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Veröffentlicht am 10.11.2020

Beeindruckende Bilder

Tiger
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Manche Gefühle kann man nicht ertragen. Man muss ihnen den Rücken kehren. Man muss ruhen. (S. 24)

Für die englischen Doktorandin Frieda ist die Arbeit mit Bonobos und das Verstehen ihres Wesens in vielerlei ...

Manche Gefühle kann man nicht ertragen. Man muss ihnen den Rücken kehren. Man muss ruhen. (S. 24)

Für die englischen Doktorandin Frieda ist die Arbeit mit Bonobos und das Verstehen ihres Wesens in vielerlei Hinsicht eine willkommene Flucht vom Alltag. Doch nach einem schweren Vergehen wird ihr gekündigt, und sie verfällt wieder ihrer Depressionen, die sie seit einem lebensbedrohlichen Überfall begleiten. Als sie in einem kleinen Zoo in Devon eine neue Anstellung findet, wird sie den Tigern zugeteilt; sie soll sich um die neue Tigerdame Luna kümmern, die aus schlechten Verhältnissen gerettet wurde. Tiger waren für Frieda nie mehr als rohe Aggression, blutrünstige Gier – aber je mehr sie das elegante Wildtier kennenlernt, desto mehr begeistert sie sich für ihre eindrucksvolle, sensible Erscheinung – und erkennt einen Teil von sich selbst in ihm.

Auf den Spuren von Lunas Herkunft springt die Handlung zurück in den Osten Russlands, wo Ivan und sein Sohn Tomas ein Tigerreservat betreiben, wo Edith mit ihrer Tochter Sina im Wald lebt und sie das Überleben lehrt, wo die Gräfin auf verzweifelter Jagd nach Essen für sich und ihre Jungen durch ihr Gebiet streift. Und alle Fäden verbinden sich schließlich wieder bei Frieda in der Gegenwart.

Polly Clark erzählt mit einer ungeheuren Sprachgewalt und imposanten Bildern die Geschichte einer gebrochenen Frau, eines einsamen Mannes und eines zähen Kindes, die alle durch ihre Verbindung zu den eleganten Wildkatzen verbunden sind. Die Art und Weise, den Ursprüngen Lunas zu begegnen, hat sie großartig umgesetzt, voller Gefühl und Empathie, fesselnd und mitreißend. Der Einstieg rund um Frieda ist bei weitem mein liebster Teil des Romans und entsprechend ernüchtert war ich vom weiteren Verlauf: Ich konnte mich immer weniger mit den Protagonisten identifizieren, die Geschichte verlor phasenweise von ihrer einnehmenden Kraft, war langatmig, und gerade das Ende war dann sehr plötzlich und abrupt. Doch die Bilder, die Faszination, die die Autorin geweckt hat, sowie ihr Schreibstil beeindruckten mich, und so ist "Tiger" eine eindrucksvolle Komposition verschiedenster Charaktere vor dem Hintergrund einer fesselnden Handlung, die im Gedächtnis bleibt.

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Veröffentlicht am 01.11.2020

Beeindruckend reflektiert!

Das Buch eines Sommers
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Was wäre ein Augenblick wert, würde das Leben ewig währen? Entspringt nicht die Kostbarkeit des Lebens unmittelbar aus seiner Endlichkeit? (S. 149)

Wie man wird, wer man im Innersten ist, unbedarft und ...

Was wäre ein Augenblick wert, würde das Leben ewig währen? Entspringt nicht die Kostbarkeit des Lebens unmittelbar aus seiner Endlichkeit? (S. 149)

Wie man wird, wer man im Innersten ist, unbedarft und glücklich – das soll Nicolas, der Protagonist von Bas Kasts Romandebüt „Das Buch eines Sommers“ ergründen. Er wollte immer Schriftsteller wie sein Onkel Valentin werden, doch das Leben kam dazwischen. Von Terminen und Aufträgen eingenommen, leitet er das Pharmaunternehmen seines verstorbenen Vaters, deren großes Projekt die Entdeckung des ewigen, beschwerdefreien Lebens ist. Darüber vergisst er, was im Leben wirklich zählt, bis er durch den Tod seines Onkels zurück auf den Boden geholt wird und beginnt zu verstehen.

Mit empathischen, einfachen Worten hat Bas Kast einen Roman geschrieben, der mehr ist als nur die seichte Geschichte eines überarbeiteten Mannes. Vielmehr fordert er den Leser mit scheinbar nebensächlichen Kindergeschichten und Bildern aus dem vergänglichen Leben eines Workaholics dazu auf, sein Leben zu reflektieren, seine Handlungen und Routinen zu hinterfragen, sich seinem Ursprung zu nähern. Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir der Gedanke, wie sehr uns unsere Erziehung, unsere Kindheit in unserem späten Handeln und Leben beeinflussen, wie wir Halt an Vertrautem suchen; was würde sich für uns ändern, würden wir aus den gelegten Schienen ausbrächen, Dinge anders gemacht hätten? Entgegen der scheinbar schweren Kost ist das Buch erfrischend und von fesselndem Grundtempo, hätte aber gut und gerne noch viel länger sein können, um einige wichtige Gedanken noch weiter auszuführen. Auf den Punkt gebracht: ein intensives, erkenntnisreiches Buch, das mich nachhaltig beeindruckt hat.

Danke an den @diogenesverlag für das #Rezensionsexemplar!

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Veröffentlicht am 29.10.2020

Beeindruckend!

Das Palais muss brennen
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Wir sind durch die Welt gevögelt und können doch nicht fliegen. (S. 96)
Das Palais muss brennen – oder zumindest die Regierung gestürzt werden; das ist das Ziel von Luise, Tochter der rechtskonservativen ...

Wir sind durch die Welt gevögelt und können doch nicht fliegen. (S. 96)
Das Palais muss brennen – oder zumindest die Regierung gestürzt werden; das ist das Ziel von Luise, Tochter der rechtskonservativen Bundespräsidentin Österreichs und Protagonistin des Debütromans von Mercedes Spannagel. Gemeinsam mit ihren rebellischen FreundInnen wirbelt sie die rechte Elite des Landes auf: Sie kauft sich einen Mops namens Marx, schmeißt die Waffen der präsidialen Jagdgesellschaft in den Pool, tapeziert das Teezimmer mit Verbrechen der chinesischen Regierung, sucht ihre sexuelle Orientierung. Schließlich schmieden sie den Plan, auf dem Wiener Opernball eine Kunstaktion zu installieren – doch es läuft nicht ganz so, wie sie es sich gedacht haben.
Mit genialen, lakonischen Dialogen und provokantem, schwarzem Humor entwirft Mercedes Spannagel eine abstruse Geschichte mit aufregenden Charakteren, die eine feine Abbildung der Gesellschaft ist. Der schnelle Schreibstil passt optimal zur Geschichte und der jungen Generation aufsässiger Millennials, und hat mir mit seinen Gegensätzen aus einfacher Form und intellektueller Intention unglaublich gut gefallen. Luise ist flapsig, aufmüpfig und unheimlich intelligent, sie sucht ihren Platz in der Welt, den Sinn des Ganzen, doch um sie – Luise – zu verstehen, muss man zwischen den Zeilen zu lesen; dort ist sie verletzlich, unsicher, hinter der Fassade versteckt.
Das Buch ist sicher sehr speziell, doch trifft es den Zeitgeist ausgezeichnet und hat mich wirklich nachhaltig begeistert, und ist verdient für den Österreichen Buchpreis Debüt 2020 nominiert.

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Veröffentlicht am 19.10.2020

Augen öffenend und packend

Hundert Augen
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Stell dir eine Welt vor, in der du durch die Augen eines Kuscheltiers das Leben eines anderen Menschen beobachten könntest…

Hundert Augen von Samanta Schweblin ist ein dystopischer Roman, der unsere vernetzte ...

Stell dir eine Welt vor, in der du durch die Augen eines Kuscheltiers das Leben eines anderen Menschen beobachten könntest…

Hundert Augen von Samanta Schweblin ist ein dystopischer Roman, der unsere vernetzte Gegenwart perfide überspitzt, aber erschreckend real in seiner Idee darstellt, und wachrüttelt.
Sie sind überall: Kentukis. Keine Haustiere oder Roboter, eher menschliches Bewusstsein in Gestalt eines Kuscheltiers. Sie sind mit Mikrofonen, Webcams und Rädern ausgestattet, und die ID für die Befehlsgewalt über das Tier kann von jedem Menschen auf der Welt gekauft werden. Der Besitzer des Kentukis selbst hat über seine Handlungen keinen Einfluss, nur die unbekannte Person mit den Steuertasten kann es lenken und leiten.
Der Roman besteht aus mehreren, in kurzen Kapiteln dargestellten, Sichtweisen: Da ist die zunächst liebenswerte Begegnung von Emilia aus Mexiko, die von ihrem Sohn die ID eines Kentukis in Dresden bekommen hat, und sich schnell mit der Besitzerin des kleinen Häschens anfreundet, eine tiefe Beziehung entwickelt. Oder von dem Halbwaisen, der durch sein Kentuki zum ersten Mal in Norwegen den Schnee sieht. Doch allmählich zeigt sich, dass der technische Fortschritt auch Nachteile hat, und die Waage zwischen persönlichem und öffentlichem Lebensbereich, Überwachung und Freiheit neigt sich bedrohlich.

Der kurzweilige, packende Schreibstil hat mir gut gefallen und die Brisanz und Aktualität des Themas optimal transportiert. Die Autorin hält sich nicht mit ausschweifenden Beschreibungen auf, sondern erzählt simpel und treffsicher die Geschichten der Besitzer und der Steuernden. Die kulturelle Vielfalt der Akteure „vor“ und „hinter“ den Kentukis macht den Roman lebendig und zeigt, dass der technische Fortschritt immer mehr überhandnimmt, jedem Menschen auf der ganzen Welt zugänglich ist. Die perfide Kontroverse, Gefallen am überwachen und überwacht werden zu finden, scheint weit hergeholt zu sein, und ist doch gegenwärtiger denn je. So überzeugt mich der Roman nicht nur mit seiner packenden Sprache, sondern vor allem mit seinem Fingerzeig auf unser Nutzungsverhalten sozialer und digitaler Medien.

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Veröffentlicht am 11.10.2020

Humorvoller und liebenswürdiger Auftakt

The Brooklyn Years - Was von uns bleibt
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The Brooklyn Years - Was von uns bleibt ist der Auftakt einer neuen Reihe aus der Feder von New Adult-Queen Sarina Bowen. Es ist die Geschichte von Leo Trevy, der neu ins Team der Brooklyn Bruisers kommt ...

The Brooklyn Years - Was von uns bleibt ist der Auftakt einer neuen Reihe aus der Feder von New Adult-Queen Sarina Bowen. Es ist die Geschichte von Leo Trevy, der neu ins Team der Brooklyn Bruisers kommt - und mit ihm eine Menge Erinnerungen und Gefühlsstürme. Vor Jahren war er mit Georgia Worthington, die nun als Pressesprecherin bei eben diesem Verein arbeitet, auf der High School ein Paar, und er hat sie all die Jahre nicht vergessen. Doch nicht nur das Wiedertreffen mit seiner alten Liebe bereitet ihm Schwierigkeiten: Auch der neue Coach des Teams, Georgias Vater, hat es auf ihn abgesehen, nachdem er seiner Tochter vor Jahren das Herz gebrochen zu haben scheint.

Mit wunderbar humorvollem und empathischem Schreibstil überzeugt Sarina Bowen ein weiteres Mal. Sie hat mit Georgia und Leo zwei wunderbare Protagonisten geschaffen, die zugleich tollpatschig, aber unglaublich liebenswert sind, und einem einfach ans Herz gehen. Sie beide haben eine bewegte gemeinsame Vergangenheit, die im Laufe der Geschichte immer weiter aufgeklärt wird und erschüttert und bestürzt - sowohl, was den Vorfall selbst angeht als auch, wie Georgia ihn verarbeitet.

Ich hatte eine wunderbare Zeit mit den beiden, habe mich gefreut, das Team kennenzulernen und auch auf bekannte Gesichter aus anderen Büchern der Autorin zu treffen, und doch merke ich, dass ich dem Genre langsam entwachse. Manche Handlungen sind sehr überspitzt dargestellt, überhastet, nicht realistisch. Keinesfalls kann dies der Autorin negativ angekreidet werden, sollen diese Romane doch zum Wohlfühlen und Wegträumen einladen.

Danke für diese schöne Leserunde und lasst den Puck los, die Spiele beginnen!

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