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Veröffentlicht am 07.05.2024

Urlaub mit den Eltern

Schön war's, aber nicht nochmal
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Urlaub mit den Eltern - als erwachsenes Kind - hat seine Herausforderungen. Das stellt auch Comedian Andre Hermann fest, als er dem leisen Druck seiner Eltern nachgibt und mit ihnen nach Israel und Jordanien ...

Urlaub mit den Eltern - als erwachsenes Kind - hat seine Herausforderungen. Das stellt auch Comedian Andre Hermann fest, als er dem leisen Druck seiner Eltern nachgibt und mit ihnen nach Israel und Jordanien reist - ein großer Traum der beiden Mitt- bis Endsechziger, aber alleine hätten sie sich das nicht getraut. Die Herausforderung ist umso größer, als die Drei nicht so regelmäßig zusammenkommen oder telefonieren, wie das in manch anderer Familie der Fall ist. Man versteht sich, sieht sich aber eben nur alle paar Monate. Und jetzt plötzlich zwei Wochen lang täglich. Kann das gut gehen?

Wie so viele seiner Generation lässt Hermann seine Gefolgschaft in den sozialen Medien an der Erfahrung teilnehmen. Erst leicht leidend - im Flugzeug hat er schon dafür gesorgt, dass er weit weg von den Eltern sitzt. Das fehlte ja noch - er Berliner, die beiden Rentner aus der Provinz von Sachsen-Anhalt, das ist ihm offenbar ein bißchen peinlich. Wenn seine Eltern in ein Fettnäpfchen treten oder etwas Naives von sich geben, postet er das allerdings prompt. Und siehe da: Die Follower sind hin und weg.

Aber ob die Eltern das gut finden, derart unter einem Hashtag vorgeführt zu werden? Vielleicht liegt es daran, dass ich altersmäßig mittlerweile näher an den Eltern als an dem Autor bin, dass ich es denn doch recht fies finde, das Elternpaar, dass es ja bereits durch ein ganzes Berufsleben geschafft hat, als ein wenig trottelig, weltfremd und neben der Spur darzustellen. Ganz so, als werde das Hirn spätestens am 50. Geburtstag abgeschaltet. Und technisch und auch sonstwie überfordert sind die alten Leutchen ja sowieso.

Nichtsdestotrotz, auf der turbulenten Reise, auf der auch einiges schief geht, wo verschiedene Missverständnisse drohen und der Autor wohl auch mal die eine oder andere Episode etwas übertrieben haben mag, sorgen die Eltern für manche unfreiwillige Unterhaltung, zeigen sich aber auch interessiert, weltoffen und sehr liebenswert. Das Familienreiseabenteuer wird humorvoll geschildert und auch wenn sie Andre manches mal über seine Eltern lustig macht oder echauffiert - man hat sich ja doch lieb.

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Veröffentlicht am 05.05.2024

Aberwitzige Kochshow-Parodie

Schnitzel Surprise
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Mit "Schnitzel Suprise" hat Markus Heitz die Welt der Koch- und Backshows aufs Korn genommen und beschreibt mit schrägem Humor und überdrehtem Plot die Abenteuer von Thom, der es fast mal zu einem Michelin-Stern ...

Mit "Schnitzel Suprise" hat Markus Heitz die Welt der Koch- und Backshows aufs Korn genommen und beschreibt mit schrägem Humor und überdrehtem Plot die Abenteuer von Thom, der es fast mal zu einem Michelin-Stern geschafft hat, nun aber doch nur der Wirt des Schnitzel-Ecks ist, einer Kneipe, die irgendwie in den 80-er Jahren stehengeblieben ist und in der die Pleite stets nur um die Ecke zu sein scheint.

Also so gar kein telegener Szenewirt - bis ihm der hippe TV-Produzent Max ein Angebot macht, dass Thom nicht abschlagen kann: Er stellt Thom in den Mittelpunkt von Koch-Formaten aller Art. Dafür will der Sender Thoms Schulden übernehmen. Das wird dem Schnitzelwirt zwar schon bald zu viel, aber er kommt da nicht mehr raus. Statt dessen gibt es Ärger mit der Lebensmittelaufsicht, mit der Ex und die Sorge um den 60-jährigen Azubi Boris, der an Allergien und Unverträglichkeiten alles aufzuweisen hat, was da so existiert.

Der Generationen- und Kulturclash zwischen Mittvierziger Thom und seinen Stammkunden Halbglatzen-Martin und Schnurrbart-Stefan einerseits und der hippen unter-30-Fernsehmeute andererseits bietet schon reichlich Stoff für Krisen, Missverständnisse und Frust. Manches, was Thom beim Brainstormen vorschlägt, weil er es für völlig irre hält, wird begeistert aufgenommen.

In den immer abstruseren Koch- und Backformate,, die zunächst als Internet-Testballons laufen, muss Thom jetzt irgendwie eine gute Figur machen. Und dann sind da noch all die durchgeknallten Schnitzelvarianten. Nicht zu vergessen der Einsatz Thoms in einer Kindergartengruppe, wo nach gemeinsamem Schnitzelbraten sensible Kinderseelen plötzlich feststellen, dass das Fleisch mal gelebt hat.

Dennoch: als "Desaster-Chef" hat Thom plötzlich eine große Fangemeinde und wird zum Gastro-Influencer wider willen. Kurz, es gibt jede Menge Situationskomik, vielleicht nicht allzu subtil, aber ein Lesespaß, der Entspannung schafft und die Lachmuskeln attackiert.

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Veröffentlicht am 03.05.2024

Nachdenkliche Betrachtung des Nahostkonflikts

Niemals Frieden?
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Mit "Niemals Frieden?" hat Moshe Zimmermann eine nachdenkliche, reflektierte und überaus lesenswerte Betrachtung des Nahostkonflikts geschrieben. Das tut gut angesichts der Polemik beider Seiten, die ...

Mit "Niemals Frieden?" hat Moshe Zimmermann eine nachdenkliche, reflektierte und überaus lesenswerte Betrachtung des Nahostkonflikts geschrieben. Das tut gut angesichts der Polemik beider Seiten, die seit dem 7. Oktober nicht weniger geworden ist. Und umso schwerer ist es für diejenigen, die trotzdem nicht hassen wollen, sondern nach einem Ausweg aus einem scheinbar aussichtslosem Dilemma suchen.

Zimmermann wurde in Jerusalem geboren, als der Staat Israel noch gar nicht existierte, er beschreibt seine familiären Wurzeln als religiös-zionistisch und er hat, wie er im Vorwort verrät, sein Buch auf Deutsch geschrieben (seine Familie stammte ursprünglich aus Hamburg), vielleicht vor allem mit Blick auf eine deutsche Leserschaft, gerade in den Abschnitten über das deutsch-israelische Verhältnis und die deutsche Haltung im Nahostkonflikt. Er ist Sozialhistoriker, vielleicht hilft dieser akademische Hintergrund, sich nicht von tagesaktuellen Aufgeregtheiten zu einer vorschnellen Reaktion und lauten Meinung pushen zu lassen, sondern erst einmal die Gedanken zu sortieren.

Zimmermann analysiert die Vorstellungen des Zionismus zum künftigen Judenstaat und ordnet sie ein in die Zeit der Nationalbewegungen im 19. Jahrhundert, beschreibt die Siedlungsbewegungen von der Staatsgründung und die damaligen Kontakte zwischen den Neuankömmlingen und der arabischen Bevölkerung. Schon das ist angesichts mancher social media Post, in denen Palästinensern schlicht negiert wird, dass sie in der Region beheimatet wird, angenehm sachlich, ohne die schon damals auftretenden ersten Konflikte zu beschönigen.

Der Schwerpunkt des Buches liegt allerdings auf der Zeit seit der Staatsgründung, die unterschiedlichen Einwanderungswellen, die sowohl die israelische Gesellschaft als auch die politische Machtverteilung veränderten. Dabei geht es immer sowohl um die jeweiligen Vorstellungen zum Konflikt mit den Palästinensern, Siedlungsbau und Dialogbereitschaft über das Zusammenleben von Juden und Arabern.

Durchaus kritisch geht Zimmermann mit dem Begriff "Israel ist deutsche Staatsräson" um, gerade wenn automatische Solidarität einer eher problematischen Regierung ist: "Wenn die deutsche Regierung das Bekenntnis zu Israels Sicherheit als Staatsräson ernst nehmen will, muss sie auch einen Konflikt mit Israels Regierung in Kauf nehmen", schreibt der Historiker. "Mehr noch: Wenn Israels Sicherheit Teil der deutschen Staatsräson sein soll, bedeutet ein derartiger Konflikt nicht die Einmischung in die Angelegenheiten eines anderen souveränen Staates, wie es von israelischer Seite oft quasi automatisch behauptet wird, vielmehr handelt es sich dann um einen Konflikt im Rahmen einer gemeinsamen Interessensphäre. "
Dass Zimmermann kein Anhänger der Regierungskoalition von Netanjahu mit Rechtsextremisten in der Regierung ist, darf man nach der Lektüre dieses Buches annehmen. Abgesehen von der klaren Verurteilung der Siedlungspolitik und der Siedler, die nach Ansicht des Autors das Land quasi als Geisel nehmen und mit Fanatismus jede Lösung des Nahostkonflikts torpedieren, warnt er vor Verhärtung der Positionen, auch nach dem 7. Oktober: "Finden keine Verhandlungen statt, befinden sich die Kontrahenten gewissermaßen im Vorhof der Hölle. Der einzige Weg, der dann noch frei ist, ist der Weg in die Katastrophe."

Das Fragezeichen hinter dem Buchtitel signalisiert die Suche nach Antworten. Dass Frieden möglich ist, will Zimmermann nicht ausschließen. Doch dass es seit dem 7. Oktober und durch den Krieg in Gaza alles andere als leichter geworden ist für diejenigen, die noch auf eine Verhandlungslösung setzen wollen, ist dabei klar. Ein Utopist ist Zimmermann sicherlich nicht. Aber auch keiner, der einfach resignieren würde. Trotz vieler Schachtelsätze ein sehr lesenswertes Buch, das zu Recht für den deutschen Sachbuchpreis nominiert wurde.

Veröffentlicht am 02.05.2024

Dysfunktonale Familiengeschichte

Nochmal von vorne
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Von Tolstoj wissen wir, dass sich alle glücklichen Familien irgendwie ähneln, während unglückliche Familien stets ihr ganz eigenes Unglück mit sich herumschleppen. In Dana von Suffrins Roman "noch mal ...

Von Tolstoj wissen wir, dass sich alle glücklichen Familien irgendwie ähneln, während unglückliche Familien stets ihr ganz eigenes Unglück mit sich herumschleppen. In Dana von Suffrins Roman "noch mal von vorne" ist die Familie entschieden unglücklich, nicht nur, weil gleich am Anfang ein Todesfall steht. Der krebskranke Vater stirbt, und Protagonistin Rosa erhält die Todesnachricht an ihrem Arbeitsplatz.

Der Tod eines Elternteils - erst recht, wenn es sich um den letzten Elternteil handelt - ist immer ein einschneidendes Verhältnis, egal wie kompliziert vielleicht zu Lebzeiten das Verhältnis war. Rosa weiß, plötzlich ist die ältere Generation weg. Es bleiben sie und ihre Schwester Nadja, aber das ist auch so eine schwierige Angelegenheit, die beiden haben schon länger nicht mehr miteinander zu tun gehabt, ja, Nadja hat sich eigentlich bereits mit 18 mehr oder weniger aus der Familie verabschiedet.

Das Ausräumen der Wohnung, in der sie als Kind aufgewachsen ist, bringt auch die Erinnerungen zurück, von denen Rosa erzählt. Die meisten sind ziemlich durchwachsen, und jedes Familienmitglied hat das sicher unterschiedlich gesehen. Rosa war die Harmoniebedürftige, Nadja die Rebellin. Die Eltern wussten irgendwann mal nicht mehr, warum sie eigentlich geheiratet hatten. Dann noch der nicht unkomplizierte Hintergrund - katholisch-bayrische Mutter, jüdischer Vater aus Israel, die Familie stammte aus Rumänien, ist Schoah-bedingt stark geschrumpft. Oma Zsusza jedenfalls war wohl nicht so begeistert über die goische Schwiegertochter, die sie konsequent mit falschem Namen anspricht.

Zwischen München und Israel, zwischen dem Lachen über den irgendwie peinlichen Akzent des Vaters, seine unter der Oberfläche lauernden Verletzlichkeiten und Ängste, der Suche nach Bestätigung durch die Mutter, deren kleine Fluchten immer weiter werden, fragt sich nicht nur Rosa, wie in dieser Familie alles zusammenpassen soll oder kann. Das familiäre Miteinander, es ist herbe. Gelingt die Annäherung erst, wenn die Beteiligten tot sind? Als Rosa endlich wieder auf Nadja trifft, kommt nicht gerade familiäre Harmonie auf. Doch selbst in dem stacheligen Mitarbeiter wird klar - man kann seine Familie lieben oder hassen, aber man kommt nicht ganz von ihr los. von Suffrin erzählt ihre disfunktionale Geschichte mit Witz und Beobachtungsgabe und lotet die Konflikte aus, die mehr als eine Generation überdauern. Gerade der Verzicht auf emotionalen Kitsch macht diesen Roman glaubwürdig.

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Veröffentlicht am 28.04.2024

Armut im reichen Amerika

Armut
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In seinem Buch "Armut" analysiert der Soziologe und Pulitzer-Preisträger Mathew Desmond die Strukturen, die verhindern, warum die Ärmsten der US-Gesellschaft vom Wohlstand des Landes ausgeschlossen bleiben ...

In seinem Buch "Armut" analysiert der Soziologe und Pulitzer-Preisträger Mathew Desmond die Strukturen, die verhindern, warum die Ärmsten der US-Gesellschaft vom Wohlstand des Landes ausgeschlossen bleiben und trotz aller Mühen nur selten den Weg aus der Armut heraus finden. Desmond ist selbst in prekären Verhältnissen aufgewachsen und trotz des wissenschaftlich-analytischen Ansatzes ist die Wut über Missstände gerade dann beim Lesen spürbar, wenn er von individuellen Schicksalen berichtet.

Armut in einer reichen Gesellschaft ist natürlich kein Sonderstellungsmerkmal der USA, auch in Deutschland ist der Reichtum höchst ungleich verteilt und die soziale Schere klafft zunehmend auseinander. Aber, und das ist der große Unterschied zwischen den USA und Europa, die Idee des Wohlfahrtsstaates hat in Amerika nie richtig Fuß gefasst. Dass eine Krankenversicherung oder eine Sozial- und Rentenversicherung in einer der reichsten Industrienationen der Welt nicht selbstverständlich sind, habe ich noch nie verstanden.

Desmond zeigt strukturelle Benachteiligungen auf, die vor allem Arme und dann besonders arme Schwarze und Latinos treffen - sei es beim Thema Wohnen, Zugang zur Bildung, aber auch buchstäblicher Ausgrenzung etwa durch Flächennutzungspläne. Die Rechenbeispiele, die er vorlegt, machen betroffen und wütend: Dass die Aufwendungen armer Amerikaner für Mieten und Lebenshaltungskosten kaum niedriger sind als die der Mittelklasse, dafür aber für ungleich miesere Verhältnisse, dem Slumlord sei Dank. Dass Vernachlässigung ganzer Stadtteile letztlich auch die Gesundheit der Bewohner gefährdet. Die Steuerabschreibungen und Zuschüsse, die bereits Wohlhabenden ein noch besseres Leben verschaffen, während zur Verringerung von Armut zu wenig getan wird.

Ja, dass es Klientel-Parteien gibt, die die Besteuerung von Unternehmensgewinnen und Reichen so weit wie möglich abwenden wollen, das kennen wir auch aus Deutschland. Vom angespannten Wohnungsmarkt und der Miete, die gerade in den Großstädten das Gehalt auffrisst, ganz zu schweigen. Und Unternehmerkinder, die als Studenten Papas Firmenwagen fahren und in der abschreibungsfähigen Eigentumswohnung leben, während Kommilitonen zwischen Praktika und Jobben irgendwie das Studium schaffen müssen. Alles nicht fair und gerecht, aber so haarsträubend wie in den USA dann doch (noch?) nicht.

Insofern ist "Armut" auch eine Warnung, amerikanischen Verhältnissen in Europa die Tür zu öffnen. Denn die Verhältnisse sind so, dass die einen von der Armut der anderen profitieren und Ausbeutung zulassen. Und da muss man dann wiederum gar nicht erst nach Amerika blicken, sondern die Bedingungen der Scheinselbständigen auch in Deutschland genauer betrachten. Beim Lesen von "Armut" wird gleichzeitig klar, wie wichtig starke Gewerkschaften und Betriebsräte sind, um die Interessen gerade der im Niedriglohnbereich Beschäftigten durchzusetzen. Dass der Organisation der Arbeitnehmer in den USA auch im 21. Jahrhundert noch erhebliche Steine in den Weg gesetzt werden - und die Gewerkschaften selbst eine traurige rassistische Vergangenheit haben - zeigt, dass die klassische Tellerwäscherkarriere im angeblichen Land der unbegrenzten Möglichkeiten letztlich nur ein Mythos ist. In der Welt, die Desmond beschreibt, sind die Möglichkeiten sehr, sehr begrenzt.