Ein wunderschönes und tragikomisches Buch, das tief berührt und sich spielend seinen Platz im Herzen der Leser sichert.
Ein ganzes halbes JahrLouisa, kurz Lou, ist 26 Jahre alt und lebt bei ihren Eltern. Die Familie plagen ziemliche Geldsorgen, da Lous Mutter den Großvater pflegt und Lous Vater ständig mit den Ängsten kämpft, seinen Job zu verlieren. ...
Louisa, kurz Lou, ist 26 Jahre alt und lebt bei ihren Eltern. Die Familie plagen ziemliche Geldsorgen, da Lous Mutter den Großvater pflegt und Lous Vater ständig mit den Ängsten kämpft, seinen Job zu verlieren. Lous Schwester kann leider auch nicht viel zum Familienunterhalt beitragen, da sie sich um ihr Kind kümmern muss. So ist es hauptsächlich Lou, die dafür sorgt, dass Geld in der Familienkasse ist. Als sie dann auch noch ihren Job verliert, sind die Sorgen groß.
Doch dann bekommt Lou eine Pflegestelle angeboten. Sie soll sich um Will kümmern, der seit einem Unfall vor zwei Jahren im Rollstuhl sitzt und an Tetraplegie leidet. Er kann seine Beine nicht mehr bewegen und die Bewegungsfreiheit seiner Hände und Arme ist sehr stark eingeschränkt.
Widerwillig lässt sich Lou auf dieses Jobangebot ein, aber erst als geklärt ist, dass sie diesen fremden Menschen nicht anfassen muss, ihn vor allem nicht zur Toilette begleiten und waschen muss. Lou ist sich nicht zu fein, solche Bedingungen zu stellen, denn sie nimmt kein Blatt vor den Mund. Sie trägt ihr Herz auf der Zunge und redet oft schneller, als ihr Verstand denkt.
Doch Will bietet ihr Paroli und zeigt ihr schnell, dass der neue Job kein Zuckerschlecken ist. Denn Will ist verbittert, zynisch und oft auch sehr verletzend. Er sieht keinen Sinn mehr in seinem Leben, das vor dem Unfall so actionreich und spannend war. Will hat alles getan, um seine Grenzen auszutesten. Er hat waghalsige Klettertouren unternommen, Bungee-Jumping war sein Hobby. Und nun muss er erkennen, dass er seine Grenzen tatsächlich erreicht hat. Er vegetiert nur noch vor sich hin, empfindet keine Freude mehr, sieht keinen Sinn mehr in seinem Leben. Er vernachlässigt sein Äußeres und starrt den ganzen Tag mit leerem Blick aus dem Fenster. Er ist unerreichbar geworden für die schönen Seiten des Lebens. Aber auch für die Menschen um ihn herum. Er lässt kaum jemanden an sich heran und vor allem Lou - die Neue in Wills Leben - hat es besonders schwer. Will ist abweisend, reagiert nicht auf sie, ignoriert sie völlig. Lou ist oft kurz davor, aufzugeben und alles hinzuschmeißen. Doch dann packt sie der Ehrgeiz und sie schafft es tatsächlich, einen Zugang zu Will zu finden. Das kalte Eis, das zwischen ihnen stand, bekommt Risse und Sprünge und taut langsam auf, ebenso wie Will. Langsam gewöhnen sich die beiden aneinander und halten es tatsächlich in der Nähe des anderen aus. Es sind kleine Schritte, die sie aufeinander zu gehen. Und doch merkt man, dass sie miteinander vertraut werden und anfangen, sich zusammen wohl zu fühlen.
Lou muss lernen, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Gepflasterte Bürgersteige stellen auf einmal ein enormes Problem dar und Fahrten mit dem Auto müssen von langer Hand geplant und organisiert werden. Und vor allem müssen sie und auch Will lernen, etwas aus dem einzigen Leben, das sie haben, zu machen.
Jojo Moyes zeichnet ein umfassendes Bild davon, was es heißt, an einen Rollstuhl gefesselt zu sein. Nicht nur für denjenigen, der in diesem Rollstuhl sitzt, sondern auch für alle Menschen um ihn herum. Für seine Pfleger, die versuchen, ihm seinen Tag so angenehm wie möglich zu gestalten. Und für die Familie, die hilflos dabei zusehen muss, wie das eigene Kind immer mehr den Lebensmut verliert. Dabei sind die verschiedenen Charaktere alle so glaubhaft und anschaulich gezeichnet, dass man sich als Leser problemlos in sie und vor allem ihre Gefühlswelt hineinversetzen kann. Es wird nachvollziehbar, warum sich die Figuren so und nicht anders verhalten. Jede Person spielt in diesem großen Ganzen eine eigenständige Rolle und steht für die vielen Probleme, die das Leben im Rollstuhl mit sich bringt.
„Ein ganzes halbes Jahr“ ist ein höchst emotionales und bewegendes Buch mit schönen, aber auch sehr traurigen Momenten. Zusammen mit den Charakteren durchlebt der Leser ein Wechselbad der Gefühle. Die Beschreibung tragikomisch trifft es wohl am besten, denn obwohl es in diesem Roman viele witzige Szenen gibt, bleibt doch immer ein bitterer Beigeschmack.
Der Titel des Buches hat eine ganz besondere Bedeutung und mehr, als dass das halbe Jahr viel zu schnell vorbei ist, soll an dieser Stelle dazu nicht gesagt werden.
Mein Fazit:
Ein wunderschönes und tragikomisches Buch, das tief berührt und sich spielend seinen Platz im Herzen der Leser sichert.