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Veröffentlicht am 28.04.2019

Thrillerartige Dystopie

Die Geschichte der schweigenden Frauen
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Eigentlich müsste in Green City das weibliche Geschlecht aus einer erhöhten Machtposition heraus agieren können, nachdem durch einen für Frauen tödlichen Virus ihre Anzahl erheblich dezimiert wurde. Sie ...

Eigentlich müsste in Green City das weibliche Geschlecht aus einer erhöhten Machtposition heraus agieren können, nachdem durch einen für Frauen tödlichen Virus ihre Anzahl erheblich dezimiert wurde. Sie sind die einzige und letzte Chance für Green City zu überleben. Nur die besten Männer wären von den wenigen Frauen auserwählt, eine Familie gründen, der gesamte Arbeitsaufwand und die Versorgung der Familien würde von Männer erledigt werden. Das Kinderhaben wäre durch die Unterstützung so attraktiv, dass der Fortbestand von Green City gesichert wäre...

Die Realität von Green City sieht jedoch ganz anders aus. Die eigentlich wertvollen Frauen werden in einen goldenen Käfig gesperrt und vollgepumpt mit fruchtbarkeitssteigernden Medikamenten zu Gebärmaschinen degradiert. Obwohl ihnen materiell vermutlich nichts fehlt, ist ihr Leben wenig lebenswert. Wie Vieh werden sie mit verschiedenen Männern zusammen gebracht, ihre Körper als Brutschränke ausgezehrt, bis sie zusammenbrechen. Der Begriff der Zwangsverheiratung erscheint dabei fast noch beschönigend. Da das Zusammensein von Mann und Frau einzig dem Zweck der Fortpflanzung dient, gibt es Liebe und Zuneigung nur zwischen Müttern und ihren Kindern, ansonsten ist das Leben kalt und einsam.

Vor diesem Hintergrund gefällt mir das etwas düstere Cover mit der hübschen, aber stark geschwächt wirkenden jungen Frau. Obwohl sie eine wunderschöne Aussicht genießen könnte, wirkt sie abgewandt vom Leben, mutet depressiv an. Gelungen finde ich zudem die Wiederholung einzelner Bildausschnitte auf dem Buchrücken und auf der Rückseite. Die zweisprachige Betitelung der Kapitel hatte etwas Schönes.

Einige wenige Frauen schaffen es, sich dieser Realität zu entziehen. Sie leben im Untergrund, in der sogenannten Panah, und verdienen ihren Unterhalt mit Etwas, das in Green City verboten ist, unter drakonische Strafe gestellt ist, Zuneigung ohne Sex. Zu ihnen gehören auch Sabine, Lin und Rupa. Da die wohlhabenden Männer, die diese Dienste in Anspruch nehmen, irgendwann mehr wollen, gerät das ganze Konstrukt aus den Fugen.

Die Welt von Green City ist recht rudimentär beschrieben, gerade so umfangreich, wie es für das Verständnis der Geschichte erforderlich ist. Vermutlich dadurch erscheinen bestimmte Fakten, die keine weitere Verwendung finden, wie der Ultimative Krieg, etwas aufgesetzt. Die Unterdrückung der breiten Masse innerhalb des Überwachungsstaates und das Hinwegsetzen der staatlichen Elite über die eigenen strengen Regeln empfand ich dagegen äußerst glaubwürdig. Die Entwicklung der Protagonistin Sabine ist nachvollziehbar. Bei ihr hätte ich mir allerdings eine umfangreichere Ausprägung ihrer Emotionen gewünscht, sowie einen deutlicheren Austausch mit Lin und Rupa. Die Drei wirken deshalb nicht richtig wie eine eingeschworene Gemeinschaft, die gegen den Rest der Welt antritt und zusammen rebelliert.

Ich mochte die indisch-asiatische, vielleicht auch etwas arabische Atmosphäre des Romans. Aus dem Rahmen fällt dabei nur der recht deutsche Name Sabine. Die indische Version Sabina hätte mir persönlich besser gefallen. Durch das Kippen der eingefahrenen Struktur kommt Geschwindigkeit in „Die Geschichte der schweigenden Frauen“, die in der zweiten Hälfte auch mächtig an Spannung zulegt. Das Gedankenspiel der Verknappung von Frauen war sehr interessant. Insgesamt ist diese Dystopie vielleicht nicht perfekt, hat dennoch einen guten Unterhaltungswert.

Veröffentlicht am 23.04.2019

Formen der Sklaverei

Die Frauen von Salaga
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Die Frauen von Salaga, das sind Aminah und Wurche, die wir beim Erwachsenwerden und dem Entwachsen einer von Männern dominierten Welt im 19. Jahrhundert Westafrikas begleiten. Dabei meint Entwachsen eine ...

Die Frauen von Salaga, das sind Aminah und Wurche, die wir beim Erwachsenwerden und dem Entwachsen einer von Männern dominierten Welt im 19. Jahrhundert Westafrikas begleiten. Dabei meint Entwachsen eine frühe Form der Emanzipation und ist mit unseren heutigen Maßstäben nicht messbar. Aminah und Wurche stammen aus sozialen Schichten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Trotzdem hat man als Leser, weil der Klappentext ihre Beziehung zueinander bereits preisgibt, von Beginn an das Gefühl, dass beide gut zueinander passen werden.

Eingebettet ist die Geschichte der beiden Frauen in ein Szenario, in dem der Wettstreit der Kolonialmächte um die besten Landstriche Afrikas bereits in vollem Gange ist. Es werden Kriege gegen die afrikanischen Völker geführt. Deren Chiefs werden von den Weißen hintergangen, finden sich in ihrem Leben nicht mehr wirklich zurecht. Die Hintergrundhandlung wird dabei nicht in epischer Breite erzählt, sondern findet eher in Form von Andeutungen statt.

Mir gefallen beide Charaktere, Aminah und Wurche, weil sie sich nicht einfach in ihre Rolle als Frau fügen, sondern darüber hinaus nach Selbstbestimmung streben. Während dies bei Aminah eher im Stillen, in ihren Gedanken stattfindet, ist das Widerstreben bei Wurche auch nach außen sichtbar. Trotzdem blieb ich ihnen gegenüber auf Distanz und wurde nicht richtig warm mit ihnen. Was mich sonst eher stört, war mir hier jedoch willkommen. Wären mir beide zu sehr ans Herz gewachsen, hätte ich ihr Schicksal, ganz besonders das von Aminah, nicht ertragen können.

Die Lesegeschwindigkeit ist hoch, wenn man nicht aufpasst, liest man den Roman an einem Tag und lässt das Gelesene gar nicht auf sich wirken. Zudem gefällt mir die Erzählweise der Geschichte aus wechselnden Blickwinkeln auf Aminah und Wurche. Etwas gewöhnungsbedürftig waren die recht großen Zeitsprünge und die daraus entstehenden Lücken. Die Landkarte ganz am Anfang habe ich gern zur Orientierung, welche „Stämme“ und Orte gerade beschrieben werden, genutzt. Insgesamt waren die Frauen von Salaga vielleicht nicht unbedingt ein neues Lieblingsbuch für mich, aber empfehlenswert ist es schon aufgrund der historischen und auch kulturellen Einblicke, die es gewährt.

Veröffentlicht am 23.04.2019

Facettenreiche Evolution

Spiel des Lebens
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Wenn wir spontan über den Begriff des „Zähmens“ nachdenken, erinnern wir uns wahrscheinlich an Western-artige Filmsequenzen, wo der Wille eines Pferdes, frei zu sein, durch Zureiten derart verändert wird, ...

Wenn wir spontan über den Begriff des „Zähmens“ nachdenken, erinnern wir uns wahrscheinlich an Western-artige Filmsequenzen, wo der Wille eines Pferdes, frei zu sein, durch Zureiten derart verändert wird, das es akzeptieren kann, beim Menschen zu leben und ihn auf seinem Rücken zu tragen. Vielleicht fallen uns auch noch Hunde als vertraute Gefährten und Nachfahren des Wolfes ein, die wir gern streicheln. Dabei gehört zur Domestikation von Flora und Fauna viel mehr als diese „Halbwahrheiten“. Zudem haben die letzten zehn Jahre durch Genanalysen zu einem erhöhten Erkenntnisgewinn beigetragen, so dass es sich in jedem Fall lohnt, das bruchstückhaft hängengebliebene Schulwissen über die Menschheitsgeschichte, das inzwischen teilweise überholt ist, mit Alice Roberts‘ „Spiel des Lebens“ aufzufrischen.

In einer Auswahl von neun Beispielen, im Einzelnen sind das Hunde, Weizen, Rinder, Mais, Kartoffeln, Hühner, Reis, Pferde und Äpfel, erklärt Alice Roberts deren Entwicklungsstadien im Zusammenwirken mit der Menschheitsgeschichte. Dabei sind die ersten Kapitel stark von der Frage, wer hier wen zähmt, geprägt. Später bekommen Genforschung und eine wohlwollende Diskussion zu genveränderten Erzeugnissen mehr Aufmerksamkeit. Der Leser merkt regelrecht, wie sehr Alice Roberts ihr Fachgebiet liebt. „Spiel des Lebens“ rekapituliert für jede Spezies mehrere Diskussionsstände der Wissenschaft. Alice Roberts fasst die jeweils vorhandenen Indizien aus Archäologie und Geschichte zusammen und entwickelt für den Leser ein Bild im Zeitraffer, wie es sich auch für die Evolutionsforscher aufgetan haben muss. Die grundsätzlich unvollständige Beweislage erzeugt mit jedem entdeckten, neuen Puzzleteil den stufenweise Erkenntnisgewinn, der hier gekonnt nachvollzogen wird. Schließlich wird noch ein Blick auf die Entwicklung des modernen Menschen selbst geworfen.

Die recht anspruchsvolle Thematik ist, ein grundsätzliches Interesse vorausgesetzt, auch für den Laien gut zu verstehen. Jeder Spezies ist ein eigenes in sich abgeschlossenes Kapitel gewidmet. Es beginnt immer mit einer kurzen Geschichte zur Einstimmung, gefolgt von einer wissenschaftlichen Herleitung der potentiellen Entstehungsgeschichte. Damit die zeitliche Einordnung gelingt, werden sämtliche präsentierten Zeiträume von historischen Ereignissen, die zum Teil auch in Wechselwirkung mit der Evolution treten, flankiert.

Hervorzuheben ist Alice Roberts‘ Vorliebe zu berichten. In machen Kapiteln schweift sie regelrecht etwas ab, nimmt den Leser mit auf eine Exkursion. Mir hat gefallen, dass der Leser immer mal wieder ganz persönlich angesprochen wird. So entsteht ein bisschen das Gefühl, als würde man Alice Roberts tatsächlich begleiten.

Am besten fand ich die Kapitel über Pferde und Äpfel, Pferde, weil ich durch medialen Konsum auf Irrwege geraten war, und mit Äpfeln hatte ich mich wohl vorher überhaupt noch nicht beschäftigt. Offensichtlich hatte ich sie als gegeben hingenommen.

Insgesamt habe ich mich hier gern mit einer für mich ungewohnten Materie beschäftigt. Nachdem ich ein paar Längen zum Ende des ersten Drittels überwunden hatte, war es ein Genuss die verschiedenen Spezies in ihrer Entstehung zu begleiten. Ein paar eingestreute Grafiken im Stil der Abbildungen zu Kapitelbeginn mit einer Darstellung der Domestikationszentren und den geographischen Strömungen der Arten wären aus meiner Sicht noch hilfreich gewesen. „Spiel des Lebens“ war für mich ein Türöffner zu einer interessanten Wissenschaft, der ich zukünftig mehr Aufmerksamkeit schenken möchte.

Veröffentlicht am 12.04.2019

Bedrückende Ehrlichkeit einer Mutter

Frau im Dunkeln
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Das Leben einer selbstbestimmten Frau, die zur Mutter wird und dann bis zu ihrem Tod fortwährend Mutter sein wird, ist geprägt durch innere Zerrissenheit, Selbstzweifel, aber auch durch ein Ungerechtigkeitsempfinden, ...

Das Leben einer selbstbestimmten Frau, die zur Mutter wird und dann bis zu ihrem Tod fortwährend Mutter sein wird, ist geprägt durch innere Zerrissenheit, Selbstzweifel, aber auch durch ein Ungerechtigkeitsempfinden, das aus der teilweisen Aufgabe des eigenen Ichs bzw. dem Hintenanstellen eigener Interessen an die Bedürfnisse der Familie resultiert. So geht es auch Leda, die jetzt fast fünfzig ist und deren erwachsene Töchter beim Vater in Kanada leben. Sie ist froh, sich um niemanden mehr kümmern zu müssen. Dennoch hängt der Schatten des Mutterseins noch deutlich über ihr. Statt an der Universität in Florenz zu forschen, statt sich selbst intellektuell weiterzuentwickeln, unterrichtet sie wie schon viele Jahre zuvor Englisch. Den Sommer verbringt Leda in Süditalien am Strand, wo sie ihre neue Freiheit genießen will. Doch beim Beobachten der anderen Strandbesucher, insbesondere einer jungen Mutter mit ihrer Tochter, kommen ihr all die Erinnerungen wieder in den Sinn, die ihr ein schlechtes Gewissen bereiten.

Obwohl Leda sich merkwürdig benimmt und man sie aufgrund ihrer Handlungen und negativen Gedanken gar nicht wirklich mögen dürfte, bin ich ihr ziemlich nahe gekommen. Vielleicht ist es die Ehrlichkeit, die unschöne Seite des Mutterseins preiszugeben, die mir imponiert hat. Ihre Aktion am Strand empfinde ich als „kleine Rache“ an der Folgegeneration. Auch wenn ich Verständnis für ihr Bedürfnis auszubrechen habe, kann ich längst nicht alle Taten gutheißen.

Elena Ferrantes Stil, die Geschichte überwiegend mittels gesprochenem Wort und auf Basis von Ledas Gedanken zu erzählen, hat mir sehr gut gefallen. Lediglich
Prolog und Ende passten für mich nicht so richtig zum Rest des Romans. Meinem Empfinden nach wirkte es etwas aufgesetzt, oder anders ausgedrückt, wenn Prolog und Ende Ledas Gedankenwelt einrahmen soll, dann ist mir persönlich der Rahmen zu schmal. Insbesondere das Ende fällt mit der Tür ins Haus, kommt mir zu plötzlich. Aufgrund des Prologs hatte ich spätestens im letzten Drittel eine deutliche Wendung erwartet.

Trotz der Kritik mochte ich „Frau im Dunkeln“ ganz gern. Mütter, die schon ein Weilchen dabei sind, empfehle ich es gern, Vätern auch. Werdenden Müttern und Frauen, die demnächst Mutter werden wollen, rate ich thematisch davon ab.

Veröffentlicht am 11.04.2019

Witzig – aber wirklich wenig sinnvoll

Das ultimative Anti-Kochbuch - Sinnlos "kochen" mit Wasserkocher, Toaster, Backofen, Mikrowelle und Co.
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Das ultimative Anti-Kochbuch ist fast genau das, was auch sein Marketing behauptet, sinnlos. Aber ganz stimmt das nicht, dem Gerne-Koch und bestimmt noch viel mehr dem Kochmuffel zwingt es ein Lächeln ...

Das ultimative Anti-Kochbuch ist fast genau das, was auch sein Marketing behauptet, sinnlos. Aber ganz stimmt das nicht, dem Gerne-Koch und bestimmt noch viel mehr dem Kochmuffel zwingt es ein Lächeln auf. Das ist dann schon die halbe Miete zur Kochanimation, lieber etwas Sinnloses oder auf den ersten Blick „Ekliges“ – weil viel zu fettig bzw. kalorienhaltig - kochen als gar kein Essen. Auch für den Abbruch einer ungeliebten Diät mittels Fressattacke ist es der perfekte Ratgeber, denn wie kann man schöner aufhören zu hungern als mit Gourmet-Fleischkäse-Cordon-Bleu oder mit Hack-Käse-Auflauf. Ebenfalls auf dem Programm stehen Cocktails und andere Partygetränke, die ich tatsächlich im Sommer beim Grillen mal anbieten werde. Damit der Kochneuling nicht während des Rezeptstudiums auf Fremdwörter stößt, ist den Rezepten eine Vorstellungsrunde wichtiger Küchengeräte und Werkzeuge vorangestellt. Hier ist die Empfehlung des Einbaus von zwei Geschirrspülern mein persönlicher Favorit.

Sicherlich ist dieses Kochbuch nichts für Jedermann. Es ist teilweise lustig und teilweise richtig „doof“. Ein ganz schlimmes Beispiel: Wer kocht Reis im Wasserkocher, weil er keinen Topf abwaschen will? Jemand, der gern Tee und Kaffee mit Reisgeschmack mag, oder der lieber einen Wasserkocher per Hand reinigt, anstatt Töpfe in den Geschirrspüler zu räumen? Das darf man nicht so eng sehen. Die Nährwertangaben haben mir nur am Anfang gefallen, später mochte ich sie nicht mehr ganz so gern.

Fazit: Wer seinen Sohn zum Auszug etwas schenken will, ist hier richtig. Wer einen Kochmuffel anschubsen will, auch. Wer richtig kochen lernen will, sollte sich vielleicht auf ernsthaftere Kochbücher stützen.