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Veröffentlicht am 06.03.2022

Schulden, Gier und Rache

Boom Town Blues
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Das winterliche Februarwetter sorgt für Melancholie, doch Torffeuer und Fiddle-Klänge sucht man im Irland-Krimi "Boom Town Blues" von EllenDunne vergeblich. Kein Wunder, die Handlung spielt schließlich ...

Das winterliche Februarwetter sorgt für Melancholie, doch Torffeuer und Fiddle-Klänge sucht man im Irland-Krimi "Boom Town Blues" von EllenDunne vergeblich. Kein Wunder, die Handlung spielt schließlich im Dublin nach dem wirtschaftlichen Aufschwung und der Ansiedlungen der High Tech-Branche, die aus Irland den "grünen Tiger" Europas machten. Und wie so oft hat dieser Aufschwung nicht nur Sieger, sondern auch Verlierer.

Patsy Logan, deutsch-irische Ermittlerin am Münchner LKA, wollte eigentlich bei ihrer Cousine Sinead in Dublin eine Auszeit nehmen, um die beruflichen und privaten Wunden zu Lecken: Den Abteilungsleiterjob, auf den sie hinarbeitete, bekam ein männlicher Kollege; die Ehe steckt in einer Krise und führte zu einer Trennung, die gut dauerhaft sein könnte - wer ist die Frau, die grundsätzlich alle Facebook-Posts des Noch-Ehemanns liket? Und dann ruft sie doch, die Arbeit: Eine deutsche Praktikantin der Außenhandelskammer ist bei einem Bankett in der österreichischen Botschaft gestorben. der bislang mysteriöse Fall beschäftigt daher nicht nur die Dubliner Polizei, sondern auch die Diplomaten zweier Länder. Und da die Österreicher einen Verbindungsbeamten zu den Ermittlungen abstellen, kann Deutschland in Sachen Polizeivertretung natürlich nicht fehlen. Ob nicht Patsy mal eben ihre Auszeit unterbrechen könne?

Sie kann, und das Zusammenkommen polizeilicher und diplomatischer Persönlichkeiten wie auch die deutsch-österreichischen Kulturunterschiede gehören für mich zu den frühen Highlights des Buches. Ellen Dunne ist in Salzburg geboren, ud ich glaube, bei der Ausschmückung der "typischen" Mentalitäten hatte sie eine Menge Spaß. Der österreichische Botschafter wie auch der Verbindungsbeamte Sam Feurstein, ein ehemaliger Elitepolizist, verbinden Charme und sehr diplomatische Höflichkeit, Patsy und vor allem die deutsche Botschafterin, mit Adelspräsidikat und Raubvogelblick, mögen es gerne direkt, zu direkt für die Befindlichkeiten des irischen Ermittlungsleiters, der ganz offensichtlich einer Männerkultur entstammt.

Als sich herausstellt , dass die Praktikantin mit Zyankali vergiftet wurde, ist die Theorie einer Lebensmittelallergie schnell vom Tisch. War das eigentliche Opfer eines Giftanschlags ihr Sitznachbar, mit dem sie spontan den Teller getauschthat? Der Mann, Donau-Ausgabe von Gordon Gecko und ein Aufsteiger aus der Welt der Finanz- und Immobilienspekulationen, macht sein Geld mit dem Aufkauf der Schulden von Immobilienbesitzern, die ihre Raten nicht mehr Zahlen können und am Ende mit etwas weniger Schulden, aber auch ohne Haus da sitzen. Also nicht gerade ein Sympathiebolzen.

Besonders hellhörig wird Patsy, als sie erfährt, dass erst kürzlich ein Anwalt erschossen wurde, der mit dem Österreicher zusammenarbeitet und den verschuldeten Immobilienbesitzern gewissermaßen auch noch die Luft abdrückte. Zerplatztze Hoffnungen, private Tragödien, das legale aber fiese Geschäft des Hypothekenhandels, der ein paar wenige noch reicher macht und viele immer tiefer in den Abgrund stürzt - da wird der Buchtitel Boom Town Blues schnell klar.

Mit Rückblenden gibt die Autorin Teile des Puzzles frei, die sich auch den Ermittlern erst nach und nach erschließen. Auch wenn man früh ahnt, dass hier Rache geübt wird, kristallisiert sich unter all den theoritischen Möglichkeiten erst ganz zum Schluss eine schlüssige und logische Lösung heraus. Zugleich gibt es Rückblicke au Patsys Leben, ihre Obessionen und Krisen. Patsy Logan hat ihre Ecken und Kanten, Unsicherheiten und Sehnsüchte, mal kratzbürstig, mal mit großer Klappe, ist ehrgeizig, aber auch verletzlich und für mich eine glaubwürdige, überzeugende Figur.

Am Ende steht auch ein neuer Anfang, zumindest aber seine Möglichkeit in Form eines weiteren Buches - wird Patsy Dublin erhalten bleiben und die Botschafterin mit den Raubvogelaugen auch in einem weiteren Buch die Krallen ausfahren? Es wäre schön.

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Veröffentlicht am 27.02.2022

Ostfriesland-Krimi in der Pandemie

Ostfriesensturm
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ie Pandemie hat nun auch die Ostfriesland-Krimisterie von Klaus-Peter Wolf erreicht. "Ostfriesensturm", der neue und 16. Band der Reihe, wirkt beim Lesen allerdings schon fast nostalgisch. Immerhin dauert ...

ie Pandemie hat nun auch die Ostfriesland-Krimisterie von Klaus-Peter Wolf erreicht. "Ostfriesensturm", der neue und 16. Band der Reihe, wirkt beim Lesen allerdings schon fast nostalgisch. Immerhin dauert es eine Weile vom Manuskript bis zum fertigen Buch, und so haben die Ermittler im hohen Norden noch gar keine Ahnung, dass noch weitere Wellen, Lockdowns und Hygieneregeln auf sie zukommen werden, während sie überlegen, dass eine Umarmung gerade wohl nicht so passend ist und die - damals noch erlaubte! - selbstgenähte Mund-Nasen-Maske aufsetzen, die noch recht ungewohnt ist. Ach, was waren das für Zeiten, als wir alle noch dachten, im Sommer könnte der ganze Spuk vorbei sein!

Dass das Café ten Cate schließen muss, trifft die auf Süßes versessenen Ostfriesen natürlich besonders hart, aber wenigstens geht der Kuchenverkauf weiter. Ansonsten hat die Pandemie auch ihr Gutes: Keine Schlangen im Supermarkt, vor dem Fischbrötchenstand oder anderen Touristen Hotspots. Die Schafe erobern die Deiche zurück. Die Ostfriesen können die Landschaft genießen, ganz ohne Menschenmassen am Strand. Nur in einer Ferienwohnung bleibt eine unter Angststörungen leidende Frau heimlich zurück, statt ihren Mann ins heimische Ruhrgebiet zu begleiten.

In der Wohnung darunter herrscht Dauerkrise: Der Mann trinkt, die Frau mischt ihm Medikamente unter und rekrutiert dafür auch ihren 17-jähigen Sohn Niklas, der sozial isoliert ist, sich für seine Mutter verantwortlich fühlt und heimlich für die Agoraphibikerin in der Ferienwohnung schwärmt.

Das Ostfriesland-Team kann sich nicht lange um die Durchsetzung der Corona-Regeln kümmern, denn gleich mehrere Morde mit ziemlich spektakulärer Präsentation der Opfer sorgen für Aufsehen. Schon wieder ein Serienmörder in Ostfriesland? Nein, diesmal handelt es sich um einen Auftragsmörder, der allerdings selbst in die Bredouillie gerät, als ihm ein gewaltsamer Tod gewissermaßen in die Schuhe geschoben wird. Es entstehen unerwartete Allianzen, und stellenweise sieht es so aus, als könnte es zu einem Fall von Bonnie und Clyde an der Waterkant kommen.

Loyalität und Selbstbehauptung, Überwindung von Ängsten und Besinnung auf das, was zählt, dazu die üblichen Reibereien mit dem bekannten Personal der Serie - Klaus-Peter Wolf hat ziemlich viel in dieses Buch gebracht, darunter auch persönliche Lebenserfahrungen, wie er im Nachwort schreibt. Stellenweise ist das zuviel des Guten und überfrachtet das Buch ein wenig. Seine treue Fangemeinde dürfte das nicht übermäßig stören.

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Veröffentlicht am 26.02.2022

Toxische Beziehung mit Längen

Unser wirkliches Leben
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La Boheme im 21. Jahrhundert, junge Frau und älterer Mann, Kunstszene und Finanzwelt, Unsicherheiten, Wunchvorstellungen und eine Beziehung, die keine ist: "Unser wirkliches Leben", der Debütroman von ...

La Boheme im 21. Jahrhundert, junge Frau und älterer Mann, Kunstszene und Finanzwelt, Unsicherheiten, Wunchvorstellungen und eine Beziehung, die keine ist: "Unser wirkliches Leben", der Debütroman von Imogen Crimp, hat es mir trotz vorhandenen Potentials nicht leicht gemacht, dranzubleiben. Was vermutlich daran lag, dass mich die Ich-Erzählerin Anna irgendwann ziemlich genervt hat mit ihrer Jammerei, ihrem Selbstmitleid und der ewigen Selbstbespiegelung.

Anna studiert Operngesang, sie ist talentiert, hat ein Stipendium für das Londoner Konservatorium erhalten und singt in einer Hotelbar Jazz, um finanziell über die Runden zu kommen. In dieser Bar lernt sie eines Abends den Banker Max kennen, Ende 30 und damit eine ganze Ecke älter als die 24-jährige. Was zwischen den beiden beginnt, soll unverbindlich bleiben - einvernehmlicher Sex, von Liebe ist keine Rede, Essen in teuren Restaurants, er zahlt, sie richtet ihr Leben immer mehr nach ihm aus.

Doch zunehmend ist Anna regelrecht besessen von Max, versucht mehr über sein anderes Leben herauszufinden, über seine Ehe, über das Privatleben, das er ihr verschweigt. Ihr Gesangsstudium beginnt sie zu vernachlässigen, ebenso ihre Freundschaften und das soziale Leben am Konservatorium. Zugleich belastet die Verunsicherung, was zwischen ihr und Max eigentlich läuft, zunehmend auch ihr gesamtes Leben. Sie zweifelt an ihrer Stimme, lässt Proben ausfallen, blamiert sich bei einem Vorsingen. Die Stimme will und kann nicht mehr so, wie Anna will. Ihr vielversprechender Anfang in der Opernwelt scheint früh und aprupt zu enden.

Nun gut, Künstler neigen gerne mal zur inneren Nabelschau und ein bißchen Drama. Aber je weiter das Buch voranschreitet, desto mehr nervt mich Anna mit ihrer Unfähigkeit, sich aus einer Beziehung zu lösen, die ihr nicht gut tut, während sie gleichzeitig Geld von Max annimmt oder sogar Geldscheine aus seiner Schublade klaut. Es fällt mir wirklich schwer, Mitleid zu empfinden - Anna ist keine 18, sondern 24, da kann man durchaus schon einen Realitätscheck erwarten. Und das Gejammer, dass Mitstudenten aus wohlhabenden Elternhäusern kommen und es viel leichter haben, dass ihre Freundun Laurie und sie zur Untermiete bei wenig sympatischen Leuten wohnen - meine Güte, die meisten Studenten schwimmen nicht in Geld, müssen jobben und gerade in teuren Städten wie London eine finanzielle Durststrecke irgendwie überstehen. Da ist Anna nicht die erste und nicht die letzte, der das Geld ausgeht und die nicht weiß, wie sie die Miete zusammenkriegen soll.

In der Hörbuchversion interpretiert Sandra Voss Anna mit einer dieser ziemlich hohen Stimmen, die immer mit einer Frage zu enden scheinen. Das passt zu der Figur, trägt aber nicht dazu bei, sie mir sympatischer zu machen.

Gelungen finde ich die Szenen, in denen Anna von ihrem Gesagsstudium erzählt, davon, was die Musik für sie bedeutet. wie sie ihre Stimme wie ein Instrument nutzt, daran arbeitet und immer Angst um sie hat. Die Künstlercliquen mit ihren Eitelkeiten und Träumen, Konkurrenz und gemeinsamer Liebe zu Musik - das sind die Stellen, an denen "Unser wirkliches Leben" lebt und nicht in nöliger Selbstbetrachtung verharrt. Die Beziehungsgeschichte zwischen Anna und Max hingegen hat Längen, auf die ich gern verzichtet hätte.

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Veröffentlicht am 23.02.2022

Im Land der Lügen

Die Jagd
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Der belarussische Autor Sasha Filipenko hat bereits in seinen vergangenen Romanen eindrücklich die Verbindung eines kritischen Blicks auf die Verhältnisse in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die Abrechnung ...

Der belarussische Autor Sasha Filipenko hat bereits in seinen vergangenen Romanen eindrücklich die Verbindung eines kritischen Blicks auf die Verhältnisse in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die Abrechnung mit den dortigen Missständen und eine gewisse literarische Verfremdung der gesellschaftlichen Realität gezeigt. Sein neues Buch, "Die Jagd" bildet da keine Ausnahme. Diesmal stellt er die abgehobene Welt machtnaher Oligarchen und ihrer Helfershelfer der kleinen Blase von Aufklärung bewegter Intellektueller gegenüber.

Eine Jagd findet hier auf gleich mehreren Ebenen statt: als Dystopie des Schriftstellers und Journalisten Anton, der sich mit seinen Recherchen mit den Reichen und Mächtigen anlegt, als Jagd nach Geld und Reichtum des ehemaligen Sportredakteurs Lew, der als Kind den Niedergang der Familie von Einfluss, Geld und Privilegien in bittere Armut miterlebte und nie wieder arm sein will, die Jagd des Oligarchen Wassili Slawin auf jeden, der seine Position bedroht, wie Anton zu spüren bekommt.

Lüge und Verrat in vielerlei Formen, Korruption und Anpassung, Ehrgeiz und Heuchelei, das alles verwebt zu einem Text, der gewissermaßen auf musikalischen Formaten in Form von Passagen, Zwischennoten und verschiedenen Tempi aufgeteilt ist. Das kommt nicht von ungefähr, da sich dem Leser ein Teil der Geschichte aus dem Gespräch Lews mit seinem jüngeren Bruder, einem mäßig erfolgreichen Cellisten, erschließt.

Nichr nur im Krieg, auch in der von Filipenko geschilderten russischen Gesellschaft ist die Wahrheit das erste Opfer. Um Anton zum Schweigen zu bringen, muss eine neue Realität geschaffen werden, eine, die ihn charakterlich unterminiert, ihm finstere Motive unterstellt, seinen Patriotismus anzweifelt. Ob Trolle im Internet oder Psychoterror aus der Nachbarwohnung - wenn eine Lüge nur oft genug wiederholt wird, gibt es genügend Menschen, die sie glauben.

"Wir leben im Land der Andeutungen. Die Dinge,die verschwiegen werden, sind hier die eindeutigsten und treffsichersten Hinweise."

heißt es an einer Stelle. Stiernackige Schläger, die mit Prügel und Scheinhinrichtungen drohen, sind gar nicht nötig, wären vielleicht auch überflüssig. Die Daumenschrauben, die Anton angelegt werden, sind subtiler.

"In Russland leben heißt, sich immer alles vorzustellen. In Russland leben heißt, fähig zu sein, die Augen zu verschließen. Die Angliederung von Halbinseln, die Erfindung von Feinden."

"Die Jagd" zeigt den Aufstieg der Skrupellosen zu unglaublicher Macht und den Niedergang der Anständigen gleichermaßen. Dabei zeigt Filipenko die enormen Kontraste der postsowjetischen Gesellschaft, in der viele in einem täglichen Überlebenskampf stecken, während einige wenige in einer Parallelwelt von Luxus und Lebenslügen leben. Einmal mehr klagt er Missbrauch von Macht und angeblichem Patriotismus an, zeigt die Schattenseiten des Lebens der Ohnmächtigen und steigert die Jagd zu einem dramatischen Crescendo. Diese Komposition überzeugt in Inhalt, Form und Ausführung.

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Veröffentlicht am 23.02.2022

High Noon in denAlpen

Tell
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Wilhelm Tell, als Freiheitsdrama Schillers zu Freiheitskampf und Tyrannenmord früher einmal Teil des bildungsbürgerlichen Pflichtunterrichts, sagt den meisten jüngeren Lesern unserer Zeit wohl eher wenig ...

Wilhelm Tell, als Freiheitsdrama Schillers zu Freiheitskampf und Tyrannenmord früher einmal Teil des bildungsbürgerlichen Pflichtunterrichts, sagt den meisten jüngeren Lesern unserer Zeit wohl eher wenig - und wenn, klingt die Sprache des Klassikers ein wenig angestaubt. Doch jetzt gibt es wieder einen Tell, kompakt, knackig, gewissermaßen die schnell geschnittene Videoclip Alternative zur mehrstündigen Bühnenfassung. Und mit Joachim B. Schmidt hat dieser nun bei Diogenes erschiene Tell nicht nur einen Svhweizer Verlag, sondern auch einen Schweizer Autor.

Erstmals habe ich Schmidt durch seinen formidablen Island-Roman "Kalman" kennengelernt. Wie der naive Robbenfänger Kalman ist auch sein Tell ein Außenseiter, ein Eigenbrötler, der auf seinem entlegenen Bergbauernhof nach seinen eigenen Regeln lebt. Und wie bei Kalman spielt die Natur, in diesem Fall die Alpen, eine beeindruckende (Neben-)Rolle mit eindrücklicher Beschreibung.

Als "Blockbuster in Buchform" bewirbt der Verlag das Buch, spricht von "Baveheart in Altdorf" und ähnlich wie in einem Film sind ständige Szenen- und Perspektivwechsel Teil der Erzähldramaturgie. Schmidt zeigt die Ereignisse aus der Sicht von Bauern und Soldaten, der Kinder Tells und des Dorfpfarrers, aus der Perspektive Tells und Vogt Gesslers.

Schmidts Tell ist kein klassischer Held voller Pathos, sondern ein Mann, dessen Leben von gleich mehreren Tragödien überschattet wird - manches davon enthüllt sich erst gegen Ende des Buches. Gessler ist nicht der tyrannische Schurke der klassischen Literatur, sondern ein eigentlich feinsinniger Familienmensch, ein Zauderer, der mit der Rolle des harten Mannes hadert. Um so schlimmer ist sein Handlanger, der Mann fürs Grobe, der mit seiner Soldateska die bäuerliche Bevölkerung schikaniert, der plündert und vergewaltigt.

Dieser Tell verdeutlicht auch - hier eine andere Entscheidung, dort eine andere Möglichkeit und die Geschichte hätte ganz anders verlaufen können. Heldenpathos ist diesem Tell fern, ohnehin macht Bergbauer Tell nicht viele Worte. Ähnlich wie schon bei "Kalman" richtet Schmidt die Aufmerksamkeit auf die "kleinen Leute", die übersehen, überhört, missachtet werden.

Mit 288 Seiten und 100 Erzählsequenzen ist sein Tell schlamk und schnell lesbar, nachdenklich und voll spröder Poesie. Am Ende ist es die Kraft der Schwachen, die sich durchsetzt und überdauert. Doch ja, der Braveheart-Vergleich ist gar nicht so schlecht. Aber erfreulicherweise ohne schwülstiges Hollywood-Pathos.

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