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Veröffentlicht am 24.04.2020

Schön schaurig

Das Dorf der toten Seelen
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Es kommt selten vor, dass ich bis in die frühen Morgenstunden lese ... doch heute war es mal wieder soweit. Zu verdanken habe ich meine sehr kurze Nacht diesem Roman. Und darum geht‘s:

Schweden 1959. ...

Es kommt selten vor, dass ich bis in die frühen Morgenstunden lese ... doch heute war es mal wieder soweit. Zu verdanken habe ich meine sehr kurze Nacht diesem Roman. Und darum geht‘s:

Schweden 1959. Von einem Tag auf den anderen verschwinden alle Einwohner*innen eines kleinen Bergarbeiterdorfes spurlos. Einzig ein Neugeborenes findet man, sich selbst überlassen, im Zimmer der Schulkrankenschwester - und die Leiche einer offenbar gesteinigten Frau an einem provisorischen Schandpfahl.
60 Jahre später macht sich ein kleines Filmteam auf den Weg in das Dorf, um dem Geheimnis auf den Grund zu gehen. Das Verhältnis unter den fünf jungen Menschen untereinander ist angespannt, nicht alle vertrauen einander, einige Mitglieder haben ein persönliches Interesse an dem mysteriösen Fall - wahrlich keine guten Startbedingungen. Vom ersten Tag an sehen sie sich mit unerklärlichen Vorfällen konfrontiert - oder doch nicht?
Da waren doch Schritte - oder doch nicht?
Da war doch ein Lachen - oder doch nicht?
Ein Summen? Ein Singen? Oder doch nicht?
Eine Gestalt im Regen - oder doch nicht?
Die Unfälle mehren sich, die Moral in der Gruppe sinkt. Ob alle dieses Abenteuer überleben?

"Das Dorf der toten Seelen" wird auf zwei Zeitebenen erzählt. Beide Erzählstränge bauen die schaurige Spannung kontinuierlich auf, und fast bis zum Ende ist unklar, ob die Geschehnisse einem Spuk, der Sabotage eines der Crewmitglieder oder doch etwas ganz Anderem geschuldet sind.

Wer "Kalte Wasser" mochte, der wird auch diesen Roman verschlingen. Deshalb: Große Leseempfehlung für alle, die es schaurig, spannend und mysteriös mögen.

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Veröffentlicht am 20.04.2020

Sehr charmant

Munkey Diaries
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Biografie, Autobiografie, Tagebücher – es gibt verschiedene Arten, sich als Leserin einer historischen oder prominenten Person zu nähern. Je nach Genre variiert die (vermeintliche) Intimität, gleichzeitig ...

Biografie, Autobiografie, Tagebücher – es gibt verschiedene Arten, sich als Leserin einer historischen oder prominenten Person zu nähern. Je nach Genre variiert die (vermeintliche) Intimität, gleichzeitig stelle ich mir die Frage, wie subjektiv oder kuratiert die Lebenseinblicke sein mögen.

Jane Birkin schreibt Tagebuch, seit sie elf Jahre alt ist. Und mit diesen Tagebucheinträgen der kleinen Jane beginnt ihr Buch „Munkey Diaries“ (aus dem Französischen von Barbara Heber-Schärer), das seinen Titel einem Plüschaffen verdankt, wie sie uns im Vorwort wissen lässt. Er hat sie ihr Leben lang begleitet – bis er mit Serge Gainsbourg bestattet wurde. Doch dies ist nur eines der beiläufigen Details, die Jane Birkin aus ihrem ereignisreichen Leben erzählt. Sie war bzw. ist Schauspielerin, Mutter, Tochter, Schwester – und nicht zuletzt eine große Liebende, eine, die ihr Herz mit jeder Faser verschenkt, die sich hingibt: emotional und mental.

Die Liebe ist das zentrale Motiv, das sich durch ihre Tagebücher zieht. Die Liebe zu ihrem Vater. Zu ihren Töchtern. Und natürlich auch zu ihren Männern. Birkins Tagebücher zu lesen – deren Einträge sie dankenswerterweise an zahlreichen Stellen erläutert und kommentiert – ist ein Ausflug in eine unwiederbringlich verlorene Zeit, eine ganz eigene Welt – die indes trotz aller Berühmtheit, aller illustren Freund
innen und allen Glamours verblüffend selbstverständlich und unspektakulär geschildert wird.

Ich habe Jane Birkins Tagebücher sehr gern gelesen und kann die Lektüre allen, die sich für diese außergewöhnliche und dabei offenbar so normale Frau, für Serge Gainsbourg und/oder die Zeit der Sechziger- und Siebzigerjahre interessiert, empfehlen. Und was den Grad des eingangs erwähnten Kuratierens betrifft, so äußert sich Jane Birkin wie folgt:

„Tagebücher sind zwangsläufig ungerecht, man deckt seine Karten auf, beklagt sich; sonst gibt es immer verschiedene Versionen, aber hier gibt es nur die meine … Ich habe mich entschlossen, nichts zu verändern, und glauben Sie mir, es wäre mir lieber, meine Reaktionen wären reifer und vernünftiger gewesen, als sie waren. ich habe weggelassen, was andere hätte verletzten können, aber es ist sehr wenig.“

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Veröffentlicht am 26.03.2020

Ein ernstes Thema belletristisch verpackt

Die Unwerten
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Die vierzehnjährige Hannah hat eine jüdische Mutter – und Epilepsie, zwei Sachverhalte, die im Jahr 1939 lebensgefährlich sein können. Nach einem Anfall in der Schule lässt sich ihre Krankheit nicht mehr ...

Die vierzehnjährige Hannah hat eine jüdische Mutter – und Epilepsie, zwei Sachverhalte, die im Jahr 1939 lebensgefährlich sein können. Nach einem Anfall in der Schule lässt sich ihre Krankheit nicht mehr verheimlichen, und Hannah sieht sich dem ebenso aufstiegswilligen wie charakterlosen Psychiater Joachim Lubeck gegenübergestellt. Für ihn ist der Fall klar: Hannahs Leben ist ein „unwertes“, das Mädchen nicht würdig weiterzuleben. Ihr Schicksal scheint besiegelt, doch Lubeck bietet Hannah und ihrer verzweifelten Mutter Malisha einen Ausweg: Wenn die schöne Malisha ihm zu Willen ist, könnte er ihre Tochter vor dem sicheren Tod bewahren. Malisha lässt sich darauf ein – anfänglich …

Tragische Ereignisse, scheinbar unzerstörbare Widersacher, glückliche Zufälle, wiederholtes Entkommen in letzter Minute, eine gefällige Sprache, ein flüssiger Erzählstil – „Die Unwerten“ ist ein Unterhaltungsroman, das steht außer Zweifel (bei allem Widerstreben, Literatur überhaupt solcherart zu kategorisieren). Und tatsächlich habe ich mich während der Lektüre bisweilen ein wenig beklommen gefragt, ob das geht, ob ‚man das machen kann‘, eine so menschenverachtende, massenmörderische Maschinerie wie die barbarische „Aktion T4“ in dieser Form literarisch zu verarbeiten. Dankenswerterweise geht der Autor in seinem Nachwort auf genau diese Frage ein:

„Nun könnte man mir vorwerfen, dass die Euthanasie kein Thema für die Belletristik ist, aber ich bin anderer Meinung. Um Menschen schwierige Themen nahezubringen, ist der erhobene Zeigefinger meines Erachtens kein gutes Mittel. Warum nicht die zeitgeschichtlichen Aspekte und Hintergründe in eine spannende Geschichte verpacken und damit den Leser zur Beschäftigung mit diesen Inhalten anregen? Schließlich geht es im Roman wie in der Realität um Menschen und deren Lebenswege.“

Ich persönlich bin zwar nicht der Meinung, dass die einzige Alternative zur Belletristik der erhobene Zeigefinger ist, doch zu diesem Roman kann ich guten Gewissens sagen: Ja, er dient der ‚Unterhaltung‘ im o. g. Sinne. Doch bildet die „Aktion T4“ tatsächlich ‚nur‘ den Rahmen für das Schicksal der Protagonistin, sie ist ein Vehikel, das den roten Faden der Handlung herstellt, ohne je zu sehr ausgeschlachtet, überzogen oder in irgendeiner Form herabgewürdigt zu werden. Ja, es ist Belletristik – aber (zumindest aus meiner Sicht) der inhaltlich, erzählerisch und sprachlich ‚besseren‘ Art.

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Veröffentlicht am 26.03.2020

Eine bezaubernde und verzaubernde Geschichte

Die ganze Welt ist eine große Geschichte, und wir spielen darin mit
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Die Geschichte beginnt mit dem Maler Edgar, einem träumerischen, etwas versponnenen jungen Mann, der nach Garmisch reist, um seinen Schwarm Elis wiederzusehen. Doch statt seiner Angebeteten trifft er die ...

Die Geschichte beginnt mit dem Maler Edgar, einem träumerischen, etwas versponnenen jungen Mann, der nach Garmisch reist, um seinen Schwarm Elis wiederzusehen. Doch statt seiner Angebeteten trifft er die zehn Jahre ältere, patente Ladenbesitzerin Luise. Das scheinbar ungleiche Paar entdeckt in dem jeweils anderen etwas, das man eine verwandte Seele nenne könnte. Beide haben einen fantasievollen Geist, der ihnen unbegrenzte Welten eröffnet. Ein halbes Jahr später sind Edgar und Luise verheiratet, bald darauf wird ihr erster und einziger Sohn Michael geboren – das vielgeliebte, von allen verhätschelte Kind, dem seine Eltern die Fähigkeit vererbt haben, das Wunderbare im Alltäglichen zu sehen und hinter die Grenzen der ‚Wirklichkeit‘ zu blicken. Doch in seiner Kindheit und Jugend eckt Michael immer wieder an: Es sind die Dreißiger-, Vierzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts, es ist weder die Zeit noch der Ort, seine Fantasie und Imaginationskraft öffentlich ausleben zu können oder zu dürfen. Michaels Vater wird die Lebensgrundlage entzogen, seine Kunst gilt als „entartet“, die Mutter versucht mit allen möglichen Jobs, die Familie über Wasser zu halten. Doch so schwer die Zeiten sind, in der Familie steht man zusammen, versucht, der grauen Realität zu entfliehen. Als junger Erwachsener versucht Michael – ein gutaussehender Schürzenjäger mit überbordendem Selbstbewusstsein – sein Glück als Theaterautor, doch der große Erfolg will sich nicht so recht einstellen. Erst als ein Kinderbuchillustrator ihn bittet, seine Zeichnungen mit einem kleinen Text zu versehen, findet er seine wahre Berufung, um nicht zu sagen, Bestimmung. Aus dem ‚kleinen Text‘ wird ein Kinderbuch von mehr als 500 Seiten, das mit den Worten beginnt: „Das Land, in dem Lukas, der Lokomotivführer wohnte, war nur sehr klein.“ …

Ich muss gestehen, dass ich herzlich wenig über das Leben von Michael Ende wusste. Und natürlich ist eine Romanbiografie – denn genau darum handelt es sich bei diesem Buch – keine lineare Wiedergabe von Lebensdaten und -abschnitten, sondern, wie die Autorin Charlotte Roth im Vorwort betont, ein Roman. Indes „ist Erfundenes [zuweilen] hilfreich, um im Verborgen Geschehenes sichtbar zu machen.“ Dieser sich am Leben von Michael Ende orientierende Roman ist eine wunderbare und wundersame Geschichte, in der man vieles aus Endes Kinderbüchern wiederfindet (was mir immer wieder ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert hat) und die überdies so wunderschön und in einer so verzaubernden Sprache erzählt ist, dass ich sie allen wärmstens ans Herz legen möchte.

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Veröffentlicht am 19.03.2020

Leichte Unterhaltung nach bewährtem Rezept

Die Kleider der Frauen
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Paris, 1940: Die 22jährige Estella arbeitet gemeinsam mit ihrer Mutter als Schneiderin für die großen Modeschöpfer. Nebenbei verdient sie sich ein wenig Geld dazu, indem sie heimlich die neuesten Modelle ...

Paris, 1940: Die 22jährige Estella arbeitet gemeinsam mit ihrer Mutter als Schneiderin für die großen Modeschöpfer. Nebenbei verdient sie sich ein wenig Geld dazu, indem sie heimlich die neuesten Modelle kopiert und ihre Skizzen an amerikanische Modehäuser verkauft. Doch viel lieber würde Estella selbst designen, sie hat Talent und ein schier unerschöpfliches kreatives Potenzial. Kurz bevor die Wehrmacht in Paris einmarschiert, gerät Estella unbeabsichtigt in eine Aktion der Résistance – und muss aus Paris fliehen. Von ihrer Mutter erfährt sie erst jetzt, dass ihr Vater Amerikaner war, und so reist Estella nach New York. Sie hofft, sich dort ihren großen Traum vom eigenen Modehaus erfüllen zu können.

New York, 2015: Estella ist mittlerweile weit über neunzig. Ihre Enkelin Fabienne, die zu ihrer Großmutter ein sehr enges, liebevolles Verhältnis hat, plagt nicht nur die Sorgen um Estellas zusehends schwächere Konstitution, sondern überdies die Trauer um ihren kürzlich verstorbenen Vater. Beim Sichten seiner Unterlagen stößt Fabienne auf seine Geburtsurkunde – und die wirft einige Fragen zu seiner und damit auch ihrer Herkunft auf. Fabienne möchte Antworten von ihrer Großmutter, doch die fordert eine Gegenleistung: Ihre schüchterne Enkelin soll nach Estellas Tod ihre Modemarke weiterführen …

„Die Kleider der Frauen“ ist ein Roman, wie er derzeit zuhauf zu finden ist: Ein oder mehrere schöne Schauplätze, mindestens ein Handlungsstrang, der in der Vergangenheit spielt, ein Familienimperium, das weitergeführt werden muss, ein Familiengeheimnis, das gelüftet werden will – dazu die unverzichtbare Liebesgeschichte (selbstredend mit einem gutaussehenden Unbekannten) und eine Menge glücklicher Zufälle (so schließt Estella auf dem Schiff, das sie nach Amerika bringt, Freundschaft mit einem jungen Mann, der – ach, was? – in New York in der Modebranche arbeitet).

All das ist nicht neu und, um ehrlich zu sein, auch nicht allzu originell – doch alles in allem bietet „Die Kleider der Frauen“ eine, wenngleich nicht allzu anspruchsvolle, so doch durchaus unterhaltsame Lektüre: ein perfektes Buch zum „Wegschmökern“ – nicht mehr … aber auch nicht weniger.

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