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Veröffentlicht am 12.07.2021

Tiefgründig und spannend

Von hier bis zum Anfang
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„Du kannst die Luft atmen und für frisch halten, aber ich hole kein einziges Mal Luft, ohne den Stich zu spüren“

Cape Haven, Kalifornien
Duchsess ist dreizehn Jahre alt. Sie wächst Vaterlos, nicht nur ...

„Du kannst die Luft atmen und für frisch halten, aber ich hole kein einziges Mal Luft, ohne den Stich zu spüren“

Cape Haven, Kalifornien
Duchsess ist dreizehn Jahre alt. Sie wächst Vaterlos, nicht nur in ärmlichen, sondern erbärmlichen Verhältnissen auf, die sie vorzeitig Erwachsen werden lässt. Sie hat eine Mutter, die Tod ihre Schwester seit 30 Jahren nicht überwunden scheint, depressiv, abwesend und drogenabhängig. Sie bringt nicht nur ihren 5-jährigen Bruder ins Bett, sondern auch Ihre Mutter. Blaulichter vor der Haustür ist eine Routine für sie. Doch fast täglich kommt das Polizeiauto auch ohne Blaulicht, denn der Polizist in der Ortschaft ist der alte und beste Freund von ihrer Mutter, der einziger Mensch die kleine Familie bedingungslos schützt und hilft. Als der Mörder ihrer Tante aus der Haft entlassen wurde, droht es von 13-Jährigen mühsam auf den Beinen gehaltenen Familienleben zusammenzubrechen. Denn egal wie viele Jahre die vergehen, der Vergangenheit, die Tragödie und dadurch entstandenen Schmerz folgt die Familie bis heute...

Mit seiner klaren, angenehmen und emotional vollgeladenen Sprache nimmt Whitaker seine Leser auf eine Welt, die mit Traurigkeit getränkt ist. Seine Figuren sind vielschichtig, mal authentisch mal ungewöhnlich und es ist auch gut so, denn die gesamte Geschichte ist auf den Charakteren gebaut.

Erzählt wird die Geschichte aus Duchsess' und Chief Walkers Sicht: Wo Duchess heute und jetzt fürs Überleben kämpft, ermittelt Walk einige Geschehnisse und erzählt auch aus der Vergangenheit. Dadurch hält der Autor den Spannungsbogen bis zum Ende aufrecht. Doch für mich war es zwischen durch etwas zu viel Krimi.

Es ist eine atmosphärische, berührende, spannende Familiengeschichte, stellenweise unter die Haut geht.

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Veröffentlicht am 09.07.2021

Großartige Sprache, mehr aber auch nicht

Schicksal
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In Zeruya Shalevs neuen Roman stehen zwei völlig verschiedene Frauen im Mittelpunkt, deren Lebenswege schicksalhaft miteinander verbunden sind. Eine davon ist die 90-jährige Rachel. In ihrer Jugend war ...

In Zeruya Shalevs neuen Roman stehen zwei völlig verschiedene Frauen im Mittelpunkt, deren Lebenswege schicksalhaft miteinander verbunden sind. Eine davon ist die 90-jährige Rachel. In ihrer Jugend war sie in der Untergrundbewegung Lechi betätigt und kämpfte sie mit ihrer Jugendliebe, ihr erster Ehemann Meno gegen die britischen Besatzer. Heute ist sie zweifache Mutter, die keine innige Beziehung mit ihren Söhnen hat, lebt verwitwet, verbittert alleine und denkt immer wieder an die damaligen Kameraden an. Nur nicht an Meno, denn sie hat das Kapitel vor 70 Jahren als er sie verlassen hat, abgeschlossen. Bis eines Tages sie eine Frau im Theater anspricht.

Shalevs zweite Protagonistin ist 49-jährige Architektin Atara, die unbeliebte Tochter aus Menos zweite Ehe. Auch Atara in zweite Ehe verheiratet, hat eine Tochter von erste Ehe, die in den USA studiert, einen Stiefsohn und einen gemeinsamen Sohn mit Ehemann Alex. Sie war glücklich und zufrieden bis Ataras Vater sie auf dem Sterbebett liebevoll Rachel nennt. Da wusste sie, dass sie seine erste Frau suchen muss, um einige Fragen zu klären.

Mit ihren Figuren erzählt die israelische Autorin aus zwei Perspektiven eine Geschichte, die aus vorstaatliche Israel bis heute erreicht. Doch für mich war es einfach zu wenig Israel. Dafür habe ich zwischen viel zu viele, die nicht wirklich zusammenpassende Themen wie Eheprobleme, Religion, Architektur, Enttäuschungen, Muttersein, Trauma etc. gehüpft. Ja, wortwörtlich gehüpft, denn ich konnte die Themen nicht zusammen verbinden. Sie fängt mit einem wichtigen Thema an aber folgt sie nicht bis zum Ende. Israels Kultur, die Land und die Leute sind hier nur nebenbei erwähnt, was ich sehr schade fand. Auch mit den Protagonistinnen war ich enttäuscht. Persönlich fand ich Rachel und ihre Kapitel, wo sie aus den alten Zeiten erzählt hat, sehr interessant, doch je ich weiter gelesen hab, desto kürze und Bedeutungsarme sind die geworden. Und Vorgang auf für Atara! Eine schwer ichbezogene Frau, die mir nur Kopfschütteln verursacht hat. Für meinem Geschmack widmet sich die Autorin sehr detailreich an ihre Eheprobleme und an ihre Trauer.

Zeruya Shalev ist eine großartige Erzählerin doch allein ihre wortgewaltige Sprache hat es hier nicht gereicht. Das Buch ist extrem Geschmackssache und definitiv kein Schmöker zum Entspannen.

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Veröffentlicht am 06.07.2021

Eine berührende Lebensgeschichte

Du wirst es mir niemals sagen
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Liv Maria, geboren als Wunschkind, wächst sie behütet auf einer bretonischen Insel auf. Von ihrem gutherzigen norwegischen Vater lernt sie die Liebe zur Literatur, von ihrer französische Mutter zum Schweigen ...

Liv Maria, geboren als Wunschkind, wächst sie behütet auf einer bretonischen Insel auf. Von ihrem gutherzigen norwegischen Vater lernt sie die Liebe zur Literatur, von ihrer französische Mutter zum Schweigen und ihre Onkels bringen ihr Fischen und Autofahren bei. Doch als sie gerade siebzehn war, wurde sie Opfer eines Übergriffs und muss zur ihrer Tante nach Berlin ziehen. In der 80'er Jahre Deutschland lernt sie nicht nur deutsch und englisch, sondern ihre erste große Liebe kennen. Er ist verheiratet, Familienvater, ihr Englischlehrer und erster Mann mit dem sie schläft. Ein Sommer lang erlebt sie eine leidenschaftliche Liebe. Als er zurück zur seiner Familie geht, ändert sich Liv Marias Leben abrupt. Denn egal wie viel sie durch die Welt reist, ihre Leben führt wie sie will, viel verdient und schläft, mit wem sie will, ihre erste Liebe und dadurch entstandenem Schmerz und Geheimnis wird sie immer und überall begleiten...

Sehr feinfühlig und mit leisen Tönen erzählt die französische Autorin eine Lebensgeschichte, die gleichzeitig faszinierend und verstörend ist. Denn Liv Maria hat bei mir viele verschiedene Gefühle herausgerufen. Einerseits wollte ich sie für immer beschützen, anderseits immer wieder Wachschütteln. Mal bin ich mit ihr gelitten, mal konnte ich ihre Gefühle nicht nachvollziehen. Der Roman wirkte mir wie eine Coming-Of-Age Geschichte und ich habe Liv Maria auf ihrem Lebensweg gern begleitet.

Das Buch wurde von dem französischen Buchhändler unter die fünf besten Bücher 2020 gewählt und meine Meinung nach, hat es auch in Deutschland viel mehr Aufmerksamkeit verdient. Ein kleines, feines, atmosphärisches Büchlein über Leben und Liebe, welches ich sehr gern gelesen habe.

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Veröffentlicht am 01.07.2021

Großartige Erzählung

Der große Wind der Zeit
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Der israelische Dramatiker Joshua Sobol erzählt in seinem neuen Roman über vier Generationen und 100 Jahre hinweg eine humanistische und kritische Familiengeschichte. Dabei werden nicht nur aus viele Lebensgeschichten ...

Der israelische Dramatiker Joshua Sobol erzählt in seinem neuen Roman über vier Generationen und 100 Jahre hinweg eine humanistische und kritische Familiengeschichte. Dabei werden nicht nur aus viele Lebensgeschichten berichtet, sondern die Geschichte Israels wie auch des Nahostkonflikts gekonnt in Verbindung gebracht.

Im Mittelpunkt der aschkenasisch-jemenitische Familie Ben-Chaim stehen zwei starke Frauen. Eine davon Offizierin der israelischen Armee und Verhörspezialistin Libby. Nach einer beunruhigenden Begegnung mit einem mutmaßlichen Terroristen nimmt sie sich Auszeit und fährt zu ihrem Großvater Dave der - seit Tagen verschwunden ist - in der Kibbuz. Dort stößt sie auf die Tagebücher ihrer Urgroßmutter Eva und taucht fasziniert beim Lesen in ihr völlig unbekannte Welt ein. Eva Ben-Chaim lässt ihren Mann und Sohn in Kibbuz und reist in den frühen dreißiger nach Berlin, um Tänzerin und Choreografin aufzutreten. Dabei lernt sie viele jungen Nazis, revolutionären Theaterleute und den Dramatiker Bertolt Brecht kennen und geniest ihr Freiheit und pflegt freie Liebe. Sie erlebt, wie die Nazis an die Macht kamen und gerade rechtzeitig bringt sie sich in Sicherheit.

Der Roman ist eine gut gelungene, vor allem sehr vielschichtige israelische Familiensage. In 47 Kapitel und 520 Seiten lang habe ich die Familie Ben-Chain bei all den Höhen und Tiefen begleitet und dabei nicht nur Libby und Eva kennengelernt, sondern gesamte Großfamilie. Sobols Figuren sind lebensnah und facettenreich. Die sind wie Fingern am Hand, gehören zwar zusammen und doch zu sehr verschieden. Man feiert und leidet mit allen aber die Kopfschüttelmomente sind auch nicht wenig. Besonders seine Dialoge waren für mich ein Genuss. Man merkt schnell, dass der Autor langjährige Erfahrung als Theaterregisseur hat.

Mit seiner lebendige aber definitiv nicht einfacher Sprache hat mich Joshua Sobol nach heutigen und damaligen Israel mit genommen. Die Reise war nicht so einfach, viele detailreiche Charaktere/Nebencharaktere haben mein Weg erschwert, doch zum Glück gibt es eine Personenauflistung, die ich immer wieder nachgeschlagen hab.

„Der große Wind der Zeit“ ist ganz sicher kein Schmöker, welche in einem Rutsch lesen lässt. Doch dafür ist es eine sehr authentische, atmosphärische Werk. Wer an israelische Geschichte Interesse hat oder einfach in einer anderen Welt eintauchen möchte, kann ich dieses großartig erzähltes Buch nur ans Herz legen.

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Veröffentlicht am 28.06.2021

Bitterböse aber ehrlich

Erwachsene Menschen
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„Das ist nicht gerecht. Dass es für andere so leicht sein soll und für mich so schwer, ich verstehe nicht, woran es liegt, ob es eine Formel gibt, einen Code, den die anderen kennen, den sie schon im Kindesalter ...

„Das ist nicht gerecht. Dass es für andere so leicht sein soll und für mich so schwer, ich verstehe nicht, woran es liegt, ob es eine Formel gibt, einen Code, den die anderen kennen, den sie schon im Kindesalter kannten und der mir entgangen ist.“

Ida... Vierzig Jahre alt ist sie. Architektin, ohne Partner. Große Tochter, großer Schwester, Stieftante, Schwägerin. Jeden Sommer fährt sie ins gemeinsame Sommerhaus, um mit ihrer Familie Paar Tage zu verbringen. Eine kunterbunt gemischte Truppe, die zusammen kochen, Bootsausflüge machen und einfach die Beisammensein genießen. Von außen betrachtet ist alles ganz harmonisch, doch hinter die Mauern brodelt es gefährlich. Wo Ida endlich mit ihrer Kinderlosigkeit konfrontiert und sich entschlossen hat, ihre Eizellen einfrieren zu lassen, erzählt ihre Schwester Marthe, dass sie schwanger ist. Vielleicht würde sie mit ihr freuen können, wäre die Klinik nicht bei ihr angerufen und mitgeteilt hat, dass für eine Eizellenentnahme für sie leider zu spät sei. Dunkelgrauer Wolken, vollbeladen mit Neid, geschwisterliche Rivalitäten und seit Jahren unterdrückte Eifersucht schweben über die Familie und Ida hält ihre Regenschirm weit offen, damit der Blitzt tiefer schlagen kann...

Die norwegische Autorin hat mit ihrer leichten Sprache ein Hauptcharakter erschaffen, die zutiefst egozentrisch und unsympathisch ist. Doch trotzt Idas unschwesterliche Benehmen und viel Drama hat es ihr gelungen daraus einen realitätsnahe Geschichte auszuschöpfen. Darf man als Erwachsene gegenüber ihrer Schwester neidisch sein? Ist Neid ein kindliches Empfindung? Wann ist man richtig Erwachsen?

„Erwachsene Menschen“ ist ein kurzes, dafür aber bitterböses und sehr ehrliches Buch.

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