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Veröffentlicht am 14.02.2024

Ein Buch mit deutlichen Schwächen

Krummes Holz
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Eine düstere Atmosphäre herrscht in Julja Linhofs Debutroman "Krummes Holz".

Nach fast sechs Jahren kehrt Jirka zurück zu seinem Elternhaus, einem Hof in Westfalen. Mit 14 wurde er aufs Internat geschickt, ...

Eine düstere Atmosphäre herrscht in Julja Linhofs Debutroman "Krummes Holz".

Nach fast sechs Jahren kehrt Jirka zurück zu seinem Elternhaus, einem Hof in Westfalen. Mit 14 wurde er aufs Internat geschickt, mit 19 Jahren betritt er zum ersten Mal wieder das elterliche Anwesen. Aufgenommen wird er alles andere als freundlich. Es herrscht eine kühle, beklemmende Atmosphäre auf dem Hof. Bald wird klar, dass Jirka auf dem Hof Schlimmes erlebt haben muss.

Das impressionistisch wirkende Titelbild des Romans verweist auf den Schreibstil der Schriftstellerin. Es geht ihr um die inneren Gefühle, nicht um eine spannungsgeladene Handlung.

Das ist auch einer der Gründe, weshalb ich mit diesem Roman hadere. Es passiert einfach nichts. Es gibt gerade am Anfang sehr viele Andeutungen, aber sie bleiben vage, unklar - und das ändert sich bis zum Schluss des Buches auch kaum. So sorgen all die Anspielungen auf in der Vergangenheit Geschehenes eben gerade nicht für Spannung, sondern sind eher nervig und machen das Lesen etwas mühsam. Auch dass der Vater nicht anwesend ist und seine Abwesenheit auch gar nicht diskutiert wird, macht das Buch nicht spannender. Auch die Frage nach der Zukunft des Bauernhofs - Malene würde ihn übernehmen, das will aber Vater Georg nicht - ist kein Spannungsthema.

Auf der anderen Seite gefällt mir an dem Buch sehr, wie die Figuren charakterisiert sind. Sie sind nicht schwarz-weiß gemalt, sondern mehrdimensional. Vor allem Jirka, die Hauptperson, ist in sich zutiefst widersprüchlich, agiert ambivalent. Aber auch seine Schwester Malene und Leander, der bereits in Jirkas Jugend auf dem Hof ausgeholfen hat, sind äußerst kantig dargestellt. Aus meiner Sicht ein absolutes Qualitätsmerkmal für ein Buch.

Dass Jirka in seiner Jugend eine "Erschütterung" erlebt hat, wird nach und nach deutlich. Noch immer hat er Albträume davon. Allerdings rächt sich hier aus meiner Sicht die personale Erzählperspektive. Da alles aus der Sicht von Jirka beschrieben ist, wirkt die rückblickende Beschreibung des traumatischen Erlebnisses in ihrer bruchstückhaften Beschreibung gerade nicht so schrecklich, wie sie wohl war. Da sich Jirka nicht wirklich auf seine Vergangenheit einlassen kann, auf das, was zwischen ihm und einem Fremdarbeiter geschehen ist, kann auch deren Beschreibung nicht umfassend sein. Das ist umso bedauerlicher, da ein personaler Ich-Erzähler ja eigentlich den Blick in sein Inneres viel mehr öffnen könnte.

Gefallen wiederum hat mir, dass das Thema der Homosexualität sehr feinsinnig und vielschichtig angegangen ist. Neugier, Ekel, Anziehungskraft, Vertrauen, sich aufeinander einlassen, ein verspätetes Coming-out: all das spielt eine Rolle in Linhofs Roman. Dazu kommt, dass Jirka sich auch verstärkt mit seinen Zeichnungen auszudrücken versucht.

So gar nicht überzeugt hat mich der Schluss des Romans. Viel zu vieles bleibt offen, und der Umgang mit dem Vater ist nicht nachvollziehbar.

Sprachlich hat mich der Roman nicht ganz überzeugt. Einerseits gibt es vieles, was sehr anschaulich und ansprechend beschrieben ist. Aber es gibt doch einige sprachliche Bilder, die sehr überbordend sind, wenn Jirka etwa "in Leanders Körper einfallen" will oder wenn Jirka weint. Da weint er nicht einfach nur, sondern weint "trübweißes Wasser in den zerfasernden Spülschaum". Unverständlich wird es, wenn die Finger des Vaters sich aus dem Dickicht der Kindheit und Jugend "häkeln"  wie auch das zusammengewachsene Innere Jirkas mit einem offenen Spalt in der Mitte, durch den es pfeift und zieht.

Immerhin: am Ende des Romans beginnen Jirka, Malene und Leander tatsächlich miteinander zu reden, statt einen Eiertanz aufzuführen. Retten kann das die Schwächen des Buches aber nicht.

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Veröffentlicht am 26.10.2022

Anstrengende Frau, anstrengendes Buch

Euphorie
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Eine Frau voller Stimmungsschwankungen, die an ihrem Leben zerbricht: Elin Cullhed hat mit "Euphorie" einen Sylvia-Platz-Roman geschrieben, der vom Leser einiges abverlangt. 

Geprägt von Stimmungsschwankungen, ...

Eine Frau voller Stimmungsschwankungen, die an ihrem Leben zerbricht: Elin Cullhed hat mit "Euphorie" einen Sylvia-Platz-Roman geschrieben, der vom Leser einiges abverlangt. 

Geprägt von Stimmungsschwankungen, geplagt von Neid und Missgunst: So präsentiert Elin Cullhed ihre Protagonistin Sylvia Plath. Mit ihrem Mann, Ted Hughes, will sie sich auf dem Land einrichten, während sie auf ihr zweites Kind warten. Egoistisch und narzisstisch ist Sylvia Plath dargestellt. Alles dreht sich um sie, ihren Mann betrachtet sie wie ein Besitztum. Er soll nach ihrer Pfeife tanzen. 

Ihre instabile Seelenlage wird im Laufe des Buches rauf- und runtergeleiert, immer wieder aufs Neue präsentiert, sodass man von dieser Sylvia Plath als Leser ziemlich schnell die Schnauze voll hat. Und das, obwohl der ganze Roman aus ihrer Sicht erzählt wird. Schon nach den ersten Seiten weiß man als Leser, dass Sylvia, wenn sie einmal glücklich oder fröhlich zu sein scheint, nur wenige Zeilen braucht, bis sich ihre Stimmung wieder ins Gegenteil verkehrt. Leute, die sie zum Essen einlädt, findet sie kurz darauf unmöglich. Jede Freundlichkeit scheint sie bald wieder zu bedauern. Ted Hughes, ihr Mann, kann einem nur Leid tun - und das, obwohl er es ist, der sie und die Kinder schließlich Hals über Kopf verlässt. 

Schade ist, dass alles, was nur mit Sylvia selbst zu tun hat, wo niemand anderes involviert ist, im Roman kaum eine Rolle spielt. Die Geburt selbst: eine Nebensächlichkeit, das Schreiben: nur dann erwähnenswert, wenn sie nicht dazu kommt, weil sie sich um die Kinder kümmern muss. So ergießt sich das Buch in langen Strecken in Wiederholungen der immergleichen Verhaltensmuster, Elin Cullhed geht es um die Person Sylvia Plath, nicht um ihr Werk. 

Die Sylvia Plath dieses Romans ist - wie sie es wohl auch im wirklichen Leben war - eine anstrengende Frau, gut verpackt in einem anstrengenden Buch. Elin Cullhed hat mit "Euphorie" ein sprachlich eindrucksvolles Werk geschrieben. Freilich: ein Lesegenuss ist es nicht. 

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Veröffentlicht am 04.06.2022

Keine leichte Kost

Zum Paradies
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Zum Paradies? Nein, Hanya Yanagiharas Buch „Zum Paradies“ zeigt alles andere auf, nur nicht den Weg zum Paradies.

Drei Romane sind in „Zum Paradies“ vereint. Drei Romane, die im Abstand von 100 Jahren ...

Zum Paradies? Nein, Hanya Yanagiharas Buch „Zum Paradies“ zeigt alles andere auf, nur nicht den Weg zum Paradies.

Drei Romane sind in „Zum Paradies“ vereint. Drei Romane, die im Abstand von 100 Jahren spielen: 1893, 1993 und 2093. In allen drei Teilen geht es um Liebe, um zerbrechliche Beziehungen. Und alle drei Teile spielen in fiktiven Gesellschaften. Die Verknüpfungspunkte zwischen den drei Teilen sind eher zufällig, allerdings führen gleiche Namen und Rückbezüge auf geschichtliche Entwicklungen eher zur Irritation beim Leser.

Da ist zunächst das Jahr 1893: New York gehört zu den Gebieten, in denen liberale Freiheitsrechte gelten. Der Sohn eines Bankiers quält sich mit dem Gedanken an einen Ehemann, steht zwischen Verpflichtung und Leidenschaft, zwischen dem vom Vater ausgesuchten Heiratskandidat und einem wenig durchschaubaren Musiklehrer.

Im Jahr 1993 wiederum zieht sich ein junger Hawaiianer in die Einöde zurück – sein Liebesglück allerdings bricht immer mehr auseinander. Die andere Erzählebene thematisiert die AIDS-Epidemie, den Umfang mit Kulturgütern Hawaiis.

2093 dann beherrschen Epidemien die Gesellschaft. Der Einzelne muss sich in einer dystopischen Welt beweisen. Yanagihara beschreibt eine Welt, die trostlos, instabil und ohne echte Liebe ist. Erschüttert ist diese Welt von Epidemien, die in regelmäßigen Abständen das Leben auf der Erde immer schwieriger machten. Die Maßnahmen der Staatsmacht sind dabei schwer zu durchschauen, der Staat lässt sich aber als zutiefst autoritär beschreiben.
Es ist müßig, nach den Parallelen der drei Teile zu suchen. Natürlich gibt es Ähnlichkeiten, Anknüpfungspunkte, gleiche Grundkonflikte, gleichermaßen Verletzlichkeiten und Sehnsüchte. Die Bezüge zwischen den Teilen entspringen aber eher einer Spielerei der Autorin, als dass sie sinnstiftend wären.Den drei Romanen fehlt hingegen eine erzählerische Verspieltheit.
Der Leser muss sich durch lange Beschreibungen, quälend lange Entscheidungsprozesse und ellenlange, eingefügte Briefe kämpfen. „Zum Paradies“ ist alles andere als leichte Kost.

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Veröffentlicht am 11.12.2021

Vorsichtige Annäherung

Die Enkelin
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Bernhard Schlinks neuer Roman "Die Enkelin" ist so einiges: ein Roman über einen Verlust, über eine verlorene und wiedergefundene Tochter, eine Ost-West-Geschichte, ein Road-Movie, ein Buch über Nazis ...

Bernhard Schlinks neuer Roman "Die Enkelin" ist so einiges: ein Roman über einen Verlust, über eine verlorene und wiedergefundene Tochter, eine Ost-West-Geschichte, ein Road-Movie, ein Buch über Nazis im Osten und nicht zuletzt über eine verlorene Liebe. 

So richtig ist "Die Enkelin" aber nichts von alledem. Der Verlust der Ehefrau spielt bald schon eine äußerst untergeordnete Rolle, die Suche nach der unbekannten Tochter erweist sich keineswegs als Road-Movie, sie ist einfacher als gedacht. Die Ost-West-Thematik spielt nur anfangs eine Rolle, wenn das Kennenlernen von Kaspar und Birgit erzählt wird und später dann Birgits Flucht aus der DDR. 

Dass Kaspar, die Hauptfigur des Romans, tatsächlich in seinen jungen Jahren so voller Elan und Wagemut war, dass er die Flucht seiner Freundin aus der DDR organisierte: man glaubt es kaum, wenn man den staubtrockenen, nüchternen und langweiligen Buchhändler Kaspar kennenlernt. Nach dem Tod seiner Frau findet er heraus, dass sie ein Kind in der DDR zurückgelassen hat. Bald schon findet er seine Stieftochter und seine Enkeltochter. 

Mit letzterer, Sigrun, baut er eine Verbindung auf, auch mithilfe von taktischem Geschick und finanziellen Verlockungen, denen ihre Eltern nicht widerstehen können. Dass Sigrun wie ihre Eltern im rechten Milieu Ostdeutschlands verankert ist, macht die Verbindung nicht einfach. Freilich: eine tragische Fallhöhe, wie man vielleicht erwarten könnte, entsteht nicht. 

Kaspar ist einer, der Überzeugungen hat. Aber er will sie niemandem aufzwängen, auch scheint er es nicht gewohnt zu sein, zu widersprechen. Insgesamt ist dieser Roman überraschend gefühlskühl erzählt, ja fast schon gefühlskalt. Nur wenige Szenen prägen sich ein, wie etwa wenn Kaspar nach der ersten Begegnung mit Sigrun und ihren Eltern völlig erschöpft im Auto übernachtet. 

Der Erzähler gönnt seiner Figur keine großen Gefühle. Kein Entsetzen, keine Enttäuschung, allenfalls einmal ein paar Tränen. Auch Sigrun, die (anfangs) 14-jährige Enkeltochter, ist die Selbstbeherrschung in Person. Ihr Abgleiten in die radikalere rechte Szene: man nimmt es ihr nicht ab.

"Die Enkelin" bleibt ein leises Buch, das immer neue Kreise um die Großvater-Enkel-Beziehung zieht. So sehr diese vorsichtige Annäherung der beiden aneinander ihren Reiz hat: mich hat Bernhard Schlink mit "Die Enkelin" nicht in seinen Bann ziehen können. 

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Veröffentlicht am 22.09.2021

Unzuverlässiger Erzähler

Das Archiv der Gefühle
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„Mein ganzes Leben kommt mir plötzlich elend vor, es scheint mir, als hätte ich gar nie wirklich gelebt, als hätte ich immer nur anderen beim Leben zugeschaut“ – das sagt die Hauptfigur in Peter Stamms ...

„Mein ganzes Leben kommt mir plötzlich elend vor, es scheint mir, als hätte ich gar nie wirklich gelebt, als hätte ich immer nur anderen beim Leben zugeschaut“ – das sagt die Hauptfigur in Peter Stamms neuem Roman „Das Archiv der Gefühle„.

Der namenlose Ich-Erzähler ist von Beruf Archivar. Er will in der Welt Ordnung schaffen. Als er entlassen wird, nimmt er das Zeitungsarchiv, in dem er gearbeitet hat, mit. In seinem Keller arbeitet er nun weiter, archiviert was in der Welt geschieht. Das Archiv als Abbild der Welt, als „eine Welt für sich“ gibt dem Ich-Erzähler Halt und hält ihn zugleich davon ab, sich in die Welt zu begeben.

Immer öfter stellt sich der Erzähler vor, seine alte Klassenkameradin Franziska zu sehen, er imaginiert sie immer häufiger, spricht mit ihr als sei sie anwesend, schließlich verliert seine Welt der Ordnung an Gewicht. Es dauert, bis sich der Archivar überwinden kann, Kontakt zu Franziska, die inzwischen eine erfolgreiche Sängerin ist, aufzunehmen. Es entwickelt sich zu einem Eiertanz sondergleichen, da der Erzähler immer wieder imaginiert, eine Beziehung mit Franziska zu führen, Angst davor hat, dass die Realität anders als seine Träume ist.

Der Protagonist erweist sich dabei als unzuverlässiger Erzähler, man traut ihm nicht mehr über den Weg: Ist es denn wirklich so, dass der Kontakt mit Franziska stattgefunden hat? Oder ist auch das nur eine weitere Fiktion bzw. Vision? Das Opfer ist in Wahrheit der Täter, heißt es an einer Stelle des Buches. Das muss hellhörig machen in Blick darauf, was man dem Erzähler alles zutrauen muss. Fast schon Schadenfreude empfindet man als Leser, wenn der Erzähler sich schließlich jammernd darüber beschwert, dass er es nicht mag, wenn andere Leute über ihn nachdenken.

„Das Archiv der Gefühle“ bietet dem Leser viele Anlässe, über die Hauptfigur und ihre Welt nachzudenken. Das ist nicht das Schlechteste. Nicht überzeugt hat mich dabei, wie sehr sich der Erzähler vor der Kontaktaufnahme mit Franziska hineinsteigert, ebenso empfand ich die Bibelbezüge (Franziska: Ich bin die ich bin) als äußerst platt.

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