Zügellos
Die Tänzerin vom Moulin RougeHart arbeiten muss Louise Weber trotz ihres zarten Alters. Ebenso wie ihre ältere Schwester Vic und ihre Mutter schuftet sie von früh bis spät in einer Wäscherei in Paris um ihren kargen Lebensunterhalt ...
Hart arbeiten muss Louise Weber trotz ihres zarten Alters. Ebenso wie ihre ältere Schwester Vic und ihre Mutter schuftet sie von früh bis spät in einer Wäscherei in Paris um ihren kargen Lebensunterhalt zu verdienen. Der Vater ist im Krieg geblieben, auch der großelterliche Garten im Elsass ist verloren. Gott scheint alles falsch zu verstehen, also muss Louise ihr Leben selbst in die Hand nehmen, will sie nicht ewig weiter so dahin kümmern, vielleicht noch mit einem üblen Ehemann an ihrer Seite.
Sehr lebendig und reich an Bildern steigt Tanja Steinlechner ins Leben von Louise ein: dampfende Kessel, scharfe Lauge, wunde Hände – das ist der Alltag in der Wäscherei unter der gestrengen Aufsicht von Vorsteherin Betty. Vorbei sind die Zeiten im Elsass, wo es frisch nach Rosmarin, Thymian und Lavendel duftete, vorbei die Träume von einem angenehmen und selbstbestimmten Leben. Im Jahre 1880 kann man sich eben nicht aussuchen, welchen Platz einem das Schicksal zuteilt – oder ist es vielleicht doch möglich, all dem zu entkommen, seiner Sehnsucht nachzugeben und neue Wege zu beschreiten?
Der Tanz ist es, der Louise immer schon fasziniert. Feine Strümpfe und Mieder im Waschzuber stacheln ihre Fantasie an. Am Montmartre spielt sich das wahre Leben ab, in der schillernden Künstlerwelt, die erst spät abends erwacht, während man in den Baracken von Clichy bereits erschöpft aufs Nachtlager sinkt. Entschlossen, ehrlich und direkt präsentiert Steinlechner die junge Dame, die ausbricht aus den einengenden Normen, aus dem Alltag, in dem sie nicht wie ihre Mutter dauerhaft gefangen sein will und kann.
Schnell taucht der Leser ein in eine Milieustudie, in eine berauschende Atmosphäre von Paris im ausklingenden 19. Jahrhundert, begegnet interessanten Künstlern wie Auguste Renoir, Henri de Toulouse-Lautrec, dem Psychoanalytiker Sigmund Freud und vielen anderen berühmten historischen Personen. Vergnügen zwischen Champagner, Oliven und Käse, Malereien, Fotografien und hübsche Tänzerinnen spannen einen aufregenden Bogen von Louises ersten Schritten auf der Bühne bis zu ihren Auftritten im Moulin Rouge. In rascher Abfolge wechseln Schauplätze und Freunde, spiegeln Louises Willensstärke, aber auch ihre Maß- und Zügellosigkeit wider. Immer mehr verschwimmen Raum und Zeit wie in einem Drogenrausch, der die gefeierte Tänzerin mit sich fortreißt.
Überraschend und unerwartet, aber ausgezeichnet recherchiert und den Tatsachen entsprechend, wandelt sich das anfangs selbstbewusste und zielstrebige Mädchen in eine wenig sympathische erwachsene Frau, deren Verhalten man nur mehr schwer verstehen kann.
Das Bildnis der Louise Weber als inspirierender Roman mit vielen realen Details ist gut gelungen und stellt, trotz einiger Längen im Mittelteil, eine interessante Zeitreise dar in die leuchtende Metropole der Kunst und der Freizügigkeit, der Toleranz und der uneingeschränkten Liebe, ein überaus passendes Portrait einer zügellosen Figur, die Louise Weber zweifellos war.
Titel Die Tänzerin vom Moulin Rouge
Autor Tanja Steinlechner
ISBN 978-3-404-18411-8
Sprache Deutsch
Ausgabe Taschenbuch, 432 Seiten
ebenfalls erhältlich als ebook
Erscheinungsdatum 28. Mai 2021
Verlag Lübbe