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Veröffentlicht am 13.06.2021

Deutsche Familien in Papua Neu Guinea, vielleicht etwas langatmig

Dein ist das Reich
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Der Familienroman von Katharina Döbler thematisiert das Leben von deutschen Missionaren und ihren Umgang mit den Einheimischen in Papua Neu Guinea. Die ursprünglich aus der Umgebung von Neuendettelsau ...

Der Familienroman von Katharina Döbler thematisiert das Leben von deutschen Missionaren und ihren Umgang mit den Einheimischen in Papua Neu Guinea. Die ursprünglich aus der Umgebung von Neuendettelsau stammenden Familien Mohr und Hensolt begeben sich nach dem Ersten Weltkrieg ins sogenannte „Kaiser-Wilhelmsland“, um dort die Heiden zu bekehren. Begleitet von einem starken Glauben, einem aus heutiger Sicht extrem konservativen Erziehungsparadigma und ein bisschen Abenteuerlust treten zunächst die Herren die wochenlange Reise an. Die Frauen werden nach einigen Jahren nachgeholt.

Vieles von dem Gelesenen ist heute unvorstellbar wie die Missionierung an sich und die selbstverständliche Ausnutzung der Papua als Arbeitskräfte auf den Plantagen. In einer geradlinigen, sachlichen Erzählweise berichtet die Ich-Erzählerin auf Basis von Fotos und Erinnerungen ihrer Verwandten von dem teilweise entbehrlichen und beschwerlichen, aber auch recht exotischen Leben zwischen Finschhafen, Heldbach und Sattelberg. In meiner Wahrnehmung ist die Erzählerin dicht an den Erinnerungen geblieben, wodurch manches im Ungefähren bleibt, möglicherweise geschönt wirkt. Es wird zwar von Züchtigung und einer Art Verbannung berichtet, Details dazu werden ausgelassen, wodurch die Wahrheit im Nebel verschwommen bleibt.

Interessant war die Geschichte für mich trotzdem. Die langen Zeithorizonte zwischen Verlobung und Hochzeit bzw. zwischen der Ausreise der Männer und Nachholen der Frauen, die Partnerwahl überhaupt waren unglaublich für mich. Irgendwie angenehm fand ich die Festigkeit im Glauben der Protagonisten, ich kenne niemanden, der sich allein mit Hilfe des Glaubens selbst so viel Hoffnung machen kann. Erfrischend war zudem das Setting der Geschichte in Papua Neu Guinea. Es ist eher selten, dass deutsche Familiengeschichten zwischen den Weltkriegen so weit entfernt vom Heimatland erzählt werden.

Die knapp fünfhundert Seiten waren durch die langen Kapitel nicht immer einfach zu lesen. Die Sprache war nicht zu anspruchsvoll, durch den sachlichen Stil war der Roman für mich jedoch etwas langatmig. Dennoch empfehle ich die Lektüre. Der Roman gewährt Einblicke, die einem in den Mainstream-Berichten dieses dunklen Kapitels deutscher Geschichte ansonsten verborgen bleiben.

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Veröffentlicht am 12.06.2021

Hinter den Kulissen der Kunstszene

Blütenschatten
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Eve ist Künstlerin fernab des Mainstreams. Die wenig beachtete Pflanzenwelt und die Frauen in der Historie, die diese Pflanzen möglichst realitätsnah abbilden, sind ihre Leidenschaft. Ihr ganzes Lebenswerk ...

Eve ist Künstlerin fernab des Mainstreams. Die wenig beachtete Pflanzenwelt und die Frauen in der Historie, die diese Pflanzen möglichst realitätsnah abbilden, sind ihre Leidenschaft. Ihr ganzes Lebenswerk richtet Eve auf ebendiese Unbeachteten aus. Neben der Kunst sind Männer ihre Leidenschaft, was nicht unbedingt förderlich für ihre ohnehin schon belastete Ehe ist.

Wir begleiten nun also die auf ihr Leben zurückblickende Eve bei ihrem Spaziergang durch London. Dabei sind Orte mit Erinnerungen verbunden, so dass aus vielen Details ein Gesamteindruck von Eve‘s Leben entsteht. Ehrlich gesagt, mochte ich Eve eher nicht. Sie wirkte auf mich von Neid und Missgunst zerfressen, stark auf sich selbst bezogen, überhaupt nicht anpassungsfähig. Nur kurzzeitig gab es hin und wieder ein Aufflackern an Sympathie für sie. Auch ihren aktuellen Liebhaber Luka mochte ich nicht. Zu Beginn ihrer Affäre unterstützt er Eve bei ihrer Kunst fast schon unterwürfig, doch er mausert sich, entwickelt sich in eine ganz andere Richtung.

Obwohl mich auch kein anderer Charakter in Sachen Sympathie überzeugen konnte, hat mir der Roman selbst gefallen. Dabei haben es normalerweise Romane mit unsympathischen Charakteren schwer bei mir. Der Aufbau mit verschiedenen Erzählebenen war überzeugend, die Sprache ist anspruchsvoll, trotzdem angenehm lesbar. Die Perspektivwechsel schaffen beim Lesen einen Spannungsbogen, der im Verlauf immer weiter ansteigt und dann in ein sensationelles Ende mündet. Unerwartet war für mich der Ausflug in die Botanik. Wer mag, kann hier ganz nebenbei noch etwas über giftige heimische Blumen lernen, insbesondere über die Giftigkeit an sich. Zudem wartet die Autorin mit einer zarten, fast unmerklichen Komik auf.

Insgesamt war es interessant für mich hinter die Kulissen der Kunstszene zu schauen, den Konkurrenzkampf dort wahrzunehmen. Etwas anstrengend, aber passend in der heutigen Zeit war für mich die extreme Unzufriedenheit und Gehässigkeit einzelner Charaktere. Die am meisten Gefeierten glänzen durch Arroganz und Überheblichkeit, die Künstler:innen der zweiten Reihe ziehen über ebendiese her, können den Erfolg überhaupt nicht gönnen. Blütenschatten ist kein schöner Roman, aber ein guter, den ich gern weiter empfehle.

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Veröffentlicht am 12.06.2021

Lebensphasen eines Künstlerpaares

Das Leben ist ein Fest
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Frida Kahlo und Diego Rivera, ein Paar, das unterschiedlicher nicht sein könnte, er der größte Maler Mexikos, sie ein aufsteigender Stern am Kunsthimmel durch einen schweren Unfall gezeichnet. Die Kunst ...

Frida Kahlo und Diego Rivera, ein Paar, das unterschiedlicher nicht sein könnte, er der größte Maler Mexikos, sie ein aufsteigender Stern am Kunsthimmel durch einen schweren Unfall gezeichnet. Die Kunst verbindet sie, Altersunterschied, gewünschte Lebensweise und Affären trennen sie. Claire Berest‘s Roman setzt sich intensiv mit der Beziehung der beiden, ihren Höhen und Tiefen auseinander. Außerhalb der Beziehung liegende Ereignisse und Personen thematisiert die Autorin nur kurz, wodurch der Roman aus meiner Sicht nicht vielschichtig genug erscheint. Mich hätten beispielsweise die politischen Umbrüche in Mexiko, aufgrund derer Diego Rivera Mexiko verlassen hat, detaillierter interessiert. Auch Frida‘s Affäre mit Trotzki hätte ich mir über die Nennung hinaus ausgearbeitet gewünscht.

Der Roman beginnt mit Frida‘s Unfall, ihren schweren Verletzungen und der langen Zeit, die sie im Bett verbringen musste, damit sich ihr Körper wieder halbwegs zusammenfügt. Berest‘s Beschreibungen waren hier sehr bildhaft, durch die Umstände nichts für zartbesaitete. Genial fand ich hier Frida‘s Gedanken zu den Vorgängen. Danach beschäftigt sich die Autorin mit der Beziehung der beiden Künstler, was mir anfangs auch noch gut gefallen hat, selbst als erste Probleme auftraten. Im Verlauf wiederholen sich allerdings die Eheprobleme. Trotzdem wird sehr breit darauf eingegangen, wodurch für mich Längen entstanden sind.

Gut gemacht fand ich die Auseinandersetzung mit Frida‘s Kunst. Der Detaillierungsgrad, mit dem Berest die Bilder der Kahlo beschreibt, hat mir sehr gut gefallen. Es entsteht ein eigenes Bild im Kopf, das man dann nachschlagend verifizieren kann, wenn man mag. Gefallen hat mir darüberhinaus die Verwendung von Zitaten der Malerin sowie das Einleiten der Kapitel mit präzisen Farbbezeichnungen.

Ansonsten wird die Geschichte ziemlich geradeaus erzählt, Sprünge lassen sich gut erkennen. Dadurch ist die Lektüre gut nachvollziehbar. Trotz der Längen im Mittelteil kann ich eine Empfehlung aussprechen.

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Veröffentlicht am 18.05.2021

Ein Lesehighlight 2021

Die Katzen von Shinjuku
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Seita Yamazaki ist ein Fernsehautor ohne Reputation, seine Wohnung gleicht einem Loch. Sein Lebensmut schwindet, er kommt sich nutzlos vor, weiß nicht, wohin er sich entwickeln kann. Dabei würde er gern ...

Seita Yamazaki ist ein Fernsehautor ohne Reputation, seine Wohnung gleicht einem Loch. Sein Lebensmut schwindet, er kommt sich nutzlos vor, weiß nicht, wohin er sich entwickeln kann. Dabei würde er gern Drehbücher schreiben für Film oder Theater. Den Tipp eines früheren Lehrers, während des Studiums die Kneipen von Golden Gai aufzusuchen, im Hinterkopf begibt er sich genau dorthin. Im Karinka, einem schlauchähnlichen Lokal, lernt er eine illustre Gruppe kennen. Von Dragqueen, Muskelmann und Rocker sind diverseste Charaktere vertreten. Mitten in dem bunten Haufen arbeitet Yume. Die schüchterne junge Dame steht am Grill, serviert Yakitori-Spieße und Hoppy, scheint Schiedsrichterin beim Miau-Jong, einer Katzenwette zu sein.

Vor diesem Hintergrund breitet Durian Sukegawa mit Witz und Charme die Probleme der Tokioer Gesellschaft aus. In der japanische Leistungsgesellschaft ist kein Platz für Menschen mit Einschränkungen, seien sie auch noch so geringfügig. Zudem wird ein unmenschliches Arbeitspensum verlangt, zwangsläufiges Scheitern ist die Basis für zusätzliches Bossing. Frauen können schnell in eine Unterdrückungssituation geraten. Der Autor bearbeitet allerdings nicht nur diese schweren Themen, sondern lässt die Geschichte von einer zarten Verliebtheit begleiten.

Sukegawa‘s Schreibstil ist eher nüchtern. Kurze, einfache Sätze schaffen Klarheit. Es gibt aber auch ganz wundervolle Formulierungen, wie zu Beginn auf Seite 6: „Es war das Ankämpfen gegen einen Lachanfall, als hüpften warme Bällchen in meinem Inneren.“ Solcher Wortwahl bin ich noch nie begegnet, trotzdem ist der Sachverhalt bzw. das Gefühl auf lautmalerische Weise sofort klar. Darüber hinaus reichert der Autor seinen Text mit einer Reihe von Gedichten an. Aus dieser Kombination aus überwiegend verkürzten Text und Gedichten entsteht für mich eine zarte, kunstvolle Poesie.

Ein Highlight wird dieser Roman für mich, weil auf faszinierende Art und Weise Haupt- und Nebengeschichte ineinandergreifen, ohne dass beschwerliche Komplexität notwendig wäre. Die Bedeutung der Katzen, zu der ich nichts weiter ausführen kann ohne zu spoilern, wird so feinsinnig herausgearbeitet, dass auch „Hundetypen“ wie ich, sehr geschmeidig in dieser Katzenwelt unterwegs sein können. Darüber hinaus wechseln sich eher stille Phasen im Roman mit Überraschungsmomenten ab, wodurch zu keinem Zeitpunkt Längen entstehen. So hat mir dieser Roman angefangen vom umschlagsfreien Cover mit der glänzenden, eleganten Katze auf wellengemusterten Grund von Seite zu Seite immer besser gefallen, so dass ich ihn ab der Mitte gar nicht mehr aus der Hand legen wollte.

Ganz klare Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 18.05.2021

Liebesgeschichte zwischen den Kulturen

Laudatio auf eine kaukasische Kuh
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Olga, Tochter georgischer Migranten, ist auf dem besten Weg, Ärztin zu werden. Ihren aktuellen Freund, Felix, ebenfalls Arzt, würde sie sogar heiraten, doch weiß sie noch nicht, wann und wie sie ihn ihren, ...

Olga, Tochter georgischer Migranten, ist auf dem besten Weg, Ärztin zu werden. Ihren aktuellen Freund, Felix, ebenfalls Arzt, würde sie sogar heiraten, doch weiß sie noch nicht, wann und wie sie ihn ihren, an Tradition festhängenden Eltern vorstellen soll. In diesem Szenario taucht plötzlich Jack auf, der Olga am Bahnhof sieht und sich auf den ersten Blick verliebt.

So entsteht sehr schnell eine etwas vorhersehbare Dreiecksbeziehung, die einerseits an Herzkino erinnert, andererseits an Motti Wolkenbruch mit vertauschten Geschlechterrollen. Der Mehrwert der Geschichte liegt für mich auch nicht in der amüsanten Liebesgeschichte, sondern eher in Olga‘s Familiensituation, der sie sich eigentlich mit ihrem mitteleuropäischen Leben entziehen will, der sie aber gleichzeitig vollkommen erlegen ist.

Es hat mir Spaß gemacht, die traditionellen georgischen Regeln für die Partnersuche kennen zu lernen oder besser gesagt die Regeln dort lebender, orthodoxer, griechischstämmiger Christen. Die Vielfalt der in Georgien Lebenden in Bezug auf originäre Herkunft, Glaube und Sprache ist wirklich beeindruckend. Interessant waren für mich auch die unterschiedlichen Blickwinkel auf die Sowjets und deren Nachfolger, dazu: wie wenig eigentlich notwendig ist, um mit kritisch betrachteten Bevölkerungsgruppen einen besonderen gemeinsamen Moment zu haben. Gut herausgearbeitet fand ich zudem die verschiedene Auslegung und den Umgang mit den ebendiesen Regeln ausgewanderten Georgier und Georgier in Georgien.

Mein liebster Charakter war Jack, obwohl ich solche Taschentrickspieler eigentlich gar nicht mag. Seine Energie, ein gesetztes Ziel zu erreichen, hat mich begeistert. Sicherlich hat er anfangs fernab aller Regularien unsauber und betrügerisch agiert, allerdings stets mit guter Absicht. Schließlich wollte er nur das Beste für Olga, verhindern, dass sie einen schlimmen Fehler begeht. Als er dann seine Chance bekam, hatte er plötzlich Zweifel, ob das wirklich berechtigt ist. Diese zwei Seiten hatten es mir angetan.

Vom Stil her ist die Laudatio eine Geradeausgeschichte mit angenehm lesbarer Schreibe, inhaltlich interessant, aber nicht zu komplex, in lange Kapitel gegliedert, aus meiner Sicht somit perfekt als Urlaubslektüre geeignet. Ich mochte den Roman sehr und empfehle ihn gern weiter.

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