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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 16.10.2019

Mein erster Poetry Slam

Poet X
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Xiomara lebt mit ihrem Zwillingsbruder und ihren Eltern in New York unter schwierigen Bedingungen. Die aus der Dominikanischen Republik stammende Mutter ist dem katholischen Glauben verfallen, erwartet ...

Xiomara lebt mit ihrem Zwillingsbruder und ihren Eltern in New York unter schwierigen Bedingungen. Die aus der Dominikanischen Republik stammende Mutter ist dem katholischen Glauben verfallen, erwartet auch von Xiomara strenge Gläubigkeit. Gleichzeitig muss sich Xiomara mit ihrer Wertigkeit als Frau auseinander setzen. Nur ihr Bruder darf eine „gute“ Schule besuchen. Zudem muss Xiomara ständig sexistische Anmachen über sich ergehen lassen. Als sie sich dann in ihren Klassenkameraden Aman verliebt, nimmt ihr problembehaftetes Leben schwer zu ordnende Züge an.

Elizabeth Acevedo schreibt so eindringlich, dass ich blitzschnell und intensiv in die Geschichte hineingezogen wurde. Es fühlte sich an, als würde mir das alles gerade passieren. Trotzdem hatte ich stets eine jüngere Version der Autorin vor Augen. Vermutlich hat das Cover mit der kraushaarigen Schönheit dieses Bild in mir erzeugt. Ich mochte die gedichtartige Aufteilung, auch die manchmal überraschende Anordnung des Textes sehr. Es entstand ein für mich ganz neues Lese-Feeling. Es war ein bisschen wie ein Wettrennen, aber ich konnte nicht anders, als immer nur weiter zu lesen.

Xiomara, später Poet X, ist mir sehr ans Herz gewachsen. Sie geht den unbequemen Weg, bleibt sich selbst dabei immer treu, auch wenn sie dafür ihre Mutter zutiefst verletzen muss. Ihre Entwicklung von der schweigsamen, sich ihrer Fäuste bedienenden Xiomara, hin zu Poet X, die ihre Gefühle zunächst in einer Art Tagebuch niederschreibt, dann der Einladung ihrer überaus engagierten Lehrerin in den Slam-Poetry-Club folgt und letztlich öffentlich mit ihren Gedichten auftritt, fand ich wunderbar.

Fazit: „Poet X“ ist ein Buch über das Erwachsenwerden, über das Zu-sich-selbst-Finden, über eine Glaubenskrise und über die erste Liebe. Obwohl durchaus ernste Themen wie Gewalt und Sexismus behandelt werden, kommt dieser slammende Poetry-Roman mit einer mitreißenden Leichtigkeit daher. Das hat mir mehr als nur gefallen. Ich empfehle Elizabeth Acevedo‘s Debüt gern weiter. Versucht einzelne Abschnitte (oder auch Alles) laut, also mit Stimme. Das kommt dann richtig cool.

Veröffentlicht am 16.10.2019

KA-WUMM

Jack, der Monsterschreck, und die Zombie-Apokalypse
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„Jack, der Monsterschreck und die Zombie-Apokalypse“ ist ein comicartiges, Action geladenes Abenteuer mit cooler, sprücheklopfender Sprache, das vielleicht auch Lesemuffel davon überzeugt, mal ein Buch ...

„Jack, der Monsterschreck und die Zombie-Apokalypse“ ist ein comicartiges, Action geladenes Abenteuer mit cooler, sprücheklopfender Sprache, das vielleicht auch Lesemuffel davon überzeugt, mal ein Buch in die Hand zu nehmen. Die Sprache ist einfach und laut, in etwa so, wie ich mir Zehnjährige auf dem Schulhof vorstelle. Ergänzt wird der Text durch zahlreiche schwarz-weiße Zeichnungen, was aus meiner Sicht zusätzliche Lesemotivation erzeugt.

Jack ist dabei der typische Antiheld, der im Laufe der Story über sich hinauswächst, Freunde findet und mehr Zuversicht für sein Leben gewinnt. Es ist ein bisschen so, wie bei „Parker Lewis - Der Coole von der Schule“. Es gibt einen Coolen, einen Schlauen und einen Jungen, der stark ist. In Kombination geben sie ein tolles Team ab, auch wenn sie manchmal aneinander vorbei reden und ein bisschen brauchen, bis sie sich verstehen. Neben der Sprache macht genau das den Witz und Charme dieses Buches aus.

Als AddOn gibt es ein Quiz bei Antolin, wodurch sich die Kinder noch intensiver mit dem Lesestoff auseinandersetzen können.

Das Buch an sich hat mir ziemlich gut gefallen, vor allem für Jungen ab zehn. Gestört hat mich allerdings das Recht häufige ProductPlacement. Das hat aus meiner Sicht in Büchern für Kindern nichts zu suchen.

Veröffentlicht am 16.10.2019

Feinsinnige Analyse

Ein anderer Takt
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Kelleys Roman „Ein anderer Takt“ erscheint mit einem Vorwort von Kathryn Schulz und klingt mit einem Statement von Jessica Kelley über ihren Vater aus. Beide stellen uns den recht unbekannten William Melvin ...

Kelleys Roman „Ein anderer Takt“ erscheint mit einem Vorwort von Kathryn Schulz und klingt mit einem Statement von Jessica Kelley über ihren Vater aus. Beide stellen uns den recht unbekannten William Melvin Kelley und seinen Werdegang vor, beschreiben seine Schreibkunst und analysieren die Hintergründe für das In-Vergessenheit-Geraten seines Werkes. Das Wiederentdecken dieses Autors stellt für mich eine echte Bereicherung dar.

Zunächst war es für mich etwas befremdlich, stets und ständig von Negern oder noch schlimmer Niggern zu lesen, weil dieser Sprachgebrauch im hier und jetzt doch sehr anstößig wirkt. Wenn man sich jedoch bewusst macht, dass „Ein anderer Takt“ im Amerika von 1962 erschienen ist, würden durch die Anpassung der Sprache historische Tatsachen beschönigt, verwässert, ganz und gar verändert werden. Der Sinn und die Aussagekraft des Romans würden verloren gehen.

Kelley beschäftigt sich in seinem Roman mit den Herausforderungen der beginnenden Aufhebung der Rassentrennung, mit denen sich sowohl Weiße und Schwarze auseinandersetzen müssen. Er entwirft dafür eine Utopie, wonach beginnend mit dem schwarzen Farmer Tucker Caliban die gesamte Farbige Bevölkerung eines fiktiven Bundesstaats diesen in Richtung Norden verlässt und damit den ansässigen Weißen Landbesitzern die Arbeitskräfte entzieht. Die Schwarzen nutzen die Chance auf ein von Weißen emanzipiertes Leben, wie es in Tuckers Statement von S. 267 ganz besonders deutlich wird: „Man hat nur eine einzige Chance: wenn man kann und wenn man will. Wenn eins davon fehlt, braucht man‘s gar nicht erst zu versuchen.“ Ziemlich hilflos bleiben die Weißen zurück. Wer soll ihre Felder bestellen? Wer die Pacht, von der sie leben, bezahlen?

Mit unterschwellig anhaltendem Spott betrachtet Kelley die wenig gebildeten Weißen, die einem stumpfsinnigen Alltag auf der Veranda eines Ladens frönen. Sie richten ihre Ansichten und sogar ihren gesamten Tagesablauf an einem alten Rollstuhlfahrer aus, so als würden sie dem „Ältesten“ ihrer Art überall hin folgen. Einer echten wertschöpfenden Tätigkeit geht fast niemand nach. Auf mich wirken die Weißen im Boreout gefangen. In diesem Mikrokosmos der Veranda schafft es Kelley, die feinen Unterschiede in der Haltung gegenüber Schwarzen zwischen den einzelnen weißen Charakteren herauszuarbeiten. Er lässt durch bewusste Lücken dem Leser Raum zum Weiterdenken und für eigene Interpretation.

Wohlwissend, dass Kelley zur Veröffentlichung erst Mitte Zwanzig war, möchte ich seiner Feinsinnigkeit verbunden mit der klugen Pointierung höchsten Respekt zollen. Sein Gespür für die Menschen, ihre Haltung und der daraus resultierenden Gefahr, die bis heute aktuell ist, hat mir gefallen.

Veröffentlicht am 27.09.2019

Schönes Debüt

Die Welt in allen Farben
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„Die Welt in allen Farben“ ist ein Roman, der mit sehr wenigen Charakteren auskommt. Die beiden Protagonistinnen Nova und Kate haben durch ihre Lebensgeschichte „nur“ ein kleines soziales Umfeld. Trotzdem ...

„Die Welt in allen Farben“ ist ein Roman, der mit sehr wenigen Charakteren auskommt. Die beiden Protagonistinnen Nova und Kate haben durch ihre Lebensgeschichte „nur“ ein kleines soziales Umfeld. Trotzdem hat Joe Heap ein gehaltvolles Debüt hingelegt. Er setzt sehr intensiv mit dem Leben, den alltäglichen Problemen und den Gefühlen der beiden auseinander. Novas und Kates Gefühlswelt wird hauptsächlich durch die Handlungen, Aktionen und (Über-)Reaktionen, auch dem ein oder anderen „Ausraster“ der beiden zum Leser transportiert.

Beide Persönlichkeiten müssen ihr Leben fernab von normalen Umständen meistern. Nova ist von Geburt an blind, soll jetzt durch eine Operation erstmalig Sehkraft bekommen. In ihrem blinden Leben ist sie jedoch perfekt eingerichtet und kommt ohne fremde Hilfe zurecht. Sie kann sogar als Dolmetscherin arbeiten. Kate ist eine kontaktscheue Persönlichkeit, die ein eher unterwürfiges Leben führt. Jeder Versuch, sich zu emanzipieren, wird bestraft. So kommt es zu einem „Unfall“, der Kate in dieselbe Station im Krankenhaus befördert, in der sich Nova nach ihrer Augen-OP befindet. Ich konnte für beide Charaktere Sympathie empfinden, wobei meine Zuneigung zu Nova etwas stärker ausgeprägt ist. Trotz ihrer vielfältigen Abweichung von „normal“ (was die Allgemeinheit halt so als normal empfindet) meistert sie ihr Leben clever, tritt Herausforderungen mutig gegenüber, setzt sich durch. Kate war mir etwas zu anpassungswillig. Für mich ist es immer schwer nachvollziehbar, wenn jemand über einen langen Zeitraum hinweg seine eigenen Interessen zurücksteckt, um möglichst nicht anzuecken und möglichst allen oder ausgewählten Leuten zu gefallen.

Mit dem Erzählen dieser berührenden Geschichte hat Joe Heap allerdings auch mein Zentrum für Selbstreflektion angesprochen. Als Sehender ist es einfach sich zu entscheiden, ob man sehen will oder nicht. Man würde auch vieles tun, um einen drohenden Verlust des Sehens zu vermeiden, weil wir uns einfach nicht vorstellen können, dass auch ein blindes Leben ein schönen Leben sein kann. Dass diese Überlegungen umgekehrt genauso ablaufen könnten, habe ich nicht einmal in Erwägung gezogen. Genauso ist es leicht zu behaupten, sich im Fall des Falles einer potentiellen Gewalt in der Familie entziehen zu wollen und zu können. Aber so einfach ist es eben doch nicht. Diese Ansprache des Romans an das eigene Gewissen, die Einnahme einer anderen Perspektive hat mir daran am besten gefallen.

Abzüge in der Bewertung nehme ich vor, weil Nova für mich etwas zu viele „Normalitätsabweichungen“ auf sich vereint. Dadurch wird in meinen Augen nicht mehr Wirkung erzielt, eher leidet die Glaubwürdigkeit. Zudem ist die Handlung wenig überraschend, manches Ereignis war für mich leicht vorherzusehen. Trotzdem hat mir „Die Welt in allen Farben“ gut gefallen.

Veröffentlicht am 25.09.2019

Ungewöhnlicher Roman

Drei
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Oft enttäuschen mich Bücher, wenn sich die Geschichten ganz anders entwickeln, als ich mir das vorher ausgemalt habe, wenn die Abweichung zwischen Erwartung und tatsächlichem Inhalt zu groß wird. Hier ...

Oft enttäuschen mich Bücher, wenn sich die Geschichten ganz anders entwickeln, als ich mir das vorher ausgemalt habe, wenn die Abweichung zwischen Erwartung und tatsächlichem Inhalt zu groß wird. Hier musste ich nach Klappentext und den ersten paar Seiten an Daniela Kriens „Die Liebe im Ernstfall“ denken. Abgesehen von den vorkommenden Dating-Portalen gibt es im Nachhinein betrachtet jedoch kaum Gemeinsamkeiten. Ich muss ein wenig schmunzeln, dass ich überhaupt diesen Gedanken hatte. Trotzdem war es interessant sich mit „Drei“ auseinanderzusetzen.

Zum inhaltlichen möchte ich mich nicht äußern, da man bei diesem Roman blitzschnell ins Spoilern gerät. Daher möchte ich von der Art und Weise der Aufbereitung berichten. Der Roman ist titelgerecht in genau drei Teile gegliedert, die jeweils die Geschichte einer Frau behandeln und scheinbar nur sehr locker über einen Mann miteinander verbunden sind. Die Teile sind in angenehm kurze Kapitel aufgeteilt, die zum steten Weiterlesen verleiten. Der Schreibstil beginnt im ersten Abschnitt mit verkürzt männlicher und unkomplizierter Sprache, die sich im zweiten Teil fortsetzt. Etwas Gewöhnung benötigen die israelischen Orte und Bezeichnungen, was aber keinesfalls ein Problem für mich darstellt. So liest man insbesondere im ersten Abschnitt, abgeschwächt auch im Zweiten eine mit den Seiten intensiver werdende, also anschwellende Geschichte, erwartet einen Höhepunkt mit danach fallender Handlung wie im Drama. Der Effekt, der durch den Wendepunkt entsteht, ist Wahnsinn, um es vorsichtig auszudrücken, macht den eigentlichen Reiz des Romans aus.

Die originären Schicksale der Frauen haben mich auf verschiedenen emotionalen Ebenen berührt. In Orna konnte ich mich richtig gut hineinversetzen, mit ihr fühlen. Für Emilia habe ich Mitleid empfunden. Ich mochte ihre Spiritualität. Emilias Geschichte würde ich durchaus auch als Sozialkritik an den israelischen Gegebenheiten werten. Insgesamt habe ich die beiden Teile ganz schön bedrückend, fast schon depressiv empfunden.

Im dritten Teil war nach wenigen Seiten klar, dass hier etwas anders sein würde. Der Schreibstil in diesem Abschnitt ist für mich außergewöhnlich, die Mischung aus Konjunktiv und Futur II ist schon etwas Besonderes, die daraus resultierende Perspektive erschien mir recht kreativ. Die komplizierte Sprache wirkt, als ob der Autor seine literarisch weibliche Seite in den Vordergrund rücken möchte, was auch gut zum Geschehen im Roman passt. Zudem teilt sich der dritte Abschnitt in zwei Handlungsstränge auf, die am Ende wieder zusammenfinden. Diese Stilmittel haben dem Roman noch mehr Drive verliehen, ihn für mich noch interessanter gemacht.

Trotzdem kann ich „Drei“ keine Top-Bewertung geben. Zum einen wurde ich förmlich erschlagen von den „verkürzten Dramen“ in nur drei Akten, zum anderen war der Ausgang des Romans recht schnell im dritten Abschnitt vorherzusehen.