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Veröffentlicht am 16.05.2023

Krönender Reihenabschluss

Waldgrab
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Nachdem Band 2 der Reihe für mich nicht so überzeugend war und ich einige negative Kritiken zu Waldgrab gelesen hatte, bin ich skeptisch an den den Band gegangen. Ob es sich gelohnt hat?

Mir ist nach ...

Nachdem Band 2 der Reihe für mich nicht so überzeugend war und ich einige negative Kritiken zu Waldgrab gelesen hatte, bin ich skeptisch an den den Band gegangen. Ob es sich gelohnt hat?

Mir ist nach wie vor klar, dass die Autoren eine ganz spezielle Art haben, ihre komplexen Geschichten aufzubauen. Sie sind ausführlich und tiefer, entwickeln sich langsamer, nicht zuletzt wegen der vielen Perspektiven. Doch genau das mag ich so an ihnen. Hier muss ich mich reinknien, dranbleiben und verstehen.
In ihrem letzten Teil der Kronoberg-Reihe begegnen wir der Ermittlerin Jeanette Kihlberg wieder, die wir schon aus der Victoria-Bergman-Reihe kennen. Seit Victoria (Sofia) aus ihrem Leben verschwunden ist, ebenso wie ihr undankbarer Künstlergatte, hat sie sich noch immer nicht mit ihrem Leben arrangiert. Sie wird mit ihrem Kollegen zu einer Baustelle gerufen, wo ein Mann getötet wurde. Am anderen Ende von Stockholm wird eine Frau tot in der Badewanne aufgefunden. Dann wird ein verwahrlostes, verstörtes Mädchen in einem weißen Kleid aufgegriffen, das nicht spricht. Ihre Ermittlungen führen sie zu einem aktuellen Buch, das von einer Frau erzählt, die vor über hundert Jahren ein einsames Leben führte und für verrückt erklärt wurde.
Diese drei Fälle werden sauber, detailliert und glaubhaft zusammengeführt. Diesmal wurde es auch bei weitem nicht so gewalttätig, wie ich es aus den vorigen Bänden gewohnt war. Und wir sind zum ersten Mal ganz nah an den eigentlichen Ermittlungen dran. Es gab wieder viele Namen und Schauplätze, mit denen ich erstmal zurechtkommen musste. Doch die Geschichte um Stina hat mich dann so gefesselt, dass ich das Buch wieder in kürzester Zeit durchsuchtet hatte. Leider wäre hier jedes weitere Wort ein Spoiler.

Keine Frage, dass wir auch diesmal mit den eigensinnigen Ermittlern kaum warmwerden. Aber das war für ich auch nie nötig. Dennoch fühlen sie sich alle authentisch an mit ihrem menschlichen Unzulänglichkeiten. Ich brauche keine tausendste Macke, wenn doch klar ist, wie kaputt einen der Polizeidienst machen kann. Der Fokus liegt vielmehr auf den anderen Charakteren, sowohl den Opfern als auch den Tätern. Immer wieder führt es mich zu denselben Fragen: Was geht in den kranken Köpfen vor? Wie viel kann ein Mensch aushalten? Und für mich war alles schlüssig, nachvollziehbar und spürbar.

Und dann kam dieser eine Satz, etwa hundert Seiten vor Schluss, und mich beschlich so eine Ahnung. Und wahrlich, sie haben es geschafft, einen ganz großen Bogen zu schlagen. Was für ein Finale! Das zeigt mir einmal mehr, dass die beiden Autoren größer denken und nichts aus den Augen verlieren. Wer also auch die Victoria-Bergman-Reihe gelesen hat, wird sich freuen.
Für alle, die die Bücher noch nicht kennen, kann ich sagen, man kann die Teile der Kronoberg-Reihe getrennt lesen, weil alle Fälle abgeschlossen sind. Kennt man die anderen aber, wird man viele Zusammenhänge besser verstehen und am Ende wahrscheinlich genauso überrascht sein wie ich. Denn ich freue mich schon auf das, was da noch kommt.
Mit diesem Ende haben sie die minimalen Längen wieder wettgemacht. Jerker Eriksson und Håkan Axlander Sundquist werden wohl Ausnahmeautoren bleiben, den ich gern weiter folgen will.

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Veröffentlicht am 13.05.2023

Nette Idee - schlecht umgesetzt

Babel
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Mein Fazit gleich vorweg. Wenn die Äußerung von Dennis Scheck, dies sei das Aufregendste im Fantasygenre seit Harry Potter, stimmt, dann sehe ich schwarz für das Genre.
Ich hatte mich wirklich auf das ...

Mein Fazit gleich vorweg. Wenn die Äußerung von Dennis Scheck, dies sei das Aufregendste im Fantasygenre seit Harry Potter, stimmt, dann sehe ich schwarz für das Genre.
Ich hatte mich wirklich auf das Buch gefreut, das als spektakulärer Weltbestseller angekündigt wurde, habe mich auf Fantasy eingestellt, bekommen habe ich aber – ja was eigentlich? Es ist lediglich ein Roman, der in den 1830ern in einem alternativen Oxford spielt, mit einem Schuss Magie in Form von Silberwerken.
Zu Beginn konnte Kuang mich noch mitreißen. Robin wird als kleiner Junge aus China nach England gebracht, um an der Oxford Universität Übersetzung zu studieren. Doch das ist kein Akt der Menschlichkeit. Babel braucht Menschen, die in anderen Sprachen träumen und denken, denn nur sie können die Magie in den Silberbarren herstellen, die das Empire am Laufen halten. Doch über die Wirkungsweise der Magie erfahren wir nur wenig oder banales. Die Grundidee ist ganz nett, aber zu wenig ausgearbeitet. Und dann wird es zunehmend zäh.
Kuang wollte ihr ganzes Wissen über Etymologie unterbringen. Allein dafür scheint sie das Magiesystem geschaffen zu haben. Doch fühlte sich das für mich wie viele trockene Vorlesungen an. Statt sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, wurde ich mit viel zu vielen unnötigen Details überschüttet. Wenn der Text nicht ausreichte, nutzte sie noch unzählige Fußnoten, um noch mehr Infos mitzuteilen. Schlimmer war aber, dass in den Fußnoten Dinge stehen, die der Erzähler nicht wissen konnte, die nicht zum Fortgang der Handlung beitrugen, sondern nur das Wissen der Autorin kundtaten. Irgendwann habe ich sie einfach nicht mehr gelesen.

Es fällt mir immer noch schwer, das Buch zusammenzufassen. Denn das war die größte Schwäche des Buches – die Zusammenhangslosigkeit. Mal gibt es ein Stück Handlung, das dann wieder abbricht, dann folgen eintönige Vorträge, dann erfolgt ein Zeitsprung, der keine nachvollziehbare Entwicklung beinhaltet, dann folgt wieder Geschichtsunterricht. Dieses Buch ist einfach nicht gut erzählt. Es gab keine Überraschungen, keine neuen Erkenntnisse, keine Wendungen. Der Plot ist dünn und lückenhaft, die Figuren nur Sprachrohre der Autorin.
Durch die großen Zeitsprünge versäumt es Kuang, ihre Charaktere glaubhaft zu entwickeln. Ihre Handlungen sind sprunghaft, teils naiv, oft nicht nachvollziehbar. Mir scheint es, als wollte sie unsere heutigen modernen Ansichten zu Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Imperialismus darstellen, denn von Zeigen kann nicht die Rede sein. Und es passt auch nicht in die damalige Zeit. Immer wieder kommt es zu Szenen, die deutlich machen, wie rassistisch und frauenfeindlich die Menschen damals waren. Doch das reicht nicht, Kuang muss es uns anschließend noch erklären und uns sagen, wie wir das zu bewerten haben. Hält sie ihre Leser wirklich für so unmündig?
Ach ja, Gesellschaftskritik gab es dann auch noch, als Kuang über die Auswirkungen der industriellen Revolution und den nahenden Opiumkrieg schreibt. Auch die wurde nicht glaubhaft mit den Charakteren verbunden. Wir betrachten alles nur durch die Babel-Blase, die Auswirkungen auf den Rest der Gesellschaft werden nur reingeworfen. Spürbar, nachvollziehbar war hier nichts.

Und der Schluss war für mich nichts als provoziertes Drama, das dem Ganzen dann noch die Krone aufgesetzt hat. Das schlechteste Ende, das ich je gelesen habe, schade, dass ich nicht spoilern darf.

Ich habe am Ende keine Ahnung, welche Geschichte Kuang mir wirklich erzählen wollte, sie hat sich komplett in Statements verzettelt.

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Veröffentlicht am 12.05.2023

Unheimlich spannend - im wahrsten Sinne des Wortes

Die Insel der Unschuldigen
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»Die Toten werden die nichts tun, … Es sind die Lebenden, auf die du aufpassen musst.« S.361

Jess erzählt uns die Geschichte zweier neunjähriger Kinder auf zwei Zeitebenen.
Mayken sticht 1628 mit der ...

»Die Toten werden die nichts tun, … Es sind die Lebenden, auf die du aufpassen musst.« S.361

Jess erzählt uns die Geschichte zweier neunjähriger Kinder auf zwei Zeitebenen.
Mayken sticht 1628 mit der Batavia, einem Schiff der Niederländischen Ostindien-Kompanie in See, um nach dem Tod ihrer Mutter zu ihrem Vater zu gelangen, einem reichen Handelsvertreter in Java. Mayken ist ein aufgewecktes, neugieriges Kind, dass sich nicht um Verbote schert, und die Langeweile auf der mehrmonatigen Reise damit verbringt, die unteren Decks der Batavia zu erforschen. Ich mochte Mayken sofort, ihre Unbekümmertheit, ihre Furchtlosigkeit, ihre Freundlichkeit zu jedermann. Doch die Eintönigkeit, die fremden Geräusche, die Gerüchte um die unteren Decks lassen alte schaurige Geschichten lebendig werden. Bullebak, ein aalähnliches Wesen treibt sein Unwesen an Bord und ist angeblich für den Tod von einiger Menschen verantwortlich.
Die Batavia sank vor der Küste Westaustraliens, die wenigen Überlebenden stranden auf einer kargen Insel. Die anschließende Meuterei wird vielen von ihnen das Leben kosten. (So weit die reale Geschichte.)
1989 wird der neunjährige Gil auf dieser Insel ankommen, auf der sich in der Saison ein paar Langustenfischer in kargen Behausungen niedergelassen haben. Auch Gil hat seine Mutter verloren und soll nun auf Beacon Island seinem wortkargen Großvater beim Fischen helfen. Hatte er bisher kein leichtes Leben, so wird es ihm hier nicht besser gehen, steht er doch schnell im Kreuzfeuer der rivalisierenden Erwachsenen. Das Einzige, was Gil fasziniert, sind die Ausgrabungen der Wissenschaftler, die die Überreste der damals gesunkenen Batavia bergen. Auch diese Gegend ist wie geschaffen für gruselige Geschichten, heißt es doch, Little Mays Geist würde noch immer auf der Insel leben.

Das schöne friedliche Cover täuscht darüber hinweg, was wir in Kidds neustem Buch zu erwarten haben. Es ist mein 2. Buch der Autorin, aber ich bin jetzt schon ein großer Fan von ihrem außergewöhnlichen Erzählstil. Auch hier begegnen wir wieder typischen Außenseitern und Übernatürlichem. Man sollte hier zumindest etwas für Schauergeschichten übrighaben und sich mitreißen lassen.
Ich mochte es sehr, wie sie die beiden Geschichten fiktiv miteinander verknüpfte. Gerade das Wissen um das wahre, grausame Ende der Passagiere der Batavia hat die Spannung enorm angezogen. Doch auch in Gils Geschichte liegt eine spürbare Bedrohung, die sich parallel zuspitzt. Hier wird von menschlichen Abgründen, Elend, Überlebensinstikt, Ungerechtigkeit und Außenseitern erzählt, das mir zum Teil sehr nahe gegangen sind. Einzig die Zeit, die Mayken auf dem Schiff mit ihren Erkundungen verbringt, ist zumindest teilweise heiter, wenn auch immer mit lauerenden Gefahren gespickt. Doch die Düsternis, die Kidd hier gekonnt inszeniert, hat mich gepackt. Sie hat zwei Welten konstruiert, die für zarte Kinderseelen nicht die richtigen Orte sind und doch müssen Mayken und Gil irgendwie damit zurechtkommen und Strategien entwickeln, nicht daran zu zerbrechen. Auch da hat mich Kidd überzeugt, dass es oftmals nur die Flucht in eine Fantasie- oder Scheinwelt sein kann.

Wahrscheinlich wird die Geschichte aufgrund des Übernatürlichen nicht jedermanns Geschmack sein, aber ich wurde bestens unterhalten. Aber wer historischer Abenteuergeschichten mag, ist hier mit Sicherheit richtig.

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Veröffentlicht am 09.05.2023

Eine intelligent erzählte Geschichte über Schein und Sein

Die unverhoffte Genesung der Schildkröte
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Ich habe ja schon wirklich viel gelesen in meinem Leben, aber dass mich jemand noch überraschen kann, kommt nur sehr selten vor. Marc Bensch hat es geschafft. Und zwar mit der Art und Weise, wie er seine ...

Ich habe ja schon wirklich viel gelesen in meinem Leben, aber dass mich jemand noch überraschen kann, kommt nur sehr selten vor. Marc Bensch hat es geschafft. Und zwar mit der Art und Weise, wie er seine skurrile Geschichte um Schein und Sein erzählt. Neugier wurde quasi mein zweiter Vorname während des Lesens.
Warst du schon mal Teil einer Geschichte?

»Ich weiß, du denkst, du hättest mit all dem nichts zu tun. Dass dies nur eine Geschichte sei, die dich nicht betrifft. Aber du täuschst dich. Du bist ein Teil dieser Geschichte. Ob du es willst oder nicht. Du bist sogar ein ganz wesentlicher Teil dieser Geschichte. Denn du bist der einzige, der die Katastrophe abwenden kann. Und ja, ich spreche mit dir.« S.8

Ja, hier spricht der Erzähler mit dir, auch wenn du im ersten Moment nicht weißt, wohin das führen soll. Aber es schärft die Aufmerksamkeit, es könnte einem ja was entgehen.
Der Journalist Paul Gram hat´s nichts so mit der Wahrheit und sein Erfolg beruht auch auf Skandalstorys, die er sich aus den Fingern gesaugt hat. Seine neueste, dass es Klüngelei bei der Vergabe von Aufträgen in der Stadtverwaltung gegeben hat, macht da keine Ausnahme. Nur hat er keine Ahnung, wie nah er an der Wahrheit ist.
Und das wird das Leben eines kriminellen Unternehmensbosses, eines frustrierten Detektivs und eines rachsüchtigen Schwindlers ganz schön durcheinanderbringen. Ach ja, da wäre noch ein unschuldiger Buchhalter, dem ein Schlaganfall ein Dauerlächeln ins Gesicht gemeißelt hat.
Bensch ist ein großartiger Erzähler und lässt vor unseren Augen lebendige Charaktere entstehen. Männer, denen Egoismus nicht fremd ist, die den Widrigkeiten des Alltags gern mal aus dem Weg gehen oder sich vom Leben verraten fühlen. Nach vielen humorvollen Episoden aus dem Leben macht alles Sinn, alles fühlt sich logisch an, bis … naja, da war ja noch dieser Erzähler.

Er spricht ja ab und zu mit uns, mal schiebt er eine witzige Bemerkung nach, mal prüft er uns, ob wir auch noch aufmerksam sind. Und dann passiert es. Einem der Protagonisten schwant, dass sie alle nur ein Teil der Geschichte sind. WTF! Echt jetzt? Wie um Himmelswillen muss es sich anfühlen, wenn Figuren nicht mehr das machen, was sie laut Autor tun sollen? An der Stelle musste ich das Buch erstmal weglegen und herzhaft lachen.
Die ganze Geschichte, ihr könnt es euch denken, nimmt eine komplett andere Wendung. Und das war nicht nur überraschend und lustig. Ja, man macht sich auch so seinen Kopf. Ihr kennt doch das Ding mit der Matrix?
Aber nicht nur die crazy Geschichte mit dem manchmal derben Humor hat mich begeistert. Bensch Sprache setzt dem Ganzen noch das Sahnehäubchen auf, leicht und locker von der Seele weg schreibt er so bildhaft, dass ich tatsächlich den Eindruck hatte, ich sei Teil dieser Geschichte. Und dabei tut es keinen Abbruch, dass der Lächler, der Schnüffler und der Schmierfink keine sympathischen Vertreter ihrer Gattung sind.
Intelligent erzählt, unterhaltsam, mit derben Humor ist dieser Roman über Schein und Sein, über Selbstbestimmung und Fremdsteuerung ein wahres Vergnügen. Ich möchte das Buch aber auch allen Autoren ans Herz legen, die das Gefühl kennen, dass ihre so sorgfältig ausgearbeiteten Figuren plötzlich ein Eigenleben beginnen und nicht mehr tun, wozu sie geschaffen wurden.

So, und wer nun Angst hat, in dem Buch kämen nur Männer vor, den kann ich beruhigen. Da gibst es ein paar Damen, die zu den Geschehnissen ihr übriges tun. Und was das jetzt alles mit einer Schildkröte zu tun hat, solltest du selbst lesen

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Veröffentlicht am 08.05.2023

Die große Kunst der präzisen Worte

Das dritte Licht
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Auf weniger als 100 Seiten begleiten wir ein namenloses Mädchen einen Sommer lang. Sie ist 7 oder 8 Jahre alt und wird von den Eltern zu entfernten Verwandten gebracht, wir sind Anfang der 80er Jahre in ...

Auf weniger als 100 Seiten begleiten wir ein namenloses Mädchen einen Sommer lang. Sie ist 7 oder 8 Jahre alt und wird von den Eltern zu entfernten Verwandten gebracht, wir sind Anfang der 80er Jahre in Irland auf dem Land. Nur langsam setzt sich das Milieu zusammen, in dem sie aufwächst, spärlich, in wenigen Sätzen. Ihre Mutter ist schon wieder schwanger, wieder ein Mund mehr zu stopfen. Der Vater, ein Spieler und Trinker. Es mangelt an vielem, vor allem aber an Liebe und Zuwendung. Doch sie kennt ja nichts anderes.

»Ein Teil von mir will, dass mein Vater mich hier lässt, ein anderer Teil, dass er mich wieder zurückbringt, zu dem, was ich kenne. Ich stecke in der Zwickmühle, wo ich weder die sein kann, die ich immer bin, noch zu der werden kann, die ich sein könnte.« S.15

In reduzierten Miniaturszenen erleben wir, wie sich die Welt des Mädchens ändert. Bei den Kinsellas gibt es Rhabarberkuchen und ein heißes Bad, in dem noch niemand vor ihr gebadet hat. Aber vor allem gibt es Liebe, Zuneigung und Verständnis. Doch es gibt auch ein trauriges Geheimnis, dass einen Schatten über die glücklichen Tage wirft.

Das Bedrückende an der Geschichte war die Tatsache, dass das Mädchen in eine völlig normale Welt kommt, doch allein durch ihre Gedanken fühlt man, wie groß der Unterschied zu ihrem bisherigen Leben ist.

»Hier gibt es Raum und Zeit zum Denken. Vielleicht bleibt sogar Geld übrig.«

Durch die Ich-Perspektive des Mädchens, geschrieben im Präsens, gelangen wir nur schrittweise in seine augenblickliche Welt. Was das Mädchen nicht weiß, was es sich nicht erklären kann, erfahren wir auch nicht als Leser. Es ist ein Herantasten, ein Miterleben. Aber immer schwingt eine latente Spannung mit. So, als würde die Idylle nur trügerisch sein und jeden Moment wie eine Seifenblase platzen.

Das gelingt Keegan vor allem durch die Präzision der Sprache, der wenigen Sätze, die ein exaktes Bild in unserer Vorstellung schaffen. Anderes wird verschwiegen oder nur angedeutet. Deshalb ist es so wichtig, jeden einzelnen Satz in Ruhe zu lesen, erst dann entsteht ein Bild, dessen Lücken nach und nach geschlossen werden.
In diesem Buch gibt es keine Effekthascherei, keine Bewertung oder Auseinandersetzung. Es ist ein leises, schweigsames Buch, dessen Kraft in der Erzählweise an sich liegt. Mit viel Sensibilität sich in die Welt eines Mädchens hineinzuversetzen, die von Lieblosigkeit geprägt war und Spuren hinterlassen hat.
Das Ende ist offen, lässt sich interpretieren und lädt dazu ein, das Buch gleich noch mal von vorn zu lesen. Und das werde ich jetzt auch tun, denn es hat mich zutiefst bewegt.

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