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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.01.2019

Grandioses Debüt - bin begeistert

Der Wortschatz
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Ich habe gerade ein ganz wunderbares Buch ausgelesen. Als literarischer Verehrer von Antoine de Saint Exupéry‘s „Kleinem Prinzen“ war ich nicht davon ausgegangen, dass mir je irgendein vergleichbares Buch ...

Ich habe gerade ein ganz wunderbares Buch ausgelesen. Als literarischer Verehrer von Antoine de Saint Exupéry‘s „Kleinem Prinzen“ war ich nicht davon ausgegangen, dass mir je irgendein vergleichbares Buch begegnen würde. Vermutlich habe ich mich geirrt. Elias Vorpahl erzählt uns zwar eine ganz andere Geschichte, die sich um ein kleines Wort auf seiner abenteuerlichen Suche nach dem Sinn des Lebens dreht. Sie mutet jedoch meinem Empfinden nach genau so liebevoll märchenhaft und fantasievoll wie Exupéry’s Prinz an.

Elias Vorpahl spielt dabei mit Sprache als wäre sie ein unsichtbarer Freund, mit dem man sich gegenseitig Bälle zuwirft. Er lässt Worte wie Wortbruch, Wortspiele, Sprachfluss und viele mehr gekonnt in einem anderen Licht erscheinen. Er konstruiert überaus stimmig ganz neue Worte. Am liebsten mag ich die Wörtchenhauerei, steckt doch so viel Liebe und Achtsamkeit darin, und die Umlautarbeiten, die aus dem wahren Leben gegriffen scheinen. Es ist ein Hochgenuss, sich mit jeder Seite mehr darauf einzulassen, dass die Protagonisten Worte sind bis man sich schließlich selbst als Teilnehmer der Geschichte im Buch wiederfindet.

Dem aufgeschlossenen Leser werden ganz nebenbei wie beim „Kleinen Prinzen“ auch einige Lebensweisheiten vermittelt. Die Erlebnisse des kleinen Wortes lassen sich auf das eigene Leben übertragen, sind ein kleiner Anschub zur Reflexion. Der Wortschatz möchte allerdings aus Gründen der Selbsterhaltung zum Lesen und Schreiben animieren, da nur das gelesene, immer wieder aufgeschriebene Wort im Zyklus aus Lesen und Schreiben vielfach Beachtung findet, womit das Risiko des Vergessens, des Verlustes für den Wortschatz minimiert wird.

Abschließend möchte ich noch die wunderschöne Gestaltung des Hardcover-Buches als besonderes Highlight hervorheben. Es enthält ganz tolle Illustrationen von Julia Stolba, die passend zum Textausschnitt platziert sind und wie auch der Text selbst das Spiel mit Buchstaben und Worten beherrschen. Darüberhinaus verbergen sich unter dem ohnehin schon sehr ansprechenden Schutzumschlag in goldener Farbe zwei Kerzen auf dem dunkelblauen Grund. Zu Beginn des Lesens wurde die Kerze gerade erst entzündet, nach dem Lesen wurde ihr Feuer gelöscht. Wie nach dem Ausblasen einer Kerze der Geruch noch an ihr schönes Licht erinnert, hing ich noch ein wenig meinen Gedanken an und um das Buch nach. Dieses Bildnis hat mich tief berührt. Ich bin nach wie vor begeistert.

Veröffentlicht am 22.01.2019

Ganz anders als ich dachte, aber so schön

Fünf Tage im Mai
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Liebhaber von altem Handwerk oder Freunde des Ursprünglichen und Natürlichen werden die Optik dieses Romans mögen. Der Schutzumschlag wirkt, als hätte jemand die Tiroler Bergwelt auf ein gehobeltes Brett ...

Liebhaber von altem Handwerk oder Freunde des Ursprünglichen und Natürlichen werden die Optik dieses Romans mögen. Der Schutzumschlag wirkt, als hätte jemand die Tiroler Bergwelt auf ein gehobeltes Brett skizziert und dann den Titel aufgestempelt. Nimmt man den Umschlag ab, hält man ein schön gemasertes Brett in den Händen. Ich finde die Aufmachung sehr ansprechend.

Inhaltlich war der Roman ganz anders aufgebaut als ich gedacht hatte. Ich war davon ausgegangen, dass die Protagonistin in Erinnerungen an fünf aufeinanderfolgenden Tagen im Mai schwelgt. Weit gefehlt, die Ich-Erzählerin greift fünf besondere Tage im Mai aus unterschiedlichen Lebensjahren für ihre Geschichte auf. Die Lücken dazwischen werden bewusst ausgelassen, können durch den Leser gedanklich ausgefüllt werden. Kleine Rückblicksequenzen sorgen für ein gutes Verständnis.

Für mich war Illys Aufwachsen und Erwachsenwerden auch ein Eintauchen in eigene Erinnerungen, mit aus Elternsicht merkwürdigen Freunden, modischen Aussetzern und phasenweise „Bocklosigkeit“. Ich mochte Illy wirklich gern. Sie ist nicht annähernd perfekt, hat ein Händchen für Fettnäpfchen, also ein ganz normales „Pubertier“. Insbesondere die Beziehung zu ihrem Urgroßvater Tat‘ka habe ich als etwas Wunderbares empfunden. Sie verstehen sich auch ohne Worte, geben einander Geborgenheit, müssen sich die Unzulänglichkeiten des jeweils anderen nicht vorhalten. Somit hat sich die zu Beginn durchschnittliche Geschichte mit jedem Kapitel gesteigert. Zum Ende hin hatte ich mit Tränen zu kämpfen, weil da so viel Zuneigung und Liebe zwischen den beiden zu spüren war.

Etwas irritiert haben mich die Zeitangaben. 1986 hatte Illy Erstkommunion, zwölf Jahre später, 1998, war sie dann in der 7. Klasse am Gymnasium. Ich gehe davon aus, dass in Tirol die Einteilung der Klassen einfach anders gezählt wird als ich es kenne. Komisch kam mir auch vor, dass Illy als Tochter von Geschäftsleuten 2004 noch einen Walkman mit Kassette benutzt.

Insgesamt hat es mir „Fünf Tage im Mai“ gut gefallen, starke Gefühle ohne Kitsch. Ich empfehle den Roman gern weiter, insbesondere den in den 1980ern Geborenen.

Veröffentlicht am 22.12.2018

Mehr Roman als Thriller

Die Plotter
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Angepriesen wurde mir Un-Su Kim als „koreanischer Henning Mankell“. Davon angefixt habe ich mich sofort in die unmenschliche Welt der Plotter, Auftragskiller, Tracker und Cleaner gestürzt. Überaus ansprechend, ...

Angepriesen wurde mir Un-Su Kim als „koreanischer Henning Mankell“. Davon angefixt habe ich mich sofort in die unmenschliche Welt der Plotter, Auftragskiller, Tracker und Cleaner gestürzt. Überaus ansprechend, zusätzlich verlockend, ist die Optik des angekündigten Thrillers. Abgebildet ist eine Dahlie auf schwarzem Grund, über der gerade ein Blutregen nieder geht. Die Blutspritzer setzen sich auf dem Buchschnitt fort, so als würde einen der erste Mord ins Auge springen, sobald man das Buch aufschlägt.

Zu Beginn ist es richtig aufregend und spannend, den Elite-Killer Raeseng bei seinen Aufträgen zu begleiten. Auch die Entsorgung der dabei anfallenden Leichen ist ein hoch interessanter Vorgang. Nach dem ersten Einblick in das Leben der Killer-Elite konzentriert sich der Roman jedoch eher auf den politischen Umbruch und die damit einhergehende Neuordnung der Machtverhältnisse im Plotter-Milieu. Ja, ich empfinde „Die Plotter“ mehr als Roman, der ein brutales Umfeld thematisiert, denn als Thriller. Dazu hätte ich mir durchweg das Spannungsniveau der Anfangsphase gewünscht.

Raeseng selbst kommt als nachdenklicher Typ rüber. Er zweifelt an seiner Tätigkeit, möchte das Auftragskillerdasein aufgeben, fragt sich immer wieder, ob es für ihn nicht auch hätte anders laufen können. Eigentlich möchte er sich möglichst weit entfernt im Ausland absetzen. Mit seinen Wegbegleitern tauscht er sich stets bei ein, zwei Flaschen Soju über seine Gedanken aus, auch über das die Plotter gegenseitig provozierende Machtvakuum. Bei Uneinigkeit ersetzen Blicke Worte. Die Charaktere funkeln sich an. Trotz seines Wunsches, sich der drohenden Gefahr zu entziehen, wird Raeseng immer tiefer in den Konflikt hineingezogen.

So zieht sich leider der erwartete Thriller als langatmiger Roman hin. Die für einen Thriller aus meiner Sicht zu langen Kapitel tragen ihren Teil dazu bei. Etwas unglücklich konstruiert habe ich zudem das Eintreten neuer Charaktere in die Story empfunden. Zeitweise taucht in jedem Kapitel eine neue Persönlichkeit auf. Vielleicht auch dadurch wirkte der Roman auf mich irgendwie abgehakt. Ein richtiger Thriller-Lesefluss, wo man am liebsten in einem Zug durchlesen möchte, kam nicht auf. Dadurch unbefriedigt fand ich schließlich die ewige Soju-Trinkerei der Protagonisten und das ständige gegenseitige Anfunkeln nervig. Ebenso störend kamen die recht offensiven Product Placement Szenen rüber.

Letztlich war es einerseits interessant, sich mit dem Stil eines koreanischen Autors auseinander zu setzen, der ein extrem gewalttätiges Umfeld weniger voyeuristisch und irgendwie „sauberer“, im Sinne von „reinlicher“ skizziert. Vielleicht entspricht das der koreanischen Kultur. Andererseits hat mich der Mangel an echter Spannung enttäuscht. Aus meiner Sicht hinkt der Vergleich mit Henning Mankell.

Ich gebe eine eingeschränkte Leseempfehlung an alle experimentellen Leser, die sich gern auf etwas Neues, immer wieder Anderes einlassen können.

Veröffentlicht am 29.11.2018

(Selbst-)Mord im Spukhaus?

Mörderische Renovierung
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Das Cover ist ein Hingucker für jeden Hobby-Verschwörungstheoretiker. In Schwarz und Weiß gehalten, zeigt es Axton House in einer übertriebenen Tiefe, aus einer ganz unwirklichen Perspektive. Über Allem ...

Das Cover ist ein Hingucker für jeden Hobby-Verschwörungstheoretiker. In Schwarz und Weiß gehalten, zeigt es Axton House in einer übertriebenen Tiefe, aus einer ganz unwirklichen Perspektive. Über Allem prangt ein riesiges Auge, das dem Betrachter in die Seele zu schauen scheint. Römische Ziffern von eins bis zwanzig umranden das Auge, geheimnisvolle, englischsprachige Begriffe wie the oracle, the monster, the wizzard und the nobleman rahmen das Buch ein. Für mich hatte schon das Cover so viel Anziehungskraft, dass ich „Mörderische Renovierung“ unbedingt lesen wollte.

A., dessen vollständiger Name nicht erwähnt wurde, und Niamh, katholische, stumme Punkerin mit immer wieder neuen, abgefahrenen Frisuren, verlassen Europa, um in Point Bless, Virginia, das Axton House zu beziehen. Axton House wurde A. von seinem Cousin vierten Grades, Ambrose Wells, zusammen mit einem ansehnlichen Geldvermögen vermacht. Doch es handelt sich nicht nur um ein Herrenhaus vom Feinsten, im Axton House soll es spuken. Schon nach kurzer Zeit gibt es erste paranormale Erscheinungen. Dazu kommen die Geschichten der Kleinstadtbewohner über geheime jährliche Treffen. Also fangen A. und Niamh an, das Rätsel um Axton House zu lösen. Bewundernswert sind dabei der unermüdliche Ehrgeiz der beiden, ihre Unerschrockenheit und ihre Steh-auf-Männchen-Natur.

Neu war für mich die Konstruktion des Romans. Nicht ein Prosatext erzählt die ganze Geschichte, nein, sie entsteht aus verschiedensten Puzzleteilen wie Tagebucheinträgen von A., Briefen an eine zunächst ominöse Tante Liza, Gesprächsnotizen, die Niamh zur Verständigung macht. Später kommen noch Ton- und Kameraaufzeichnungen, sowie Traumjournale und scheinbar wissenschaftliche Abhandlungen dazu. Aus alldem entsteht ein fantastischer Roman, der aus meiner Sicht zwar mit Aufmerksamkeit gelesen werden muss, aber trotzdem sehr gut verständlich ist. Ich fühlte mich beim Lesen ein bisschen wie ein Forensiker, der aus Hinweisen einen Tathergang rekonstruiert.

Besonders gut haben mir die escape-room-ähnlichen, stufenweise zu lösenden Rätsel, sowie der Ausflug in die Kryptographie gefallen. Schön fand ich darüberhinaus den unterschwelligen Witz des Romans, der immer wieder gekonnt platziert wird, z. B. als Niamh beim Besuch der Brodies das Tischgebet „spricht“ (S. 101) oder dass der Menschen kreuzende und züchtende Axton charles hieß (S. 104).
Zwei Dinge sind allerdings kritikwürdig, der nach meinem Geschmack nicht passende Titel und das Ende, was mir persönlich zu schnell kam. Nach der intensiven Auseinandersetzung mit den Geheimnissen von Axton House hätte ich mir auch mehr Raum für die Wendung und das Ende gewünscht.

Fazit: Insgesamt hat mir „Mörderische Renovierung“ gut gefallen. Daher kann ich Edgar Canteros Roman ohne Bedenken weiterempfehlen, insbesondere allen experimentierfreudigen Leser, die gern auch mal etwas Neues ausprobieren.

Veröffentlicht am 03.11.2018

Bewegte Familiengeschichte, wunderbar erzählt

Der Apfelbaum
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„Mein lieber Freund und Kupferstecher“ (z. B. S. 209), welch aufregende, generationsübergreifende Familiengeschichte hat uns Christian Berkel da geschenkt. Er gewährt dem Leser einen Einblick in Zeiten ...

„Mein lieber Freund und Kupferstecher“ (z. B. S. 209), welch aufregende, generationsübergreifende Familiengeschichte hat uns Christian Berkel da geschenkt. Er gewährt dem Leser einen Einblick in Zeiten des Überschwangs, die die Jugend der Großeltern geprägt hatten, in Zeiten der alles bestimmenden Angst während des Krieges, der damit einhergehenden Flucht und Gefangenschaft, wie auch in Zeiten gewisser Ziellosigkeit, des Zweifels und der Trauer.

Dabei begibt sich Christian Berkel nicht nur gedanklich, sondern auch sprachlich an die Orte des Geschehens. Die grobe Sprache seiner Großeltern väterlicherseits im Berliner Dialekt hat mich mitgenommen auf den dritten Hinterhof mitten in die problematische, von brutalen Gesten geprägte Kindheit Ottos hinein. Ich habe mit im gelitten und war begeistert von seiner Entwicklung, zu der Otto dennoch im Stande war. Genauso wurde ich in Salas Flucht und ihre verzweifelte Suche nach einem Platz im Leben mit hineingezogen. Die eingestreuten französischen und spanischen Worte und Halbsätze haben mich durchgehend noch dichter ans Geschehen treten lassen. Wie ein Schatten hatte ich mich beim Lesen an die Fersen der Protagonisten geheftet, gefühlt war ich die ganze Zeit dabei.

Etwas ins Stolpern kam ich beim Lesen anfangs in den Szenen, in denen Christian Berkel seine alternde Mutter nach ihrer Vergangenheit befragt und sich mit ihr in ihre schon unvollständigen Erinnerungen begibt. Rückblickend betrachtet, passt dieses Holprige zum Inhalt. Wo nur Bruchstücke vorhanden sind, kann letztlich auch kein geradliniger Lesefluss entstehen.

Besonders gelitten habe ich während der jahrelangen, kriegsbedingten Trennung von Sala und Otto. Die vielen Hemmnisse, die sich im Verlauf ergeben haben, die jeweils durchlebten Qualen, die unterschwellige Eifersucht haben den beiden ein erneutes Zusammenfinden schwer gemacht. So wirkt folgendes Zitat auf Seite 168 wie eine Ankündigung von dem, was noch passieren wird: „Was wäre das Leben ohne ein Fünkchen Eifersucht? Liebe braucht auch immer wieder einen kleinen stechenden Schmerz, sonst schmeckt sie zu sehr nach Bratkartoffeln.“

„Der Apfelbaum“ ist keine leichte Kost, die man in zwei Tagen weg liest, auch wenn der Titel recht unschuldig daherkommt. Der Roman hat mich tief bewegt, immer wieder musste ich innehalten, um das Gelesene wirken zu lassen. Dabei war die Familiengeschichte zu keinem Zeitpunkt langatmig. Mir hat der Roman richtig gut gefallen. Ich empfehle ihn gern weiter.