Was für ein leichter unterhaltsamer Ton, dabei trotzdem ansprechend anspruchsvoll, hintersinnig und empfindsam. Sieben Richtige – frei nach dem Lottospiel – sind sieben Handlungsstränge, sieben Personen, ...
Was für ein leichter unterhaltsamer Ton, dabei trotzdem ansprechend anspruchsvoll, hintersinnig und empfindsam. Sieben Richtige – frei nach dem Lottospiel – sind sieben Handlungsstränge, sieben Personen, deren Leben sich treffen, verschränken, wieder auseinanderdriften um an anderer Stelle erneut zusammenzustoßen. Ein bisschen ist es ein Billardspiel des Lebens. Eine Kugel stößt an und in einer Art Kettenreaktion geht es weiter. Das ist ganz natürlich, unterhaltsam und fordert Aufmerksamkeit beim Leser. Auch die Gefühle der Protagonisten kullern umher, lösen sich ab oder aus, sind klar und real in ihrer Lebhaftigkeit.
Ein wirklich schöner Erstling, der mein Herz im Sturm erobert hat und das ich gerne nochmal als Hörbuch genießen möchte. Weil Herbst es so schön liest und die Geschichte ganz viele wundervolle Wortspiele hat, die man auch zweimal wie beim ersten Mal genießen kann.
„So weit die Störche ziehen“ war mein erster Roman von Theresia Graw. Der Klappentext klang genau nach meinem Beuteschema auch wenn mir der Hinweis auf ein Neues „Vom Winde verweht“ doch etwas hochgegriffen ...
„So weit die Störche ziehen“ war mein erster Roman von Theresia Graw. Der Klappentext klang genau nach meinem Beuteschema auch wenn mir der Hinweis auf ein Neues „Vom Winde verweht“ doch etwas hochgegriffen schien. Solche Vergleiche werden ja leider eher inflationär gemacht. Ähnlich wie Fantasybücher die man mit HdR in einem Atemzug nennt. Diese Vorschusslorbeeren können die Bücher oft nicht erfüllen und ich finde es eigentlich unnötig, da der Leser dadurch falsche Erwartungen entwickelt und wenn diese dann nicht erfüllt werden, ist man enttäuschter, als es dem Buch vielleicht angemessen erscheint.
Heldin des Romanes ist Dora Twardy, älteste Tochter eines ostpreussischen Gutherren. Die Geschichte beginnt im Jahr 1939. Das Mädchen ist 16 Jahre jung und ebenso ungestüm wie naiv. Sie liebt das Reiten und ihre Pferde und den Sohn eines benachbarten Gutshofbesitzers, Wilhelm. Wohlbehütet, wie sie aufgewachsen ist, interessiert sie sich wenig für Politik oder Schule, genießt das Leben, den Wohlstand ihrer Familie und die aufkeimende erste Liebe. Mit ihrem Äußeren und ihrem Enthusiasmus kann sie Wilhelm überzeugen, sie so bald als möglich zu heiraten. Aber als die Frau ihres Onkels stirbt, muss sie erst mal für einige Zeit nach Königsberg um diesem bei Haus und Kindern zu helfen. Dort lernt sie den Fotografen Curt kennen und verdreht auch diesem sehr schnell den Kopf, ohne ihm zu sagen, dass sie inoffiziell bereits verlobt ist. Als dieser herausfindet, dass sie ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt hat, bricht er enttäuscht den Kontakt zu ihr ab. Während Dora mehr mit ihrem komplizierten Männergeschichten beschäftigt ist, schliddert Deutschland mit voller Kraft voraus in den zweiten Weltkrieg und dann werden erst der älteste Bruder und später auch der Vater zum Wehrdienst eingezogen und auf das Gut in Ostpreussen rückt der Krieg und die Russen schnell näher.
Zu viel will ich gar nicht über den weiteren Verlauf erzählen. Das Buch nimmt von Kapitel zu Kapitel mehr fahrt auf und die Spannung steigt mit der Dramatik der Ereignisse. Dora entwickelt sich dabei vom naiven Mädchen zu einer jungen Frau, die geliebte Menschen in schrecklichen Zeiten verliert, die auch alleine ihre Frau stehen muss, die sich schließlich auf der Flucht vor den Russen in einem Flüchtlingstreck wiederfindet. Dabei handelt sie fast immer mit viel Herz und einem schier unerschütterlichen Optimismus und wächst Stück für Stück über sich hinaus.
Ja, Dora ist in ihrer Art durchaus mit Scarlett O’Hara vergleichbar. Und ähnlich wie sie muss sie erst herausfinden, welchen Mann sie liebt und dass der Krieg eine Bedrohung für Leib und Seele ist, der man sich nur mit Mut und Stärke stellen kann. Und das am Ende nur zählt, dass die Liebsten überleben und die Heimat die Menschen sind, die man im Herzen trägt und die man liebt. Doras Entwicklung und auch der Spannungsbogen bis zum Ende halten dem Vergleich mit „Vom Winde verweht“ durchaus stand. Die Tiefe der Figuren, die Lebendigkeit und Authentizität, die die Autorin noch in die kleinsten Nebenfiguren steckt, machen den Roman zu einem wundervollen Leseerlebnis. Außerdem beschreibt sie sehr eindringlich die Kriegsgeschehnisse und die Flucht aus Ostpreussen. Mich hat das Buch begeistert. Umso erfreulicher, dass Theresia Graw bereits an der Fortsetzung arbeitet.
Der Titel "Kinder ihrer Zeit" spiegelt sehr gut wieder, welches der Dreh- und Angelpunkt des neuen Buches von Claire Winter ist. Nämlich Zwillingsmädchen, die in den Wirren des Kriegsendes 1945 auseinandergerissen ...
Der Titel "Kinder ihrer Zeit" spiegelt sehr gut wieder, welches der Dreh- und Angelpunkt des neuen Buches von Claire Winter ist. Nämlich Zwillingsmädchen, die in den Wirren des Kriegsendes 1945 auseinandergerissen werden und die unterschiedlicher nicht aufwachsen könnten, bevor sie sich als junge Frauen wiedertreffen. Den Rahmen bildet die Trennung des Deutschen Reiches in die BRD und die DDR und die ersten Jahre bis zum Bau der Mauer quer durch Berlin.
Zu den Stärken der Autorin gehört sicherlich, dass man sofort eine enge Verbindung als Leserin zu den Hauptdarstellern spürt. Schnell hat man Emma und Alice ins Herz geschlossen, ist traurig, dass die beiden sich durch die einrückenden Russen in Ostpreußen aus den Augen verlieren, ja, schlimmer noch, glauben, die jeweils andere wäre gestorben. Während Emma mit der Mutter im Westen Berlins landet und dort behütet aufwächst, wird Alice von einem russischen Soldaten gerettet und lebt in einem Waisenhaus der DDR bis sie volljährig in eine kleine Wohnung ziehen kann. Die Schwestern sind tatsächlich Kinder ihrer Zeit und vor allem Kinder ihres Umfeldes, in dem sie aufwachsen. So sind beide in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen verwurzelt und haben einen festen Glauben daran, im jeweils besseren Staat zu leben.
Irgendwann wird Alice durch einen Zufall klar, dass ihre Schwester nicht gestorben ist, sondern tatsächlich im Westen lebt. Und da es vor dem Mauerbau einige Jahre noch möglich war, reist sie nach Westberlin und findet dort Emma. Die anfängliche Euphorie über die Wiedervereinigung weicht der Erkenntnis, dass inzwischen so einiges die beiden Zwillinge trennt und sie ganz unterschiedliche Vorstellungen vom Leben entwickelt haben. Es ist also bei weitem nicht alles eitel Sonnenschein.
Faszinierend ist, wie die politischen Gegebenheiten und der Machtkampf der Ost- und Westregierung das Leben der Schwestern beeinflussen und mit ihren Wünschen und Träumen aber auch mit dem Schicksal ihrer Freunde verstrickt sind. Dabei befinden wir uns phasenweise mitten drin im Geflecht feindlicher Spionageorganisationen, erfahren über die Pläne der DDR, sich auch Westberlin einzuverleiben oder im Ernstfall total gegen den Westen abzuriegeln, und die Wünsche der BRD, dass ein friedliches Nebeneinander auch die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung sein könnte. Und die Russen und die Amerikaner wollen unbedingt auch noch ein Wörtchen mitreden. Mit allen Mitteln. Claire Winter schafft es mühelos auf verschiedenen Ebenen die Leserinnen zu fesseln. Emma hofft auf ein Glück mit einem ostdeutschen Wissenschaftler, Alice schwankt zwischen der Liebe zu ihrer Schwester und dem Pflichtbewusstsein für die DDR-Regierung, welche sie immer mehr unter Druck setzt, ihre Treue für ihr Land auch zu beweisen. Die Lage spitzt sich mehr und mehr zu und der Leser weiß, dass der tatsächliche Mauerbau alles zunichte machen und die Schwestern für viele Jahrzehnte wieder trennen könnte.
Ich bin rundrum begeistert von "Kinder der Zeit". Die Geschichte ist wahnsinnig spannend und dabei so voll von den kleinen und großen historischen Infos, die ich an einem guten historischen Roman so schätze. Dieses Mal bleibt die Autorin Schritt für Schritt an der Seite ihrer Protagonistinnen und führt uns ohne Rückblicke durch die ersten Jahre der DDR. Das war genau nach meinem Geschmack und ich habe am Ende ziemlich mitgefiebert, ob alles gut ausgeht.
Mein Fazit: Ich finde, Claire Winter hat sich mal wieder selbst übertroffen. Für mich gehört sie zur Riege der deutschen Autorinnen, deren Bücher man lesen muss, wenn man sich für die Vergangenheit interssiert und dabei dennoch auch eine unterhaltsame und bewegende Geschichte lesen möchte. Als besonderes Zuckerl durfte ich das Buch in einer Leserunde mit der Autorin genießen und habe noch viel mehr Hintergrundfakten und Rechercheergebnisse erfahren. Ein Jahreshighlight für mich. Vielen Dank dafür.
Erzählt wird die Geschichte von Jessica May, die versucht, als Kriegsreporterin Fuß zu fassen und über den zweiten Weltkrieg zu berichten. Dass sie zur damaligen Zeit mit großen Vorurteilen zu kämpfen ...
Erzählt wird die Geschichte von Jessica May, die versucht, als Kriegsreporterin Fuß zu fassen und über den zweiten Weltkrieg zu berichten. Dass sie zur damaligen Zeit mit großen Vorurteilen zu kämpfen hatte, war zu erwarten. Aber durch ihre Hartnäckigkeit und ihre intelligenten Reportagen gelingt es ihr langsam immer mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung zu erringen. Mit Jessica zusammen erfährt der Leser viel über die Kriegsgeschehnisse, über menschliche Schicksale, politische Entwicklungen aber auch über einige Prominente, die wirklich gelebt haben und denen sie über den Weg läuft. Der historische Teil hat mir sehr gut gefallen und auch die Liebesgeschichte ist glaubhaft und nicht kitschig.
Wie meistens war ich etwas enttäuscht, dass es noch einen weiteren Handlungsstrang gab, der zeitlich in der Gegenwart spielte. Diese Teile waren nicht so spannend für mich und ich hätte sie nicht gebraucht. Ich mag den Zeitenwechsel meist nicht, weil in 90 % der Bücher nur eine Ebene mich fesseln kann. Das war leider auch hier der Fall, deshalb ziehe ich einen Stern in meiner Bewertung ab. Das ist natürlich subjektiv. Viele Leserinnen stören sich nicht an so etwas.
Ich mochte den Erzählstil der Autorin, die ich vorher noch nicht kannte. Sie hat das Leben einer realen Frau als Ausgangspunkt genommen, was mir gut gefällt, da es dem Ganzen mehr Tiefe gibt.
Am Schluss noch ein Wort zum Cover. Das ist zum Verlieben schön und im Buchladen hätte ich sicherlich zugegriffen.
Am Jahresanfang habe ich „Ohne Gnade“ von Bryan Stevenson gelesen und danach auch die Verfilmung dieses Buches über die katastrophalen und rassistischen Zustände in den Todestrakten der USA gelesen. Schon ...
Am Jahresanfang habe ich „Ohne Gnade“ von Bryan Stevenson gelesen und danach auch die Verfilmung dieses Buches über die katastrophalen und rassistischen Zustände in den Todestrakten der USA gelesen. Schon bevor George Floyd dieses Jahr ein Opfer der amerikanischen Polizeigewalt gegen Afroamerikaner wurde. Das Thema Blacklivesmatter beschäftigt mich schon lange und deshalb habe ich gleich zugegriffen, als netgalley das Buch über Patrisse Khan-Cullors, eine der treibenden Entstehungskräfte hinter der weltweiten Aktion Blacklivesmatter, herauskam.
Patrisse erzählt die Geschichte ihrer Familie und ihre eigene. Einer afroamerikanischen Frau aus ärmlichen Verhältnissen, die von Kindheit an die Ungerechtigkeit gegen ihre Familie und Freunde und die Rassen-Diskriminierungen in den USA mitansehen und am eigenen Leib erfahren musste. Einer Frau, die sich dagegen zu wehren begann, die andere mitriss, die die Öffentlichkeit sucht und kein Blatt vor den Mund nimmt. Eine Frau, die etwas zu erzählen hat.
Wer offenen Auges auf das Weltgeschehen blickt weiß, wie es in den USA noch immer zugeht. Seit Filmen wie „Wer die Nachtigall stört“ und „Mississippi Burning“ hat sich nicht viel getan in vielen Staaten der USA. Das ist erschreckend und frustrierend. Aber man spürt in diesem Buch, dass Aufgeben keine Option ist. Dass sich etwas ändern muss und ändern wird. Das steter Tropfen den Stein höhlt und mit jedem neuen Mitglied der Lacklivesmatter-Aktion die Aussichten besser werden, dass die Gesellschaft sich ändern wird. Nicht heute aber hoffentlich morgen schon.
Ein Buch, welches man nicht so hopp la hopp weglesen sollte. Ich habe es immer wieder zur Seite gelegt und darüber gebrütet. Ich lese kaum Sachbücher – aber das ist eines, was gelesen werden muss. Wegen der Wahrheit die darin steckt. Wegen der Botschaft die es hinausträgt.