Tiefgründige, bedeutsame Herzensgeschichte – allerdings nur während eines Drittels des Buches
Wie die Ruhe vor dem SturmEleanor („Ellie“) ist seit ihrer Jugend leidenschaftliche Nanny, ihre Leidenschaft hat sie zum Beruf gemacht. Nach einem dieser „Das Kind kommt bald in die Schule, du verstehst doch sicher, dass wir deine ...
Eleanor („Ellie“) ist seit ihrer Jugend leidenschaftliche Nanny, ihre Leidenschaft hat sie zum Beruf gemacht. Nach einem dieser „Das Kind kommt bald in die Schule, du verstehst doch sicher, dass wir deine Arbeit dann nicht länger benötigen“-Gespräche und einer wie üblich ziemlich abrupten Entlassung wartet eine neue Stelle auf sie, die sie zurück in die Vergangenheit katapultiert. Zu Grey, ihrer ersten großen Liebe, der sie damals auffing, als sie in einen nie endenden Schlund der tiefen Trauer zu stürzen und dort zu ertrinken drohte. Es ist ausgerechnet Grey, der ihr neuer Arbeitgeber wird. Ausgerechnet Grey, zu dem das sich so wahnsinnig schnell verändernde Leben als junge Erwachsene die Verbindung kappte. Ausgerechnet Grey, der immer noch da, aber nicht wirklich hier ist. Denn nach dem Tod seiner Frau vor gut einem Jahr ist er nicht mehr der Grey, den Ellie kannte. Er ist kein Vater für seine beiden Töchter und er ist schon gar nicht der zutiefst optimistische Junge – jetzt Mann, mit pulsierenden Zukunftsträumen und den warmen grauen Augen, an den sie in den vergangenen 16 Jahren immer wieder denken musste.
Im Rahmen einer Leserunde durfte ich mit „Wie die Ruhe vor dem Sturm“ mein allererstes Buch von Brittainy C. Cherry lesen. Was beim Stöbern im Buchladen des Vertrauens immer wieder auf den Buchrücken der Werke der Autorin zu lesen ist, stimmt tatsächlich: Kaum jemand schafft es, so wortgewaltig, authentisch und gedankenecht Emotionen zu erzeugen, die einen nicht nur fesseln, sondern auch prägen. Bei „Wie die Ruhe vor dem Sturm“ galt das für mich allerdings nur für das erste Drittel des Buches, genauer: den ersten der beiden Teile, in die sie ihr Buch eingeteilt hat. In diesem ersten Teil wird beschrieben, wie sich die Teenager Eleanor Gable und Greyson East kennenlernen und wie eine besondere, tiefe Verbindung zwischen den beiden entsteht. Für Teil zwei geschieht ein Zeitsprung von gut 16 Jahren in die Gegenwart.
Um meine Meinung ein bisschen genauer zu erläutern, möchte ich zuerst auf den Schreibstil von Brittainy C. Cherry eingehen. Etwas, das mir immer wieder ein warmes Gefühl gezaubert und definitiv etwas ist, das mir von diesem Buch „hängenbleiben“ wird: Da sind sympathische Ticks und Bewegungen der beiden Protagonisten Grey und Ellie, die die Autorin ihnen von Beginn an zuordnet und ähnlich wie ein musikalisches Thema während des ganzen Buches immer wieder einfließen lässt – nicht nur in sehr bedeutungsvollen Situationen, sondern auch in den ruhigen Momenten. Diese Wiederholungen geben den Charakteren eine besondere Authentizität, man lächelt unwillkürlich, wenn man sie bemerkt, als würde man einen guten Freund beobachten. Ähnlich verhält sich das mit sich wiederholenden Phrasen, die zwischen Ellie und Grey sind, die einer von ihnen einmal gesagt hat und die eine besondere Bedeutung für sie haben. Speziell mit diesen Phrasen und Satzbruchstücken habe ich mich irgendwann allerdings schwergetan, weil sie nicht immer zur Situation, in der sie verwendet werden, passen, man in diesen Momenten über sie nachdenken muss und das irgendwie den Lesefluss stört. Alles in allem ist Brittainy C. Cherrys Schreibstil allerdings einer, in dem man sich sofort verlieren kann. Da ist nichts Gekünstelt-Beschreibendes, keine unnötigen aufklärenden Absätze aus Sicht eines Dritten. Stattdessen neigt sie zu kurzen Sätzen, in denen auch einmal ein Satzglied herausgelassen wird, um Wirkung und Präzision der sehr alltäglich gewählten Worte zu verstärken. Kennzeichnend sind für mich auch gelegentlich einfließende, unvermittelte Gedanken, die einmal mehr die „Gegenwärtigkeit“ der jeweiligen Szenen und dass man das Gefühl hat, mittendrin zu sein, verstärken. Raw, dieses kleine englische Wörtchen trifft es für mich am besten, mit welcher Art von Erzählstil man durchs Buch geführt wird.
Ehe ich mich den Figuren widmen möchte, noch einmal ein eher theoretischer Bereich: Derjenige der aufgeschlagenen Geschichte und wie sie konzipiert ist. In diesem Punkt wird für mich der Unterschied zwischen erstem und zweitem Teil am allerdeutlichsten. Im ersten Drittel des Buches kann man ein junges Paar kennenlernen, das sehr schnell und sehr intensiv eine besondere, tiefgründige emotionale Ebene miteinander erreicht. Begünstigt durch ein Ereignis, das Ellie und Grey miteinander er- und durchleben – aber davon gibt es im zweiten Teil eigentlich auch einige. Was im ersten Teil allerdings anders ist als im zweiten, in der Gegenwart spielenden Teil: die Geschwindigkeit der Entwicklung zwischen den beiden Protagonisten. Im ersten Teil scheint sie mir gut angepasst an das, was sie erleben. Es ist alles vollkommen nachvollziehbar und schlüssig, man erlebt in realistischer Geschwindigkeit und passenden „Alltagsausschnitten“ mit, wie sie zusammenwachsen.
Im zweiten Teil ist das leider anders für mich. Die Stellen, an denen die besondere Tiefe des ersten Teils zwischen den Charakteren wiederauflebt, fehlen mir im zweiten Teil. Obwohl sie faktisch da waren. Das beginnt mit dem Umstand, dass völlig offen bleibt, weshalb die beiden sich nach dem miteinander Erlebten aus den Augen verloren haben – so wie Grey als Jugendlicher war und so wie Ellie war, erscheint dieser, den Einstieg in die Gegenwart bildende Umstand als unverständlich, obwohl Brittainy C. Cherry davon schreibt, dass das Leben hektischer geworden sei und das ihre Verbindung letztlich gekappt habe.
Leider verkommt Teil zwei für mich zu einer Aneinanderreihung vermeintlich bedeutungsschwerer, tiefgründiger Dialoge oder innerer Monologe, die anders als im ersten Teil ihre gewaltige Wortkraft, die mich bis zum Verdrücken einiger Tränen geführt hat, nicht entfalten können. Ich finde, dass die bedeutungsvollen Szenen, weil sie nicht mehr alleine dastehen und eben keine Entwicklung dazu führt, dass sie geschehen, bedeutungslos werden. Sie nutzen sich ab. Man wird immer wieder, immer schneller aufeinanderfolgend unvermittelt in plötzliche tiefgründige Gespräche geführt, kaum dass der zu plötzliche Wendepunkt in der Beziehung zwischen Ellie und Grey eintritt. Abgesehen davon, dass mir hier vor allem die Gedanken der Protagonisten fehlen, um zu verstehen, weshalb sie sich dem jeweils anderen gegenüber plötzlich öffnen, kommen mir die vielen emotionalen Szenen ob der tiefen, immer wieder thematisierten Verschlossenheit, die in Bezug auf Grey beschrieben wird, als viel zu rasant, viel zu unlogisch und damit nicht mehr realistisch, nicht mehr echt vor. Hier fehlen, finde ich, immer wieder gedankliche Atempausen – ein Ereignis jagt das Nächste, eine emotionale Auseinandersetzung folgt der anderen.
Als jemand, der Harry Potter nie gelesen hat, ist es mir teilweise schwergefallen, den Verweisen zu der berühmten Buchreihe, die in „Wie die Ruhe vor dem Sturm“ eine Rolle spielt, zu folgen. An einigen Stellen wären für mich eingestreute, erklärende Halbsätze notwendig gewesen. Ohne diese fühle zumindest ich mich ein wenig ausgeschlossen, weil ich die süffisanten Zuordnungen als Hufflepuff und andere Begriffe oft nicht ganz verstanden habe. Natürlich, an der einen oder anderen Stelle habe ich Google bemüht, allerdings, finde ich, wäre es an dieser Stelle nicht schwierig gewesen, die Fragezeichen im Kopf der Leser zu vermeiden.
Das ganze Buch betrachtet, lässt sich sagen, dass dem Ganzen leider immer ein wenig zu viel Vorhersehbarkeit anhaftet – man hat immer eine Ahnung davon, was als Nächstes passieren sollte, um (auf den verbleibenden Seiten) etwas Rundes „hinzubekommen“. Mir fehlten hier die Überraschungen, die einem das Herz stehen lassen und dafür sorgen, dass man verblüfft zurückbleibt. Das Buch folgt leider ein wenig zu sehr dem typischen Romance-Spannungsbogen.
In Bezug auf das Platonische, mehr: den Umstand, wie das Buch gestaltet ist, ist mir ebenfalls etwas aufgestoßen: Es finden sich, zumindest in der eBook-Datei für den Kindle, sehr viele Schreib- (im Sinne von vertauschten, fehlenden Buchstaben), Übersetzungs- (aus „Lorelai“ wurde oft „Lorelei“) und Satzzeichenfehler (Komma und Punkt, gar kein Satzzeichen). Das macht einen etwas dilettantischen, hastigen und schlampigen Eindruck bezüglich des Lektorats.
Auch bei den Figuren, die Brittainy C. Cherry in ihrem Roman zeichnet, muss ich zwischen den beiden Buchteilen unterscheiden – zumindest was Ellie und Grey, die beiden Hauptcharaktere, angeht. Im ersten Teil sind Ellie und Grey für mich eines der authentischsten, wenn nicht sogar das authentischste Teenager-Pärchen, von dem ich je gelesen habe. Dieses „Nur um sich kümmern, die Welt ist egal“, gleichzeitig eine unvergleichliche, für diesen Lebensabschnitt so typische Neugierde, Lebensfreude, Leichtigkeit. Brittainy C. Cherry gelingt hier etwas ganz Außergewöhnliches. Auch wenn ich das natürlich nicht mit Bestimmtheit sagen kann: Ich würde tatsächlich darum wetten, dass kaum ein Leser an dieser Stelle nicht von der einhüllenden, ausfüllenden Traurigkeit und Bedeutungsschwere zwischen den beiden, zwischen Ellie und Grey, erfasst wird, die sie aus dem Buch direkt ins Herz zu transportieren schafft.
Im zweiten Teil bekomme ich Ellie und Grey allerdings einfach nicht mit den Teenagercharakteren „zusammen“, von denen ich zuvor gelesen habe. Die Verknüpfung der beiden Teile ist viel zu dünn, korrigiere: kaum wirklich vorhanden. Gerade weil ein völlig anderer Grey auftaucht und eine erwachsene, von der Traurigkeit des ersten Teils viel, viel weiter entfernte Ellie. Wie sah Ellies Leben vor der Stelle im East-Haushalt aus? Wie war Grey als Familienvater, im Umgang mit seinen Töchtern, als seine Frau noch lebte? Viele Dinge werden zwar angerissen (z. B. in Form von Rückblenden aus Sicht von Grey), aber nie so dargestellt, dass es für mich befriedigend ist, dass sich diese Rückblenden zu einem schlüssigen Bild der Charaktere fügen würden. Dass die beiden einmal über ihre gemeinsame Vergangenheit reden, fehlt ebenfalls. Gerade bei Ellie gab es für mich nur die Teenager-Ellie und die Greys-Nanny-Ellie. Dazwischen konnte ich sie mir nicht vorstellen, was allerdings wichtig gewesen wäre, um zu verstehen, wie aus ihr die Erwachsene geworden war, die sie nun mal war. Es hätte für mein Dafürhalten einige Kapitel aus der Zeit gebraucht, bevor Ellie in Greys Leben trat und andersherum.
Mir scheint, dass es den Grey, den Ellie als Jugendliche kennengelernt hat, eigentlich auch mit seiner Frau nicht mehr gegeben hat und es insgesamt drei verschiedene Greys waren – eine Verknüpfung zu ihrem Früher wurde nie wirklich hergestellt – die im Buch vorkommen. Selbst an der Seite seiner verstorbenen Frau Nicole, wie das seine beiden Töchter immer mal wieder andeuten, scheint er mir anders als der Grey, den Ellie aus ihrer Jugendzeit kannte, gewesen zu sein. Ich bin mir unsicher, ob seine ihn so auszeichnenden Wünsche, Träume und die Unbekümmertheit damals noch bestanden haben – auch hier wurde allerdings nie etwas aufgeklärt.
In diesem Zug fehlt mir im zweiten Teil auch die Thematisierung von Greys Eltern, die im ersten Teil eine gewichtige Rolle spielen. Sie werden im zweiten Teil nicht einmal erwähnt. Dabei hängt mit ihnen und ihrem Verhalten ihrem heranwachsenden Sohn gegenüber für mich ein eigentlich logischer Grund zusammen, weshalb Grey das Elternsein (besonders alleinerziehend, als Witwer) so schwerfällt. Hier, finde ich, hat Brittainy Cherry gewaltiges Potential verschenkt.
Etwas schade finde ich auch, dass die physische Beschreibung der Protagonisten nicht konsequent durchgezogen wird. Insbesondere ein paar Merkmale zu Greys Gestalt und der seiner Töchter fehlen mir. Klar, das Aussehen der Charaktere eines Buches ist ein Stück weit immer der eigenen Imagination überlassen und ein bisschen was wurde auch angedeutet, aber da Ellie beschrieben wird – weshalb nicht er?
Was mir im Bereich Charakterkonzeption sehr positiv aufgefallen ist: Karla und Lorelai – die Szenen und Begebenheiten mit ihnen und um sie herum waren durchweg authentisch, wenngleich das kleine Sonnenschein-Mädchen ein wenig klischeehaft daherkam, genau wie Claire, die vor Liebe übersprudelnde ältere Frau (in dem Fall: Schwiegermutter).
Trotz meiner Kritik (auch bezüglich der Vorhersehbarkeit) finde ich, dass die Geschichte im Großen und Ganzen trotzdem nicht in dem grauen Meer der Bedeutungslosigkeit versinkt. Obwohl viele solcher „Back to you“-Stories existieren. Abzüge in Punkto Originalität möchte ich allerdings in Bezug auf das wiederkehrende Libellen-Thema, Ellies besonderes Faible, geben. Dass sie gerne Jacken trägt, die mit diesem zierlichen Tier verknüpft sind und sie an der einen oder anderen Stelle im Buch eine größere Rolle spielen, erinnert sie mich ein wenig zu sehr an Jojo Moyes‘ „Ein ganzes halbes Jahr“. Das finde ich schade.
Im Großen und Ganzen hat es durchaus Spaß gemacht, „Wie die Ruhe vor dem Sturm“ zu lesen, wenngleich der zweite, größere Teil (zwei Drittel des Buches) durch die für die Erzählzeit und Seitenzahl viel zu wuchtig daherkommenden emotionalen Szenen anstrengend und teilweise nur häppchenweise zu lesen waren. Es überwiegt jedoch die Enttäuschung darüber, dass die Autorin es für mich nicht schaffte die beiden Teile miteinander zu verknüpfen und die Bedeutungsschwere herzustellen, die den ersten Teil so besonders gemacht hat.
Fazit: „Wie die Ruhe vor dem Sturm“ ist ein Buch, das einen mitten in das pulsierende Zentrum des Sturms hineinzieht, nur um im zweiten Teil wieder ausgespuckt zu werden und an einen Ort zu gelangen, an dem die Geschichte neu begonnen und leider vom ersten Teil her nicht richtig verknüpft wird. Die Bilder, die Brittainy Cherry erzeugt, sind bedeutend, fesselnd und schaffen es, ins Herz zu gelangen. Das ändert sich allerdings im zweiten Teil, als die Entwicklung der Story die Emotionen überholt und unter der Geschwindigkeit, die sie mitbringt, leider auch verschwinden lässt.