schale wurde zu einem jadegrünen Meer, und sie tauchte in seine Tiefe, bis an den Grund, wo von den Wellenbewegungen an der Oberfläche nichts mehr zu spüren war und vollkommene Stille ...

„Der Tee in ihrer Schale wurde zu einem jadegrünen Meer, und sie tauchte in seine Tiefe, bis an den Grund, wo von den Wellenbewegungen an der Oberfläche nichts mehr zu spüren war und vollkommene Stille und Frieden herrschten.“ (kindle, Pos. 2668)

Clara Winterfeld ist vierundzwanzig, als ihr Vater aufgrund gesundheitlicher Probleme sein Teehaus nicht mehr uneingeschränkt leiten kann. Da es im Berlin der 1870er Jahre nicht anders möglich ist, bleibt der Schein nach außen gewahrt, während Clara sich im Hintergrund um Rechnungen und Bestellungen kümmert. Um das Familienunternehmen auch längerfristig abzusichern, willigt sie in die Heirat mit ihrem Freund Franz aus Kindertagen ein. Er ist als Ziegelfabrikant eine „gute Partie“ und Claras Familie seit vielen Jahren verbunden. In Wirklichkeit jedoch empfindet Clara keine Liebe, ja nicht einmal mehr Zuneigung für ihn, sondern schwärmt für den Japaner Akeno, der auf seiner Handelsreise durch Europa auch im Hause Winterfeld seine fremdartigen Teesorten vorgestellt hat.

Mit einer sehr angenehm zu lesenden, warmherzigen Schreibweise erzählt Rosalie Schmidt diese Geschichte aus Claras Sicht. Schnell ist man als Leser angekommen in Berlin und im neunzehnten Jahrhundert. Die Wohn- und Arbeitsverhältnisse werden ebenso bildhaft vorgestellt wie die sozialen Normen und die Stellung der Frau. Die Industrialisierung im Gegensatz zur Armut zeigt sich deutlich. Die Winterfelds haben Glück gehabt und sich mit ihrem Teesalon etabliert. Mit dem Ziegelfabrikanten Franz Casper oder dem Großhändler Hannes Stargard können sie dennoch bei Weitem nicht mithalten. So sieht sich Clara gezwungen, im Sinne des Unternehmens zu heiraten, obwohl sie immer schon nach Freiheit und nach Wissen dürstet.

Liebevoll beschriebene Charaktere, manchmal vielleicht ein wenig zu schwarz-weiss gezeichnet, begleiten Clara auf ihrem spannenden Weg und bezaubern beim Lesen. Man spürt, wie sie schwankt zwischen Konventionen und persönlichen Vorstellungen, zwischen dem Wohl der Familie und ihren eigenen Wünschen. Was ist richtig, was ist falsch, was gehört sich, wie weit darf man abweichen? Zwischen den Szenen dieses großartigen Sittenbildes finden sich ausführliche Beschreibungen unterschiedlichster Teesorten samt Zubereitung und interessante Einzelheiten zu Japans Öffnung, was Handelsbeziehungen betrifft. Das elterliche Teehaus der Autorin hat hier wohl einen prägenden Eindruck hinterlassen. Der Duft von frisch gebrühten Blättern steigt fast wohltuend aus den Seiten auf.

Fazit: Die Idee, eine geschäftstüchtige junge Frau voller Träume und Ideen gegen die Konventionen ihrer Zeit ankämpfen zu lassen, vermischt mit neuen Teesorten aus Japan und einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte, ist überaus gut gelungen. Ich freue mich jedenfalls schon auf den nächsten Band, der hoffentlich alle offenen Fragen beantwortet und möglicherweise ein wenig mehr über Japan erzählt.



Titel Der Duft der Kirschblüten

Autor Rosalie Schmidt

ISBN 978-3-423-22016-3

Sprache Deutsch

Ausgabe Flexibler Einband, 448 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook und Hörbuch

Erscheinungsdatum 20. Juli 2022

Verlag dtv

Reihe Die Kirschblüten-Saga, Band 1

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.07.2022

Wolken der Vergangenheit

Schattenwald
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Für die begeisterte Basketballspielerin Sara startet die neue Saison mit einigen Überraschungen. Der angekündigte Trainerwechsel wird noch einmal abgeändert, eine neue Spielerin, die früher schon einmal ...

Für die begeisterte Basketballspielerin Sara startet die neue Saison mit einigen Überraschungen. Der angekündigte Trainerwechsel wird noch einmal abgeändert, eine neue Spielerin, die früher schon einmal dabei war, dribbelt stark ins Team und scheint insbesondere Sara gegenüber feindlich eingestellt zu sein. Das sonderbare Gefühl, dass Sara beschleicht, kann sie aber nicht recht einordnen. Auch andere Phänomene, wie die Angst vor dem Wald am Lübecker Stadtrand oder die einsame Lebenswelt mit ihrer Mutter sind nur diffus und verwundern Sara erstmals nicht. Aber mit der Geburtstagskarte vom Vater aus Stockholm kommen allmählich Zweifel auf. Wer kann das sein? Denn Mutter Eva spricht immer von einem schweren Unfall, bei dem Vater Jon vor vielen Jahren ums Leben gekommen sei.

Ruhig und eher nüchtern, ohne viel Firlefanz, schildert Katrin Faludi Sarahs Geschichte in zwei großen Abschnitten – Teil 1 in Lübeck, Teil 2 in Stockholm. Über detaillierte Beschreibungen des Alltages lernt der Leser Sara, ihre Freundin Caro und die eher zurückgezogene Mutter Eva so gut kennen, als ob sie Nachbarn wären. Insbesondere dem Basketballspiel, Saras Lebenselixier, wird viel Bedeutung zugemessen, bahnt sich doch hier eine Tragödie an, die Sara zwar unbewusst spürt, aber real nicht einordnen kann. Zwischen den einzelnen Schul- und Trainingsszenen fließen immer wieder Gedanken oder Träume ein, die etwas andeuten, ohne jedoch konkret zu werden. Insbesondere ab der Glückwunschkarte merkt aber auch Sara selbst, dass mit ihrer Vergangenheit irgendetwas nicht stimmt. Wie soll sie bloß an Informationen kommen, wenn ihre Mutter die Nachfragen mit knappen Sätzen abwürgt?

Der Wechsel zwischen Teenagerleben und düsteren Illusionen ist es, was dieses Buch so interessant werden lässt. Für einen Thriller lange eher unspektakulär, baut sich genau dadurch aber eine unterschwellige Spannung auf, die dann im zweiten Abschnitt in Stockholm deutlich zunimmt. Ebenso wie Sara, weiß man als Leser bald gar nicht mehr, wem man vertrauen kann, wer auf welcher Seite steht. Und hier kommt Gottvertrauen ins Spiel. Wie schaffen andere es, mit ihren Ängsten, Verlusten und gar mit Schuld umzugehen? Was kann Sara lernen, wie funktioniert Vergebung? Geschickt schafft Faludi den Spagat zwischen Thriller und Glauben, ohne Andersdenkende zu überrumpeln oder bekehren zu wollen. Interessante Bibelzitate und Bewältigungsstrategien fließen passend in den Text ein und regen zum Nachdenken an. Was, wenn man selber Ähnliches erlebt hätte? Wie reagiert man am besten? Das scheint mehr als schwierig zu sein und nach etlichen falschen Fährten gibt es schlussendlich auch eine überraschende und überaus zufriedenstellende Auflösung.



Titel Schattenwald

Autor Katrin Faludi

ISBN 978-3-95734-922-4

Sprache Deutsch

Ausgabe Fester Einband, 432 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook

Erscheinungsdatum 24. Mai 2022

Verlag Gerth Medien