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Veröffentlicht am 20.07.2021

Hexen und die beginnende Neuzeit

Die Puppenspieler
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Der 12jährige Richard lebt mit seiner Mutter im schwäbischen Wandlingen und fällt durch seine Wissbegierde und rasche Auffassungsgabe in der Klosterschule auf. Als nach der Herausgabe des Malleus Maleficarum, ...

Der 12jährige Richard lebt mit seiner Mutter im schwäbischen Wandlingen und fällt durch seine Wissbegierde und rasche Auffassungsgabe in der Klosterschule auf. Als nach der Herausgabe des Malleus Maleficarum, des Hexenhammers, Dominikanermönche ans Kloster kommen, nimmt das Schicksal seinen Lauf. Zobeida, Richards Mutter, ist als Sarazenin zwar angepasst und zum Christentum übergetreten, dennoch wird sie als Hexe angeklagt und vor Richards Augen auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Der Junge wird von seiner Tante Sybille freundlich im Hause der Fugger aufgenommen und erhält in Augsburg eine fundierte Ausbildung beim einflussreichsten Kaufmann Jakob Fugger. Bald kann Richard eine wichtige Funktion für die Kaufmannsfamilie in Florenz und Rom einnehmen, wo Medici und Borgia den Ton angeben. Das Thema Hexen hat Richard aber nie vergessen.
Mit einem grandiosen, wenn auch grausamen Abschnitt steigt Tanja Kinkel in dieses Epos ein, sofort nimmt sie mit klaren und bildhaften Beschreibungen den Leser gefangen und zeichnet insbesondere mit Richard und Zobeida zwei recht sympathische Figuren. Auch sonst sind sämtliche Szenen sehr lebendig und anschaulich dargestellt, sodass man sofort eintaucht in eine fremde Welt. Der folgende Abschnitt mit der Kaufmannsfamilie Fugger ist ebenso interessant und abwechslungsreich, während die Zeit in Italien geprägt ist von eher allgemeinem Zeitgeschehen, von Kirche und Kunst und Richard ein wenig zu sehr in den Hintergrund rückt mit seinem Ansinnen, nachzuweisen, Hexen gäbe es nicht. Die Geschichte rund um die Hauptfigur Richard verliert somit speziell im Mittelteil immer mehr an Spannung, die gerade zu Beginn so fesselnd und einnehmend ist. Nichtsdestotrotz sind die Figuren ausgezeichnet charakterisiert und spiegeln die Zeit des Aufbruchs insgesamt sehr deutlich wider.
Wünschenswert wäre ein Personenverzeichnis mit Hinweisen auf historische Figuren, in die sich Richard als fiktiver Hauptdarsteller ausgezeichnet einfügt.
„Die Puppenspieler“ ist besonders empfehlenswert für jene Leser, die nicht nur eine erfundene Handlung verfolgen wollen, sondern auch Interesse zeigen für die historischen Ereignisse der frühen Neuzeit.


Titel Die Puppenspieler
Autor Tanja Kinkel
ASIN B0916787JD
Sprache Deutsch
Ausgabe ebook, 2607 KB
ebenfalls erhältlich als Druckausgabe und Hörbuch
Erscheinungsdatum 1. April 2021
Verlag dotbooks

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Veröffentlicht am 11.07.2021

Bester Freund

Die Verlorenen
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Jonah Colley, von der Spezialeinheit der Londoner Polizei, erhält einen verzweifelten Anruf von seinem ehemals besten Freund, mit dem er aber zehn Jahre lang keinen Kontakt mehr pflegte. In einer verlassenen ...

Jonah Colley, von der Spezialeinheit der Londoner Polizei, erhält einen verzweifelten Anruf von seinem ehemals besten Freund, mit dem er aber zehn Jahre lang keinen Kontakt mehr pflegte. In einer verlassenen Lagerhalle soll ein Treffen stattfinden. Hier entdeckt Jonah jedoch seinen toten Freund neben anderen in Folie gewickelten Leichen, gleich menschlichen Kokons und wird selber brutal zusammengeschlagen. Ein Zusammenhang mit dem Serienkiller Owen Stokes, der möglicherweise auch mit dem Verschwinden von Jonahs Sohn vor einem Jahrzehnt zu tun hatte, kann nicht ausgeschlossen werden.

Spannend verfasst, nimmt einen die Geschichte sofort gefangen und entfacht Neugierde, mehr über Jonah Colley zu erfahren. Der nächtliche Ausflug an den einsamen Kai ist aufregend geschildert, die grauenhaften Bilder reihen sich zu einem schrecklichen Film im Kopf aneinander. Allerdings verschwimmen dann unterschiedlichste Handlungsstränge ineinander und tun der Glaubwürdigkeit doch einen gewissen Abbruch. Auch wenn Jonah Colley seien Sohn verloren hat, so benimmt er sich oftmals ganz und gar nicht wie ein halbwegs professioneller Polizist, seine Vorgehensweise ist immer weniger nachvollziehbar. Genauso ergeht es mir mit der Handlung und dem Motiv selber: obwohl der Autor überraschende Wendungen bereithält, klingt die Sache doch immer mehr konstruiert und wenig realistisch. Als Stehaufmännchen meistert Colley fast jede Herausforderung, obgleich er zuvor schon schwere Verletzungen erfahren hat – das passt einfach nicht zusammen.

So ganz geglückt ist dieser Serienauftakt meiner Meinung nach nicht, da hätte man von Simon Beckett wohl etwas mehr erwartet.



Titel Die Verlorenen

Autor Simon Beckett

ISBN 978-3-8052-0052-3

Sprache Deutsch

Ausgabe Fester Einband, 416 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook und Hörbuch

Erscheinungsdatum 8. Juli 2021

Reihe Jonah Colley

Verlag ROWOHLT Wunderlich

Originaltitel The Lost

Üebersetzer Karen Witthuhn, Sabine Längsfeld

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Veröffentlicht am 09.07.2021

Eine Betrachtung der letzten Jahre

Betreff: Falls ich sterbe
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Aksel schreibt seiner Lebensgefährtin Carolina völlig aus dem Nichts heraus eine E-Mail mit dem Betreff: Falls ich sterbe. Enthalten sind Passwörter und andere Dinge, die nach seinem Tod relevant sein ...

Aksel schreibt seiner Lebensgefährtin Carolina völlig aus dem Nichts heraus eine E-Mail mit dem Betreff: Falls ich sterbe. Enthalten sind Passwörter und andere Dinge, die nach seinem Tod relevant sein könnten. Carolina stillt das gemeinsame Baby und reagiert fast verärgert über diese für sie unnötige Information, fünf Monate später wacht Aksel in der Früh nicht mehr auf.

In gegenläufiger Reihenfolge berichtet Carolina über die Zeit ab dem Kennenlernen Aksels und über die schwierige Phase nach dessen Tod nur acht Monate nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes Ivan. Während Carolina immer ein Quell für Neues und Veränderung ist in der Beziehung, bringt sie nach dem schrecklichen Verlust kaum Kraft auf, für sich und ihren Sohn zu sorgen. Unter Familienmitgliedern und Freunden findet sie liebevolle Menschen, die sie auf ihrem schwierigen Weg unterstützen und ihr neue Hoffnung geben.

Der Schreibstil Setterwalls in dieser autofiktionalen Geschichte ist gut gewählt: gleich einem inneren Monolog wendet sich Carolina an Aksel, lässt Szenen Revue passieren, wie sie einander kennengelernt haben und langsam eine Beziehung aufgebaut und schließlich eine Familie gegründet haben. Im Gegenwartsteil spricht die junge Witwe ebenfalls den Verstorbenen an, erzählt von ihren Sorgen und Ängsten und wie sie sich langsam mit und in ihrem neuen Leben zurechtfindet. Ungewöhnlich ist, dass sich diese Perspektive durch das gesamte Buch zieht. Es gibt nur Carolinas Gedanken, auch was die Gefühle und Empfindungen anderer Personen betrifft. Gespräche werden als indirekte Rede dargestellt, wodurch die Tristesse passend widergespiegelt wird. Aber auch in den gemeinsamen Jahren zwischen Carolina und Aksel kommt kaum Lebendigkeit auf, selbst die Feste, die sie besuchen, können beim Leser keine entsprechende Stimmung entfachen, welche Unbeschwertheit und Glück vermitteln, insbesondere bei Aksel. Leider erfährt man nicht, ob der junge Mann irgendwelche gesundheitlichen Beschwerden hat, eine Vorahnung, aufgrund derer er diese E-Mail zu seinem möglichen Tod verfasst.

Carolinas Umgang mit ihrer Trauer, ihre intensive Beziehung zu Ivan sind sehr eindrücklich geschildert. Allerdings fehlt es an einer gewissen Spannung, das Leben vor und nach Aksels Tod plätschert so dahin, was ich insbesondere für die Vergangenheit ein wenig schade finde, aber so ist wohl die Sicht durch einen Schleier aus Tränen. Ebenso nüchtern präsentieren sich sämtliche Figuren, kühl und distanziert, sodass der Leser keine Sympathie zu ihnen entwickeln kann.

Insgesamt habe ich mir eine andere Geschichte erwartet, mehr Informationen zu der E-Mail, (der Originaltitel passt womöglich besser als der deutsche), buntere und farbenfrohere Bilder zumindest in den ersten Jahren. Da es sich um eine autofiktionale Geschichte handelt, ist diese triste Stimmung umso tragischer.

Fazit: ein interessantes Buch, das aber einige wissenswerte Bereiche ausblendet.



Titel Betreff: Falls ich sterbe

Autor Carolina Setterwall

ISBN 978-3-462-05260-2

Sprache Deutsch

Ausgabe Fester Einband, 480 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook

Erscheinungsdatum 8.7.2020

Verlag Kiepenheuer&Witsch

Originaltitel Låt oss hoppas på det bästa

Übersetzer Susanne Dahmann

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Veröffentlicht am 03.07.2021

Im Namen der Kinder

Tiefer Fjord
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Schwer verletzt wird ein kleiner Junge ins Krankenhaus Ullevål in Oslo eingeliefert. Der Bub verstirbt noch in derselben Nacht, der diensthabende Arzt Haavard geht von Misshandlungen aus. Als kurz darauf ...

Schwer verletzt wird ein kleiner Junge ins Krankenhaus Ullevål in Oslo eingeliefert. Der Bub verstirbt noch in derselben Nacht, der diensthabende Arzt Haavard geht von Misshandlungen aus. Als kurz darauf der Vater des Kindes tot im Gebetsraum der Klinik aufgefunden wird, gibt es einige Verdächtige. Da die Familie des verstorbenen Jungen aus Pakistan stammt, könnte Fremdenhass ein Motiv sein. Und weil Haavards Frau Clara im Ministerium Unterstützung sucht für ein Gesetz, das Kinder aus schwierigen Verhältnissen Schutz gewährt, gerät nicht nur Haavard, sondern auch seine Frau in Schwierigkeiten.

Nach einem Prolog im Jahre 1988 führt Autorin Ruth Lillegraven den Leser mit kurzen Kapiteln geschickt durch die ganze Geschichte, die Großteils im Jetzt spielt, aber auch dann und wann zurückblickt in die 1980er-Jahre. Jeweils aus der Ich-Perspektive erzählen verschiedene Figuren aus ihrem Blickwinkel, vorwiegend sind dies Clara und Haavard. Trotz dieser Perspektiven fühle ich als Leser jedoch keine unmittelbare Nähe zu den handelnden Personen, immer bleibt eine gewisse Distanz bestehen. Die Spannung hingegen ist von Anfang an spürbar. Jeder gerät unter Verdacht, Indizien und Motive gibt es zuhauf, wenn man nur ein wenig genauer hinsieht.

Der Erzählstil von Lillegraven ist angenehm zu lesen und kann durchwegs fesseln und Neugierde wecken, wie sich denn Opfer und Täter tatsächlich im Kreise drehen, wer schlau ist und wer noch schlauer, wer wen in der Hand hat und wer schlussendlich als eiskalter Sieger hervorgeht. Die Landschaft Norwegens spiegelt diesen raschen Wechsel an Beschuldigten gut wider und bietet einen hervorragenden Hintergrund für die Gräueltaten, die hier passieren. Das Ende ist geschickt so gewählt, dass ein Folgeband gut an die Geschehnisse von Tiefer Fjord anschließen kann und dieser sofort auf meiner Wunschliste landet.

Durch die Themenvielfalt von Kindemissbrauch und Rassismus, über Karrierefrauen bis hin zu tief verwurzelten familiären Schwierigkeiten und Beziehungsproblemen bietet dieser Roman viel spannende Abwechslung und ist somit eine Leseempfehlung wert.



Titel Tiefer Fjord

Autor Ruth Lillegraven

ISBN 978-3-471-36041-5

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 400 Seiten

ebenfalls erhältlich als ebook und Hörbuch

Erscheinungsdatum 28.6.2020

Verlag List Verlag

Originaltitel Alt er mitt

Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel

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Veröffentlicht am 28.06.2021

(Un)schuldig

Der 19. Engel
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Autorin Jane Mansfield steht unter Druck: ihr Verlag verlangt ein neues Exposé, aber irgendwie hat sie keinen zündenden Einfall. Da meldet sich Vanessa von Wolfrathshausen aus der Justizvollzugsanstalt. ...

Autorin Jane Mansfield steht unter Druck: ihr Verlag verlangt ein neues Exposé, aber irgendwie hat sie keinen zündenden Einfall. Da meldet sich Vanessa von Wolfrathshausen aus der Justizvollzugsanstalt. Sie möchte, dass Mansfield ihre wahre Geschichte als Buch herausgibt, denn das Urteil, sie hätte ihre Schwester umgebracht, sei schlicht falsch, sie sitze unschuldig im Gefängnis.

Mit ihrem ganz eigenen Witz, (schwarzem) Humor und einer Prise Ironie erschafft Nika Lubitsch Figuren, die diesen Krimi lebendig und voll Überraschungen werden lassen. In der Ich-Form erzählt Jane Mansfield und in der Ich-Form schreibt Vanessa aus der Haftanstalt. So entsteht ein interessantes Spannungsfeld, in dem sich stets neue Blickwinkel ergeben. Vanessas Schwester Amanda ist verschwunden, für ihren Tod gibt es nur Indizien, aber keine Leiche. Die Schuld der Inhaftierten scheint immer unwahrscheinlicher und Mansfield ist wild entschlossen, den Fall nicht nur neu aufzurollen, sondern ihrer Managerin ein brillantes Konzept zu liefern. Interessante Einblicke in das Leben von Vanessa und Amanda wechseln in flotter Folge mit anderen Ereignissen, die immer wieder für Verblüffung sorgen. Bis zum Ende werden verschiedene Fährten gelegt, Fäden gesponnen, die zu guter Letzt schlüssig zusammengeführt werden und dem Titel gerecht werden.

Wer die speziellen kurzen, aber kniffligen Krimis von Nika Lubitsch mag, wird auch hier wieder auf seine Rechnung kommen!



Titel Der 19. Engel

Autor Nika Lubitsch

ISBN 978-3-96357-187-9

Sprache Deutsch

Ausgabe Taschenbuch, 248 Seiten

ebenfalls erhältlich als e-book

Erscheinungsdatum 12. April 2021

Verlag Independently published

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