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Veröffentlicht am 28.01.2019

Über einen schrulligen Psychiater, der wieder Freude am Leben empfindet

Agathe
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Ein Psychiater, der die Tage bis zu seinem Ruhestand zählt: Anne Cathrine Bomann hat sich für ihr Büchlein „Agathe“ einen schrulligen 71-jährigen Mann ausgesucht, den man mindestens als weltfremd bezeichnen ...

Ein Psychiater, der die Tage bis zu seinem Ruhestand zählt: Anne Cathrine Bomann hat sich für ihr Büchlein „Agathe“ einen schrulligen 71-jährigen Mann ausgesucht, den man mindestens als weltfremd bezeichnen kann. Denn er zählt zwar die Patientengespräche, die er noch führen muss, rückwärts, hat allerdings so gar keinen Plan davon, was er in seinem Ruhestand eigentlich machen will.

Doch als er eine neue Patientin bekommt, Agathe, beginnt er über sein Leben nachzudenken und macht Agathe – ohne dass diese dies weiß – zu seiner Muse, die ihm dabei hilft, seine alltägliche Routine zu durchbrechen. Auch seine eigenen Angstzustände werden schließlich zum Thema.

Anne Cathrine Bomann erzählt dies alles in kleinen, nur wenige Seiten umfassenden Kapiteln. Ein vollständiges Bild, eine weit ausgeführte Handlung ergibt sich daraus nicht. Es sind vielmehr kleine Mosaiksteinchen, die man selbst legen und selbst ergänzen muss.

Mich hat das Buch etwas zwiegespalten zurückgelassen. Sprachlich fand ich es schön erzählt, wunderschöne poetische Sätze sind immer wieder eingefügt. Manche Sätze wirken vielleicht ein wenig zu sehr wie Sätze aus der Ratgeberliteratur, aber nichtsdestotrotz ist der Roman leichtfüßig erzählt und das Erzählte immer wieder in schönen sprachlichen Bildern verdichtet. „Die Schwerkraft zog meine Mundwinkel zu Boden“, heißt es etwa an einer Stelle. Oder, bei einem unangekündigten Besuch über das Überreichen des Blumenstraußes: „sie nahm den Strauß entgegen, und anscheinend half er ihr, sich daran zu erinnern, wie man ein Mensch war“.

Der leicht ironische Ton, die überraschenden Pointen und Wendungen gehören zu den Stärken des Buches. Die Handlung fand ich als nicht ausführlich genug. Auch sind einige Szenen nicht überzeugend, da sie überzogen zugespitzt sind. So soll der 72-Jährige, der im Haus seiner Eltern lebt, noch nie etwas weggeworfen haben, sondern alles so belassen haben. Auch dass jemand mit fast 72 Jahren die Welt zum ersten Mal so richtig erlebt, war für mich zu viel des Guten. Mir hätte es gereicht, wenn er der schrullige Psychiater geblieben wäre, der er am Anfang des Buches ist. Die Autorin hat allerdings daran Spaß gefunden, immer wieder noch eine Schippe draufzulegen, bis aus dem schrulligen alten Mann ein grotesk wirkender Mann wird. Schade.

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Veröffentlicht am 16.01.2019

Keine leichte Kost

Der Consolidator
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Mit „Der Consolidator“ hat Daniel Defoe eine Satire geschrieben, die heute weithin unbekannt ist. Der Verlag die „Andere Bibliothek“ hat dieses Werk nun aus der Versenkung geholt und mit umfangreichen ...

Mit „Der Consolidator“ hat Daniel Defoe eine Satire geschrieben, die heute weithin unbekannt ist. Der Verlag die „Andere Bibliothek“ hat dieses Werk nun aus der Versenkung geholt und mit umfangreichen Anmerkungen veröffentlicht.

Der Roman, der 1705 veröffentlicht wurde, ist allerdings keine leichte Kost. Defoe hat eine Satire auf das England seiner Zeit geschrieben, die mit zahlreichen Anspielungen auf historische Personen und Ereignisse gespickt ist.

Es beginnt bereits damit, dass für den Bau der Mondmaschine, dem „Consolidator“, 513 Federn aus allen Teilen des Landes notwendig sind, eine Anspielung auf die Anzahl der Sitze im House of Commons. Auf satte 322 Anmerkungen bringt es der Band bei rund 230 Seiten Text.

Während man anfangs der Handlung noch etwas abgewinnen kann, ohne alle Anspielungen verstanden zu haben, vergällt es einem dann doch nach und nach die Lust beim Lesen.

Der Hochgesang auf das Land China, von dem aus Mondreisen möglich sind, ist anfangs sehr unterhaltsam. Auch manch Idee hat Münchhausen-Format. Wenn der Ich-Erzähler etwa mit dem Mann im Mond darüber diskutiert, wer von beiden nun vom Mond kommt. Aber außer einer Hand voll weiterer Ideen wie etwa der Erfindung eines ganz speziellen Teleskops gibt es nichts, was die Handlung weiter vorantreibt, das ohne intensivere Entschlüsselung zu verstehen ist. Auf der Folie Chinas und der lunaren Welt wird die Geschichte Großbritanniens bis zur Aufklärung kritisch gespiegelt und das Hintergrundwissen dazu ist zum Verständnis des Buches vonnöten.

So ist Daniel Defoes „Der Consolidator“ durchaus ein interessantes Werk der Aufklärung, es ist aber nur sehr, sehr bedingt unterhaltsam.

Veröffentlicht am 31.12.2018

Rumänien aus Vicas Sicht...

Verlorener Morgen
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Gabriela Adameşteanu hat mit „Verlorener Morgen“ ein Werk geschaffen, das man ohne Hemmungen als große Literatur bezeichnen kann. 1983 wurde der Roman in Rumänien veröffentlicht, in diesem Jahr ist er ...

Gabriela Adameşteanu hat mit „Verlorener Morgen“ ein Werk geschaffen, das man ohne Hemmungen als große Literatur bezeichnen kann. 1983 wurde der Roman in Rumänien veröffentlicht, in diesem Jahr ist er nun auf Deutsch erschienen.

Vica Delcă ist die knorrige Hauptfigur dieses Romans. Während ihr Mann kaum noch das Bett verlässt, fällt der circa 70-jährigen Ehefrau daheim die Decke auf den Kopf. Also fährt sie spontan mit der Straßenbahn – natürlich zweiter Klasse, alles andere wäre Geldverschwendung – nach Bukarest hinein. Von diesem einen Tag handelt der ganze Roman.

Während Vica Delcă nun durch Bukarest fährt und ihre Schwägerin wie auch ihre frühere Arbeitgeberin zunächst gar nicht antrifft, breitet sie in einem inneren Monolog die Geschichte der beiden Frauen und nebenbei auch ihre eigene aus. Großbürgertum trifft hier auf Kleinbürgertum, Neid und Bewunderung auf Gesellschaftskritik. Vica Delcă spiegelt so die Sozialgeschichte einer Generation in Rumänien. Veränderungen, die der Kommunismus gebracht oder auch nicht gebracht hat, das Absetzen ins Ausland und die damit verbundene Enteignung, und dazwischen ist Vica Delcă, die in ihrem kleinen Laden immer irgendetwas zum Handeln hatte.

Ihr Mund sitzt nicht am falschen Fleck, so viel hat sie zu erzählen, dass Wiederholungen nicht ausbleiben. Das gehört auch zum Knorrigen der Hauptfigur. Auf manches kommt sie immer wieder zurück, meist mit anderen Gedankenpirouetten. Hinzu kommt eine Vielzahl an Rückblenden, das Ausmalen der Begegnung bereits auf der Fahrt oder beim Warten. Hinzu kommen jede Menge Urteile über die Mitmenschen, die allzu oft nicht allzu nett sind.

Mit ihrer schnoddrigen Sprache muss man Vica Delcă einfach liebgewinnen. Sie will niemandem etwas Böses, auch wenn sie in ihrem Urteil sehr direkt sein kann. Sie will von niemandem abhängig sein, auch wenn sie kleine Geschenke gern annimmt. Sie ist stolz auf das, was sie in ihrem Leben erreicht hat, auch wenn das heißt, stolz darauf zu sein, mit wenig Geld über die Runden zu kommen.

Geschickt springt die Handlung mit dem Betrachten eines alten Fotos in die Zeit von 1914/16, man springt in die Kindheit der Lehrerin Ivana. So nimmt der Roman auch die nicht ganz so junge Geschichte Rumäniens mit dem ersten Weltkrieg in den Blick.

Veröffentlicht am 25.12.2018

18 Geschichten über das Prügeln...

Sich Prügeln
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Wie kommt es, dass Menschen sich prügeln?
Houssam Hamade hat in seinem Buch „Sich Prügeln“ 18 Geschichten gesammelt, die den Umgang mit Gewalt nähern beleuchten.
Es sind ganz unterschiedliche Menschen, ...

Wie kommt es, dass Menschen sich prügeln?
Houssam Hamade hat in seinem Buch „Sich Prügeln“ 18 Geschichten gesammelt, die den Umgang mit Gewalt nähern beleuchten.
Es sind ganz unterschiedliche Menschen, die hier zu Wort kommen. Bei den einen gehört Gewalt zum Leben dazu, bei den anderen ist es eine einmalige Erfahrung, eher impulsiv. Dann gibt es die, die sich nichts gefallen lassen. Wie auch die, die eigentlich gar nicht zuschlagen wollten. Die, die bereuen genauso wie die, die nichts bereuen.

Liest man diese Geschichten, um mehr über den Mechanismus von Gewalt oder über die Ursachen von Gewalt zu erfahren, so wird man vielleicht zunächst enttäuscht. Wie soziologische Feldforschung stehen die Geschichten nebeneinander, immer wieder vermischt mit kurzen Ausführungen zu Prügeltechniken.
So regen die Geschichten an, sich zu fragen: Wozu dient Gewalt? Wäre sie vermeidbar gewesen? Wenn ja, wie hätte man sich anders verhalten können? Oder kann man sie womöglich als berechtigt ansehen? Ist es Aggressionsabbau? Angelerntes Mittel der Auseinandersetzung?
Damit ist „Sich prügeln“ eine Anregung, sich selbst mit der eigenen Position zu Gewaltanwendung zu beschäftigen.
Der Autor selbst vermeidet dabei eine Positionierung, es gibt keinen erhobenen Zeigefinger.

Veröffentlicht am 08.12.2018

Sammlung von interessanten Kurztexten Friedrich Lufts

Über die Berliner Luft
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Friedrich Luft ist ein Feuilletonist der alten Schule. Präzise müssen die Texte sitzen. Kein Geschnörkel. Kein Gelaber. Ein einziger Gedanke, der zu Ende geführt wird. Die Texte des Berliner Autors Friedrich ...

Friedrich Luft ist ein Feuilletonist der alten Schule. Präzise müssen die Texte sitzen. Kein Geschnörkel. Kein Gelaber. Ein einziger Gedanke, der zu Ende geführt wird. Die Texte des Berliner Autors Friedrich Luft sind nun in dem Band „Über die Berliner Luft“ gesammelt veröffentlicht.

Friedrich Luft schreibt Texte, die einen mit ihrer zielgenauen Sprache in den Bann ziehen. Luft nutzt die kleine Form – selten hat ein Text von ihm mehr als zwei Seiten. Kein Wunder, denn lange Jahre war das Radio die Heimat von Lufts kreativem Schaffen.

Meist ist es Alltägliches, das Luft aufgreift und betrachtet oder manchmal auch in abstraktere Überlegungen münden lässt. Manchmal ist es einfach nur ein Gedanke, den er ausführt. Zum Beispiel, dass er nur an den Zweifel glaube. Irgendwann landet er dann bei der Frage, wie Zweifel und Glück vereinbar sind, spricht über die Neugier und endet bei den wunderbaren, überraschenden Augenblicken des Glücks.

Nur selten gelingt es Luft nicht, klar und präzise zu schreiben. Wenn er etwa über den Tod Marilyn Monroes sinniert, wirkt es grausig moralinsauer. Aber das ist die absolute Ausnahme. Lufts Texte kommen leichtfüßig daher und haben doch etwas zu sagen. Viele von ihnen könnte man auch heute problemlos in Zeitungen abdrucken, ohne dass sie an Aktualität verloren hätten. Andere, vor allem der 40er und 50er Jahre, sind ein beredtes Zeugnis der Vergangenheit und schildern eindrücklich Zerstörung und Not der Nachkriegsjahre. Diese Texte wirken dicht und intensiv. Daher wirkt es fast enttäuschend, wenn Luft plötzlich die fiktive Figur des Urbanus ins Spiel bringt, zusammen mit einer Frau namens Ella. Ein wenig geht da die Intensität der Texte verloren.

Als wirklich störend empfand ich aber bei der Sammlung, dass die Texte nicht durchgehend chronologisch sortiert sind, sondern nach Themen bzw. Art der Veröffentlichung. So rutscht man beim Lesen plötzlich in die Nachkriegsjahre, die man eigentlich schon hinter sich glaubte. Zumindest die Texte, die sich direkt mit der Nachkriegszeit beschäftigen, hätten zusammengehört.

Das Nachwort von Wilfried F. Schoeller bietet einen guten Überblick über das Leben Lufts. Wie bei manch anderen Werken aus der „Anderen Bibliothek“ wirkt auch hier das Nachwort auf mich etwas zu abgehoben, etwa wenn nach Schoeller die Texte Lufts „einen geistigen Raum bilden, in dem die Gefühle und Stimmungen einander gleichsam berühren“. Solche Sätze findet man bei Friedrich Luft zum Glück nicht.