Profilbild von frenx

frenx

Lesejury Star
offline

frenx ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit frenx über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.01.2023

Untiefen menschlicher Beziehungen

Schau mich an, wenn ich mit dir rede!
0

Monika Helfer stürzt sich mit ihrem Buch "Schau mich an, wenn ich mit dir rede!" in die Untiefen menschlicher Beziehungen - genauer gesagt: sie seziert die Abhängigkeiten in einer Beziehung. 

Entsprechend ...

Monika Helfer stürzt sich mit ihrem Buch "Schau mich an, wenn ich mit dir rede!" in die Untiefen menschlicher Beziehungen - genauer gesagt: sie seziert die Abhängigkeiten in einer Beziehung. 

Entsprechend beginnt das Buch. Eine junge Frau namens Sonja sitzt mit ihrer Tochter in der U-Bahn - die Mitfahrer erfahren bald, dass die Tochter ein Scheidungskind ist und eine "blöde" neue Mutter hat. Diese Präsentation der Peinlichkeit bleibt nicht die einzige in dem Buch. 

Monika Helfer legt es in ihrem Buch darauf an, den Leser immer wieder zum Voyeur zu machen, der peinlich berührt zuschaut, was da alles passiert. Und es passiert eine Menge. Sonja findet einen neuen Freund, den "Dude" - und "The Dude" nimmt ihr Leben fortan in die Hand, Sonja wird zur Hausfrau - eine Rolle, in der sie so gar nicht aufgeht. Sonja kämpft zum ersten Mal in ihrem Leben mit andauernder Langeweile. 

Monika Helfer gelingt es in ihrem Buch, Abhängigkeiten aufzuzeigen, ohne mit dem Finger zu zeigen. Jeder meint es irgendwie ehrlich - und irgendwie auch nicht. Und jeder hat irgendwie auch seine eigene Macke - auch "The Dude", der die Menschen zu nichts überreden will, und einen grotesk-komischen Brief an Sonjas Ex-Mann schreibt, in dem er letztlich nichts anderes will, als Sonjas Tochter zu sich und Sonja zu holen. Wie er ausholt, bis er endlich zu diesem Vorschlag kommt, gehört zu dem Schrägsten, was das Buch zu bieten hat. "The Dude" ist sich nicht einmal zu schade, darauf hinzuweisen, dass der Abwasch nicht selbst erledigt werden muss. Und eine Limousine will er auch schicken. Wenn schon, denn schon... 

Etwas zu überzeichnet ist Sonja dann aber doch. Die hilflose Frau, die sich völlig von einem Mann abhängig macht - es ist ein bisschen "too much", was Monika Helfer da aufträgt. 

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 22.01.2023

Wo bist du zuhause?

Der kleine Buddha auf der Reise nach Hause
0

Claus Mikosch schickt den kleinen Buddha auf seine fünfte Reise: „Der kleine Buddha auf der Reise nach Hause„. Die Frage, die den kleinen Buddha unterwegs beschäftigt ist die Frage nach Heimat, nach dem ...

Claus Mikosch schickt den kleinen Buddha auf seine fünfte Reise: „Der kleine Buddha auf der Reise nach Hause„. Die Frage, die den kleinen Buddha unterwegs beschäftigt ist die Frage nach Heimat, nach dem Ort, an dem man sich zuhause fühlt.

Auf seiner Reise begegnet der Buddha ganz unterschiedlichen Personen, die ihm ihre ganz eigenen Antworten geben auf das, was für sie „Zuhause“ ist. Die einzelnen Kapitel sind sehr kurz und geben immer eine kleine Weisheit mit. Allerdings: an ähnliche Bücher wie „Der kleine Prinz“ oder Francois Lelords Reihe über den Psychiater Hector reicht „Der kleine Buddha“ nicht heran. Dafür sind die Weisheiten, die der kleine Buddha erfährt, doch etwas zu klein. Schöne Ideen sind aber dabei, etwa dass man in seiner Kreativität zuhause sein kann.

Somit ist „Der kleine Buddha auf der Reise nach Hause“ ein Büchlein, das man zwischendurch immer mal wieder zur Hand nehmen kann. Allzu Tiefgründiges darf man dabei allerdings nicht erwarten, auch sind die beschriebenen Reise-Begegnungen zumeist eher kurz beschrieben. Erst am Schluss, als der kleine Buddha eine Schriftstellerin, die einsam auf einer Insel lebt, trifft, kommt das Büchlein etwas mehr ins Erzählen.

Die Bücher der Reihe lassen sich gut unabhängig voneinander lesen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 02.01.2023

Die 1-Million-Dollar-Frage und der Professor

Kraft
0

Richard Kraft braucht eine Million, um sich aus seiner unglücklichen Ehe herauszukaufen. In Jonas Lüschers Roman „Kraft“ macht er sich deshalb daran, an einem Wettbewerb teilzunehmen. Preisgeld: 1 Million ...

Richard Kraft braucht eine Million, um sich aus seiner unglücklichen Ehe herauszukaufen. In Jonas Lüschers Roman „Kraft“ macht er sich deshalb daran, an einem Wettbewerb teilzunehmen. Preisgeld: 1 Million Dollar. Preisfrage: Warum ist alles, was ist, gut und wie können wir es dennoch verbessern?

Kraft, Professor für Rhetorik in Tübingen, braucht das Geld, da er sich scheiden lassen will und bereits Unterhaltszahlungen aus seiner ersten Ehe leistet. Novellenartig erzählt Jonas Lüscher, wie sich der Akademiker über mehrere Wochen mit der Preisfrage beschäftigt. Vielerlei Rückblenden geben dem Ganzen einen biographischen Touch.

Die Welt ist gut? Kraft hat seine Probleme mit dieser einseitigen, naiven Sicht auf die Welt. Sieht er sich doch nach Archilochos eher als den cleveren Fuchs, der alles durchschaut und kritisch hinterfragt – selbst sieht er sich als Konservativen. Ein Igel aber hat nicht den Überblick über alles, ist sich selbst genug. Und muss man nicht ein Igel sein, um zu glauben, dass alles Vorhandene gut ist?

Der Akademiker sammelt schließlich Zitat um Zitat, beschäftigt nicht mit Theodizee und Technodizee, entwirft eine Argumentationsskizze, um sie schließlich wieder zu verwerfen. Nebenbei will er noch seine alte zerbrochene Studienfreundschaft wieder kitten. Und doch spürt Kraft nach einem Gespräch mit dem Sponsor des Preisgeldes, dass das Silicon Valley nicht so tickt wie er glaubt.

Vielleicht ist gerade deshalb auch der Schluss des Buches so wie er ist. Ich muss zugeben: mich hat er so gar nicht überzeugt. Nichts davon wird im Vorfeld angedeutet. Die Begeisterung für dieses Buch, die in vielen Rezensionen der großen Zeitungen zu finden ist, kann ich nicht so ganz verstehen und auch nicht teilen. Vielleicht gibt es ja in Deutschland einfach zu wenige Gesellschaftsromane, sodass man die wenigen feiern muss.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 31.12.2022

Begegnungen in Israel

Auf Jesu Spuren
0

Ein Pilger in Israel: Nils Straatmann wandert durch Israel. Darüber schreibt er ein Buch. Das ist an manchen Stellen recht interessant, an anderen so gar nicht.

Bereits der Titel des Buches „Auf Jesu ...

Ein Pilger in Israel: Nils Straatmann wandert durch Israel. Darüber schreibt er ein Buch. Das ist an manchen Stellen recht interessant, an anderen so gar nicht.

Bereits der Titel des Buches „Auf Jesu Spuren“ ist etwas missverständlich, denn Nils Straatmann ist kein klassischer Pilger, der die Via Dolorosa erleben möchte. Im Gegenteil, er ist ein aufgeklärter Christ, der etwa nicht daran glaubt, dass Jesus für seine Sünden gestorben ist, sondern vielmehr für seine Überzeugungen. Ebenso macht er sich Gedanken über die Qualität der historischen Quellen und eben auch über die Historizität biblischer Texte und scheitert bei dem Versuch, selbst über den See Genezareth zu laufen.

Daher macht sich Straatmann auch während seiner Wanderung Gedanken darüber, wo Jesus tatsächlich gewirkt hat. Nur dass er in Tiberias ausgerechnet das Gespräch mit einer Prostituierten führt, passt da nicht so ganz ins Bild. Der angehende Theologe weiß sicherlich, dass Maria Magdalena erst später angedichtet wurde, eine Prostituierte zu sein. Alles Schau also an dem Gespräch über Gott und die Welt.

Viel spannender und sehr lesenswert sind die zufälligen Begegnungen, die Straatmann schildert. Sei es mit Drusen, mit Palästinensern, Samaritern und – natürlich – Juden. Allerdings wirkt das Buch bei der Darstellung des israelisch-palästinensischen Konflikts doch recht holprig. Was aber auch der Komplexität des Konflikts geschuldet ist.

Wer Israel und seinen Konflikt kennenlernen will, dem sei eher Wolf Iros Buch „Nach Israel kommen“ empfohlen, das es auch recht preisgünstig bei der Bundeszentrale für politische Bildung gibt.

Für wen ist das Buch geschrieben? Für Pilger sicherlich nicht, der Titel sollte besser „Unterwegs in Israel“ heißen. Für Leute, die schon einmal in Israel waren? Ja, die Vielzahl an unterschiedlichen Begegnungen wird Erinnerungen wecken… Für Leute, die noch nie in Israel waren? Ja, das Buch macht neugierig auf das Land. Allerdings muss gesagt werden, dass es im Buch kaum Landschaftsbeschreibungen gibt. Zumeist werden nur die körperlichen Qualen etwa beim Besteigen eines Berges bei hohen Temperaturen beschrieben. Etwas zu wenig erfährt man auch von Straatmanns Reisekompagnon, als dass man sich über ihre Auseinandersetzungen wirklich amüsieren könnte.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.12.2022

Grandioser Roman

Das Floß der Medusa
0

Mit seinem Buch „Das Floß der Medusa“ gelingt es dem österreichischen Schriftsteller Franzobel, die Frage nach Wert und Beständigkeit der Zivilisation mit einem historischen Stoff zu kombinieren. Sein ...

Mit seinem Buch „Das Floß der Medusa“ gelingt es dem österreichischen Schriftsteller Franzobel, die Frage nach Wert und Beständigkeit der Zivilisation mit einem historischen Stoff zu kombinieren. Sein Sujet ist der Untergang der Medusa, ein Schiff, das 1816 auf dem Weg nach Afrika war und auf eine Sandbank lief.

Historisch ist an Franzobels Buch vieles – gerade auch die Tatsache, dass rund 150 Passagiere auf einem Floß ausgesetzt wurden, da es nicht genügend Rettungsboote gab. Und auch, dass nur 15 von ihnen noch lebten, als das Floß entdeckt wurde.

Dennoch: ein historischer Roman ist „Das Floß der Medusa“ nicht und er will es auch gar nicht sein. Zunächst einmal rollt Franzobel die Geschichte um Menschlichkeit, Zivilisation und Führungsversagen von hinten auf. Er beginnt damit, die Leben der Überlebenden zu schildern. Erst nach und nach kommt er auf die Katastrophe des Untergangs der Medusa zu sprechen. Schließlich erzählt Franzobel nicht nur nicht in chronologischer Reihenfolge, er setzt markante erzählerische Kontrapunkte, um dem bombastisch-grausigen Historiengemälde zu entgehen.

Was am Anfang des Romans noch als störend empfunden wird, ist der Sprung in die Perspektive der Gegenwart. Die historische Annährung entgleitet dem Lesenden, der vielmehr in den Zuschauerraum eines Theaters katapultiert wird. Sympathie und Empathie werden so nicht dem Leser abverlangt, sondern vielmehr das genaue Beobachten und Hinterfragen. Immer wieder baut Franzobel á la Brecht Unterbrechungen ein, indem die Perspektive der Gegenwart eingenommen wird, sodass man sich im historischen Stoff nicht verlieren kann.

Beim Betrachten und Beobachten von Schiffbruch, Rettung und dem Umgang mit der Schuld wird dem Leser recht viel abverlangt. Grausamkeiten wie auch der Kannibalismus auf dem Floß sind allzu detailreich dargestellt. Unweigerlich muss man zu dem Schluss kommen, dass der Mensch von Natur aus „böse“ ist, dass Thomas Hobbes hier zu uns spricht. Menschlichkeit lässt sich eben nicht mehr leben, wenn Menschen um ihr Überleben kämpfen. Doch verwundert es dennoch, wie schnell Menschlichkeit und Zivilisation auf dem Floß über Bord geworfen werden.

Zudem gelingt es Franzobel, mit nur wenigen Handstreichen seine Figuren so zu skizzieren, dass sie als Karikatur ihrer selbst auftreten: Der entscheidungsschwache oder besser: unfähige Kapitän, der sich von einem Betrüger übers Ohr hauen lässt. Die Opfer, die schließlich nicht einmal mit einer Abfindung des Staates rechnen dürfen – geschweige denn Anerkennung. Desillusioniert wird das verklärte Afrika genauso wie auch die Seefahrts-Idylle. Und nicht zuletzt der Glaube daran, dass Zivilisation nicht immer wieder neu erkämpft werden muss.

Mag der Roman an manchen Stellen zu ausufernd und zu grausam erzählen: „Das Floß der Medusa“ ist gerade in seiner Vielschichtigkeit ein grandioses Buch.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere