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Veröffentlicht am 02.11.2020

Nette Geschichte mit Ausbaupotenzial

Der Unvollendete
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Man ändert sein Leben nicht, um glücklich zu sein. (…) Es geht darum, nicht mehr im Widerspruch mit sich selber zu stehen. (S. 242)
Was ist dieses „Glück“ und wo kann man es finden? Anatol jedenfalls kennt ...

Man ändert sein Leben nicht, um glücklich zu sein. (…) Es geht darum, nicht mehr im Widerspruch mit sich selber zu stehen. (S. 242)
Was ist dieses „Glück“ und wo kann man es finden? Anatol jedenfalls kennt es nur vom Hörensagen, doch er sucht es weiterhin unermüdlich. Dabei muss er feststellen: Das Leben ist das, was man statt seiner Träume bekommt. Eigentlich wollte er als Schriftsteller den großen Durchbruch schaffen, wie es seinem Freund Max durch Zufall gelungen ist, doch nun schlägt er sich als Allrounder im Altenheim durchs Leben. Und auch mit der Liebe hapert es an allen Ecken und Enden: Seine Herzensdame erweist sich als Querulantin und quartiert in kurzerhand aus seiner eigenen Wohnung aus, sodass Anatol bei seinem Vater einziehen muss. Als sich ihm die Gelegenheit bietet, in Polen ein neues Leben als Wissenschaftler zu beginnen, wagt er sich nach kurzerhand ins Unbekannte, möchte er nicht länger ein „Unvollendeter“ sein – und muss schon bald erkennen, wie schwierig es ist, plötzlich ein anderer sein zu wollen.
Lukas Linder hat mit Anatol den typischen Antihelden erschaffen. Trotz steter Bemühungen und nur mäßigen Erfolgen lebt er besonnen sein Leben, allzeit bereit, den großen Coup zu landen. Er handelt oftmals naiv, wirkt unbedacht, was durch trotzige Metaphorik und teils starke Überzeichnung betont wird. Was phasenweise wirklich sehr unterhaltsam war, wirkte an vielen Stellen für meinen Geschmack zu unnatürlich, die Pointen zu gezwungen. Nichtsdestotrotz hat die Geschichte das gewisse Etwas, das mich doch unbewusst packte, aber nicht in Worte fassen kann. Vielleicht ist es die Neugier, ob dem armen Protagonisten letztlich auch etwas Gutes widerfahren würde, welche Wege die Handlung noch einschlagen könnte. Insgesamt eine solide Geschichte mit Potenzial!
Danke an den @keinundaberverlag!

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Veröffentlicht am 01.11.2020

Beeindruckend reflektiert!

Das Buch eines Sommers
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Was wäre ein Augenblick wert, würde das Leben ewig währen? Entspringt nicht die Kostbarkeit des Lebens unmittelbar aus seiner Endlichkeit? (S. 149)

Wie man wird, wer man im Innersten ist, unbedarft und ...

Was wäre ein Augenblick wert, würde das Leben ewig währen? Entspringt nicht die Kostbarkeit des Lebens unmittelbar aus seiner Endlichkeit? (S. 149)

Wie man wird, wer man im Innersten ist, unbedarft und glücklich – das soll Nicolas, der Protagonist von Bas Kasts Romandebüt „Das Buch eines Sommers“ ergründen. Er wollte immer Schriftsteller wie sein Onkel Valentin werden, doch das Leben kam dazwischen. Von Terminen und Aufträgen eingenommen, leitet er das Pharmaunternehmen seines verstorbenen Vaters, deren großes Projekt die Entdeckung des ewigen, beschwerdefreien Lebens ist. Darüber vergisst er, was im Leben wirklich zählt, bis er durch den Tod seines Onkels zurück auf den Boden geholt wird und beginnt zu verstehen.

Mit empathischen, einfachen Worten hat Bas Kast einen Roman geschrieben, der mehr ist als nur die seichte Geschichte eines überarbeiteten Mannes. Vielmehr fordert er den Leser mit scheinbar nebensächlichen Kindergeschichten und Bildern aus dem vergänglichen Leben eines Workaholics dazu auf, sein Leben zu reflektieren, seine Handlungen und Routinen zu hinterfragen, sich seinem Ursprung zu nähern. Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir der Gedanke, wie sehr uns unsere Erziehung, unsere Kindheit in unserem späten Handeln und Leben beeinflussen, wie wir Halt an Vertrautem suchen; was würde sich für uns ändern, würden wir aus den gelegten Schienen ausbrächen, Dinge anders gemacht hätten? Entgegen der scheinbar schweren Kost ist das Buch erfrischend und von fesselndem Grundtempo, hätte aber gut und gerne noch viel länger sein können, um einige wichtige Gedanken noch weiter auszuführen. Auf den Punkt gebracht: ein intensives, erkenntnisreiches Buch, das mich nachhaltig beeindruckt hat.

Danke an den @diogenesverlag für das #Rezensionsexemplar!

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Veröffentlicht am 29.10.2020

Beeindruckend!

Das Palais muss brennen
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Wir sind durch die Welt gevögelt und können doch nicht fliegen. (S. 96)
Das Palais muss brennen – oder zumindest die Regierung gestürzt werden; das ist das Ziel von Luise, Tochter der rechtskonservativen ...

Wir sind durch die Welt gevögelt und können doch nicht fliegen. (S. 96)
Das Palais muss brennen – oder zumindest die Regierung gestürzt werden; das ist das Ziel von Luise, Tochter der rechtskonservativen Bundespräsidentin Österreichs und Protagonistin des Debütromans von Mercedes Spannagel. Gemeinsam mit ihren rebellischen FreundInnen wirbelt sie die rechte Elite des Landes auf: Sie kauft sich einen Mops namens Marx, schmeißt die Waffen der präsidialen Jagdgesellschaft in den Pool, tapeziert das Teezimmer mit Verbrechen der chinesischen Regierung, sucht ihre sexuelle Orientierung. Schließlich schmieden sie den Plan, auf dem Wiener Opernball eine Kunstaktion zu installieren – doch es läuft nicht ganz so, wie sie es sich gedacht haben.
Mit genialen, lakonischen Dialogen und provokantem, schwarzem Humor entwirft Mercedes Spannagel eine abstruse Geschichte mit aufregenden Charakteren, die eine feine Abbildung der Gesellschaft ist. Der schnelle Schreibstil passt optimal zur Geschichte und der jungen Generation aufsässiger Millennials, und hat mir mit seinen Gegensätzen aus einfacher Form und intellektueller Intention unglaublich gut gefallen. Luise ist flapsig, aufmüpfig und unheimlich intelligent, sie sucht ihren Platz in der Welt, den Sinn des Ganzen, doch um sie – Luise – zu verstehen, muss man zwischen den Zeilen zu lesen; dort ist sie verletzlich, unsicher, hinter der Fassade versteckt.
Das Buch ist sicher sehr speziell, doch trifft es den Zeitgeist ausgezeichnet und hat mich wirklich nachhaltig begeistert, und ist verdient für den Österreichen Buchpreis Debüt 2020 nominiert.

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Veröffentlicht am 27.10.2020

Einfach toll!

Sie hat Bock
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Es liegt in unserer Hand, unsere Spielregeln zu schreiben.

Dass auch "sie Bock hat" - und haben darf - zeigt Katja Lewina mit diesem eindrücklichen und schonungslos ehrlichen Buch. Die Journalistin und ...

Es liegt in unserer Hand, unsere Spielregeln zu schreiben.

Dass auch "sie Bock hat" - und haben darf - zeigt Katja Lewina mit diesem eindrücklichen und schonungslos ehrlichen Buch. Die Journalistin und dreifache Mutter schreibt über Themen wie das weibliche Genital, die es umrankenden Mythen und die sprachliche Verwirrung, Lust und Unterwerfung, gesellschaftliche Probleme wie Rollenzuschreibungen, Slut-Shaming und Rape Culture. Was wie ein buntes Potpourri erscheint, hat sie mit einem gekonnt beobachtenden Blick und bewusst provozierenden Worten ohne Scham – was wir uns alle zu Herzen nehmen und umsetzen sollten! – hervorragend ausgearbeitet und zu einem stimmigen Ganzen gemacht, gespickt mit Anekdoten, eigenen Erfahrungen und ihrer Sicht auf die thematisierten Probleme.

Es fängt schon an bei der gesellschaftlich angemessenen Bezeichnung des weiblichen Genitals - was ist anstößig, was angemessen? Und vor allem: Wieso findet sich in keinem Anatomiebuch eine korrekte Bezeichnung der weiblichen Anatomie? Auch die Debatte der monogamen Ehe greift sie auf: alles nur ökonomische Vorzüge oder was steckt dahinter? Als Verfechterin offener Beziehungen nimmt sie klar Stellung dazu und beschreibt auch, wie ihre Kinder damit umgehen. Sie diskutiert die gesellschaftlichen Vorstellungen des idealen Frauenbilds, das rasiert, unterwürfig und keusch sein soll, und stellt klar, dass sich keine Frau für ihren Körper schämen sollte – niemals. Ihr Appell: Steht für euch selbst ein, liebt euch und bejubelt eure Weiblichkeit!

Ein wirklich mutiges, intimes und – vor allen Dingen – wichtiges Buch in der heutigen Zeit.

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Veröffentlicht am 26.10.2020

Tolles Debüt

Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht
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In der Ruhe legst du die Grundlage für den Sturm.

In ihrem literarischen Debüt „Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“ verbindet die ehemalige Top-Ten-Spielerin Andrea Petković ihre Leidenschaft zum ...

In der Ruhe legst du die Grundlage für den Sturm.

In ihrem literarischen Debüt „Zwischen Ruhm und Ehre liegt die Nacht“ verbindet die ehemalige Top-Ten-Spielerin Andrea Petković ihre Leidenschaft zum Sport und zur Literatur, und erzählt intensiv und ergreifend von ihrem Leben als Tennisprofi. Als Flüchtlingskind aus dem ehemaligen Jugoslawien begann sie in Darmstadt, auf dem Tennisplatz Fuß zu fassen, bereit, die Welt zu erobern. Humorvoll und nachdenklich schreibt sie über Begegnungen auf und neben dem Tennisplatz sowie ihren zermürbenden Verletzungsphasen, von ihrer serbisch-deutschen Seele und ihrer großen Liebe zu Literatur, Musik. Es sind Erzählungen über das Leben, das Auf und Ab und eine Erinnerung daran, niemals aufzugeben, weiterzukämpfen.

„Oft sind Niederlagen der eigentliche Auslöser für Fortschritt.“ (S. 21)

Nicht nur als Tennisspielerin, auch als Autorin ist Andrea Petković unglaublich talentiert. Sie schreibt mit einem warmen, fesselnden Wortschatz und erzeugt mit ihrer empathischen Art einen ergreifenden Erzählrhythmus. Reflektiert und nachdenklich erzählt sie von großartigen Erlebnissen als Sportlerin, ihrem Leben als Tochter einer serbischen Flüchtlingsfamilie, und niederschmetternden Erfahrungen wie ihren zahlreichen Verletzungen und ihrem Umgang damit. Dabei gibt sie auch einen Einblick, erzählt von alten Freundschaften und dem Verliebtsein, von ihren liebsten Büchern und was sie ihnen gelehrt haben.

Es war unglaublich interessant, mehr über Andrea Petković zu erfahren, einen Blick hinter die Kulissen des Tennissports zu erhalten. Leider konnten mich nicht alle Erzählungen gleichermaßen in ihren Bann ziehen, uferte sie manchmal doch sehr aus, doch insgesamt ein wirklich tolles Debüt.

Vielen Dank an Kiepenheuer & Witsch!

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