„Die Nachtbushelden“ ist ein Buch, was Zeit gebraucht hat, um mich von sich überzeugen zu können. Ich habe noch nie derart mit dem Anfang einer Geschichte, die ich doch eigentlich so gern lieben wollte, zu hadern gehabt, glaube ich. Meine Erwartungen in das Buch waren immens hoch und gerade deshalb war ich zunächst sehr ernüchtert, als nicht direkt der erhoffte Hype bei mir eingesetzt hat. Doch wie sagt man so schön, gut Ding will Weile haben.
Der Hauptgrund für meinen anfänglichen Begeisterungsdämpfer war nicht etwa der Schreibstil, der war tadellos. Locker, nicht zu konstruiert oder kompliziert und im lässigen, umgangssprachlichen Ton des Problemschülers und Ich-Erzählers Hector kommt die Geschichte daher, perfekt auf die Zielgruppe abgestimmt und für mich eine Wohltat zu lesen, da die Seiten nur so dahinflogen. Ich schätze es sehr, wenn Autoren es schaffen, dass ihre Bücher sich quasi von selbst lesen, ein großes Lob dafür.
Der Grund, weshalb ich zunächst befürchtete, die Erzählung und ich könnten keine Freunde werden, war jedoch ähnlich verheerend, wie ein verkorkster Schreibstil es gewesen wäre: Der Protagonist ist ein unsympathischer Problemfall, der seinesgleichen sucht. Im Klappentext war noch die Rede von einem „hoffnungslosen Fall“, der ein paar Streiche spielt, das klang in meinen Ohren nicht so dramatisch.
Doch man bekommt einen Mobber, einen gemeinen Dieb, Schläger, Lügner und Schikaneur, einen aus der ganz untersten Schublade. Nicht einfach nur jemanden, der zu dummen Scherzen aufgelegt ist, sondern eines dieser Kinder, deretwegen wir früher in der Schule immer die größten Ängste ausgestanden haben, wenn sie auch nur in unsere Richtung geschaut haben, eines dieser Kinder, die selbst vor dem Mobbing und der Respektlosigkeit an Erwachsenen keinen Halt machen.
Die ersten Kapitel haben schon gereicht, um mir eine Meinung von Hector zu bilden. Und mir gefiel dieses Bild von ihm ganz und gar nicht, entsprechend schwer hatte der Junge auch zu schuften, um mich doch noch im Laufe des Buches von ihm zu überzeugen.
Das Gute war, neben meiner Abneigung gegen Hector hat die Geschichte es dennoch geschafft, mich nicht nur lose bei der Stange zu halten, sondern ernsthaft zu fesseln, Protagonist hin oder her. Ich war fasziniert und begeistert davon, wie Obdachlose hier in das Geschehen eingebunden werden und was sie für eine tragende Rolle spielen, aber mindestens im gleichen Maße schockiert darüber, wie viel Unrecht ihnen getan wird und habe mitgefiebert, ob und wie sich das Blatt noch zu ihren Gunsten drehen könnte.
Es war für mich von Anfang an klar, dass Hector nicht der uneinsichtige, rücksichtslose und gemeine Junge bleiben wird, der er zunächst noch ist. Wenn dem so gewesen wäre, wäre das Buch eine herbe Enttäuschung gewesen. Doch so komme ich nicht umhin, die Figurenentwicklung in diesem Buch zu loben und mich über sie zu freuen. Hector mausert sich extrem doch es wirkt zu keinem Zeitpunkt unrealistisch oder zu schnell. Sein Charakterwandel zieht sich passend und nachvollziehbar durch das ganze Buch und hat mir am Ende sogar fast eine Träne abverlangt.
Das Buch hat eine klare Message: Helft! Schaut nicht tatenlos zu oder verschlimmert das Problem sogar. Obdachlose sind in den meisten Fällen Menschen wie du und ich, nur mit schlimmer Vergangenheit und berührendem Schicksal, die es genauso verdienen, respektvoll und menschlich behandelt zu werden. Klar, schwarze Schafe gibt es überall. Aber die gibt es auch unter denen, die ein Zuhause haben. Die meisten wollen einfach nur überleben und sind dennoch das Ziel täglicher Schikane.
Das darf und soll so nicht sein, darum gibt es nach der eigentlichen Geschichte noch ein Glossar mit Erläuterungen zu Obdachlosen allgemein, zu Organisationen, die helfen können, zu verwendeten Zeichen, die im Buch eine wichtige Rolle spielen und mit Anregungen und Arbeitsaufträgen für die Leser, die sich sowohl auf das Buch, als auch auf das „echte“ Leben beziehen. In meinen Augen stellt der Anhang einen enormen Mehrwert dar und ich habe mich sehr darüber gefreut, denn gerechnet hätte ich damit nicht. Eine fantastische Ergänzung von der Autorin!
Ich habe lange überlegt, wie ich das Buch bewerten soll. Hector hat mich nun mal am Anfang erheblich viel Beherrschung gekostet, das kann ich auch nicht ignorieren. Allerdings müsste ich lügen, würde ich sagen, ich fände seine Perspektive nicht auch spannend dargestellt.
Und was ich der Autorin uneingeschränkt zugute halten muss, ist nun mal, dass ich trotz Hector nie das Interesse an der eigentlichen Geschichte verloren habe, dass ich das Thema dennoch gern verfolgt habe. Ich habe mich im Schreibstil verloren und das Buch an wenigen (kurzen!) Abenden beenden können.
Mein Fazit:
Nach langem Überlegen vergebe ich für das Buch 4,5 von 5 Sternen. Wäre Hector von Anfang an weniger ätzend gewesen, hätte es volle Punktzahl gegeben. Und so gern ich für seinen Charakter mehr abziehen würde, verdient hätte er es, es geht einfach nicht, denn: Das Buch hat mich schlichtweg gefesselt und das Anliegen hinter der Story war berührend und tiefgründig. Ich habe am Ende genau das bekommen, was ich mir erhofft hatte, nämlich eine Geschichte, die ans Herz geht, eine Wandlung vom Nichtsnutz zum Helden, einen Appell an die Menschen, es besser zu machen.