Profilbild von clematis

clematis

Lesejury Star
offline

clematis ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit clematis über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.03.2021

Tarnen und Täuschen

Geiger
3

Die Enkel verabschieden sich kurz bevor das Telefon klingelt. „Geiger“, tönt es aus der Leitung, Agneta holt die Waffe, erschießt ihren Mann und winkt noch aus dem Fenster. Kommissarin Sara Nowak ist zwar ...

Die Enkel verabschieden sich kurz bevor das Telefon klingelt. „Geiger“, tönt es aus der Leitung, Agneta holt die Waffe, erschießt ihren Mann und winkt noch aus dem Fenster. Kommissarin Sara Nowak ist zwar kein Teil des Ermittlungsteams, aber sie kennt die Familie seit ihrer Kindheit und hegt daher größtes Interesse an der Aufklärung.

Während das erste Kapitel sehr spannend zu lesen ist mit vielen bildreichen Details, tritt alsdann eine überraschende Wende ein: die Geschichte entpuppt sich als Spionagethriller mit einer allzu aggressiven Sittenpolizistin Nowak. Mehrere Erzählstränge laufen nebeneinander, aber es fehlt auf weiten Strecken die Spannung, viele – für mich – langatmige Seiten füllen das Buch. Obwohl die Grundidee eine interessante ist und gewiss viel aufwändige Recherche diesem Thriller zugrunde liegt, so habe ich diese Art von Polithintergrund nicht erwartet und leider lange damit gehadert. Wo manchmal der Klappentext beinahe zu viel verrät, wird hier die Stasi nicht einmal in einem Nebensatz erwähnt. Das zweite große Thema ist Prostitution und Vergewaltigung im Milieu, wodurch nicht nur über Sara Verbindungen geschaffen werden. Die einzelnen Fäden laufen auch stimmig am Ende zusammen, weshalb dieser erste Teil der Trilogie gut für sich als Einzelband stehen bleiben kann.

Die einzelnen Kapitel sind eher kurz und rasch lesbar, die Figuren bleiben aber allesamt sehr oberflächlich und distanziert. Genaueres erfährt man nur zu Sara, woher jedoch ihre angriffige und misstrauische Art rührt, bleibt offen.

Insgesamt konnte „Geiger“ mich nicht fesseln, auch wenn die Handlung im Gesamten gut durchdacht und wohl überlegt ist. Ausschweifende Erzählstränge, etliche Bilder und Namen von Politikern und TV-Größen, das Anreißen von nebensächlichen Themen und einige unglaubwürdige Szenen – es gibt genug Gründe dafür, dass ich mich freue, dass dieser Band in sich abgeschlossen scheint und die Folgebände der Trilogie nicht nötig sind, um offene Frage zu klären.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.03.2021

Zum Weinen schön

Fritz und Emma
0

Als junger Mann muss Fritz Draudt noch in den letzten Tagen in den Krieg ziehen. Gezeichnet kehrt er 1947 aus der Gefangenschaft zurück. So wie einst, möchte er zu seinem alten Leben zurückkehren und Emma ...

Als junger Mann muss Fritz Draudt noch in den letzten Tagen in den Krieg ziehen. Gezeichnet kehrt er 1947 aus der Gefangenschaft zurück. So wie einst, möchte er zu seinem alten Leben zurückkehren und Emma heiraten, aber etwas Schreckliches verhindert diesen Schritt.

1918 kommen Pfarrer Jakob Eichendorf und seine Frau Marie in die idyllische, aber zunehmend verfallende Gemeinde Oberkirchbach. Einsame alte Menschen im Ortskern und abgeschiedene Zuzügler im Neubaugebiet prägen das Dorf, dem die junge Pfarrersfrau wieder frisches Leben einhauchen will. Und dann interessiert sie noch brennend, warum der kautzige Fritz und die am anderen Ende Oberkirchbachs lebende Emma seit fast siebzig Jahren kein Wort mehr miteinander gewechselt haben, wo doch die Hochzeit schon geplant war.

Abwechselnd erzählt Autorin Barbara Leciejewski in zwei Zeitebenen: einerseits beleuchtet sie die heutigen Ereignisse in Oberkirchbach mit dem sympathischen Ehepaar Eichendorf, andererseits rollt sie die Geschichte ab 1947 schrittweise auf, bis sie hier auf das aktuelle Geschehen trifft. Unglaublich lebendig werden dabei nicht nur Fritz und Emma geschildert, auch alle anderen Dorfbewohner zeichnen sich durch ganz individuelle Eigenschaften und Fähigkeiten aus und mit viel Liebe zum Detail darf der Leser die bewegenden Veränderungen vom Krieg bis ins Jetzt mitverfolgen. Konkrete Bilder entstehen im Kopf, die erfüllt sind von mitreißenden Emotionen, von freudiger Geburt bis zum überraschenden Tod, von schreiendem pfälzischem Lachen bis hin zu stummen Tränen, von einer Liebe, die Jahrzehnte überdauert. Als ob man selbst mitten im Dorf lebt, so nah kommen einem die Menschen, so überzeugend vermittelt Marie ihre Ideen und Visionen.

Sowohl die Nachkriegsjahre wie das Heute berühren tiefe Gefühle, sodass man nicht umhin kommt, da und dort eine Träne aus dem Augenwinkel zu wischen, während man im nächsten Kapitel zum Glück schon wieder lachen kann, weil lustige Episoden und witzige Szenen eingeflochten werden. Diese Unmittelbarkeit ist es wohl, die das Buch so warmherzig klingen lassen und trotz all der Traurigkeit immer wieder Mut und Trost verspüren lassen. Auch wenn Maries Euphorie zuweilen ein bisschen übertrieben scheint, so fühlt man sich dennoch eine ganz reale Handlung hineinversetzt, die sich genauso zugetragen haben könnte. Das Leben ist nun einmal ein stetes Auf und Ab und ohne Tiefen gäbe es auch keine Höhen.

Aus jeder Situation das Beste herauszuholen und Frieden schließen mit Vergangenem, das man nicht mehr ändern kann, das ist die schöne Botschaft, welche die Autorin mit diesem wunderbaren Roman vermittelt. Weinen und Lachen, Verzeihen und Zusammenfinden – wer diese so berührende Geschichte gelesen hat, ist um eine phantastische Leseerfahrung reicher!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 24.03.2021

Machtkampf

Aus schwarzem Wasser
0

Innenministerin Dr. Patricia Kohlbeck verursacht einen Unfall und rast ungebremst in die Spree. Sie und ihre Tochter sterben, aber nur wenige Stunden später erwacht Maja in ihrem Leichensack. Während die ...

Innenministerin Dr. Patricia Kohlbeck verursacht einen Unfall und rast ungebremst in die Spree. Sie und ihre Tochter sterben, aber nur wenige Stunden später erwacht Maja in ihrem Leichensack. Während die junge Frau versucht, dem Rätsel um ihr Überleben auf die Spur zu kommen, überraschen verheerende Naturkatastrophen die Erde. Die Meere scheinen zur tödlichen Bedrohung zu werden. Ein spannender und überraschender Thriller über Umwelt, Macht und (Polit)Intrigen nimmt seinen Lauf.

Anne Freytag setzt unterschiedliche Stilmittel ein, die den Leser rasch in den Bann ziehen: kurze, flüssige Kapitel, teils mit Cliffhangern, sodass man das Buch nicht mehr zur Seite legen will, unterschiedliche Blickwinkel und Perspektiven, teils in Ich-Form, teils vom neutralen Erzähler geschildert, Zeitsprünge und Ortswechsel, die jedoch immer aufgrund der Überschriften sehr übersichtlich und gut nachvollziehbar ineinander übergreifen. Auf diese Weise wird die Spannung durchwegs hoch gehalten; ebenso wie Maja weiß man als Leser nicht, wer vertrauenswürdig ist und wer auf der „anderen Seite“ steht. Woher kommt die ganze Geheimniskrämerei, was will die Mutter nach ihrem Tod noch mitteilen? Sowohl die einzelnen Protagonisten als auch ihr Handeln und die begleitenden Umstände sind sehr lebendig zu Papier gebracht und selbst wenn der Schreibstil eher nüchtern wirkt, so kommt – vielleicht auch gerade dadurch – viel an Emotionen hervor. Für einen Thriller eher ungewöhnlich, fließen sonderbare Fantasy-Elemente ein, die der ganzen Geschichte einen einzigartigen und besonderen Anstrich verleihen.

Da und dort ein wenig unrealistisch, aber durchaus eine abwechslungsreiche Reise in die Welt der Zukunft – so kann man „Aus schwarzem Wasser“ gut beschreiben.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 14.03.2021

Verborgene Wurzeln

Trauma – Kein Entkommen
0

Ein schlappes Schlauchboot am Seeufer, ein Kühlschrank und zwei Tote. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den beiden Fällen? War es Selbstmord, wie die Obduktion und die Expertise von Psychoanalytiker ...

Ein schlappes Schlauchboot am Seeufer, ein Kühlschrank und zwei Tote. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den beiden Fällen? War es Selbstmord, wie die Obduktion und die Expertise von Psychoanalytiker Dr. Hanning nahelegen oder steckt da doch mehr dahinter? Katja Sands Gefühl sagt etwas anderes, aber seit wann darf sich eine Mordermittlerin von Gefühlen leiten lassen? Trotz aller Vorbehalte stürzt sich Katja mit Assistenten Rudi Dorfmüller in die Nachforschungen und stößt auf einen alten Fall bei der Marine, der aber eigentlich schon geklärt ist.

Mit einem sehr beklemmenden Einstieg beginnt dieser Thriller und geht dann in eine eher krimiähnliche Handlung über, die mit weiteren Gänsehaut bescherenden Elementen ein gut gegliedertes Gesamtes ergibt. Für dieses Genre eher unüblich, wird sehr viel Privates von Katja Sand in die Geschichte hineinverwoben, was aber hier für mich gut passt und keinesfalls störend wirkt. Im Gegenteil, wird die Ermittlerin ja gerade durch ihre persönliche Vergangenheit irgendwie verstrickt in die Ermittlungen, wobei dazu noch nicht alles verraten wird, denn es gibt noch zwei weitere Bände in dieser Trilogie.

Ungewöhnlich, aber aktuell häufiger zu lesen: Christoph Wortberg schreibt im Präsens. Sein Stil ist angenehm flüssig, weckt Neugier und nimmt den Leser mit in reale Situationen, flicht kleine Details aus dem Alltag ein, wodurch die Handlung lebendig und plastisch wird. Sowohl Katja als auch Rudi werden recht menschlich dargestellt, ihre Zusammenarbeit lässt den Leser da und dort schmunzeln und auch der Vorgesetzte wird geschickt eingebunden und kann gewagten Plänen zustimmen ohne sein Gesicht zu verlieren.

Optisch und inhaltlich absolut ansprechend stellt sich für mich dieser Beginn des „Trauma“-Dreiteilers dar, anders zwar als „typische Thriller“, leiser, aber dennoch mit schockierenden Details unter der Oberfläche.

Achtung für jene Leser, die Gewalt an Kindern in Büchern ablehnen oder Gefahr laufen könnten, durch erlebte Traumata getriggert zu werden!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 07.03.2021

Beängstigend realistisch

Sterbewohl
0

Nadja, 65, erhält eine Einladung vom deutschen Staat, ein Sterbeseminar im Luxushotel auf Fehrmann zu besuchen, völlig unverbindlich und kostenfrei. Aber ist das nicht nur für die wirklich Alten? Und was, ...

Nadja, 65, erhält eine Einladung vom deutschen Staat, ein Sterbeseminar im Luxushotel auf Fehrmann zu besuchen, völlig unverbindlich und kostenfrei. Aber ist das nicht nur für die wirklich Alten? Und was, wenn man noch nicht bereit ist zum Sterben?

Deutschland hat sich zu einer Scheindemokratie entwickelt. Pensionisten, Kranke, aber auch Arbeitslose und Behinderte tragen nichts bei zum Allgemeinwohl, sondern belasten zunehmend das System. Deshalb soll ihnen in luxuriösem Ambiente das Schlucken von Sterbewohl schmackhaft gemacht werden. Schließlich will doch niemand zum Pflegefall werden oder schwere Krankheiten durchleiden, bevor er erlöst wird. Hier hat man sein Schicksal selbst in der Hand und kann rechtzeitig beenden, was noch an Qual kommen könnte.

So einfach mag Nadja, gerade erst in Rente gegangen, gemeinsam mit ihren Freunden Anna, Max und Fred aber nun doch noch nicht verzichten auf Freizeit, Hobbys und Vergnügungen. Schließlich ist sie noch agil und fit und hat einiges vor. Hin- und hergerissen zwischen Neugier und dem Wissen, dass bisher niemand von so einem Seminar zurückgekehrt ist, schmieden die vier einen verwegenen Plan und checken ein im Hotel Paradies.

Beängstigend realistisch beschreibt Olivia Monti die Zustände in einem künftigen Deutschland, das so ferne möglicherweise gar nicht ist. Vermischt mit einigen interessanten Querverweisen zum dritten Reich entwirft die Autorin eine schockierende Geschichte, die gar nicht einmal so abwegig scheint. Mangel an Ressourcen, Gier nach Geld und Macht lassen die Alten und Schwachen schnell an den Rand der Gesellschaft abrutschen und neue Möglichkeiten zur Optimierung suchen – und finden. Wer nichts beiträgt, ist nichts wert und hat keine Daseinsberechtigung.

So wird der Leser rasch in den Bann gezogen über ein Abenteuer von vier junggebliebenen Rentnern, die diesen Ideen ein Schnippchen schlagen und herausfinden möchten, was nun wirklich hinter diesen Luxusreisen steckt. Humorvoll und mit flotten, kurzen Sätzen flugs zu lesen, bringt uns dieses Buch ernste Themen nahe. Die Figuren bleiben teils ein wenig oberflächlich, dies tut dem Ganzen aber keinen Abbruch, zeigt es doch auch in passender Weise, wie austauschbar die Menschen sind. Die Sicht aus Nadjas Perspektive wiederum bringt beängstigende Nähe ins Spiel und je näher man dem Tod kommt, umso rasanter schreitet der Urlaub voran. Das Ende kommt dann doch ein wenig abrupt, aber das Buch hallt noch eine Weile nach, sodass man es nicht unbeeindruckt aus der Hand legen kann.

Ein kurzer Krimi der anderen Art, den ich auf jeden Fall gerne weiter empfehle. Gänsehaut inbegriffen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere