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Veröffentlicht am 27.01.2020

Wie wissen wir, dass wir wissen, was wir wissen

Lebt wohl, Ihr Genossen und Geliebten!
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Es fällt mir schwer, die richtigen Worte zu finden, um das Buch von Carmen-Francesca Banciu zu bewerten. Es wird zwar als Roman bezeichnet und im Gesamtkontext fühlt sich das Gelesene auch irgendwie romanhaft ...

Es fällt mir schwer, die richtigen Worte zu finden, um das Buch von Carmen-Francesca Banciu zu bewerten. Es wird zwar als Roman bezeichnet und im Gesamtkontext fühlt sich das Gelesene auch irgendwie romanhaft an, trotzdem erinnert die Aufbereitung des Textes eher an einen tiefgründigen, nachdenklichen Poetry-Slam. Dabei ist die Dichtkunst auf einem hohen Level unterwegs.
Kurz vor dem Ableben ihres Vaters lässt Maria-Maria die Vergangenheit mit ihren Eltern und deren Gefährten, Genossen und Geliebten, Revue passieren. Dabei reflektiert sie die eigene, von außen eingeschränkte Beziehung zu ihrem Vater. Unter dem Leitspruch,
„Erst kommt das Vaterland, die Partei
Die Arbeit, die Pflichten
Danach kommt die Familie“,
ist nicht viel Platz für die Tochter, die besser ein Sohn hätte sein sollen. Nur so ist auch die mangelhafte Würdigung der bisherigen Lebensleistung von Maria-Maria durch den Vater zu begreifen:
„Nichts kannst du, nichts wird aus dir
Niemand wird dich heiraten
Pflegte Vater mir früher zu sagen
Jetzt sagt Vater zu mir
Was kannst du, kannst du überhaupt etwas“
Maria-Maria sinniert hoch philosophisch über das Leben ihres Vaters mit Partei und Geliebten, hinterfragt die Wirkung dessen auf die Mutter und sich selbst. Zudem setzt sie sich mit dem Entfallen des Systems und der plötzlichen Bedeutungslosigkeit des Vaters für die Gesellschaft auseinander.
Für mich hat Carmen-Francesca Banciu das linientreue, sozialistische Leben mit seiner besonderen Leistungsorientierung sehr gut eingefangen. Die mit dem Fall des Eisernen Vorhangs einhergehenden Ängste und Verluste stellt sie angemessen dar ohne zu glorifizieren. Dabei bringt sie auf den Punkt, was selten gewürdigt, vermutlich nicht einmal wahrgenommen wurde. Die Lebenswahrheit der Menschen war quasi über Nacht eine Neue.
Ich empfehle das Buch allen, die sich wirklich ein wenig mit sozialistischer Vergangenheit auseinandersetzen möchten, und bereit sind, sowohl auf Fließtext als auch fast ganz auf Satzzeichen zu verzichten.

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Veröffentlicht am 18.01.2020

Spannung pur - megainteressante Thematik

Subliminal. Das Experiment
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Nachdem mir „Der Bornholm-Code“, das Debüt von Thorsten Oliver Rehm bereits sehr gut gefallen hat, war ich hoch erfreut als ich seinen aktuellen Wissenschaftsthriller „Subliminal. Das Experiment“ entdeckt ...

Nachdem mir „Der Bornholm-Code“, das Debüt von Thorsten Oliver Rehm bereits sehr gut gefallen hat, war ich hoch erfreut als ich seinen aktuellen Wissenschaftsthriller „Subliminal. Das Experiment“ entdeckt hatte.

Thematisch geht es um die Verrohung unserer Gesellschaft induziert durch den Konsum von medialen Inhalten, was dem Genre angemessen, natürlich nicht von allein und rein zufällig passiert. Dafür entwirft Thorsten Oliver Rehm ein utopisches Szenario, wo die Schattenseiten der medialen Durchdringung unseres Lebens bereits auf dem Vormarsch sind und gravierende Auswirkungen entfalten. Geschickt verknüpft er sein Szenario mit Gewalttaten als „Zeichen der Zeit“, die uns tatsächlich in ähnlicher Form regelmäßig in den Medien begegnen. Dadurch wirkt das gesamte Geschehen extrem glaubwürdig, fast schon real, obwohl die unterschwellige Beeinflussung des Denkens in der Bevölkerung doch eigentlich nur Fiktion ist.

Als Fan von populärwissenschaftlicher Literatur konnte mich insbesondere die perfekte Integration des wissenschaftlichen Anteils in die Thriller-Handlung begeistern. Gemeinsam mit der Journalistin Natascha da Silva recherchiert der Leser zu den Hintergründen der exponentiellen Zunahme extremer Gewalttaten in jüngster Vergangenheit, trifft mit ihr auf diverse Typen von Wissenschaftlern, die sich in diesem Forschungsgebiet tummeln. Ganz nebenbei steigt man tief ein in diesen psychologische Themengebiet, lässt sich mitreißen.

Natascha selbst habe ich zu Beginn als übermäßig unzufrieden mit sich selbst und etwas nervig empfunden. Auch ihre Einstellung zur Verwertung unserer persönlichen Daten konnte ich nicht ganz teilen. Trotzdem kam sie mir im Laufe des Lesens ganz nah. Ich mochte ihre Entwicklung vom Underdog-Charakter, der langsam aus sich raus kommt, sich immer mehr zutraut und letztendlich im Sinne der Allgemeinheit über sich hinauswächst. Positiv für die Figur war darüber hinaus die Wiederbelebung lange Zeit schon verdrängter, vielleicht unterdrückter, aber dennoch vorhandener Fähigkeiten.

Meine Lieblingsfigur, Gideon Frøseth, strahlt so richtig schön vollendete Weisheit aus. Professor Frøseth kennt sein Forschungsgebiet und die verschiedenen Charaktere darin. Er weiß um die Grenzen seiner Forschung wie auch um die möglichen Gefahren. Sein Charakter ist durch Offenheit und Ehrlichkeit gekennzeichnet. Obwohl Gideon Frøseth als Forscher nicht im Rampenlicht steht, scheint Neid ihm fremd zu sein. Er hat es gar nicht nötig, ganz vorn mitzumischen. So erklärt sich auch seine Besonnenheit und die Ruhe, die er ausstrahlt.

Frank Steebe kannte ich schon aus Bornholm-Code. Es war mir eine Freude ihn hier in einer wichtigen Nebenrolle erneut zu treffen. Seine neugierige Ader, seine Begeisterungsfähigkeit für die Wissenschaft und sein Drang, auch mal gegen den Strom zu schwimmen, haben ihn mir wieder sympathisch gemacht.

Neben diesen tollen Charakteren und der perfekten Verbindung von Handlung und wissenschaftlichem Background gibt es jede Menge Spannung. Als Leser kann man sich verschwörungstheoretisch so richtig schön reinsteigern in diesen Thriller, das Ausmaß hat man ein bisschen selbst in der Hand. Gelungen sind zudem die Szenenwechsel, die einen Cliffhanger nach dem anderen erzeugen. Man wird regelrecht gezwungen, weiter zu lesen und kann Subliminal nicht aus der Hand legen. Ich bin begeistert und hoffe auf einen weiteren Thriller von Thorsten Oliver Rehm.

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Veröffentlicht am 11.01.2020

Schnitzeljagd

Die unvergleichliche Miss Kopp schlägt zurück
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Im New Jersey und New York von 1915 ermittelt Constance Kopp als erster weiblicher Deputy. Kaum ernannt, steht ihre Ernennung auch schon wieder in Frage. Zu allem Übel entwischt ihr der Sträfling Dr. Von ...

Im New Jersey und New York von 1915 ermittelt Constance Kopp als erster weiblicher Deputy. Kaum ernannt, steht ihre Ernennung auch schon wieder in Frage. Zu allem Übel entwischt ihr der Sträfling Dr. Von Matthesius, ein übler Betrüger, und eine wilde Jagd beginnt.

Zunächst hatte ich meine Mühen, die Gepflogenheiten und die Rollenbilder von 1915 im Rahmen eines Kriminalromans hinzunehmen. Eine Ermittlerin mit langen, schweren Röcken, die sich auf einen Verbrecher wirft, um ihn zu stellen, ist mit heutigen Augen betrachtet schon eine gewagte Vorstellung. Doch mit der Zeit wurde der Widerspruch zwischen ihrer Keuschheit und Vorsicht dem anderen Geschlecht gegenüber auf der einen Seite und ihrem draufgängerischem Mut in Gefahrensituationen auf der anderen Seite zu dem situationskomischen Grundgerüst, das diesen Krimi ausmacht.

Constance Kopp mochte ich insgesamt ganz gern, weil sie sich in kein Raster pressen lässt. Ihr ist zwar stets bewusst, wie sie sich verhalten sollte, wie sie leben sollte, Constance setzt sich jedoch regelmäßig über alle Regeln hinweg. Neben diesem Charakterzug rechne ich es ihr hoch an, dass sie sich und ihre beiden Schwestern allein durchbringt. Sie achtet auch auf eine möglichst respektable Beschäftigung ihrer Schwestern.

Den Sheriff konnte ich ebenfalls gut leiden. Er wollte Constance als ersten weiblichen Deputy einstellen, obwohl er dafür Repressalien kassieren musste. Einzig zweifelte ich an seiner Motivation dazu. Selbst wenn es nirgends im Buch bestätigt wird, hatte ich durchgehend das Gefühl, der verheiratete Sheriff wäre verliebt in Constance. Constance selbst hegt ähnliche Gefühle für ihn. So ermitteln sie gemeinsam stets in Begleitung von Scham und Zurückhaltung.

„Die unvergleichliche Miss Kopp schlägt zurück“ ist aus meiner Sicht kein Kriminalroman im Reinformat. Vielmehr sind Elemente de Komödie und des historischen Romans mit eingemischt. Trotzdem hat sich die Lektüre für mich gelohnt. Auf Basis eines nicht zu anspruchsvollen Textes konnte ich bei der Verfolgung von Constances Abenteuern prima entspannen. Dafür stand allerdings das Locken des Lesers auf eine falsche Fährte stark im Hintergrund.

Fazit: Wer einen reinen Krimi oder gar Thriller sucht, ist hier falsch. Mit etwas Genreflexibilität kann man mit Constance Kopp recht spaßig unterwegs sein.

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Veröffentlicht am 22.12.2019

Mord in der Modewelt

Blutmond
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Schon den ersten Fall von Jeppe Kørner und Anette Werner „Krokodilwächter“ konnte ich nicht aus der Hand legen. Der Thriller war mega spannend und interessant, so dass ich diesem zweiten Fall gegenüber ...

Schon den ersten Fall von Jeppe Kørner und Anette Werner „Krokodilwächter“ konnte ich nicht aus der Hand legen. Der Thriller war mega spannend und interessant, so dass ich diesem zweiten Fall gegenüber hohe Erwartungen hegte.

Der Prolog lässt uns die brachialen Auswirkungen eines kurz zuvor verübten Verbrechens miterleben. Die auf wenigen Seiten beschriebene extreme Szenerie bringt mich schon etwas ins Grübeln, wie die smarte Katrine Engberg, die ich auf Messen und Lesungen sehr entspannt und zuvorkommend erlebt habe, solche krassen Gedanken bzw. Handlungsstränge entwickeln kann. Fakt ist, dass mich die Grausamkeit direkt in die Ermittlungen hineinkatapultiert hat.

Mit Jeppe und Anette machte ich mich auf die Suche nach der anfänglichen Nadel im Heuhaufen, brachte Licht ins Dunkel. Wie auch schon beim „Krokodilwächter“ hat es
Katrine Engberg geschafft, mich ordentlich an der Nase herumzuführen. Im Verlauf hatte ich verschiedene Personen als Täter in Betracht gezogen, von denen allerdings keiner das Verbrechen zu verantworten hatte.

Natürlich spielen auch die Schwächen der Ermittler wieder eine wichtige Rolle. Ich mag es, wenn sie dadurch menschlicher erscheinen. Jeppe ist halt „nur ein Mann“, tollpatschig noch dazu, nach seiner gescheiterten Ehe vielleicht auch gerade etwas ungeübt oder noch nicht bereit, was den Aufbau einer neuen Beziehung angeht. Anette, von der ich im „Krokodilwächter“ noch so begeistert war, weil sie tough und zielstrebig war, immer einen Tucken schneller als Jeppe, konnte ich über weite Strecken überhaupt nicht verstehen? Ehrlich gesagt, mochte ich sie lange Zeit auch nicht besonders. Ich fragte mich die ganze Zeit: „Welchen Kummer wirst du denn nicht los, Mädchen?“ Und: „Muss man es unbedingt so übertreiben mit der Betäubung durch Essen, dass es in Richtung Gesundheitsgefährdung eskaliert?“ Glücklicherweise konnte ich mich zum Ende hin, wieder mit Anette versöhnen. Wirklich hoch erfreut war ich über die Tatsache, dass auch Esther de Laurenti und Gregers weiterhin mit von der Partie sie. Die beiden sind so liebenswürdig.

Abgesehen vom Prolog zeichnet sich dieser Thriller nicht unbedingt durch eine Anhäufung von Gewalt aus. Der Fokus liegt mehr auf den Ermittlungen und den daran Beteiligten. Die Autorin wechselt mit den Kapiteln bzw. Abschnitten zwischen ihren Charakteren hin und her, erzeugt nicht wenige Cliffhanger. So entsteht eine vielschichtige Story, die einen packt und in ihren Bann zieht. Durch das Setting der Copenhagen Fashion Week gewährt uns Katrine Engberg on top einen Einblick in die Machenschaften der Modewelt.

Leider war das Lesevergnügen viel zu schnell vorbei. Meine Erwartungen wurden voll erfüllt. Es gibt nur einen minimalen Kritikpunkt, der meine Zufriedenheit mit „Blutmond“ aber nicht eintrübt. Ich fand es etwas schade, dass Delilahs Auftritt so kurz war und im Verlauf nicht wieder auftauchte. Nun bin ich gespannt auf Glasflügel, den dritten Fall der Serie.

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Veröffentlicht am 10.12.2019

Unverblümter Sprachstil skizziert Familienwahrheit

Kampfsterne
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Alexa Hennig von Lange berichtet in ihrem Roman von den alltäglichen Problemen dreier Paare und zugehörigen Kindern. Ulla und Rainer. Rita und Georg. Ella und Bernhard. Dabei werden die Herausforderungen ...

Alexa Hennig von Lange berichtet in ihrem Roman von den alltäglichen Problemen dreier Paare und zugehörigen Kindern. Ulla und Rainer. Rita und Georg. Ella und Bernhard. Dabei werden die Herausforderungen innerhalb der Ehe und Familie genauso thematisiert wie die Fronten, die innerhalb von Freundeskreisen entstehen können. Das Ganze ist zeitlich in die 80er Jahre eingebettet. Als Leser fragte ich mich die ganze Zeit, ob die Autorin aus der Sicht von Lexchen ihre eigene Geschichte erzählt oder wieviel von der Story tatsächlich autobiografisch ist.

Für die Geschichte selbst ist das Setting der 80er aus meiner Sicht nicht unbedingt ausschlaggebend. Die Kinder-hütende und vom Mann abhängige Ehefrau existiert heute noch ganz genauso, leider. Selbst wenn Frauen in Vollzeit arbeiten, ergibt sich doch bezogen auf die Rollenverteilung mehrheitlich ein klassisches Bild. Schön fand ich in diesem Rahmen die feinsinnig herausgearbeiteten Mechanismen, die gestresste Familien ereilen. Die Situation als sich ein Vater mit seinem Knäckebrot hinter einen Baum im Garten zurückzieht, um egoistisch einige ruhige Minuten für sich selbst herauszuschinden, kann bespielhaft verdeutlichen, was ich meine. Es schleicht sich ein innerer Rückzug ein, wo sich die Partner letztlich nicht mehr in gesundem Maße austauschen. Die Liebe bröckelt, droht verloren zu gehen.
Natürlich sind auch die Freundschaft belastende Elemente vorhanden. Neid und unerlaubte Gefühle wiegen hier für mich am schwersten.

Technisch gesehen besteht der Roman fast ausschließlich aus den Gedanken der einzelnen Charaktere. Die Beobachtungen der Nachbarschaft, die damit verbundenen Freuden, aber auch Ängste und Sorgen sind jeweils in der Ich-Perspektive notiert. Obwohl dies eigentlich die Figuren näher an den Leser heranrückt, fühlte ich mich nur zwei Charakteren richtig verbunden, Lexchen als wichtigste Figur des Romans und Johannes. Ihn mochte ich sogar noch ein bisschen mehr, zugegebenermaßen habe ich allerdings auch eine Schwäche für sensible Underdock-Typen. Zu den anderen Charakteren, insbesondere zu den Erwachsenen, empfand ich bis zum Schluss eine gewisse Distanz. Trotzdem hat mir der schnelle Wechsel zwischen den Figuren gut gefallen. Dadurch konnte ich in jeder Situation verschiedene Positionen einnehmen und die verschiedenen Sichtweisen kennen lernen. Wenn man das Ein oder Andere für sich selbst annimmt, regt der Roman auch ein wenig zur Selbstreflektion an. Sprachlich mag ich besonders die „bösen“ Gedanken mit der darin liegenden Ehrlichkeit. Auch in der besten Beziehung wird es Situationen geben wo sich mindestens ein Partner dusselig verhält. Dann darf man wenigstens: „Wie doof ist das denn?“ denken. Man muss es ja nicht jedes Mal aussprechen.

Insgesamt war Kampfsterne für mich unterhaltend und anregend, manchmal erschreckend und ernüchternd. Durch die Aufbereitung konnte ich mich ganz natürlich von der Geschichte mitreißen und mich darin treiben lassen. Eine lohnenswerte Leseerfahrung.

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