Großartig!
Gangster müssen clever sein. Ein Krimi mit echter MilliardärstochterJamie-Lee ist verzweifelt. Endlich möchte sie eine Hausaufgabe über die Maiferien machen, da scheitert sie schon daran, dass sie kein Babyfoto von sich hat. Da Mama aber nun trocken ist, ist es halbwegs ...
Jamie-Lee ist verzweifelt. Endlich möchte sie eine Hausaufgabe über die Maiferien machen, da scheitert sie schon daran, dass sie kein Babyfoto von sich hat. Da Mama aber nun trocken ist, ist es halbwegs ordentlich in der Wohnung und auf der Suche nach einem Babyfoto wird sie zwar nicht fündig, findet aber einen sorgfältig verwahrten Artikel über einen One-Hit-Wondersänger vor 17 oder 18 Jahren. Da bleibt ihr nichts anderes übrig als ihre Milliardärsfreundin Fee anzurufen und sie um Hilfe zu bitten. Diese glaubt natürlich, dass Jamie-Lee sich bei ihr wegen des Einbruchs in der Familienvilla gestern Nacht meldet. Sie staunt nicht schlecht, als sie nun mit ihr in den Supermarkt gehen soll, um Babyfotos auszudrucken, weil Jamie-Lee das Geld dafür fehlt. Noch schräger wird es, als sie dort von Valentin und Mesut angesprochen werden, die ihr Glück nicht fassen können. Immerhin ist Mesut fest entschlossen, den Einbruch in der Ransmeyer-Villa aufzuklären und nun treffen sie nicht nur Jamie-Lee, um an Infos aus erster Hand zu gelangen. Fee ist nicht gerade begeistert von der Idee, eine Bande zur Aufklärung des Falles zu gründen und da ahnt sie noch gar nicht, in was für eine Gefahr die Ermittlungen die Kinder bringen werden.
Dies ist ein Crossover aus Kirsten Boies Werken „Der Junge der Gedanken lesen konnte“ und „Entführung mit Jagdleopard“ d.h. dass die jungen Helden beider Geschichten nun aufeinandertreffen. Immerhin wachsen sie in der gleichen Gegend Hamburgs auf und die ist nun wirklich nicht betucht! Es ist allerdings nicht erforderlich beide Vorgeschichten zu kennen, um diesem neuen Abenteuer folgen zu können, denn Jamie-Lee und Valentin erinnern sich kurz zurück an die wichtigsten Ereignisse des letzten Sommers.
Ich kannte bisher nur Entführung mit Jagdleopard und mir gefiel dort besonders gut, dass die Protagonistin Jamie-Lee absolut unterprivilegiert aufwächst, aber nie deswegen jammert oder über die Ungerechtigkeit klagt, sondern fröhlich das Leben so nimmt wie es kommt und das Beste daraus macht. Bei einer Alkoholikerin als Mutter ist das echt eine Leistung, dabei kommt die Schule natürlich meistens zu kurz, aber auf den Kopf gefallen ist sie deswegen nicht. Lesende sind oft selbst privilegiert, was sich auch immer wieder verdeutlicht bei Jamie-Lees Einstellung: wer liest schon ein Buch? Wenn sie groß ist, will sie auf jeden Fall Frisörin werden, denn jeder will schöne Haare haben, aber wer außer Valentin oder Herr von Wildeck kauft schon Bücher? Davon kann man ja nicht leben! Na ja, Kirsten Boie verdient dann doch mehr als eine durchschnittliche Haarkünstlerin, allerdings ist sie ja auch eine Ausnahmeautorin. Aber Jamie-Lee hat ganz klare Ansichten zum Leben und der Welt im Allgemeinen und die teilt sie gerne auch mit anderen. Ihre Milliardärsfreundin Fee macht das bisweilen auch, allerdings ist die Schnittmenge ihrer Ansichten doch recht klein, immerhin wachsen sie in völlig anderen Verhältnissen auf. Valentin und Mesut können ihr da schon eher folgen. Mesuts Bruder ist Polizist, aber er wächst im Nachbarblock der Hochhaussiedlung von Familie Wagner auf und auch Valentin und seine Mutter leben dort im 12. Stock. Valentin und seine Mutter kamen nach dem Unfalltod von Artjom, Valentins großem Bruder aus Kasastan nach Deutschland, um über den Verlust hinweg zu kommen. Während seine Mutter versuchte ihren Lebensunterhalt im Supermarkt zu verdienen, war ihr Sohn viel auf sich allein gestellt. Er las viel, besonders Krimis, hing auf dem Friedhof ab, wo er die ältern Leute kennen lernte, die dort statt eines Gartens das Grün inmitten der Stadt genossen, mit Gartenstühlen und Picknick. Mit Nachbarn Mesut, dem Polizistenbruder klärte er dann auch noch einen echten Kriminalfall auf.
Mir gefällt sehr gut, dass Kirsten Boie ganz deutlich zeigt, wie schwierig es für Alkoholiker ist, mit dem Trinken aufzuhören und alte Gewohnheiten zu meiden. Das ist echt eine Leistung und nicht viele haben dafür Verständnis. Für Mittelstandkids sind viele von Jamie-Lees Ansichten und Erkenntnisse witzig, gerade in ihrer Selbstverständlichkeit, wenn sie von teuren Glitzerstickern spricht, oder alten Menschen wie ihrer Oma, die bald 50 wird! Viele der Strategien mit ihrer Armut umzugehen, die die Menschen in diesem Viertel an den Tag legen sind echt pfiffig, wenn auch bisweilen ungewöhnlich, wie das Gärtnern auf einem gepachteten Grab vor seinem Tod. Jamie-Lees Bruder Chucky zeigt auch, wie wichtig es für Kinder ist, ihre Eltern zu kennen, denn immerhin ist er nun überzeugt, dass sein Vater ein Fast-Promi ist, bzw, ein Ex-Promi und damit fängt der Schlamassel eigentlich erst an.
Dieses Mal lernen die Kinder allerdings auch die Welt der Promis kennen, als sie erstmals auf eine Buchvorstellung und sogar eine Vernissage gehen. Jamie-Lee hätte nie gedacht, dass sie über solch aufregende Geschichten über sich in ihrem Buch über sich, für die Schule berichten könnte. Diese Ereignisse aus Kindersicht gesehen sind sehr witzig, aber da es ein Krimi ist, wird es natürlich auch kniffelig und zuletzt auch lebensgefährlich! Aber zum Glück geht alles gut aus, nee, das sind keine Zufälle und kein Glück, langsam glaubt auch Valentin daran, dass es so etwas wie Fügung oder Schicksal gibt, wie Frau Selinksi vom Friedhof immer sagt...
Richtig süß finde ich, wie stolz Jamie-Lee auf ihre nunmehr trockene Mutter ist und darauf, dass sie nun so ist wie andere Mütter. Sie ist begeistert, dass ihre Mutter nun wegen der Vitamine frische Petersilie über die Dosensuppe streut, oder sich aufregt und sich Sorgen macht, wenn sie zu spät nach Hause kommt. Dinge, die für die meisten Kinder selbstverständlich sind und sie nerven, sind für sie ein Grund zur Freude. Auch Valentin ist wahnsinnig stolz auf seine Mutter und das was sie in so kurzer Zeit schon in Deutschland erreicht hat. Allerdings so ganz unkritisch ist es nicht, denn Chucky, Jamie-Lees großer Bruder, ist anders als sie, auf keinem guten Weg, das wird auch nicht beschönigt, ebenso wenig wird die Welt der One-Hit-Wonder verglorifiziert. Es lohnt sich also seinen Schulabschluß zu machen und einen ordentlichen Beruf zu lernen, es muss ja nicht Schriftstellerin sein...
Diese wirklich gelungene Mischung wird aus zwei Perspektiven erzählt: Jamie-Lee, gesprochen von Katinka Kultscher, plappert frei heraus, was ihr gerade in den Sinn kommt. Lebendig und absolut natürlich klingt sie, wenn sie mit den Zuhörenden ihre Gedanken und Einsichten teilt. Tom Freddo Schröder als Valentin klingt da gleich viel überlegter und oft fühlt er sich wohl auch überlegener, obwohl er immer wieder staunend feststellen muss, dass man das Mädel keinesfalls unterschätzen darf! Nicht nur die Wahl der Sprecher ist sehr gelungen, sondern auch ihre Aufteilung der Erzählung, die es noch lebendiger und authentischer klingen lässt.
Kirsten Boie beweist mal wieder ihren Blick fürs Detail, ihre Liebe zu Kindern und ihren Sinn für Humor. Über einige Beschreibungen oder Überlegungen hätte ich mich ja wegschmeißen können! Aber es ist natürlich auch ein Krimi, der aber auch noch verdeutlicht, wie wichtig es ist, richtig schwimmen zu lernen und dass leider nicht alle Kinder die Möglichkeiten dazu haben...
Sehr vielschichtig, lustig, kniffelig, ein echter Knaller! Ab 10 Jahren.