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Veröffentlicht am 01.11.2021

Ermittlerduo im Change Prozess

Der rote Raum
1

Nach „Die Taten der Toten“, einem Fall der seinen Fokus auf den Mord an Olof Palme gerichtet hatte, der auch das Ermittlerteam um Ingrid Nyström und Stina Forss an die Grenze des Menschlichen und darüber ...

Nach „Die Taten der Toten“, einem Fall der seinen Fokus auf den Mord an Olof Palme gerichtet hatte, der auch das Ermittlerteam um Ingrid Nyström und Stina Forss an die Grenze des Menschlichen und darüber hinaus katapultiert hatte, musste es Veränderungen im Team geben. Annette Hultin hat das Team verlassen, Stina Forss wird weit in den Norden versetzt, Ingrid Nyström verbleibt mit Hugo Delgardo und Lasse Knutsson in Växjö. Neu ins Team kommt die frisch ausgebildete Sara Hjalmarsson, die den alteingesessenen Kollegen erst mal den Verstand raubt.

Vor diesem Hintergrund haben die beiden Ermittlerinnen getrennt von einander sehr ähnliche Mordfälle zu lösen. Zwei Mordopfer, aufs brutalste zugerichtet, jedem Opfer fehlt ein Organ, ein Zusammenhang drängt sich auf. Während Nyström ihren Fall nach bewährtem Schema angeht, gemeinsam mit den Kollegen Hinweise sammelt, potentielle Zeugen interviewt, Hintergrundanalysen zum Opfer betrachtet und die gewonnenen Erkenntnisse geschickt kombiniert, bleibt Forss ihrer Mentalität treu und übt sich abermals in gefährlichen Alleingängen. Begleitet wird die Handlung durch die allseits beliebte, düstere Atmosphäre in skandinavischen Krimis. Hier wird das Ganze verstärkt durch das gemeinsame Trauma der Ermittler, das sich hauptsächlich im Ausgang des Palme-Falls begründet.

Die Geschichte war für mich neben dem Herantasten an die Mordfälle gleichzeitig eine Art Übergangskrimi zur Findung und Eingewöhnung in eine neue Konstellation. Die Integration von Sara Hjalmarsson in das Team Nyström war eine der wichtigsten Aufgaben dieses Teils der Serie, ebenso die Eingliederung von Stina Forss in ihr neues Umfeld. Der Ausgang hinsichtlich der Neuaufteilung der ermittelnden Personen lässt allerdings weiterhin viel Spekulationsmöglichkeiten zu, was mir sehr gut gefällt. So bleibt das Warten auf den nächsten Teil von Spannung erfüllt, wie es an dieser Stelle weitergeht.

Stilistisch bleiben sich die Autoren treu, schreiben in mehreren Handlungssträngen, wechseln an der spannendsten Stelle des einen in den anderen Strang. Als besonderes Highlight dient wieder ein dritter zunächst losgelöster, sonderbarer Strang, der schwer einzuordnen ist, die Leser*innen aber zusätzlich auf die Folter spannt, aus der eigentlichen Handlung rausreist. Ansonsten werden die Ermittlungen wie in den anderen Büchern zur Serie tageweise betrachtet. Jeder Tag ist in viele kurze Kapitel eingeteilt. Das ist perfekt, um immer noch eins anzufangen und dabei die Zeit zu vergessen.

Für mich waren es mal wieder spannende Fälle, die Nyström und Forss zu lösen hatten. Forss hat erneut bewiesen, dass sie niemals aufgibt. Vielleicht hätte ich mir ein früheres, dafür ausgedehnter erklärtes Auflösen der Fälle gewünscht. Insgesamt war dieser neunte Fall für mich ein Übergangskrimi, der weitere brisante Stories vorbereitet. Mir hat es gefallen, eine Empfehlung ist Ehrensache.

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Veröffentlicht am 08.08.2020

Abrechnung mit dem Konformitätskomfort

Ein Mann der Kunst
1

Kristof Magnusson gibt hier vor, einen Roman über einen Künstler und dessen Fangemeinde zu schreiben. Genau genommen, ist dies allerdings nur die Verpackung für seine kolossale Gesellschaftskritik. Vertreten ...

Kristof Magnusson gibt hier vor, einen Roman über einen Künstler und dessen Fangemeinde zu schreiben. Genau genommen, ist dies allerdings nur die Verpackung für seine kolossale Gesellschaftskritik. Vertreten durch seine Künstlerfigur KD Pratz, prangert er unser Anderen-Gefallen-Wollen, unser stetes Erfüllen von fremden Erwartungen an. Echte Rebellen bzw. Personen mit komplett eigener Meinung scheinen ausgestorben oder doch nicht?

Es ist ein intellektueller Roman, der mit gehobenen Sprachelementen erstaunlich komisch daherkommt. Mehr als ein Mal musste ich laut auflachen, obwohl ich normalerweise, angepasst wie ich bin, maximal über Gelesenes schmunzele. Doch so manche Formulierung war dermaßen provokativ, dass die spontane Reaktion darauf nicht zu bremsen war. Ich kann die Lektüre nur empfehlen.

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Veröffentlicht am 22.02.2019

Abgründe des Familien- und Liebeslebens

Die Liebe im Ernstfall
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Fünf ganz normale Frauen, Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinde, wollen in unserer liberalen, emanzipierten Welt, die Informationen über Alles und Jeden bereithält, ihr persönliches Glück finden. „Die ...

Fünf ganz normale Frauen, Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinde, wollen in unserer liberalen, emanzipierten Welt, die Informationen über Alles und Jeden bereithält, ihr persönliches Glück finden. „Die Liebe im Ernstfall“ begleitet ihren recht holprigen Weg dorthin.

Von den Vorstellungen zu Selbstbild, Partnerschaft und Familie, die die jungen Frauen beim Eintritt ins Erwachsenenleben hatten, ist im Laufe der Jahre nicht mehr viel übrig geblieben. Jede, ja wirklich jede von ihnen, hat herbe Enttäuschungen in ihrem Leben erlitten. Lebensentwürfe mussten aufgegeben, ganz neu entworfen werden. Herausgekommen sind teilweise an Kreativität kaum zu übertreffende Muster, von denen mir mindestens eines als Nicht-Betroffene untragbar erscheint, die aber für die Protagonistinnen im Roman den einen gangbaren Weg aus der Krise markieren. Die Geschichten von Paula, Judith, Brida, Malika und Jorinde zeigen allerdings eine Vielzahl von Ansätzen auf, die allgemein übertragbar sind, die Hoffnung geben. Beim Lesen hat mich intensiv beschäftigt, wie es zu diesen zerstörerischen Entwicklungen in den Beziehungen kommen konnte. Wurden zu hohe Erwartungen an den Partner gestellt? Gab es ein Ungleichgewischt in der gegenseitigen Liebe? Wurde das Thema Kinder völlig unterschätzt? Hat man zu viel Fehlentwicklung immer wieder einfach heruntergeschluckt und zu wenig miteinander gesprochen? Ich finde, „Die Liebe im Ernstfall“ ist ein ganz wunderbarer Roman, auch zur Selbstreflektion. Vermutlich wird sich jede(r) in der ein oder anderen Situation wiedererkennen. Die Reaktionen im Buch sind mit den eigenen vergleichbar.

Unsere fünf Protagonistinnen sind ein bunter Blumenstrauß an weiblichen Charakteren, die mit ihren Eigenschaften von unterwürfig bis durchsetzungsstark, von zuvorkommend bis rücksichtslos, von schüchtern und zurückhaltend bis zur „Rampensau“ ein breites Spektrum der gesamten aktuellen weiblichen Generation abdecken dürften. Allen gemein – und das finde ich sehr bemerkenswert, weil aus meiner Sicht außergewöhnlich - ist allerdings eine im Verhältnis zu den Wellen, die ihr Leben schlägt, ihnen innewohnende Ruhe und Gelassenheit oder vielleicht sogar stoische Grundhaltung. Wie groß auch immer die Enttäuschung in ihren Leben sein mag, ignorante Partner, fremdgehende Partner, ausgediente Ehen oder verstorbene Kinder, so richtig ausrasten tut keine von ihnen. Selbstverständlich gibt es Streit und Kontroversen, aber keine schlägt, herausgefordert von der hässlichen Seite des Schicksals, um sich oder gibt sich hemmungslos schreiend ihrem Gefühlschaos hin. Diese analytische Nüchternheit und zielorientierte Lösungsfindung der Damen hat mich schon massiv beeindruckt.

„Die Liebe im Ernstfall“ ist das erste Buch, das mehrere Einzelgeschichten zu einem Roman vereint, das ich gelesen habe. Diese Art des Aufbaus hat mir sehr gut gefallen, auch wenn ich mir ursprünglich die Verknüpfung zwischen den Geschichten intensiver vorgestellt hatte. Die Auswahl und Ausgestaltung der Protagonistinnen und ihrer Lebensentwürfe ist in meinen Augen sensationell stimmig. Das beginnt schon bei den fünf Namen, die in dieser Konstellation nur im Zeitalter der späten DDR so auftreten konnten. Daniela Krien schreibt angenehm lesbare Textpassagen, springt allerdings scheinbar zufällig, zwischen verschiedenen Vergangenheiten und der Gegenwart hin und her, so dass sich der Roman zwar zügig lesen lässt, aber gleichzeitig einen wachen und wachsamen Leser fordert, damit entscheidende Details nicht verloren gehen. Obwohl es thematisch in ihrem Roman um Liebe geht, stellt er längst keine Trivialliteratur dar.

Sehr gern empfehle ich „Die Liebe im Ernstfall“ allen, die einen Blick in die normalen Abgründe des Familien- und Liebeslebens, die jeden von uns treffen können, aber nicht müssen, werfen wollen. Da die Mehrheit der Männer in diesem Roman eine nicht ganz so gute Figur machen, würde ich meine Empfehlung auf die weibliche Leserschaft und auf Männer, die „Frauenflüsterer“ sind, beschränken.

Veröffentlicht am 03.07.2024

Das Ende des vorsichtigen Reisenden

Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland
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Sarah Brooks lässt im auslaufenden 19. Jahrhundert ihre Reisenden durch ein zwischen China und Russland liegendes, fiktives Ödland mit dem stärksten Zug der Welt transportieren. Dieser Zug ist technisches ...

Sarah Brooks lässt im auslaufenden 19. Jahrhundert ihre Reisenden durch ein zwischen China und Russland liegendes, fiktives Ödland mit dem stärksten Zug der Welt transportieren. Dieser Zug ist technisches Wunderwerk und Schutzpanzer gegen die Gefahren des Ödlands zugleich. Die Länder selbst schotten sich mit riesigen Mauern und Waffengewalt gegen die Bedrohung ab.

Doch was hier als öde betitelt wird, erscheint mir unheimlich attraktiv, voller Detailreichtum und positiver Möglichkeiten. Zudem verblasst für mich regelmäßig die vorgegebene Zeitachse, ich schwimme zwischen auslaufender Zarenzeit und Gegenwart. Über weite Strecken deuten die Verhaltensweisen der Damen im Roman auf ein emanzipierteres Zeitalter hin. Vielleicht ein anders entwickeltes Paralleluniversum?!

Begleitet werden die Reisenden vom „Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland“ aus der Feder von Valentin Rostow, ein Buch im Buch also, das ihnen warnend Verhaltensweisen im Zug empfiehlt, um nicht am Ödland-Weh zu erkranken. Rostow teilt seine zwanzig Jahre früher liegenden Beobachtungen eigener Reisen, verwandelt damit den vorhandenen Respekt vor der Reise in Angst.

Schon irgendwie ein interessantes Debüt, von der Machart eigentlich gar nicht so meins, geradeaus erzählt, relativ blumig ins innere Auge geschrieben, zu viele sympathische Charaktere, wenig Streitbares, Nichts zum wirklich Aufregen. Trotzdem war dieser Reisebericht keine triviale Sommerlektüre. Es ist schwer, sich abschließend festzulegen, um was es geht. Wahrscheinlich entstehen Zuschreibungen in diesem Sinne abhängig davon, was die Lesenden an eigener Historie und Erfahrungen mitbringen.

Vielleicht wird ein stückweit auf die neuerliche, politische Ausrichtung der beiden Länder abgestellt oder es wird der Einfluss des Menschen auf Flora und Fauna kritisch betrachtet. Für mich geht es vor Allem um Veränderung, die Angstmache in diesem Kontext, aber auch um Abschied und Trauer, um einen beschwerlichen Weg hin zur nächsten hoffentlich wieder attraktiven Evolutionsstufe.

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Veröffentlicht am 09.03.2024

Es gibt nur eine Macht. Die Macht zu töten.

Das Philosophenschiff
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Die Hundertjährige Architektin Anouk Perlemann-Jacob bittet einen wenig renommierten Schriftsteller ihr Leben in einem Roman zu verarbeiten. Die Geschichte beginnt, als Anouk auf Lenins Befehl hin mit ...

Die Hundertjährige Architektin Anouk Perlemann-Jacob bittet einen wenig renommierten Schriftsteller ihr Leben in einem Roman zu verarbeiten. Die Geschichte beginnt, als Anouk auf Lenins Befehl hin mit einem Philosophenschiff ins Exil deportiert wird. Wenige Personen der sogenannten Intelligenzija sind mit ihr auf dem völlig überdimensionierten Schiff. Die Crew des Schiffes bleibt für die Passagiere verborgen. Sie haben nur einander, vermuten Spionage, die Stimmung ist von Misstrauen geprägt. Als das Schiff mehrere Tage auf offenem Meer hält, geht die Angst um.

Vor diesem Hintergrund spinnt Michael Köhlmeier eine Story aus historischen Fakten und frei erfundenen Lügen zusammen, die die Erinnerungen der gealterten Anouk Perlemann-Jacob darstellen sollen. Natürlich verändern sich Erinnerungen im Laufe der Zeit, Details gehen verloren, Lücken werden aufgefüllt. Doch in solch extravaganter Ausprägung wie hier sind mir Erinnerungen noch nie begegnet. Ehrlich gesagt hat mich damit der Autor auch ein Stück weit abgehängt, da ich nicht so recht ausmachen kann, was er seiner Leserschaft mit diesem Roman sagen will. Will er alternative Fakten anprangern? Will er auf sich wiederholende Geschichte aufmerksam machen? Vieles ist mir ein Rätsel geblieben. Themen werden angerissen, später nicht weiterverfolgt. Personen, die der Geschichte wenig dienen, nehmen in meiner Wahrnehmung viel Raum ein. Soll unsere Schnelllebigkeit und Oberflächlichkeit widergespiegelt werden oder die ausufernde Phrasendrescherei von Leuten, die eigentlich nichts zu sagen haben? Vielleicht alles davon vielleicht Nichts.

Dabei habe ich die Kapitel einzeln betrachtet, eigentlich ganz gern gelesen. Rein sprachlich hat mich der Roman schon abgeholt. Beeindruckt haben mich die Ausführungen, die Köhlmeier Lenin über Macht sprechen lässt, sowie Stalins Ausführungen über die leichtfertig aufgegebene Freiheit des Volkes, um selbst keine Verantwortung und kein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Das gibt mir schon zu denken.

Insgesamt ist mir „Das Philosophenschiff“ allerdings zu zerfasert und über weite Strecken auch zu weit weg von historischer Glaubwürdigkeit. Zudem hätte ich mir ein Nachwort oder irgendeine Erklärung gewünscht, die mich nochmal aus anderer Richtung abholt. So bleibe ich nach der Lektüre etwas ratlos zurück.

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