Ich bin froh, dass dieses Buch nach 100 Seiten doch noch die Kurve gekriegt hat. Gerade dann, als ich es weglegen wollte, weil ich dachte, dass das mit uns beiden nichts mehr wird. Zu gestellt waren mir ...
Ich bin froh, dass dieses Buch nach 100 Seiten doch noch die Kurve gekriegt hat. Gerade dann, als ich es weglegen wollte, weil ich dachte, dass das mit uns beiden nichts mehr wird. Zu gestellt waren mir die Dialoge. Sie waren geschriebene Worte, klar, aber es hat mir die Authentizität dahinter gefehlt, der Eindruck, dass die Worte so auch gesprochen werden könnten. Dadurch konnte ich das Kribbeln zwischen den Charakteren nicht auch selbst fühlen. Meine Distanz zu ihnen war ungefähr so groß wie die Distanz zwischen den beiden. Es waren mir zu viele Gedankenmonologe der Ich-Erzählerin. Sie hat sich und ihr Verhalten immer und immer wieder erklärt und sich dabei nicht nur ständig wiederholt, sondern auch sehr ausschweifend im Kreis gedreht. Es war mir zu viel. Und genauso hat sich auch die Handlung auf den ersten 100 Seiten im Kreis gedreht. Der Alltag der Protagonistin - ihre Gespräche mit Davey - und das Ganze wieder von vorn. Dadurch lernt man als Leser beide Figuren zwar sehr umfassend kennen, aber die Handlung kam einfach nicht voran.
Bis plötzlich, von einer Seite auf die andere, dieser Twist geschehen ist, der alles verändert hat. Auf einmal konnte ich die Charaktere fühlen. Auf einmal konnte ich mit ihnen mitfühlen. Auf einmal ist tatsächlich etwas passiert, anstatt dass die Charaktere und mit ihnen auch ich als Leserin auf der Stelle getreten sind. Ich habe angefangen, mich für die Figuren, ihr Leben und ihr Schicksal zu interessieren. Und ich habe mitgefiebert. Denn die Autorin macht es ihren Figuren nicht leicht. Zum Glück! So wurde die Geschichte tatsächlich spannend, bewegend, berührend. Ich habe sie bis zum Ende endlich gerne lesen können. Und habe nach dem Lesen des Nachworts der Autorin ein Gefühl dafür bekommen, warum ich mit dem Twist in der Handlung einen besseren Zugang zur Geschichte und zu den Charakteren bekommen habe. Damit betrachte ich das ganze Buch noch einmal mit neuen Augen und bin froh, es nicht weggelegt zu haben. Eine Empfehlung also von mir - umso mehr, wenn ich schon die ersten 100 Seiten gefallen, und erst recht, wenn ihr euch damit ebenso schwertut wie ich. Es lohnt sich, durchzuhalten!
Ein Mann erlangt sein Bewusstsein wieder, er weiß weder, wer er ist, noch, wo er ist – so weit, so gut, das kennt man. Dann wird das Buch von Natasha Pulley zum Erlebnis einer völlig neuen Art Roman, die ...
Ein Mann erlangt sein Bewusstsein wieder, er weiß weder, wer er ist, noch, wo er ist – so weit, so gut, das kennt man. Dann wird das Buch von Natasha Pulley zum Erlebnis einer völlig neuen Art Roman, die so derzeit noch einzigartig ist. Nicht nur, dass der Protagonist Joe Tournier sich an nichts mehr erinnern kann, er gelangt darüber hinaus in eine Welt, die ihm einerseits völlig fremd, aber auch seltsam vertraut ist. Ein London, in dem die Franzosen herrschen, in dem die Briten eine Art Unterklasse bilden und gesellschaftlich in Gebaren und Sprache verpönt sind. Eine Welt, in der unsere Hauptfigur sich mit einer Postkarte in ihrer Tasche wiederfindet, die ein Hinweis zu sein scheint auf ein verlorenes Leben. Ein Leuchtturm im äußersten Westen Schottlands! Warum? Was hat der Satz zu bedeuten: Komm wieder, wenn du dich erinnerst? Wer ist M.?
Um dieses Rätsel zu lösen und die Suche nach sich selbst zu beginnen, muss sich unsere Hauptfigur in dieser Gesellschaft einen Platz erarbeiten, gegen Widerstände und Misstrauen der Besatzer. Um den Auftrag zu erhalten, den Leuchtturm zu warten. Was als beschwerliche Zugreise in das wilde Schottland und die unendlichen Wasser des Atlantik beginnt, wird schnell zu einer Reise ohne Wiederkehr. Joe wechselt die Zeit und gelangt in die Vergangenheit, in der noch nichts so ist, wie es dort ist, wo er herkam. In welche Zeit gehört Joe nun? Welche Zeit ist die richtige? All diese Fragen harren einer Antwort, die ihm niemand zu geben vermag. Oder doch? Joe lernt Geschwister kennen, eine freundliche Schwester und einen undurchsichtigen Bruder, zu dem er sich unweigerlich hingezogen fühlt. Joe kann sich trotz der Widrigkeiten des Eintritts in diese Welt nicht des Eindrucks erwehren, dass er hier fehl am Platze ist und seine Anwesenheit zu einer Katastrophe unermesslichen Leids und Ausmaßes führen kann. Denn Joe kennt die Zukunft. Er will instinktiv nicht, dass die Zukunft eintritt, weiß jedoch auch, dass jede Änderung, und sei sie noch so klein, zu einer Veränderung gerade dieser Zukunft führen wird. Fieberhaft überlegt unsere Hauptfigur, wie sie einerseits in dieser Welt voller Krieg und Leid überleben kann, andererseits jedoch nicht wider ihre Überzeugungen handelt. Mittels seiner technischen Fähigkeiten könnte er bahnbrechende Entwicklungen in Technik und Kriegsführung befeuern, die England zu einem Sieg über die drohende französische Invasion verhelfen könnte. Aber wenn er dies tut, gibt es dann überhaupt noch eine Zukunft, wie er sie kennt und deren Verbindungen er nicht aufgeben möchte?
Was am Leuchtturm begann, endet am Leuchtturm. Die Schwelle, die unsere Hauptfigur hierbei übertreten muss, ist nicht nur diejenige der Zeit, sondern auch die seines Selbst, seiner Überzeugungen und seiner Menschlichkeit.
Dieser Roman hat mich etwas ratlos zurückgelassen. Die Autorin schreibt sehr atmosphärisch und dicht, sie beschreibt die Figuren genau und teils drastisch. So lernt der Leser die Hauptpersonen in ihrer Verhaltensweise, aber auch in ihrer Gefühlswelt kennen. Das erleichtert das Verständnis der Geschichte, denn das Setting an sich ist keine klassische Zeitreise, wie man sie aus unzähligen Romanen kennt. Nein, es ist eher ein „Was wäre, wenn“- Roman, der die europäische Geschichte völlig neu erzählt und ins Gegenteil verkehrt, genau das annimmt, was sich über Jahrhunderte hinweg Monarchen, Strategen, Größenwahnsinnige und Politiker vorgestellt und erträumt haben, nämlich das die Macht Frankreichs nicht am Ärmelkanal endet, sondern das britische Weltreich, das auf einer vorgelagerten Insel des europäischen Festlands seinen Ursprung fand, unterwerfen konnte. Das Glimmen in den Augen solcher Theoretiker wird aus der Hand von Natasha Pulley doppelt Wirklichkeit, faszinierend und erschreckend zugleich. Die einstige Größe Frankreichs nicht mit Napoleon Bonaparte enden zu lassen, sondern in weitaus größerem Maßstab fortzuschreiben, die französische Kultur und Sprache als besatzend zu empfinden, macht nachdenklich, denn die Parallelen zur vorherrschenden Anglifizierung der Welt sind nicht weit.
Selbstverständlich haben immer die Sieger die Bedingungen des Friedens diktiert, aber eine derartige Umstrukturierung und Unterdrückung sämtlicher bestehender und bekannter Anhaltspunkte einer gesamten Kultur wie der britischen kommt dem Leser unweigerlich seltsam aktuell vor. Dennoch mutet der Roman nicht vordergründig politisch an, sondern vielmehr als hypothetischer Geschichtsabriss, sehr authentisch und spannend. Trotz einer gewissen Abneigung gegen die Darstellung der französischen Rolle fühlt sich das Buch stimmig an, was vornehmlich an den Figuren liegt, ohne deren Darstellung die Autorin diese Geschichte nicht hätte erzählen können. Diese Entwicklungen aus den Augen der Personen zu erfahren, die beide Welten gesehen haben, lässt den Leser tief eintauchen und am Ende mit der Frage zurückbleiben: „Ja, was wäre, wenn …?“
Fazit:
Ein Zeitreiseroman der besonderen Art – mit dem Leuchtturm als Sinnbild der Erkenntnis der eigenen Rolle in der Welt.
Endlich wieder mal ein Fantasyroman, der vollständig überzeugt.
Ich war begeistert von dem Weltenentwurf, den Charakteren und dem gewissen Etwas, das eine richtig gute Geschichte ausmacht. Besonders überzeugt ...
Endlich wieder mal ein Fantasyroman, der vollständig überzeugt.
Ich war begeistert von dem Weltenentwurf, den Charakteren und dem gewissen Etwas, das eine richtig gute Geschichte ausmacht. Besonders überzeugt hat mich der Magie-Ansatz. Das habe ich so noch nie gelesen. Umso erfrischender ist, dass der Leser sehr nah an das Geschehen herangeführt wird, und die angenehme und teilweise humoristische Erzählweise transportiert diese tolle Energie. Der Protagonist Kinsch hat eine schwierige Aufgabe zu bewältigen, die Hilfe auf dem langen Wege kommt unverhofft und umso mächtiger. Aber auch die Gegner scheinen übermenschlich und übermächtig. So kommt es zum großen Showdown des ersten Bandes, in dem Kinsch mit List, seinem persönlichen Glück und viel Mut das Geschick der Welt lenken muss und dabei eine große Verschwörung aufdeckt, die alles in Frage stellt, was der junge Mann für wahr und richtig hielt.
Fazit: Glück, Magie und Geschick verbinden sich zur Legende des Schwarzzüngigen Diebs – einfach klasse!
Hamburg auch bei Regen lieben zu können, ist meiner Meinung nach keine große Kunst. Denn diese Stadt strahlt für mich wie keine andere das Gefühl von Heimat, Zuhause, Schönheit und Natürlichkeit aus. Egal ...
Hamburg auch bei Regen lieben zu können, ist meiner Meinung nach keine große Kunst. Denn diese Stadt strahlt für mich wie keine andere das Gefühl von Heimat, Zuhause, Schönheit und Natürlichkeit aus. Egal bei welchem Wetter.
Doch was, wenn sich der Regen, oder sogar ein Gewitter, gar nicht im Außen abspielt, sondern im Inneren? Was, wenn Schuld, Scham und Angst einen Menschen so fest im Griff haben, dass es ihm schwerfällt, die Schönheit um ihn herum wahrzunehmen? Dann ist es vielleicht umso schwerer, sich selbst, andere oder eine Stadt zu lieben.
Anya Omah erzählt in "Regenglanz" nicht nur von der Stadt Hamburg, sondern auch von Menschen, die nicht nur mit dem Regen im Außen, sondern auch mit dem im Inneren klarkommen müssen. Und wollen. Es so sehr versuchen. Und doch immer wieder Rückschläge einstecken müssen. Dabei geht sie sehr liebevoll vor, sehr behutsam und achtsam. Mir war es vor allem in Bezug auf die Beziehung zwischen den Charakteren etwas zu leichte Kost. Ich hätte mir diesbezüglich mehr Tiefgang gewünscht. Die Protagonisten sind süß, aber es hat für mich nicht gereicht, um mich in sie zu verlieben. Das Knistern hat sich nicht auf mich übertragen, die Neckereien und Flirtereien haben mich nicht berührt. Ich konnte es nicht fühlen.
Der Tiefgang kommt umso geballter, wenn die Autorin von den Schicksalsschlägen erzählt, die ihre Protagonisten erleiden mussten. Hier kommt die harte Kost zum Tragen. Manchmal war es mir etwas zu viel, etwas zu gewollt, etwas zu bemüht dramatisch. Gerade weil es in so starkem Kontrast zu den spritzigen, frischen Szenen stand, die es vor allem in der ersten Hälfte des Buches gibt. Die Autorin macht so viele Fässer auf, spricht so viele Themen an, versucht sehr, alles miteinander zu verweben. Und bleibt dann doch wieder an der Oberfläche, flüchtet aus dem Tiefgang, kratzt doch nur an der Oberfläche. Es wirkte auf mich nicht rund, zu gewollt, zu konstruiert, zu bemüht. Es war zu viel auf einmal.
Daher kann ich leider nur drei Sterne vergeben, obwohl ich mich vor allem aufgrund des Settings riesig auf das Buch gefreut hatte. Doch auch Hamburg wird nur oberflächlich beschrieben - wie es sich anfühlt, in dieser Stadt zu sein, konnte ich nicht fühlen. Dafür reicht es nicht, bekannte Straßen oder Gegenden zu erwähnen. Das Gefühl kommt allein dadurch nicht zum Tragen. Und so ging es mir letztlich auch mit den Charakteren und der Verbindung zu ihnen. Es hat mir an Gefühl gefehlt.
„Wildcard“ versprach mehr, als es halten konnte – zumindest für mich. Am Anfang war ich gebannt von der dichten, lebhaften Atmosphäre, die der Leser schon mit den ersten Worten erfährt. Ein fremdes Land, ...
„Wildcard“ versprach mehr, als es halten konnte – zumindest für mich. Am Anfang war ich gebannt von der dichten, lebhaften Atmosphäre, die der Leser schon mit den ersten Worten erfährt. Ein fremdes Land, eine uns Mitteleuropäern völlig fremde Kultur mit Sitten und Gebräuchen, die wir uns nicht einmal vorstellen können, geschweige denn unter denen wir auch nur einen Tag ruhig leben könnten. Es ist, als ob der Leser mit dem Protagonisten heimkehrt in eine Welt, die selbst ihm, der er doch dort aufgewachsen ist, völlig surreal erscheint. Man hat das Gefühl, die Hitze, die Feuchtigkeit, die Stimmung, die Gerüche förmlich durch die Seiten zu spüren. In dieser Hinsicht ist das Buch klasse. Ein derart atmosphärisches Buch habe ich lange nicht gelesen. Leider, und das macht es mir schwer, mehr Gutes zu sagen, ist mir das Buch viel zu brutal. Es mag sein, dass die Geschichte das hergibt und dass die Realität dem nahekommt, aber es war mir zu viel. Die Geschichte ist vielseitig erzählt und berührt auch im Wesentlichen die richtigen Punkte, die sie zu einem großen Roman machen könnten, aber irgendwann war ich einfach nur noch angeekelt. Vielleicht muss die Geschichte aber auch genau so sein. Dann aber ist sie am Ende nichts für mich. Schade!
Fazit: Wer über ungeschönte, brutale Realität in einer Kultur lesen will, in der der Dollar Eintrittskarte und Todesurteil zugleich ist, für den ist das Buch genau das Richtige. Erschreckend realistisch!