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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.01.2019

Etwas zu seicht

Königskinder
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Max und Tina sitzen in ihrem Auto in einem Schneesturm fest, weil sie mit der Arroganz einheimischer Kenner unbedingt bei drohendem Unwetter einen gesperrten Alpenpass überqueren mussten. Bevor die beiden ...

Max und Tina sitzen in ihrem Auto in einem Schneesturm fest, weil sie mit der Arroganz einheimischer Kenner unbedingt bei drohendem Unwetter einen gesperrten Alpenpass überqueren mussten. Bevor die beiden in den Straßengraben rutschen, ist ihre Kommunikation ein stetiges Gezeter über die Nichtigkeiten des Alltäglichen. In dem Moment, wo sie festsitzen und bis zum nächsten Morgen über Stunden ausharren müssen, ändert sich der Umgangston, insbesondere der von Max.

Um die Zeit zu überbrücken, seiner Frau die Angst vor Kälte und Hunger zu nehmen, erzählt er Tina die Geschichte über den jungen Kuhhirten, Jakob, und seiner Liebe zu Marie, der Tochter eines reichen Bauern. Das Ganze spielt zur Zeit der Französischen Revolution und klingt phasenweise wie ein Märchen.

Ich muss allerdings feststellen, dass Max kein wirklich guter Märchenerzähler ist. Seine Formulierungen stammen aus Politik und Wissenschaft und klingen somit etwas hölzern. Anstatt „ So lebten sie lange glücklich und zufrieden...“ sagt er Dinge wie „Sie haben ein schönes Obdach, ein bedingungsloses Grundeinkommen und reichlich zu essen, und das bisschen Arbeit, das sie dafür zu leisten haben, ist zu zweit nun endgültig nicht mehr der Rede wert.“(S. 158). Ohne diese, ein Schmunzeln erzeugenden, Formulierungen wäre mir sein Märchen letztlich auch zu vorhersehbar und schnulzig.

Das Wechselspiel zwischen der Szenerie im Auto und der Geschichte zu Zeiten der Französischen Revolution ist Alex Capus gut gelungen. Max führt uns dabei in die Märchenwelt, Tina holt uns in die Realität zurück. Die zwei Handlungsstränge sind so auch ganz ohne Kapitel schön von einander abgegrenzt. Gefallen hat mir auch seine Auseinandersetzung mit Regeln und Gesellschaftsnormen, die, ohne den Lauf der Geschichte zu stören, mit ihr verwoben ist.

Obwohl ich den Schwerpunkt eher auf Seiten von Max und Tina erwartet hatte, hat mir „Königskinder“ als Lektüre für zwischendurch insgesamt ganz gut gefallen. Der Roman wird bei mir keinen bleibenden Eindruck hinterlassen und ist daher aus meiner Sicht ein „Kann“, aber kein „Muss“.

Veröffentlicht am 24.01.2019

Abenteuer gegen Langeweile

Ein Affe an der Angel
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Darko ist Tierforscher, wohnt im achten Stock eines achtstöckigen Hochhauses, also ganz oben und er besitzt eine unglaubliche Auswahl an Multifunktionswesten. Egal, wo er gerade festsitzt, ob im Stau oder ...

Darko ist Tierforscher, wohnt im achten Stock eines achtstöckigen Hochhauses, also ganz oben und er besitzt eine unglaubliche Auswahl an Multifunktionswesten. Egal, wo er gerade festsitzt, ob im Stau oder bei Regenwetter in seinem Zimmer, Darko unternimmt immer ein kleines Abenteuer. Begleiten tuen ihn seine tierischen Freunde.

„Ein Affe an der Angel“ ist ein wunderschön gestaltetes Vorlese- und Erstleserbuch. Schon das farbenfrohe Cover fasziniert den Betrachter. Je länger man es ansieht, desto mehr Details lassen sich entdecken. Im Inneren ist jede Seite illustriert, was ich für die jungen Leser als auflockernd und motivierend empfinde. Einzelne Seiten kommen ganz ohne Text aus und laden zu einer eigenen Entdeckungsreise ein. Enthalten sind drei kindgerecht spannende und gleichermaßen witzige Geschichten, die in kurze Kapitel aufgeteilt sind.

Mir hat dieses Kinderbuch gut gefallen, weil es ganz ohne Chi-Chi auskommt. Es zeigt den Kindern, dass für ein Abenteuer manchmal ein paar gefundene Gegenstände ausreichen, dass es nicht unbedingt oder eigentlich gar nicht das neueste Hightech-Spielzeug braucht, um Langeweile zu vertreiben. Darko lehrt, wie es geht, und lernt auch selbst noch etwas dabei. Daher empfehle ich das Buch gern weiter.

Veröffentlicht am 22.01.2019

Eine für Alle, Alle für Eine

Alligatoren
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Von wem ist hier eigentlich die Rede, wenn Deb Spera mit dem Titel ihres Romans „Alligatoren“ ankündigt? So unverwüstlich wie die Haut und auch so zäh wie das Fleisch der Alligatoren, die im benachbarten ...

Von wem ist hier eigentlich die Rede, wenn Deb Spera mit dem Titel ihres Romans „Alligatoren“ ankündigt? So unverwüstlich wie die Haut und auch so zäh wie das Fleisch der Alligatoren, die im benachbarten Sumpf leben, müssen auch die Frauen zur Zeit kurz vor der Weltwirtschaftskrise sein, die in den Südstaaten der USA um ihr Überleben kämpfen müssen. Der Baumwollkäfer hat bereits drei Ernten infolge vernichtet. Das Umsatteln auf Tabakanbau wirft nicht genug Gewinn ab.

Zu dieser unwirtlichen Zeit kreuzen sich die Wege von Anni Coles, Retta Bootles und Gertrude Pardee.
Die Farbige, Retta, arbeitet im Haushalt der Familie Coles, so wie es schon ihre Mutter und ihre Großmutter getan haben, nur mit dem Unterschied, dass sie in Freiheit geboren wurde. Retta, die eigentlich Oretta heißt, ist sehr spirituell unterwegs, sie hat ein unendlich großes Herz, sie verehrt Gott und die Kirche. Die größte Zuneigung und Liebe empfindet sie jedoch für ihren Ehemann, Odell. So wie sie von ihm spricht, denkt man an eine junge Liebe und dementsprechend an eine junge Frau. Nur ihre Gebrechen verraten sie. Oretta und Odell haben alle Widrigkeiten des Lebens gemeinsam überstanden. So hält die beiden auch im Alter ein festes Band zusammen, auch wenn sie Meilen von einander entfernt sind.

Gertrude ist die gepeinigte Frau eines alkoholkranken Taugenichts. Sie haben vier Mädchen, von denen zwei bei Verwandten wohnen müssen, weil sie nicht mal genug haben, um alle satt zu bekommen. Als sie schließlich bei Anni Coles in der Näherei anfängt, könnte das Leben für sie besser werden. Doch überall lauern Gefahren wie zum Beispiel das Sumpffieber.

Anni scheint es als Frau eines Plantagenbesitzers und Besitzerin einer Näherei am besten zu haben. Doch der Schein trügt, auch sie hat ihr, wenn nicht gar das schwerste, Päckchen zu tragen. Es kommt nicht von ungefähr, dass ihre Töchter den Kontakt zu den Eltern abgebrochen haben. Zudem setzen die Missernten auch den reichen Weißen zu.

Auf für diese Zeit unkonventionelle Art und Weise helfen sich die drei Frauen. Retta nimmt Gertrudes neunjährige, kranke Tochter bei sich auf und pflegt sie gesund. Anni gibt ihr Obdach und eine Anstellung. Auch wenn die Beziehung manchmal weniger herzlich als geschäftlich wirkt, zieht jede der drei Frauen einen sehr persönlichen Nutzen daraus.

Der in fünf Teile gegliederte Roman wird abwechselnd aus der Sicht von Gertrude, Retta und Anni jeweils in der Ich-Perspektive erzählt. So kann man allen Dreien nahe kommen. Am sympathischsten war mir Retta. Sie hat am meisten gegeben, strahlte trotz der Misere eine gewisse Zufriedenheit aus. Für mich war Retta zudem die heimliche Chefin der Gruppe, weil sie im Hintergrund sämtliche Fäden gezogen hat.

Mir hat „Alligatoren“ gefallen, ich empfehle es gern weiter.

Veröffentlicht am 22.01.2019

Dermaßen abgedreht, dass es schon wieder gut ist

Ed ist tot
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Das in eine für mein Empfinden hässliche Brochure gebundene Buch von Russel D McLean hält, was der Einband verspricht. Qualitativ gibt es daran gar nichts zu meckern. Das Cover hat eine schöne samtige ...

Das in eine für mein Empfinden hässliche Brochure gebundene Buch von Russel D McLean hält, was der Einband verspricht. Qualitativ gibt es daran gar nichts zu meckern. Das Cover hat eine schöne samtige Oberfläche. Auch die inneren Werte des Buches stimmen, deutliche Abschnittseinteilung, gut lesbares Schriftbild. Was ich mit hässlich meine, ist diese hölzerne, wie Wandtäfelung wirkende Figur mit dem steinzeitlichen Modegeschmack und dem Anti-Talent für Farbkombinationen, die offensichtlich unsere Protagonistin, Jennifer (Jen) Carter, darstellt. Wenn man sich jedoch die Brochure während des Lesens immer wieder von wirklich allen Seiten, anschaut, entdeckt man nach und nach witzige, sehr passende Details.

Normalerweise wird ein Krimi aus der Sicht von Ermittlern oder auch teilweise aus Sicht der Opfer erzählt. Hier dachte ich eine ganze Weile, es wäre eine Story aus Sicht der Täterin. Aber weit gefehlt, auch Jen ist ein Opfer, ein bisschen verursacht durch die kriminellen Machenschaften ihres (Ex)Freundes, Ed, aber hauptsächlich durch ihre eigenen Unzulänglichkeiten. Wie oft habe ich beim Lesen gedacht: „Jen wird doch nicht, sie wird doch wohl nicht, doch sie wird ...“. Dabei hat Jen ganz oft überlegt, wie sie weiter vorgehen soll, hat sich nach meinem Ermessen jedes Mal für die schlechteste Alternative entschieden.

So stolpert Jen durch eine rasante, sehr skurrile Verfolgungsjagd, bei der sowohl der Glasgower Drogenboss als auch die Polizei hinter ihr her sind. Sie trifft dabei auf diverse Gangster in Ballonseide, mäht vor lauter Unsicherheit, was jeweils richtig oder falsch ist, alle und jeden um, die ihr oder ihren Lieben etwas Böses wollen. So entstand im Verlauf die Schlagzeile „Leichen pflastern ihren Weg“. Die Story hat auch was von: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Gefühlt im Wechsel gehen mal Gangster und mal Jen‘s Leute drauf. Am Ende wird dann alles mehr oder weniger gut, als Leser kann man kopfschüttelnd das Buch schließen und ein letztes Mal schmunzeln.

Ich mochte Jen als Antiheldin, die in jeder Lebenslage gezeigt hat, wie man es nicht macht, sehr gerne. Sie wirkte zeitweise echt unsicher, aber immer wenn sie eine unkluge Entscheidung getroffen hatte, war ihr Tatendrang unumstößlich und kraftvoll. Ein schlechtes Gewissen oder Empathie für die Opfer konnte ich bei Jen nicht feststellen. War sie total irre? Oder hatte sie zwei Persönlichkeiten? Das Buch hat es geschafft, dass diese Tatsachen für mich nicht so richtig von Bedeutung waren, ich wollte nur die ganze Zeit gern wissen, was sie als nächstes wieder anstellt.

Fazit:
Man sollte dieses Buch nicht unbedingt lesen, wenn man Bücher über Bücher, Buchhändler und Bibliothekarinnen liebt, es sei den man versteht ganz viel Spaß. Man darf diesen Krimi so oder so nicht ernst nehmen, um ihm etwas abgewinnen zu können. Mir hat er gut gefallen, makabere, witzige Entspannungslektüre als kleine Abwechslung zwischen „normalen“ Büchern. Ich werde mir auf jeden Fall den Verlag merken, der sich auf Bücher wie „Ed ist tot“ spezialisiert hat.

Veröffentlicht am 22.01.2019

Poetische Bruchstücke

Der Sprengmeister
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Das Cover zeigt den erfüllten Lebenstraum von Oskar Johansson, ein einsames Kleinod auf einer Schäre, ein winziges, spärlich eingerichtetes Saunahäuschen, losgelöst von der kapitalistischen Welt. Es bietet ...

Das Cover zeigt den erfüllten Lebenstraum von Oskar Johansson, ein einsames Kleinod auf einer Schäre, ein winziges, spärlich eingerichtetes Saunahäuschen, losgelöst von der kapitalistischen Welt. Es bietet ein einfaches Leben, aber auch die Weite des Meeres und des Himmels. Hier verbringt der im Ruhestand befindliche Oskar seine Sommer.

Als junger Mann überlebt Oskar nur knapp und mit bleibenden Schäden eine Fehlzündung bei Sprengarbeiten. Nachdem seine erste Freundin ihn aufgrund seines „unerträglichen“ Anblicks verlässt, lernt er während einer Demonstration deren Schwester Elvira kennen. Sie heiraten, bekommen drei Kinder, sie führen ein entbehrungsreiches Leben innerhalb der unteren sozialen Schicht. Als Sozialisten sind sie politisch engagiert, hoffen ihr ganzes Leben auf einen Wandel, sie glauben an die Revolution.

Da man Oskar als gealterten Menschen kennenlernt, wirkt er oft schon ein wenig senil und starrköpfig. Er hat keine richtige Lust, sein Leben zu offenbaren. Manches hat er auch einfach verdrängt. Erstaunlich war für mich nach seinem Unfall die Rückkehr in seinen alten Beruf als Sprengmeister. Trotz seiner schweren Verletzung und der daraus resultierenden Eingeschränktheit hat Oskar nie aufgegeben, sich durchgebissen und sein ganzes Leben für seine Familie so viel wie möglich gearbeitet. Das hat mir stark imponiert.

Der Schreibstil von Mankell ist hier sehr schön poetisch, trotzdem etwas gewöhnungsbedürftig, da Oskar’s Geschichte bruchstückhaft in Einzelteilen mit vielen, nicht chronologischen Rückblicken erzählt wird. Wie beim Kitten einer zerbrochenen Vase muss der Leser für die Einzelteile eine Ordnung finden, damit das große Ganze entsteht. Dadurch ist das Lesen recht anspruchsvoll. Aus meiner Sicht ist es eine kleine lohnenswerte Mühe.