Bahnfahren ist nur für Fortgeschrittene
„Grund dafür sind Verzögerungen im Betriebsablauf“ – Wie die Bahn uns alle irre machtFast jeder hat schon einmal erlebt, was alles schief gehen kann, wenn man für eine Reise, und sei sie noch so kurz, der Gnade der Deutschen Bahn ausgeliefert ist. Gerade Pendler, zu denen auch ich zähle, ...
Fast jeder hat schon einmal erlebt, was alles schief gehen kann, wenn man für eine Reise, und sei sie noch so kurz, der Gnade der Deutschen Bahn ausgeliefert ist. Gerade Pendler, zu denen auch ich zähle, können ein Lied davon singen, wie die Bahn sie täglich aufs Neue mit den absurdesten Vorfällen konfrontiert und die Fahrt zu einem Erlebnis macht, was man so schnell nicht wieder vergisst.. leider selten im positiven Sinne.
Als Pendler zwischen einer kleinen Stadt in Schleswig-Holstein und Hamburg habe ich täglich laut Fahrplan für eine Strecke rund 50 Minuten Fahrdauer einzuplanen, einmal morgens zur Uni hin, einmal nachmittags/abends zurück. Klingt soweit gar nicht dramatisch, wäre es nicht mittlerweile Standard, dass die Züge mit verringerter Wagenanzahl fahren müssen. Immer, ständig, egal welche Tageszeit man erwischt, es stehen grundsätzlich die Leute in den Gängen, sodass ich freiwillig auch mal eine Stunde auf den nächsten Zug warte, um mich vorher einen Sitzplatz zu sichern und mich zur Feierabendzeit nicht wie eine Sardine fühlen zu müssen. Kann eigentlich kein Zustand sein, denkt man sich. Geht aber noch viel schlimmer, denkt sich die Bahn.
In diesem kleinen aber feinen Büchlein wurden von der Herausgeberin die schrägsten und unglaublichsten Erfahrungsberichte von Reisenden gesammelt, bei deren Lektüre sich überzeugte Autofahrer wahrscheinlich lobend gegenseitig mit einem „Wir wissen halt, wie es richtig geht“ auf die Schulter klopfen würden und sich Normalsterblichen die Fußnägel hochrollen.
Von meiner Meinung nach Jammern auf hohem Niveau bis hin zu echten Schockern war alles dabei, aufgeteilt in verschiedene Kapitel mit einschlägigen Überschriften wie „It's hard to be a Pendler“ oder „Heiß und Eis – Die Sache mit dem Wetter“. Bei all den Beschwerden gibt es zu guter Letzt auch ein Kapitel mit erfreulichen Erfahrungen, die man leider viel zu selten macht und mir persönlich am meisten Lesespaß bereitet haben.
Beim Lesen dieses Buches, was ich selbstverständlich auf der Bahnfahrt getan habe, habe ich mich endlich mal gleichzeitig so richtig verstanden gefühlt und war auf der anderen Seite dankbar, dass ich „nur“ pendle und noch keine längere Bahnreise angetreten habe. Dem geübten Bahnfahrer begegnen einige bekannte Szenarien, wie zum Beispiel die unangenehmen Sitznachbarn jeglicher Art und das unkommentierte Stehenbleiben mitten auf der Strecke. Dinge, über die man nach einem Jahr Pendelei längst hinweg sieht, ja, die einem sogar kaum mehr erwähnenswert scheinen. Die richtigen Horror-Szenarien, wie zum Beispiel in einem geschlossenen Bahnhof zu stranden, fand ich da wesentlich interessanter und habe sie daher auch aufgesaugt wie ein Schwamm, während ich mich grinsend gefreut habe, dass mein eigenes Gefährt gerade mal lächerliche 10 Minuten Verspätung hatte.
Wer die Leiden der Fahrgäste so genau wie möglich nachvollziehen möchte, ist im Vorteil, wenn er gute Geografie-Kenntnisse besitzt, um Strecken und Entfernungen besser einschätzen zu können. Mir ist es öfter passiert, dass ich zwischen all den eigentlichen und tatsächlichen Abfahrtszeiten und -orten, mit denen man stellenweise bombardiert wird, den Überblick über das geschilderte Geschehen verloren habe, daher waren mir die kurzen und knappen Berichte meist lieber als die detaillierten über ganze Wochenendtrips, wobei erstere tatsächlich auch meist etwas humorvoller und selbstironischer ausgefallen sind als die langwierigen Leidensgeschichten.
Mein Fazit:
Sehr unterhaltsam, vor allem für Bahnfahrten empfehlenswert. Teilweise etwas verwirrend mit den gefühlt tausend Zeit- und Ortsangaben, dennoch ein lesenswertes Buch, bei dem jeder Bahnfahrer bestimmt mindestens eine Situation finden wird, in der er sich wiedererkennen kann.