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Veröffentlicht am 05.06.2022

Keine Zeit für Liebe

Amelia
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Zuletzt hatte ich „Milchmann“ von Anna Burns gelesen und war begeistert von der ungewöhnlichen Annäherung an ihre Figuren sowie der realistisch erscheinenden Härte der Ereignisse. Deshalb wollte ich auch ...

Zuletzt hatte ich „Milchmann“ von Anna Burns gelesen und war begeistert von der ungewöhnlichen Annäherung an ihre Figuren sowie der realistisch erscheinenden Härte der Ereignisse. Deshalb wollte ich auch unbedingt ihren neuen Roman lesen.

Mit „Amelia“ tauchen wir noch deutlicher, in meinen Augen maximal in den Nordirlandkonflikt ein. Die Brutalität, die „Milchmann“ vergleichsweise nur andeutet, wird hier filmreif herausgearbeitet. Die Leser*innen werden wirklich nicht geschont. Die Familien im Kontext des Romans sind arm und kinderreich. Allgegenwärtig ist zudem der Hass zwischen den Konfliktparteien. Die Troubles sind gekennzeichnet durch Straßenschlachten, Diebstahl und Hauszerstörung. Die Leute bringen sich gegenseitig um, Menschen verschwinden einfach, tauchen nie wieder auf. Männer wie Frauen verschanzen sich, kämpfen bis aufs Blut mit einfachsten Mitteln wie Knüppeln und Feuerhaken. Die britische Armee scheint nur zu kommen, um nach den Geschehnissen wieder aufzuräumen. Den Konflikt auseinanderhalten bzw. -treiben tut sie nicht. Über Allem schwebt die stete Sorge wie die Familie am Abend satt werden soll. Die permanente Angst wird mit Alkohol betäubt, der seinerseits die Probleme weiter anschürt.

Die geschaffene Atmosphäre ist düster, das Leben zur Zeit der Troubles erscheint lieblos. Dabei sehnt sich Amelia ihr ganzes Leben lang nach Liebe, Aufmerksamkeit seitens der Eltern, Unterstützung von Geschwistern, gegenseitiges Verständnis unter Freunden, echte Zuneigung vom anderen Geschlecht. Doch all diese Selbstverständlichkeiten sind unter die Räder gekommen. Jeder kämpft nur noch ums nackte Überleben.

Wie schon „Milchmann“ ist auch „Amelia“ ein fordernder Roman. Die Herausforderung liegt hier weniger in der Extravaganz des Schreibstils, mehr im Ertragen des Gelesenen sowie im Überwinden der Zeitsprünge. Die ausufernde Gewalt, der Alkoholkonsum rücken die Charaktere ins Befremdliche. Während „Milchmann“ für mich teilweise dystopische Züge hatte, weil ich mir gut vorstellen konnte, dass Selbiges in naher Zukunft auch möglich ist, ist meine Wahrnehmung hier rein historisch. Den behandelten Kriegszustand möchte ich mir für unsere Zeit nicht vorstellen, wohlwissend, dass viele Menschen dieser Erde unter ebendiesem Umständen leben müssen.

Besonders sensibel erarbeitet wurde der Einfluss von Konflikt und Krieg auf die Lebensläufe der Betroffenen. Dadurch wird deutlich, dass ein Waffenstillstand oder ein ausgehandelter Frieden längst nicht gleichbedeutend mit einem normalen Leben ist. Dieser Aspekt des Romans hat mir am besten gefallen. Insgesamt wieder ein hervorragender Roman von Anna Burns und bestimmt nicht mein letzter.

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Veröffentlicht am 15.05.2022

Das Wichtigste kurz und knapp, perfekt zum direkt loslegen

Grünes Gartenwissen. Gemüse anbauen
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Gemüse anbauen wollte ich schon öfters, bisher mit mäßigem Erfolg. Ich hatte einfach nach Gutdünken angefangen und mich nicht ernsthaft mit der Materie auseinander gesetzt. Auch jetzt habe ich wenig Lust, ...

Gemüse anbauen wollte ich schon öfters, bisher mit mäßigem Erfolg. Ich hatte einfach nach Gutdünken angefangen und mich nicht ernsthaft mit der Materie auseinander gesetzt. Auch jetzt habe ich wenig Lust, tief in die Literatur des Gartenbaus einzutauchen, sondern möchte so schnell wie möglich erste Erfolge im eigenen Garten sehen. Deshalb ist der vorliegende Ratgeber perfekt für mich.

Mit kurzen Texten und reich bebildert führt der Ratgeber durch die Grundlagen des Gemüseanbaus. Themen sind zum Beispiel Gartenplanung, Bodenvorbereitung, Hochbeete vs. Bodenbeete, Anzucht von Jungpflanzen, Düngen und Kompostieren. Zu jedem Thema gibt es einschlägige Tipps. So habe ich beispielsweise erfahren, wo im Garten Kälte droht und was die No-Dig-Methode ist.

Im Anschluss an die Grundlagen folgen Kapitel zu den einzelnen Gemüsegruppen. Vertreten sind Salate und Kräuter, Erbsen und Bohnen, Lauchgewächse, Sommergemüse wie Tomaten, Zucchini, Paprika und Gurken, sowie Wurzeln, Knollen und Blattgemüse. Behandelt wird jeweils Art und Zeitraum der Aussaat, die Pflege der Pflanzen und die Ernte. Auch hier gibt es wieder jede Menge Tipps. Hervorzuheben sind die Notfallhinweise, die in Abschnitten zur Ersten Hilfe zusammengefasst sind. Die verletzten Pflanzen oder Früchte werden als Schadbilder gezeigt und beschrieben, die Ursachen werden erklärt und wie man Abhilfe schaffen kann.

Der Ratgeber ist leicht zu verstehen, überfordert mit seinen Informationen auch Einsteiger nicht. Ich bin gerade richtig motiviert, es dieses Mal richtig zu machen.

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Veröffentlicht am 14.05.2022

Leider wurde Potenzial verschenkt

An der Grasnarbe
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Der Debütroman von Mirjam Wittig erzählt uns von Noa, einer Städterin, die es zur Bewältigung ihrer Ängste auf einen abgeschiedenen Hof in Südfrankreich zieht. Dort unterstützt sie die Familie bei der ...

Der Debütroman von Mirjam Wittig erzählt uns von Noa, einer Städterin, die es zur Bewältigung ihrer Ängste auf einen abgeschiedenen Hof in Südfrankreich zieht. Dort unterstützt sie die Familie bei der Feldarbeit, beim Hüten der Schafe sowie auf dem Markt beim Vertreiben der selbst hergestellten Produkte.

Obwohl der Roman nicht allzu viele Seiten hat, behandelt er doch jede Menge Themen, die als Anriß die Gedanken der Lesenden anschieben. Neben den Herausforderungen des Klimawandels, die im Klappentext angesprochen werden, habe ich Alltagsrassismus und Überforderung vom modernen Leben mit fortwährendem Stress und Dauererreichbarkeit wahrgenommen. Weitere Themen werden geschickt eingewebt, nichts wirkt aufgezwungen, es ist wie im wahren Leben einfach da.

Mit den Charakteren habe ich mich schwerer getan. Niemand ist mir wirklich nahe gekommen, weshalb ein Mitfiebern bei mir ausgeblieben ist. Die Angst der Hauptfigur Noa ist zwar nachvollziehbar, wenn man davon ausgeht, dass sie sich durch ihre SocialMedia-Blase hinein gesteigert hat, aber diese Angst ist mir derart unsympathisch, dass ich Noa nicht wirklich mögen kann. Ella und Gregor, die Betreiber des Hofes, wirken mehr wie Partner auf mich und eher nicht wie ein Paar. Sie hängen in der körperlichen Arbeit des Hofes fest, haben keine Zeit und Energie mehr für Gemeinsamzeit. Einziger Lichtblick ist die Tochter Jade. Sie hat ein gutes Gespür für Stimmungen, fühlt mit ihren Mitmenschen. Ich hätte gern mehr zu diesen vier Figuren erfahren, um sie besser zu verstehen bzw. sie besser einordnen zu können. Dafür hätte ich auf die recht große Anzahl für mich wenig Sinn stiftender Nebenfiguren verzichtet. Einzig der Handlungsstrang um Karim war sensationell. Das Szenario war optimal herausgearbeitet.

Sprachlich hat mir der Roman gut gefallen. Es gibt ganz wunderbare Passagen, besondere Beschreibungen der Umwelt und eine spezielle Schwingung, die aufkommt, wenn die Auswirkungen der Angst thematisiert werden. Leider verliert sich die Autorin ab und zu im Alltäglichen, Belanglosen, wodurch das hohe Niveau nicht durchgehend gehalten werden kann.

Aus meiner Sicht ist „An der Grasnarbe“ ein gut lesbarer Roman, der zu weiterführenden Gedanken anregt. Leider wird das Potenzial der Geschichte nicht vollständig ausgeschöpft, weshalb ich keine Top-Bewertung vornehmen kann.

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Veröffentlicht am 24.04.2022

Kluge Auseinandersetzung mit Glaube und Organisation

Vertrauen
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Dror Mishanis neuer Krimi ist keine typisch actiongeladene Verfolgungsjagd, die Tathergänge sind auch nicht besonders beängstigend beschrieben, vielmehr geht es um die Ermittlungsarbeit an augenscheinlichen ...

Dror Mishanis neuer Krimi ist keine typisch actiongeladene Verfolgungsjagd, die Tathergänge sind auch nicht besonders beängstigend beschrieben, vielmehr geht es um die Ermittlungsarbeit an augenscheinlichen Bagatellfällen. Inspektor Avi Avraham wünscht sich eigentlich Fälle, wo das Ergebnis noch einen Nutzen für die Nachwelt hat. Was nutzt es einem Toten und dessen Hinterbliebenen, wenn der Mörder gefasst und verurteilt ist? Avi Avraham liebäugelt mit einem Wechsel zu einer anderen Ermittlungsbehörde oder zum Geheimdienst, um mehr bewegen zu können.

Doch zunächst muss er sich mit zwei Fällen, die wir Leser:innen abwechselnd weiterverfolgen, auseinandersetzen, ein vor einen Krankenhaus ausgesetztes Neugeborenes und ein verschwundener Schweizer Tourist beschäftigen ihn. Zwischen den Zeilen wird Mishani politisch. Er öffnet uns die Welt des jüdischen Glaubens, der in extremer Auslegung die Freiheiten des Lebens stark einschränkt. Mishani ist dabei ein Erzähler der leisen Töne, der mit Andeutungen arbeitet. So entsteht ein Gesamtbild von latenter Unterdrückung, die sonst anderen Glaubensgemeinschaften zugeordnet wird. Mishani lenkt seinen kritischen Blick auch auf den Geheimdienst und dessen Vorgehensweisen. In diesem Zusammenhang entsteht auch die Spannung im Roman, weil man unterschwellig spürt, wie sich Avi Avraham mit jeder weiteren Frage mehr in Gefahr begibt.

Vom Sprachniveau her liest sich der Roman flüssig, auch wenn es sich hier nicht um einen thrillermäßigen Pageturner handelt. Die Bezeichnung als ungemein dichten literarischen Kriminalroman finde ich passend. Er regt zu Nachdenken an, öffnet die Augen für andere Kulturen. Das hat mir hier sehr gefallen. Sympathisch fand ich zudem die kleinen Querverweise zu Orna, die wir schon aus „Drei“ kennen, und ihren Ermittlungen.

Allen, die auch gern im Genre Literatur unterwegs sind, empfehle ich diesen Kriminalroman sehr gern.

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Veröffentlicht am 18.04.2022

Melancholisch witzige Geschichte um Liebe und Familie

Schallplattensommer
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Maserati ist sechzehn, kellnert im Ausflugslokal ihrer Oma. Obwohl sie nicht regelmäßig genug zur Schule geht, scheint sie mit ihrem Leben zufrieden zu sein. Doch dann zieht nebenan in die alte, verfallene ...

Maserati ist sechzehn, kellnert im Ausflugslokal ihrer Oma. Obwohl sie nicht regelmäßig genug zur Schule geht, scheint sie mit ihrem Leben zufrieden zu sein. Doch dann zieht nebenan in die alte, verfallene Villa eine reiche Familie mit zwei Jungen in Maseratis Alter ein. Nicht nur wegen der lärmenden Renovierungsarbeiten ist es jetzt mit der ländlichen Ruhe vorbei.

In dem Wunsch Maserati kennen zu lernen, stochern Caspar und Theo in ihrem Leben ohne Smartphone und Fernsehen herum. Als sie Maseratis Konterfei auf einer alten Schallplatte entdecken, manövrieren sie mit ihrer ewigen Fragerei Maseratis Leben ins Chaos. Sämtliche Konstanten kommen ins Wanken, das Zusammenarbeiten mit der Oma im Lokal, ihre Freundschaft zu Georg, einem ihrer Mitschüler.

Alina Bronsky führt uns in ein Feuerwerk aus widersprüchlichen Gefühlen, ergründet mit Maserati die Frage nach der Liebe und die Bedeutung von Familie. Gleichzeitig entwickelt sich ein Abenteuer für die jungen Leute zur Findung des eigenen Selbst. Immer wieder werden Maserati, Caspar und Theo fehlgeleitet durch Missverständnisse, die durch unüberlegte, cool sein wollende Kommentare entstehen.

Sprachlich bleibt sich die Autorin treu. Ich liebe ihren bittersüßen Tonfall, auch wenn er hier aus Richtung der Oma nicht ganz so spitz wie sonst rüberkam. So liest sich der Roman zügig, lässt einen hin und wieder schmunzeln. Ich mag Bronskys Art, schwierigeren Themen die negative Energie zu nehmen und gleichzeitig eine gewisse Ernsthaftigkeit mitschwingen zu lassen.

Ich habe diese turbulente Feriengeschichte genossen und empfehle sie gern weiter.

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