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Veröffentlicht am 18.05.2023

Solider Roman, der sein Potenzial nicht voll ausschöpft

Die einzige Frau im Raum
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Hedy Lamarr ist eine bekannte Hollywoodschauspielerin und Erfinderin des 20. Jahrhunderts, doch mir selbst war sie völlig unbekannt. Da ich von Marie Benedict schon den wunderbaren Roman zu „Frau Einstein“ ...

Hedy Lamarr ist eine bekannte Hollywoodschauspielerin und Erfinderin des 20. Jahrhunderts, doch mir selbst war sie völlig unbekannt. Da ich von Marie Benedict schon den wunderbaren Roman zu „Frau Einstein“ kannte, wollte ich mich nun auch mit Hedy Lamarr beschäftigen und ihren neuen Roman lesen.

Hedy wächst als Tochter von Emil Kiesler, dem Direktor des Wiener Bankvereins, und Gertrud Lichtwitz, einer ausgebildeten Konzertpianistin auf und widmet sich schon sehr früh der Schauspielerei. Nach einem skandalösen Film wechselt sie ans Theater, bemüht um mehr Ernsthaftigkeit. Dadurch wird auch ihr späterer Ehemann, Friedrich Mandl, auf Hedy aufmerksam.

Unsere Protagonistin ist ein Freigeist. Sie rebelliert ein wenig gegen die Mutter, wird vom Vater animiert, sich thematisch vielfältiger zu beschäftigen als es die Gesellschaft ihr eigentlich zugesteht. Dadurch baut sich Hedy ein facettenreiches Allgemeinwissen auf, das sie mit Hilfe der in ihrem Leben auftretenden Kontakte punktuell vertieft und dabei teilweise annähernd wissenschaftliches Niveau erreicht, ohne jemals studiert zu haben. Damit entwickelt sich Hedy für mich in eine bemerkenswerte Persönlichkeit. Parallel dazu verdient sie ihren Lebensunterhalt mit der Schauspielerei, wo sie eine beeindruckende Karriere hinlegt. Hinsichtlich meiner Sympathie für Hedy bin ich hin- und hergerissen. Einerseits bin ich begeistert von ihrem Durchsetzungsvermögen in einer von Männern dominierten Welt und Ihrem Mut in der Auseinandersetzung mit ebendiesen. Andererseits kommt mir Hedy nicht wirklich authentisch vor, vermutlich, weil sie auch außerhalb des Filmsets des Öfteren eine Rolle spielen muss.

Wie der Protagonistin selbst stehe ich auch der Umsetzung dieses Romans zwiespältig gegenüber. Anzuerkennen ist Marie Benedicts Auseinandersetzung mit vergessenen, unterschätzten Frauen. Die Autorin gibt Hedy Lamarr, die Bühne, die sie verdient. Dabei bedient sie sich einer angenehm lesbaren, bildlichen Sprache und stellt den wissenschaftlichen Anteil für ein breites Publikum verständlich dar. Leider geht sie auf einige Themen, die für mich von Bedeutung waren, nur oberflächlich ein. Beispielsweise wird die Situation der in Wien verbliebenen Juden nach der Annexion Österreichs nicht ausgeführt, dabei war im ersten Drittel des Romans die österreichische Perspektive auf den historischen Hintergrund stark ausgeprägt. Auch die Flucht-Odyssee ihrer streitbaren Mutter hätte ich gern intensiver mitverfolgt. Zudem kam mir der Fokuswechsel von der Schauspielerin hin zur Erfinderin zu abrupt. Das Forschertalent mit dem zugehörigen umfangreichen Wissen ist bestimmt nicht nur aus den sonntäglichen Gesprächen mit dem Vater und der Tischkonversation mit den Gästen ihres Gatten entstanden. Hier hätte ich mir ebenfalls mehr Tiefe gewünscht.

Nicht desto trotz war der Roman interessant für mich. Ich habe durch die Lektüre eine beeindruckende Persönlichkeit kennengelernt. Insgesamt war mir die Umsetzung allerdings zu seicht.

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Veröffentlicht am 25.04.2023

Genießen wie die Ikone

Zu Gast bei Frida Kahlo
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Die Persönlichkeit Frida Kahlo mit ihrer unglaublichen Lebensgeschichte und ihrer Leidenschaft fasziniert mich schon seit längerem. Da ich die mexikanische Küche gleichermaßen anziehend finde, musste ich ...

Die Persönlichkeit Frida Kahlo mit ihrer unglaublichen Lebensgeschichte und ihrer Leidenschaft fasziniert mich schon seit längerem. Da ich die mexikanische Küche gleichermaßen anziehend finde, musste ich das vorliegende Kochbuch unbedingt haben. Ähnlich farbenfroh wie das wunderbare Cover sind auch die Gerichte darin.

Der Einstieg in das Kochbuch gelingt mit einem kurzen Abriss über die Ikone, natürlich mit dem Fokus auf ihren Vorlieben in der Küche. Wir erfahren, wie gern Frida Kahlo Gäste im Haus hat und ihnen ihre Wertschätzung mittels aufwendig zubereiteter Speisen ausdrückt. Wir lernen etwas über die echte mexikanische Küche und die mexikanische Esskultur. Die Zusammenstellung der Einleitung hat mir gut gefallen. Die Inhalte waren interessant und gleichzeitig recht kurz gehalten, so dass es im Kontext eines Kochbuchs perfekt für mich war.

Es folgen die verschiedenen Kapitel mit den Rezepten: Basisrezepte und Salsas, Frühstück und Brunch, Streetfood und Suppen, Klassiker und Hauptgerichte, Salate von fruchtig bis deftig, Nachspeisen und süße Köstlichkeiten sowie Cocktails und Erfrischungsgetränke. Der Aufbau der einzelnen Rezepte entspricht meiner Erwartungshaltung. Es gibt eine Zutatenliste, eine Zubereitungszeit und eine gut nachvollziehbare Beschreibung der Arbeitsschritte. Zur Motivation oder zum Appetit anregen sind die Rezepte sehr ansprechend bebildert. Fast immer gibt es noch Tipps zu alternativen Zutaten, zum Servieren oder Zusatzinformationen zum Rezept. Dadurch wird dieses Kochbuch zu etwas Besonderem. Gut durchdacht sind auch die drei Inhaltsverzeichnisse. Zwei davon listen die Rezepte in alphabetischer Reihenfolge auf, einmal spanisch, einmal deutsch. Das dritte Verzeichnis verweist auf die Rezepte ausgehend von den verwendeten Zutaten.

Schon nach dem ersten Durchblättern musste ich feststellen, dass ich der mexikanisches Küche bisher mehr Fleischlastigkeit unterstellt hatte. Es gibt so viele Varianten schneller, vegetarischer Gerichte, dass ich zunächst gar nicht entscheiden konnte, was ich zuerst zubereiten wollte. Inzwischen habe ich diverse Salsas und Dips gekostet. Alle waren schmackhaft und laden zur Wiederholung ein. Mein aktueller Liebling ist geröstete Habanero-Salsa, zum Reinsetzen. Verzehrt wird das Ganze mit den originalen Maistortillas. Dafür habe ich mir extra nixtamalisiertes Maismehl besorgt. Der Geschmack dieser Tortillas ist viel intensiver im Vergleich zu gekauften Exemplaren. Extrem lecker waren auch die süßen Muschelbrötchen. Sind Kinder im Haushalt, muss man schnell sein, um selbst auch eins abzubekommen.

Ich bin regelrecht begeistert von diesem Kochbuch. Leider kann ich gar nicht so viel essen wie ich gern zubereiten möchte. Deshalb habe ich mir die aufwendigeren Menüs für die kommenden Feiertage vorgenommen, wo ich dann selbst Gäste im Haus habe. Was ich unbedingt kochen möchte, ist Hähnchen mit Mole Poblano. Das wird mit Sicherheit ein Fest.

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Veröffentlicht am 24.04.2023

Lektüre, die erdet und entschleunigt

Das Café ohne Namen
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Der Roman beginnt 1966 als sich Wien langsam von den Kriegsschrecken erholt, die Verhältnisse trotzdem noch ärmlich sind. In dieser Zeit schlägt sich Robert Simon als Gelegenheitsarbeiter auf dem Wiener ...

Der Roman beginnt 1966 als sich Wien langsam von den Kriegsschrecken erholt, die Verhältnisse trotzdem noch ärmlich sind. In dieser Zeit schlägt sich Robert Simon als Gelegenheitsarbeiter auf dem Wiener Karmelitermarkt durch und bewohnt ein Zimmer bei einer Kriegerwitwe. Doch bald schon beschließt er ein leerstehendes Café vor weiterem Verfall zu retten und neu zu eröffnen. Sein Angebot ist klein, besteht lediglich aus Schmalzstullen, Salzgurken und diversen Getränken. Eigentlich würde die Bezeichnung Schankwirtschaft viel besser passen.

Doch entscheidender ist, wer das Café besucht, mit welchen Herausforderungen die Gäste zu kämpfen haben und wie sie sich im Laufe der Zeit entwickeln. Robert Seethaler widmet seine Geschichte den einfachen Menschen. Er schenkt ihnen ein Bier ein und hört ihren alltäglichen Geschichten zu. Dadurch entsteht eine einfühlsame leidvolle Atmosphäre, die der Erzählweise meiner Großeltern und ihren Besuchern entspricht. Stundenlang saßen sie in meiner Kindheit auf der Gartenbank und haben sich was erzählt. Daran musste ich beim Lesen ganz oft zurück denken.

Bei Seethaler bekommen Menschen eine Stimme, für die sich normalerweise niemand interessiert, der Fleischermeister mit seinen Kindersorgen aus dem Laden gegenüber, der Hauseigentümer Vavrovsky, die arbeitslos gewordene Näherin Mia, der Preisboxer, der Mann mit Glasauge und einige andere mehr. Es ist schön, die einzelnen Paarungen an den Tischen aus einer Ecke des Cafés heraus zu beobachten, ihren Gesprächen und Gedanken beizuwohnen. Dieses Jahre überdauernde Stimmengewirr ergibt eine leises, sehr authentisches Spiegelbild der bescheidenen Leute seinerzeit. Eine spannende Handlung war hier nicht notwendig, um mir zu gefallen. Das Auf und Ab des Cafés und seiner Gäste waren in meiner Wahrnehmung Handlung genug. Nur so kam die Stimmung des wiedererwachenden Wiens unverfälscht bei mir an.

Es mag sein, dass der ein oder andere diese Auseinandersetzung vielleicht langatmig findet. Mich hat Robert Seethaler mit seinem Café ohne Namen tief berührt. Ein schöner Ausgleich zu unserer schnellen, undankbaren Wegwerf-Lebenswirklichkeit von heute. Ich kann diese Erdung und Entschleunigung nur empfehlen.

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Veröffentlicht am 22.04.2023

Ultimative Überwachung

Going Zero
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Kaitlyn Day ist eine scheinbar naive Bibliothekarin, die als Durchschnittsbürgerin für eine Challenge ausgewählt wurde, bei der es ums digitale Verschwinden geht. Wer es von den zehn Kandidat:innen schafft ...

Kaitlyn Day ist eine scheinbar naive Bibliothekarin, die als Durchschnittsbürgerin für eine Challenge ausgewählt wurde, bei der es ums digitale Verschwinden geht. Wer es von den zehn Kandidat:innen schafft im Rahmen des Betatests eines neuen Überwachungsapparates aus CIA und modernsten Silicon-Valley-Algorithmen, dreißig Tage verborgen zu bleiben, gewinnt drei Millionen Dollar.

Alle glauben, dass Kaitlyn eine der ersten sein wird, die den Überwachern in die Fänge gerät. Doch sie schlägt sich tapfer, obwohl sie sich mancher brenzliger Situation stellen muss. Parallel dazu erleben wir, mit welchen Methoden der Überwachungsapparat arbeitet und durch welche Spuren andere Kandidaten entdeckt werden. Unsere Spurendichte, wenn wir einfach nur ein normales Leben führen, ist schon enorm. Die Vorstellung, dass diese Überwachungsmöglichkeiten eigentlich schon fast real sind, ist beängstigend. Diese Technologie in den falschen Händen wird extreme Auswirkungen haben.

Im zweiten Teil des Romans erfahren wir in Ansätzen, wie negativ die Macht aus dieser Überwachungsdimension wirken kann. Lockere dynamische Typen werden zu verbissenen Hass erfüllten Menschen mit entsprechenden Fantasien. Der Schritt zur Gefährdung Dritter ist dann nicht mehr weit, wie der Roman temporeich vermittelt.

Von den Charakteren her fühlte ich mich niemandem besonders nah. Die ausgeschiedenen Kandidaten hatten zwar Namen, blieben allerdings dermaßen blaß, dass sie für mich eher Nummern waren. Selbst bei der Hauptfigur Kaitlyn war es eher ein Mitfiebern aus dem Wettbewerb heraus als echte emotionale Zuneigung. Ablehnung empfand ich im Verlauf gegenüber dem Silicon-Valley-Wunderkind Cy Baxter, obwohl Nerds es eigentlich immer leicht mit mir haben.

Trotzdem hat mir der Roman gefallen. Die inhaltliche Idee ist zwar nicht ganz neu, aber es lohnt sich, immer mal wieder die Facetten der totalen Überwachung zu betrachten. Zudem war er spannend geschrieben und ließ sich ein bisschen wie im Rausch lesen. Ich liebe kurze Kapitel und Szenenwechsel, die den ein oder anderen Cliffhanger ergeben.

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Veröffentlicht am 11.04.2023

Überbordende Zukunftsperspektiven

°C – Celsius
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Schwarze Flugobjekte sind im chinesischen Luftraum Richtung Taiwan unterwegs und alle Welt erwartet den nächsten Krieg. Doch anders als erwartet will China nicht über Taiwan, sondern über das Weltklima ...

Schwarze Flugobjekte sind im chinesischen Luftraum Richtung Taiwan unterwegs und alle Welt erwartet den nächsten Krieg. Doch anders als erwartet will China nicht über Taiwan, sondern über das Weltklima richten. Das erkennt zunächst nur Fayola Oyetunde-Rabelt, eine Klimawissenschaftlerin bei der UNO. Ihre Erläuterungen verhindern einen spontanen Gegenschlag der westlichen Mächte. Trotzdem kommt es zu einer überbordenden Ereigniskette, die teilweise irritiert, unerwartete Kunstgriffe beinhaltet und die Leserschaft herausfordert. Wie bei Elsberg üblich, sind wieder unglaublich viele Charaktere beteiligt.

Ich habe lange überlegt, was mir der Autor mit diesem Thriller sagen möchte, denn über weite Strecken habe ich das Gelesene nicht als Thriller, sondern eher als anspruchsvollen Roman empfunden. Neben dem Hauptthema Klimabeeinflussung geht es meinem Empfinden nach vor allem darum, uns den Spiegel vorzuhalten, in jedem von uns ein Bewusstsein zu schaffen, zu dem, was wir gerade tun, was es für andere bedeutet und was dadurch gegebenenfalls an unerwünschten Nebeneffekten entsteht. Es geht um unser Verhalten, Flüchtlingen gegenüber, um unsere Arroganz gegenüber China und den Schwellenländern. Der Westen glaubt immer noch Inhaber der Wahrheit zu sein, über andere hinweg diktieren zu können, wie es weitergeht. Dieser Glaube wird im Roman mehrfach erschüttert und das manövriert auch die Leserschaft ganz schön aus der Komfortzone. Ein weiteres wichtiges Thema ist Meinungsbildung und-beeinflussung sowie die Macht, die darin steckt. Im Verlauf fragt man sich, wer denn nun wirklich die Welt regiert? Spannend, welche Machenschaften im Hintergrund laufen, damit es zu bestimmten Handlungen kommt oder eben auch nicht.

Wenn ich mein Leseerlebnis rückblickend betrachte, fühlte es sich an wie die nächste Krise. Es begann mit Überforderung, ging über in eine Phase der Gewohnheit und endete ein Stück weit in Abstumpfung. Alles wurde begleitet von Unsicherheit. Meint Marc Elsberg das wirklich ernst? Habe ich das richtig erfasst und auch nichts übersehen? Im weiteren Verlauf kam noch Empfindlichkeit dazu. Mich störten plötzlich Dinge, die eigentlich nicht der Rede wert sind, wie ein bisschen aus Star Wars kopierte Technik. Es war Krise in Reinform. Ich hatte Mühe, den Überblick über die Haupthandlung zu behalten und die verschieden Nebenhandlungsstränge voneinander abzugrenzen. Das hat meinen Lesefluss immer wieder ausgebremst, was ich bei Thrillern nicht wirklich mag.

Thematisch fand ich Celsius trotzdem gut, einige Passagen habe ich auch wirklich gern gelesen. Ingesamt erschien mir der Roman allerdings zu zerstückelt, zu komplex, einfach schwer zu begreifen. Über weite Strecken hätte ich mir mehr Orientierung gewünscht. Dann hätte ich für das reine Textverständnis nicht so oft doppelt lesen und zurückblättern müssen. Wenn Marc Elsberg bewusst irritieren und seine Leserschaft auf die Probe stellen wollte, dann ist ihm das sehr gut gelungen. Wenn nicht, ist Celsius nicht sein bester Thriller.

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