Meyer kann Geschichten erzählen wie kein Zweiter
Die Bibliothek im NebelMeyer gehört zu den besten Geschichtenerzähler, den ich seit Jahren lese. Letztes Jahr entführte er uns in »Die Bücher, der Junge und die Nacht« in die Bücherstadt Leipzig, in seinem neusten Buch werden ...
Meyer gehört zu den besten Geschichtenerzähler, den ich seit Jahren lese. Letztes Jahr entführte er uns in »Die Bücher, der Junge und die Nacht« in die Bücherstadt Leipzig, in seinem neusten Buch werden wir, wenn auch erst spät, ins Graphische Viertel zurückkehren. Doch alles beginnt 1917 am Vorabend der russischen Revolution in Sankt Petersburg, als der junge Ich-Erzähler Artur flüchten muss. Auf dem Schiff treffen wir einen alten Bekannten wieder, Grigori, dem er seine Geschichte erzählt: Von seiner Liebe zu der jungen Malerin Mara, die inzwischen in Leipzig lebt und einem jungen Verleger versprochen ist.
1928 stöbert die 11-jährige Liette auf dem Dachboden des Hotels Trois Grâces an der Côte d’Azur im zurückgelassenen Reisegepäck der russischen Urlauber, die vor dem Krieg ihren Urlaub hier verbrachten. Dort entdeckt sie ein mit einem Schloss gesichertes Buch. Dreißig Jahre später, als sie Direktorin des Hotels ist, will sie mehr über das Buch erfahren. Das bringt sie auf die Spur der geheimnisvollen Mara, die die letzte überlebende Erbin der Eisenhuthschen Villa ist, in der sich die Bibliothek des Nebels befindet, der Ort, der auf Liette seit ihrer Kindheit eine große Faszination ausübt.
Egal ob Meyer Fantasy oder Historie schreibt, es ist, als würde er mich mit einem Hauch Magie und einer Portion Spannung ab der ersten Seite in seine Bücher ziehen, ohne dass ich daraus wieder auftauchen möchte. Geschickt verwebt er geschichtsträchtige Schauplätze mit der großen Liebe zu Büchern, denen immer etwas Geheimnisvolles anhaftet.
Mit einer spielenden Leichtigkeit gleitet er durch die verschiedenen Zeiten quer durch Europa, verknüpft die Abenteuer der Protagonisten fast schon zu einem Krimi und erzählt uns eine Liebesgeschichte, die zu einer lebenslangen Sehnsucht wird. Und so ganz nebenbei lernen wir neben den spielerisch eingebundenen historischen Fakten noch Karelien kennen. Ja, ich musste erstmal googeln, denn die Landschaft zwischen Finnland und Russland kannte ich nicht.
Doch es ist die Atmosphäre, die er zeichnet, die mich immer wieder packt, die mich eintauchen lässt. Ob es nun die eisenbeschlagenen Räder der Droschken sind, die in Sankt Petersburg durch die Nacht fahren – ich kann sie hören. Oder der Ölgeruch, der aus den Tanks mit der Druckerschwärze aufsteigt – ich kann ihn riechen.
»Dunst waberte um vereinzelte Straßenlaternen und verwandelte ihren Schein in eine Perlenkette aus finsteren Monden. Die Schlote der Druckereien und ihrer Dampfmaschinen spien Tag und Nacht dichte Wolken in den Himmel, die als Nebel auf das Viertel herabsanken, durch die Gassen und Straßen trieben und die Bücherfabriken und Buchhandlungen in trübes Grau hüllten.« S.398
Könnt ihr es auch spüren? Mich hat er auf jeden Fall wieder voll und ganz abgeholt! Auch wenn das Buch etwas hinter dem Vorgänger zurückbleibt, habe ich mich bestens unterhalten gefühlt, einiges gelernt und kann daher nur eine dicke Empfehlung aussprechen.