Die fabelhafte Welt der Zimperliese
Mein Leben als SonntagskindDas Cover kann gar nicht die Welt einfangen, in der Jasmijn lebt. Damit meine ich nicht die Wohnung in Rotterdam, in der sie mit ihren Eltern, ihrem Bruder und ihrer Hündin Senta lebt, oder die Schule, ...
Das Cover kann gar nicht die Welt einfangen, in der Jasmijn lebt. Damit meine ich nicht die Wohnung in Rotterdam, in der sie mit ihren Eltern, ihrem Bruder und ihrer Hündin Senta lebt, oder die Schule, die sie besucht. Ich meine die Welt in ihrem Kopf.
Jasmijn hat das Asperger-Syndrom - eine Form von Autismus. Niemand hat das für sie feststellen lassen. Ihre Eltern lieben sie so, wie sie ist. "So ist sie eben." ist ein Satz, den Jasmijn aus dem Mund ihrer Mutter oft hört. Sie sagt es zu Erzieherinnen, Lehrerinnen, Nachbarn und Familienmitgliedern, wenn ihre Tochter sich anders verhält, als die anderen Kinder.
Judith Visser beschreibt sehr detailliert Jasmijns Gedanken, ihre aufmerksamen Beobachtungen der Umgebung, der Geräusche, der Farben, und ihre vielseitig zarten Empfindungen. Sensibel-sein ist schwierig in dieser Welt, das weiß ich. Aber Jasmijn ist nicht nur sensibel, sie saugt ihre ganze Umgebung in sich auf wie ein Schwamm. Ihr sehr dünnes Nervenkostüm wird von allem gereizt: Zu grelles Licht, zu laute Musik, Stimmengewirr, viele optische Eindrücke in Menschenmengen oder Einkaufszentren, plötzliche Berührungen, unerwartete Fragen und damit verknüpfte Erwartungen der Fragenden. Da ist es doch kein Wunder, wenn der Kopf irgendwann voll ist und zu platzen droht.
In solchen Situationen sehnt sich Jasmijn nach Stille und ihrer Hündin Senta, nach einem ruhigen Spaziergang mit ihr im Park oder der sanften Stimme von Elvis aus ihrem Walkman.
Ich verstehe auch die Außenwelt. "Zimperliese" wird sie von ihrem Bruder Emiel genannt, der viel zu oft Rücksicht auf sie nehmen soll, obwohl doch nichts dabei ist, mal ans Telefon zu gehen, mit fremden Erwachsenen zu sprechen, ohne Strohhalm aus einem Glas zu trinken. Das sind alles Sachen, die Jasmijn nicht kann und die uns allen so normal erscheinen.
Der Schreibstil von Judith Visser ist leseleicht und als Leser gleitet man förmlich durch die über 100 Kapitel. Manch einem mag es langatmig erscheinen - ich empfand es als großes Geschenk, in den Kopf des jungen Mädchens schauen zu dürfen, in all ihren Lebensetappen. Sie ist besonders, aber sie zu lieben erfordert Geduld und Verständnis.